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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 378 Seiten

Reihe: Kommissar Kanther, Journalist Niessen

Neumann Zehn

Thriller
2020
ISBN: 978-3-8392-6362-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Thriller

E-Book, Deutsch, Band 1, 378 Seiten

Reihe: Kommissar Kanther, Journalist Niessen

ISBN: 978-3-8392-6362-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



»Er starrte träumerisch aufs Wasser und versenkte sich ein weiteres Mal in die Gewissheit, ein Leben ausgelöscht zu haben. Ihm war endgültig klar, dass es seine Bestimmung war. Sein Schicksal! Daran gab es keinen begründbaren Zweifel mehr.«

Jahrelang zieht ein Serienmörder eine Blutspur durch Deutschland. Seine Taten haben nur eines gemeinsam: Sie sind nicht aufzuklären. Es gibt kein Muster, keine Zeugen, kein erkennbares Motiv, keine Verbindung zwischen den Opfern. Die Mordkommission ist hilflos. Kann der Journalist Niessen den Mörder stoppen? Sein Instinkt führt ihn auf einen Kreuzzug, an dessen Ende die Story seines Lebens wartet - oder der Tod.

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Kapitel 1
Samstag, 13. August 2016 Jeder wirklich erwachsene Mann kennt den Moment, in dem er weiß: noch ein Schluck, und ich bin hackedicht! Nun ja, er hatte ihn wieder mal verpasst. Aber ein Abend, der schon mies anfängt, wird nur selten besser, und dieser hatte wirklich extrem mies angefangen. Blöde Schlampe, dachte er noch, als er quasi in Zeitlupe Richtung Straße fiel. Glücklich fiel, muss man sagen, denn immerhin schaffte er es, seine Arme nach oben zu nehmen, was der reißende Schmerz in seinem Ellbogen kurz darauf bestätigte. Verdammt, das gibt morgen Zahnschmerzen, hörte er sich denken, um sich gleich darauf zu fragen, wie er jetzt eigentlich auf Zahnschmerzen kam. Jedes Mal dasselbe, wenn er Schnaps trank: Gedanken, die sich überschlugen, wirres Zeug, das durch sein Gehirn strömte, und die Angewohnheit, früher oder später anderen damit auf die Nerven zu gehen. Und was immer er nun zu Miss »Nur kucken, nicht anfassen« gesagt hatte, es hatte gereicht, um ihn aus der Kneipe zu werfen. »Okay, konzentrieren. Nicht die Augen zumachen, sonst hast du keine Chance. Gott, ist mir schlecht«, lallte er vor sich hin, immer noch unfähig, sein Denken und Reden sauber voneinander zu trennen. Unwillkürlich fiel ihm ein, wer alles an seiner eigenen Kotze erstickt war. Ein cooler Tod, dachte er, aber wer will schon sterben? Blöde Idee, also konzentrier dich! Du hast einen Plan, vergiss das nicht. Er starrte in die Nacht und vermutete einen Himmel voller Sterne, doch die Stadtlichter machten es unmöglich, sich wenigstens daran zu erfreuen. Also blickte er trüb ins Leere und versuchte sich zu erinnern, wie es war, als er mit Isa sprichwörtlich im nassen Gras gelegen und jeden einzelnen Stern für sie gezählt hatte. Das alles war so lange her. Wie jung er gewesen war und wie naiv. Wie hätte es eine andere Frau geben sollen? Ein anderes Leben? Er hatte damals so wenig gewusst. Unmöglich, sich heute in den Mann hineinzuversetzen, der so ekelhaft kitschig gewesen war. Der von Schicksal redete, der Lieder und Gedichte schrieb und noch Mixtapes mit Herzen bemalte, als seine Freunde ihm längst rieten, mal kurz nachzudenken. Aber so ist es doch immer. Die Dinge geschehen, und ihre Bedeutung wird uns erst sehr viel später klar. Er musste Isa damals einfach heiraten, und selbst jetzt wusste er nicht, ob er das im Nachhinein ändern sollte. Wenn ihm etwas leid tat, dann, dass sie nie Kinder bekommen hatten. Wer weiß, vielleicht hätte das einiges in ihm verändert. So blieb in ihm eine Leere, hinter der er sich verstecken konnte. Eine Ausrede, die er seinem Spiegel entgegenhielt, wenn es unerträglich wurde, hineinzuschauen. Und so bequem das auch war, ein Teil von ihm hätte diese Bequemlichkeit jederzeit eingetauscht gegen einen ersten Schrei, ein erstes Lachen, und diese verdammte Selbstsicherheit der Jungs, die auf einmal keine Jungs mehr waren, sondern Väter. Gott, wo kommen denn plötzlich solche Gedanken her?, fragte er sich. Dieser Teil in ihm hatte schon vor Jahren aufgehört, eine wesentliche Rolle zu spielen. Aber auch das war eine der leidigen Auswirkungen von Alkohol: Er spült Dinge in einem hoch, die man längst vergessen glaubt. Er starrte weiter in die Nacht, und langsam wurden seine Gedanken klarer. Isa hatte ihn rausgeschmissen. Oder nein, war er gegangen? Wer konnte das schon sagen, denn letztlich kam es doch auf dasselbe heraus. Er ging, und wenn er wiederkam, würde sie auf ihn warten und ihm in die Arme fallen. Weinend, mit tausendfachem »Es tut mir leid« auf den Lippen, entwaffnend und dabei unverschämt aufreizend, weil er wusste, es würde im Schlafzimmer enden. Das tat es stets. Und wie jedes Mal würde sie buchstäblich alles geben, und er würde sich alles nehmen, um am Ende da zu liegen und sich zu fragen, wer jetzt eigentlich wen benutzt hatte. Dieser verdammte Teufelskreis. Wieso konnte er sie nicht einfach verlassen? 18 Jahre – und rein gar nichts hatte sich verändert. Dieses Leben, von dem so viele dachten, dass es perfekt sein musste. Sie beide, das absolute Posterpärchen. Leben im Überfluss. Arbeiten nur, weil man Spaß daran hat. Schicke Klamotten, teure Autos und Urlaub, den andere sich nicht mal im Ruhestand gönnen. Und nüchtern überlegt: Selbst heute noch, mit 39, war Isa eine Wahnsinnsfrau. Sie hatte weiß Gott ein hübsches Gesicht. Dazu einen Körper, den Sport und die ausgebliebene Schwangerschaft so straff gehalten hatten, dass selbst die jungen Dinger in der Sauna oft neidisch guckten. Und im Bett war sie die Sorte Frau, bei der man sicher war, dass man nicht fragen, sondern einfach nur machen musste, jedenfalls, wenn man es gut machte. Sie nervte zwar hin und wieder, sorgte aber selten für echten Ärger. Und wenn, dann ging es mal wieder darum, dass sie dachte, er würde sie betrügen. Ein Vorwurf, dem er seit Jahren nach demselben Muster begegnete: Leugnen, die Vorstellung als paranoiden Unsinn abtun, mit ihr ins Bett gehen – und die aktuelle Affäre beenden oder zumindest auf Eis legen. Aber genau das war der Fehler: Wie perfekt konnte man sich eine Frau reden, die man immer und immer wieder betrogen hatte? Lag es überhaupt an der Frau? Und wenn nicht, was bedeutete das für einen selbst? Er hatte nie eine Antwort darauf gefunden. Doch alles näherte sich seinem Ende, und ihm war klar, dass das auf die eine oder andere Art auch auf seine Ehe zutraf. Also hatte er es heute auf die Spitze getrieben, so sehr, dass er zum ersten Mal nicht sicher war, was ihn zu Hause erwarten würde. Könnte er diesen elenden Teufelskreis vielleicht endlich auflösen und alles hinter sich lassen? All die schlauen Sprüche, die man über Teufelskreise hören oder lesen konnte, hatten eines gemeinsam: Sie waren totaler Schwachsinn. »Wir sind frei, ihn zu durchbrechen«, blablabla, danke, Klugscheißer. Genau das ist schließlich der Kern eines echten Teufelskreises! Nicht, dass er existiert – sondern, dass es uns mit jeder Minute, die wir ihn durchleben, ein kleines Stückchen schwerer fällt, ihn zu bekämpfen. Bis die Hürde irgendwann viel zu hoch ist, als dass ein einzelner Mensch sie überwinden könnte. Die Zeit ist es, die einen Teufelskreis zu einem wahren Teufelskreis macht. Jeder, der einem etwas anderes erzählt, hat selbst noch nie in einem gesteckt. Dasselbe galt für seine Ehe. So schön sie in den ersten Jahren gewesen war, so unglaublich das Leben mit Isa ihm damals auch vorkam; die Zeit hatte einfach alles verändert. Sie hatten sich weiterentwickelt. Oder vielmehr hatte er sich entwickelt. Isa war komplett stehen geblieben. Für sie war das Leben bei »Ja, ich will!« perfekt gewesen, und ihr einzig verbleibender Wunsch bestand darin, irgendwann Kinder mit ihm zu haben. Er konnte das nie verstehen. Dieser Mangel an Hunger, diese schreckliche, ekelhafte Zufriedenheit, unter der sich Menschen wie Isa ihr Leben lang vergraben konnten, ohne dass ihnen etwas fehlte. Ihn machte das fassungslos, und es weckte Verachtung in ihm. Letztlich konnte er es ihr aber nicht vorwerfen, denn er wusste, dass die meisten Menschen ihr deutlich näher waren als ihm, was das anging. Wie armselig die Menschen doch waren. Wenn er daran dachte, wurde brennender Stolz in ihm wach, weil er wusste, dass er zu sehr viel mehr geboren war als diese bemitleidenswerten Jammergestalten. Er hatte schon immer alles versucht, um mehr herauszuholen. Ihn trieb etwas an, das zu gewaltig war und zu tief ging, als dass simple Begriffe wie »Ehrgeiz«, »Neugierde« oder »Abenteuerlust« ausgereicht hätten, es zu beschreiben. Etwas, das ihn ebenso kontrollierte wie es ihn stark machte. Etwas, dem er sich nie hatte entziehen können, selbst als er sich einmal (mit kläglichem Misserfolg) dazu entschieden hatte, »ruhiger zu werden«, wie man so schön sagte. Er bezeichnete sich gern als eine Mischung aus Suchendem und Getriebenem. Nur hatte er bis vor neun Jahren weder herausgefunden, was er eigentlich suchte – noch wovon er sich treiben ließ. Am Tag seiner Hochzeit war er von dieser Erkenntnis meilenweit entfernt gewesen. Er hatte sich daher in eine Ehe gestürzt, deren Halbwertszeit er von Anfang an hätte vorhersehen können. Isa, die leidenschaftliche, warmherzige, sanftmütige, vor allem jedoch ihm in jeder Hinsicht bedingungslos ergebene Vorzeige-Ehefrau. Und dann er, ein durch und durch komplizierter, entzweigerissener Charakter, der sich trotz seiner inzwischen 47 Jahre nicht einmal selbst vollständig verstand. Dessen ureigene, abgrundtiefe Schattenseite ihn von Jahr zu Jahr mehr faszinierte. Und der dieser wunderbaren, verletzlichen Frau mit jedem Tag, der verging, deutlicher zu verstehen gab, dass er sie eigentlich nur duldete. Es wäre für Isa und vielleicht auch für ihn das Beste gewesen, er hätte sie vor langer Zeit verlassen. Aber soweit es ihm in Erinnerung war, hatte er bereits beim ersten Nachdenken darüber gewusst, dass er das niemals tun würde. Zuerst hatte er gedacht, es läge einfach daran, dass er ein riesiges Arschloch war. Später dann hatte er den Teufelskreis erkannt. Noch später war ihm klargeworden, dass er ihn gar nicht durchbrechen wollte. Heute fürchtete er, dass er ihn nicht mehr brechen konnte. Die Gründe waren immer dieselben. Erstens hatte er sich viel zu sehr daran gewöhnt, Geld zu haben. Zweitens konnte er trotz seiner Ehe tun und lassen, was er wollte. Es fiel verdammt schwer, Vorteile einer Trennung in die Waagschale zu werfen, die das aufwogen. Und trotzdem hätte er es tun müssen. Damit Isa endlich wieder frei atmen könnte. Damit er sich endlich nicht mehr den Spiegel vorhalten müsste, wenn er auf Menschen herabsah, die sich von Bequemlichkeit leiten ließen. Aber vielleicht war das gar nicht mehr nötig,...


Neumann, Andy
Andy Neumann wurde 1975 in Neuwied geboren. Er begann 1995 seine Kommissarsausbildung beim Bundeskriminalamt und war anschließend neun Jahre lang als Ermittler im Terrorismusbereich tätig. Von 2008 bis 2010 absolvierte er das Masterstudium an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Im Rahmen seiner Vorstandstätigkeit für den „Bund Deutscher Kriminalbeamter“ veröffentlichte er zahlreiche wortstarke Stellungnahmen und gab Interviews, u. a. für Spiegel Online, die Welt und Bild online. In seiner Freizeit ist er leidenschaftlicher Musiker. Er arbeitet beim BKA und lebt mit seiner Familie im Rheinland.



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