Nichols | Sehnsucht nach Eden | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Nichols Sehnsucht nach Eden


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-86827-931-3
Verlag: Francke-Buch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

ISBN: 978-3-86827-931-3
Verlag: Francke-Buch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Weltenbummlerin Miranda DeSpain ist sich selbst ein Rätsel: Was zwingt sie, immer weiter zu ziehen? Die offenen Fragen ihres Lebens? Im kleinen Abingdon stößt sie auf ein Geheimnis, das das Puzzle ihres Lebens komplettieren könnte. Sollte sie mit Hilfe der kleinen quirligen Eden endlich nach Hause kommen?

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1 14. Dezember 1995, Nashville, Tennessee Wanda unterdrückte ein Gähnen. Seit das Krankenhaus die Zehnstundenschicht eingeführt hatte, spürte sie plötzlich ihr Alter. An einem langen Tag kroch es in Form von Müdigkeit langsam von ihren Beinen hinauf bis in den Rücken, um sich dort dauerhaft einzunisten. Heute war ein besonders anstrengender Tag gewesen. Das Schicksal einer Patientin hatte Wanda schwer mitgenommen und auch jetzt ließen sie die Gedanken an ihre Schutzbefohlene nicht los. Erneut wurde sie von einer Woge des Mitgefühls überrollt. Die Kleine war kaum sechzehn, fast selbst noch ein Kind, und viel zu jung, um bereits ein eigenes Baby zu bekommen! Dennoch hatte das Mädchen heute entbunden, aber noch nicht einmal Wanda hatte genügend Zeit gehabt, um einen Blick auf den Säugling zu werfen, so schnell war das Kind der Mutter entrissen worden. Sie sollte es gar nicht erst im Arm halten, geschweige denn betrachten können. Verantwortlich für diese Härte waren Dr. Herbert und die Großmutter des Neugeborenen, die Wanda an die böse Stiefmutter aus zahlreichen Märchen erinnerte. Rein äußerlich war sie eine Frau, die mit ihren roten Haaren und dem herzförmigen Gesicht hübsch anzusehen war, aber ihr Blick jagte Wanda jedes Mal ein Schaudern über den Rücken. „Das Kind wird zur Adoption freigegeben“, sagte Dr. Herbert so ungerührt, als sei eine derartige Entscheidung etwas vollkommen Alttägliches. „Es ist alles schon privat arrangiert.“ Wanda war eigentlich der Meinung gewesen, diese Art von Geheimniskrämerei gäbe es seit den fünfziger Jahren nicht mehr, aber Dr. Herbert widersprach man nicht. Nicht, wenn man seine Stelle behalten wollte. Wanda hing an ihrem Arbeitsplatz, also hielt sie den Mund. Stattdessen malte sie sich unwillkürlich aus, wie irgendein reicher Snob, irgendeine reiche Dame der feinen Gesellschaft dieser grässlichen Großmutter das kleine Bündel abkaufte. Wanda schüttelte den Kopf. Wo war die Mutter des Mädchens gewesen, als sich ihre Tochter während der Wehen die Seele aus dem Leib geschrien hatte? Die Kleine hatte furchtbare Angst gehabt, doch kein Angehöriger hatte mit an ihrem Bett gesessen und ihr zur Unterstützung die Hand gehalten. Wanda war die einzige gewesen, die sich bemüht hatte, ihrer Patientin in dieser beängstigenden Situation ein wenig Trost zu spenden. Trotzdem war es ein schwerer Kampf für die Mutter gewesen. Dr. Herbert hatte sich schließlich für einen Kaiserschnitt entschieden, wodurch es auch gleichzeitig leichter wurde, der jungen Frau ihr Kind vorzuenthalten. Wenigstens war das Baby selbst vollkommen gesund. Es schrie aus Leibeskräften und bestand alle ersten Untersuchungen ohne Befund, doch sogar das durfte Wanda der Mutter nicht verraten – weder das Geburtsgewicht, noch die Größe, noch das Geschlecht. „Die Familie hat beschlossen, es sei das Beste für das Mädchen, nichts Genaueres zu wissen“, hatte Dr. Herbert gesagt. Die Familie? Damit meinte er wohl Frankensteins Braut. Wanda beobachtete die Großmutter des Neugeborenen heimlich vom Schwesternzimmer aus durch die Glasscheibe des Warteraums. Immer wieder sprang die Frau auf und ging vor die Tür, um eine Zigarette zu rauchen. Wenn sie wiederkam, lief sie nervös auf und ab oder rückte fahrig den Zeitschriftenstapel zurecht. Wanda seufzte, schüttelte erneut den Kopf und spürte eine tiefe Traurigkeit in ihrem Herzen. Müde sah sie auf die Uhr. Ihre Schicht war zu Ende, aber bevor sie ging, wollte sie doch noch einmal nach ihrer Patientin sehen. Sie machte sich auf die Suche nach dem Zimmer der jungen Frau auf der Entbindungsstation. Wieso nur war sie hier bei den anderen Wöchnerinnen und deren Babys untergebracht worden? In den Augen der Krankenschwester war dieses Verhalten eine weitere unnötige Grausamkeit. Die 510. Wenigstens ein Einzelzimmer, dachte Wanda, die Gott schon für die kleinsten Wohltaten für ihre Schutzbefohlene dankbar war. Leise öffnete sie die Tür. Das Zimmer lag vollständig im Dunkeln. Es brannte kein Licht, und auch die Vorhänge waren zugezogen. Da drang aus dem Nichts ein Schluchzen an Wandas Ohr. Das Mädchen weinte! Wer würde das nicht in ihrer Lage, dachte Wanda und spürte, wie Wut und Zorn von Neuem in ihr aufstiegen. Da lag dieses halbe Kind und versuchte, mit ihm völlig unbekannten Gefühlen fertig zu werden – den Gefühlen einer jungen Frau, die gerade ihr erstes Baby bekommen hatte, ohne dass der Vater des Kindes, die eigene Mutter oder sonst irgendeine vertraute Person als Unterstützung dabei gewesen wäre. Hinzu kamen noch die Schmerzen durch die langen, fruchtlosen Wehen und die anschließende Operation. Die ausgestandene Angst und Qual musste tiefe Wunden in der Seele des Mädchens hinterlassen – ganz zu schweigen von der schmerzlichen Trennung von ihrem Baby. „Hallo“, sagte Wanda leise, schaltete eine kleine Lampe an und trat an das Bett. Sie beugte sich lächelnd über das Mädchen. Die Bewegung versetzte ihrem Rücken einen Stich, aber Wanda bemerkte es kaum. Das Mädchen blinzelte. Als sie Wanda erkannte, füllten sich ihre Augen erneut mit Tränen, dann wandte sie beschämt den Kopf ab. „Lass nur, Kind. Ist schon in Ordnung“, sagte Wanda sanft. Sie nahm die Hand der jungen Mutter und streichelte sie, doch das schien erst recht alle Tränenschleusen zu öffnen. Wanda senkte das Seitengitter, setzte sich auf die Bettkante und breitete ihre Arme aus, worauf sich das Mädchen – soweit es die frische Bauchwunde zuließ – an Wanda schmiegte. Schluchzend lehnte sie an ihrer Schulter und weinte sich aus. Wandas Kittel wurde nass, aber das war ihr egal. Sie streichelte über die schmächtigen Schultern und küsste das dicke, glatte Haar, während sie beruhigend murmelte: „Na, na, wer wird denn ... ist ja schon gut, alles wird gut“, – so, wie sie es immer bei ihrer eigenen Tochter tat. Im Vergleich schienen deren Probleme allerdings verschwindend klein. Nach einer ganzen Weile schien sich das Mädchen zu beruhigen. Wanda reichte ihr Papiertaschentücher, dann stand sie auf und füllte den Plastikkrug mit Wasser. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Wie konnten sich die Schwestern draußen auf dem Gang nur so wenig um eine derart junge Patientin so kurz nach der Geburt kümmern? Fühlte sich denn niemand für sie verantwortlich? Aber nein, sie durfte auch nicht ungerecht sein. Das Mädchen wurde mit Sicherheit gründlich überwacht. Bestimmt erschien in Kürze eine der Schwestern, um ihren Gesundheitszustand zu überprüfen. Wanda wusste, dass ihre Verärgerung eigentlich nicht dem Pflegepersonal, sondern der Situation an sich galt. „Hier, trink das“, sagte Wanda und hielt ihrer Patientin einen Plastikbecher mit Wasser entgegen, wobei sie den Strohalm so bog, dass sich das Mädchen nicht aufzusetzen brauchte. Sie nahm einen Schluck. Dann noch einen. Schließlich hielt sie inne und sagte mit belegter Stimme: „Ich habe noch nicht einmal mein Baby gesehen! Sie wollen mir sogar verschweigen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.“ Wanda blickte in die fragenden Augen des Mädchens und fühlte sich hin und her gerissen zwischen Krankenhauspolitik und Mitgefühl. Gerade wollte sie zu einer Antwort ansetzen, als sie plötzlich Stimmen hörte. Es war die Mutter ihrer Patientin. Die Krankenschwester verstand nicht alles, was sie sagte, aber nach ihrem Tonfall zu schließen, war die Mutter sehr aufgebracht. Wanda vernahm die Worte „hat mich endlos draußen im Wartezimmer sitzen lassen“ und „wollte etwas zu essen holen und habe den falschen Fahrstuhl genommen“. Dann schlug die Tür auf und die Frau stürmte herein. „Da bist du ja!“, sagte sie. Ihre Anwesenheit erfüllte trotz ihrer zierlichen Statur den ganzen Raum, wobei ihr Tonfall eindeutig etwas Vorwurfsvolles an sich hatte. Ihre Aussage klang fast wie eine Schuldzuweisung. Vielleicht hatte das Mädchen ja wirklich etwas falsch gemacht, aber war dies der richtige Zeitpunkt, um Schuldgefühle zu wecken oder gar Reue zu verlangen? „Hallo Mama“, sagte das Mädchen leise. In ihrer Stimme lag so viel Kummer und Elend, dass Wanda es kaum ertragen konnte. Die Frau warf auch der Krankenschwester am Bett ihrer Tochter einen vorwurfsvollen Blick zu, obwohl sie nicht wissen konnte, dass diese außerhalb ihrer offiziellen Dienstzeit hier war. Wanda tätschelte ihrer jungen Patientin noch einmal beruhigend die zitternden Hände und ging dann in das Dienstzimmer der anderen Krankenschwestern auf dem Gang. Scheinbar vollkommen gelassen beobachtete sie bei einem kleinen Plausch mit ihrer Kollegin, wie die Mutter das Zimmer bereits wenig später wieder verließ und sich offensichtlich auf den Heimweg machte. „Das ist vielleicht ein Weibsstück! Mit der ist nicht gut Kirschen essen“, sagte die diensthabende Schwester und deutete mit dem Kopf auf die rothaarige Frau, bevor sie einen weiteren Schluck aus ihrer Kaffeetasse nahm. Wanda nickte und wartete, ob ihre Kollegin noch mehr sagen würde. Sie wurde nicht enttäuscht. „Die Adoptiveltern sind bereits auf dem Weg. Sie nehmen das Baby heute schon mit nach Hause.“ Wanda hörte das eilige Klappern der Absätze auf dem Flur. Die Mutter ihrer Patientin eilte zielstrebig zur Fahrstuhltür und drückte mehrere Male ungeduldig auf den Knopf. Endlich kam der Aufzug. Die Frau verschwand in seinem Inneren und die Türen schlossen sich hinter ihr. Nicht einen Blick hatte sie auf ihr neugeborenes Enkelkind werfen wollen. Wanda schüttelte den Kopf und warf ihrer Kollegin einen fragenden Blick zu. Die Stationsschwester...



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