E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Nieuwdorp Achtung, Hormone
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-455-01645-1
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alles über die Botenstoffe, die unser Leben lenken
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-455-01645-1
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Warum schießt uns der Puls bei Aufregung blitzartig in die Höhe? Wieso spielt mein Sohn ganz anders als meine Tochter? Und wie kommt es eigentlich, dass sich Männer und Frauen mit zunehmendem Alter immer ähnlicher sehen? Kurzweilig und anhand zahlreicher Beispiele aus seiner Praxis schildert Max Nieuwdorp, wie unsere Hormone in allen Lebensphasen, vom Augenblick unserer Empfängnis bis zu unserem letzten Atemzug, eine entscheidende Rolle spielen. Zwischen Minipubertät, Schwangerschaft und Meno- bzw. Penopause beleuchtet er hochaktuelle Aspekte wie den Einfluss von Umweltfaktoren und Lebenswandel, wirft einen medizinischen Blick auch auf Transsexualität und erklärt, wie jeder von uns seinem Hormonhaushalt Gutes tun kann.
Weitere Infos & Material
Cover
Verlagslogo
Titelseite
Widmung
Vorwort
Einleitung
1. Erst das Ei, dann das Huhn – Schwangerschaft und Geburt
2. Der große Anlauf – Pubertierende Kleinkinder
3. Wachstumsschmerzen und Schmetterlinge im Bauch – Die Pubertät
4. Wie Hormone unsere sexuellen Vorlieben und Gender-Identität beeinflussen – Homosexualität und Transpersonen
5. Alte Entscheidungen in einem neuen Paradies – Übergewicht, Hunger und Hormone
6. Wichtige Akteure beim hormonellen Gleichgewicht – Die Darmbewohner
7. Hormone machen oder brechen den Mann und die Frau – Erwachsensein
8. Bei Frauen und bei Männern – Die Wechseljahre
9. Ein neues Gleichgewicht – Seniorität nach einem Leben voller Hormone
10. Alt und abgedankt – Der Anfang vom Ende
Epilog
Dank
Liste der Hormone
Fußnoten
Über Max Nieuwdorp
Impressum
Eine kurze Geschichte der Hormone
1902 wurde von dem britischen Physiologen Ernest Starling und seinem Schwager William Bayliss erstmals ein Stoff entdeckt, den sie wenig später mit dem Namen »Hormon« bezeichnen sollten. Gemeinsam untersuchten sie, wie unsere Verdauung funktioniert und Nahrung durch bestimmte Stoffe gespalten und vom Darm aufgenommen werden kann.3,4 Zwei Jahre später erhielt Iwan Pawlow für seine Forschungsarbeiten zur Verdauung den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.5 Dieser russische Kollege, der vor allem durch seine Forschungen zur Konditionierung bekannt ist und nach dem der noch immer gerühmte Pawlow’sche Reflex (1897) benannt ist, konnte zeigen, dass das Nervensystem an unserer Verdauung beteiligt ist. Bayliss und Starling erkannten jedoch, dass die Verdauung auch bei Labortieren stattfand, deren Nervensystem beschädigt war, nämlich durch die Abgabe spezieller Substanzen aus nahegelegenen Drüsen an das Blut. Eine dieser Substanzen war das von ihnen so genannte Sekretin (nach dem Englischen »to secrete«, ausscheiden) – die erste einer inzwischen reichen Gruppe an Substanzen, die unser Leben unsichtbar, aber tiefgreifend regulieren. Bayliss und Starling waren auch diejenigen, die das Wort Hormon – altgriechisch für »in Bewegung setzen, antreiben, anregen« – als Sammelbegriff für diese Substanzen vorschlugen. Hormone sind Signalstoffe, die durch endokrine (hormonproduzierende) Drüsen erzeugt werden. Über das Blut und andere körpereigene Flüssigkeiten erreichen diese Stoffe ihr Ziel – bestimmte Zellen oder Organe –, wo sie dann ihre Aufgabe erfüllen. Die meisten Hormone haben eine zentrale regulatorische Funktion: Sie können Prozesse in Gang setzen oder auch hemmen. Und sie beeinflussen sich gegenseitig. Das Zentralbüro unseres Hormonhaushalts liegt mitten im Gehirn, unmittelbar hinter unseren Augenhöhlen. Dort befinden sich der Hypothalamus und die Hypophyse, mit den Abmessungen einer Erdbeere beziehungsweise einer Erbse. Beide Gruppen spezialisierter Nervenzellen sind Teil unseres emotionalen Gehirns, des limbischen Systems (mehr dazu in Kapitel 5). Wie Generäle steuern sie sowohl unser Nerven- als auch unser hormonelles System, wobei sie gewissenhaft ihre Truppen im Auge behalten. Die Effekte dieser wichtigen Signalstoffe wurden jedoch schon fünfzig Jahre vor Starling und Bayliss bemerkt. In einer Untersuchung aus dem Jahr 1849 verglich der deutsche Wissenschaftler Arnold Berthold kastrierte Hähne (Kapaune) mit ihren nichtkastrierten Brüdern und konnte zeigen, dass es bei der ersten Gruppe zu körperlichen und Verhaltensänderungen kam.6 Wenn man bei den Kapaunen die Testikel durch Reimplantation oder Transplantation wiederherstellte und damit auch die Produktion des später entdeckten Hormons Testosteron erneut in Gang setzte, fiel auf, dass die Hähne wieder in der Lage waren, zu krähen. Solche Experimente regen bis heute die Phantasie von Schriftstellern und Wissenschaftlern an, nicht zuletzt, weil sie die Verheißung eines Elixiers für die »ewige Jugend« in sich tragen. Die Oper A Dog’s Heart des Komponisten Alexander Raskatow ist ein wunderbares Beispiel dafür. Inspiriert von einer Novelle Michail Bulgakows aus dem Jahr 1925 erzählt die Oper das Schicksal des Straßenhundes Sharik, nachdem ihm die Hypophyse und die Testikel eines berüchtigten Kriminellen implantiert worden sind.7 Dadurch entwickelt sich das Tier zum gewissenlosen Verbrecher Sharikow, und er wird in seinem Verhalten und seinen Entscheidungen zum Opfer seiner (von Hormonen gesteuerten) Triebe. Nur eine zweite Operation verschafft dem von Testosteron gequälten Hund Erlösung … Auch in älterer Literatur, wie zum Beispiel dem Alten Testament, wird schon auf die Anwesenheit von Hormonen verwiesen. Obwohl seinerzeit keine Techniken zur Verfügung standen, um das Vorhandensein von Hormonen im Blut nachzuweisen, heißt es in Levitikus 17,11: »Die Lebenskraft des Fleisches sitzt nämlich im Blut.« Bestimmte Personen aus der Bibel litten höchstwahrscheinlich unter angeborenen hormonellen Erkrankungen, wie etwa einem reichlichen Vorrat an Wachstumshormonen beim Riesen Goliath. Auch der Zwergwuchs des ägyptischen Gottes Bes sowie die Reizbarkeit und enorme Energie Kleopatras könnten sich sehr gut auf eine Fehlfunktion der Schilddrüse zurückführen lassen. Doch zurück zur Faszination für das männliche Hormon, das die ewige Jugend verspricht. Im Jahr 1889 experimentierte der zweiundsiebzigjährige mauritisch-französische Neurologe Charles-Édouard Brown-Séquard mit der Verabreichung tierischen Testikelextrakts an sich selbst.8 »Ich habe in meinen Injektionen (die ich mir selbst unter die Haut setzte) eine wasserartige Flüssigkeit mit den folgenden drei Extrakten verwandt: erstens Blut der Hodenblutgefäße, zweitens Sperma und drittens Flüssigkeit, die aus einem Testikel stammte, der kurz zuvor einem Hund oder einem Schwein entnommen worden war.« Obwohl es um die Gesundheit des Professors für sein Alter relativ gut bestellt war, klagte er in der Zeit vor seinen Selbstversuchen regelmäßig über Müdigkeit nach einem Tag harter Arbeit und äußerte Probleme mit Sodbrennen sowie Gelenk- und Muskelschmerzen. Letztere waren wahrscheinlich auf Verschleiß infolge einer Arthrose zurückzuführen, etwas, das bei älteren Menschen häufig vorkommt. Im Mai und Juni jenes Jahres verabreichte sich Brown-Séquard täglich gut zehn (!) dieser Injektionen. Nahezu unverzüglich schien es, als wären Lebenskraft und Energie in seinen Körper zurückgekehrt: Er fühlte sich kräftiger und konnte buchstäblich wieder die Treppe hinaufrennen. Auch schien der Umfang seines Bizeps stark zugenommen zu haben, seine Müdigkeit war verschwunden, und laut der Überlieferung kehrte auch seine Potenz zurück. Testosteron (dazu mehr in den nachfolgenden Kapiteln) ist allerdings ein in Fett lösliches Hormon, und da die Injektionen von Brown-Séquard auf Wasserbasis waren, ist es gut möglich, dass hier ein Placebo-Effekt mitspielte.9 Diese und andere Dinge haben in den zurückliegenden hundert Jahren unser Wissen über Hormone wesentlich bereichert. Dank des technischen Fortschritts lassen sich Hormone aus tierischem Material isolieren und anschließend injizieren, um deren Wirkung auf Mensch und Tier zu beobachten. Das hat nicht nur medizinisch-wissenschaftlich zu vielen wichtigen neuen Erkenntnissen geführt – und zu gleich mehreren Nobelpreisen zwischen 1920 und 1930 für die Entdeckung des inzwischen bekanntesten weiblichen Hormons Östrogen, des männlichen Hormons Testosteron und des Progesterons, das eine wichtige Rolle beim Einnisten des Embryos in die Gebärmutterschleimhaut spielt –, sondern hatte in ihrem Gefolge auch große soziale und wirtschaftliche Auswirkungen. So war die Entwicklung der »Pille« in den fünfziger Jahren von sehr großer Bedeutung für die Emanzipation und Selbstbestimmung von Millionen junger Frauen. Außerdem hat sich die Gesamtkrankheitslast dank erfolgreicher Behandlungen mit Hormonen bei einer Vielzahl von Erkrankungen beträchtlich verringert, was zugleich Riesenchancen für die pharmazeutische Industrie bedeutete. Leider haben sich unsere hormonellen Helfer nicht immer als unproblematisch herausgestellt. Seit dem Erscheinen des Buchs Der stumme Frühling der US-amerikanischen Biologin Rachel Carson im Jahr 1962 – in dem sie auf den desaströsen Einfluss der Schädlingsbekämpfungsmittel in der Landwirtschaft auf die Umwelt, die Qualität unserer Nahrungsmittel und unseren eigenen Körper hinwies – wissen wir besser, wie sehr solche Giftstoffe auch unseren Hormonhaushalt durcheinanderbringen können.10 So hatten Injektionen mit Wachstumshormonen, gewonnen aus den Hirndrüsen Verstorbener, die schmerzliche Folge, dass dadurch bei ziemlich vielen Patienten die ansteckende und tödliche Creutzfeldt-Jakob-Krankheit übertragen wurde.11 Auch das Medikament DES, ein künstliches Östrogen, das in den Niederlanden in den fünfziger und sechziger Jahren schwangeren Frauen in großen Mengen verschrieben wurde, um Fehlgeburten zu verhindern, hatte schwerwiegende Folgen für die Gesundheit ihrer Töchter, wie etwa ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken oder unfruchtbar zu werden; es konnte sogar noch bei ihren Enkelsöhnen zu Anomalien führen.12 Ebenso wie bei Muna, dem Baby, das durch einen Defekt in seiner Schilddrüsenhormonproduktion eine geistige und körperliche Behinderung entwickelte, ist unsere Gesundheit und die unserer Nachkommen sehr stark abhängig vom richtigen Hormongleichgewicht. In diesem Buch werde ich anhand der einzelnen Lebensphasen – von der Wiege bis zur Bahre – den Einfluss der verschiedenen Hormone und ihre Abhängigkeit voneinander erläutern. Dabei gehe ich ebenfalls tiefer auf die Folgen eines Mangels oder eines Überschusses an Hormonen und den (gelegentlich destruktiven) Effekt dieser starken körpereigenen Substanzen auf unser geistiges und körperliches Wohlbefinden ein. Ich hoffe, dass Sie ebenso wie ich von der wunderbaren Rolle fasziniert sein – und bleiben – werden, die Hormone in unserem Körper und unserem Leben spielen. Unsere Hormondrüsen und ihre...