Nissen-Rizvani / Schäfer | TogetherText | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 314 Seiten

Nissen-Rizvani / Schäfer TogetherText

Prozessual erzeugte Texte im Gegenwartstheater
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95749-324-8
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Prozessual erzeugte Texte im Gegenwartstheater

E-Book, Deutsch, 314 Seiten

ISBN: 978-3-95749-324-8
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im 21. Jahrhundert sind Theaterformen weit verbreitet, in denen Sprechtexte, Redeweisen und Skripte in gemeinsamen (Proben-)Prozessen entstehen: in einem Team von Kunstschaffenden oder unter Mitwirkung des Publikums. "TogetherText" bezeichnet kooperative und prozessuale Verfahren der szenischen Texterzeugung und ihre Konsequenzen für Sprache, (Bühnen-)Raum, Zuschausituation, Theaterinstitution und deren Analyse. Hier stellen sich Fragen nach flachen Hierarchien und Entscheidungsbefugnissen, alltäglichem Sprachgebrauch und Ästhetisierung des Textmaterials, der Zusammenarbeit von Profis und Laien oder des Urheberrechts und der Nachspielbarkeit. Der Band konturiert die entsprechenden Problemfelder, versammelt künstlerische Strategien und liefert Vorschläge für ein analytisches Instrumentarium.

Nissen-Rizvani / Schäfer TogetherText jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


TogetherText: Eine Einführung

von Karin Nissen-Rizvani und Martin Jörg Schäfe/ Seite 7

Die Erweiterung des Autor*innenbegriffs beim Stückemarkt des Theatertreffens
von Christina Zintl / Seite 28

Openword.doc: TogetherText und die Institution
von Gernot Grünewald, Bernd Isele, Sonja Laaser, Anne Rietschel, Marc Schäfers, Irina Szodruch, Maria Nübling und Pina Bergemann / Seite 33

Stückentwicklungen
von Stefan Tigges / Seite 52

Skript-basiertes Theater
von Nikolaus Müller-Schöll / Seite 77

Sprache, um die Lücke zu schließen? Oder um Räume zu öffnen?
von Antje Pfundtner in Gesellschaft (APiG) / Seite 100

Theater der Anderssprachigkeit
von Julia Prager / Seite 122

Externalization On Stage
von Katrin Trüstedt / Seite 142

Autorität, Übertitel und Hautfarbe in Milo Raus Five Easy Pieces
von Martin Jörg Schäfer / Seite 156

"Wo soll denn jetzt der Text herkommen?"
von Miriam Dreysse / Seite 180

Die Verlängerten
von Kai van Eikels / Seite 197

Kollektive Autor*innenschaft in der Praxis von Frauen und Fiktion
von Anja Kerschkewicz und Eva Kessler / Seite 213

Aktive Sprache auf der Bühne – Formulieren und Denken im Moment
von Monika Gintersdorfer / Seite 236

Die Kunst der Instruktion
von Daniel Ladnar und Esther Pilkington / Seite 247

Safety Instructions: Skripte für den Ernstfall
von Anna Häusler und Tanja Prokic / Seite 262

Mündlichkeit und Schriftlichkeit
von Sybille Meier / Seite 280

Social Fiction. Prozessuale Texterzeugung in SIGNAs Das halbe Leid
von Karin Nissen-Rizvani / Seite 287


Christina Zintl Die Erweiterung des Autor*innenbegriffs beim Stückemarkt des Theatertreffens
Der Stückemarkt des Theatertreffens hat 2012 damit begonnen, den Autor*innenbegriff neu zu betrachten und dabei auch kollektive Prozesse der Texterzeugung miteinzubeziehen. Als ich 2012 die Leitung des Stückemarkts übernommen habe, hatte ich vorher als Dramaturgin an Staatstheatern etwa zwei Drittel zeitgenössische Texte betreut, von denen etwa die Hälfte Stück- oder Projektentwicklungen waren. Diese Situation wurde in dem, was der Stückemarkt bis dato präsentiert hatte, nicht abgebildet. Yvonne Büdenhölzer, die bis 2011 den Stückemarkt geleitet und ab 2012 die Leitung des Theatertreffens übernommen hatte, hatte die Idee, mit einer großen Umstrukturierung des Stückemarkts einen Weg zu finden, auch kollektive Projekte repräsentieren zu können. Bei der Überarbeitung des Festivals haben wir uns insbesondere die Aufgabe gestellt, dafür entsprechende neue Modalitäten im Auswahlprozess zu finden. Abgesehen von dem quantitativen Bild, das ich gerade beschrieben habe, fand ich persönlich, dass spannende Impulse gleichermaßen von literarisch beziehungsweise klassisch schreibenden Autor*innen und von Kollektiven, Gruppen und Projekten ausgingen, und auch die Felder, in denen diese Arbeiten entstanden sind, also Stadt- und Staatstheater sowie die Freie Szene, sich immer mehr überschnitten und gegenseitig inspiriert hatten. Ehrlicherweise muss man wahrscheinlich sagen, dass vor allem die Staats- und Stadttheater wichtige innovative Impulse aus der Freien Szene bekommen haben. Zeitgleich hat sich auch in der Theatertreffen-Auswahl diese Entwicklung widergespiegelt: Gruppen wie Rimini Protokoll, Milo Rau (International Institute of Political Murder), She She Pop und Gob Squad wurden eingeladen, und so war dieser Umstrukturierungsprozess des Stückemarkts letztendlich einfach ein Mitgehen mit der Zeit. Auch wenn diese Überlegungen vielleicht zunächst nachvollziehbar klingen, war es in der konkreten Arbeit gar nicht so leicht, eine Vergleichbarkeit in der Beurteilung herzustellen. Diese Entwicklung war ein Prozess über mehrere Jahre, in denen wir immer wieder neue Kriterien und neue Modalitäten in dem Bewerbungsverfahren ausprobiert und verbessert haben. Im ersten Jahr wurde beispielsweise nur ein Konzept für eine Projektarbeit ausgewählt und in einem Projektlabor mit René Pollesch als Mentor entwickelt. In diesem ersten Jahr ging es erst einmal darum, herauszufinden, was und wie viel eingesendet wird und wie eine Jury diese Einsendungen diskutieren kann. Das hat sofort zu Diskussionen in der Jury geführt, und der Wunsch wurde formuliert, dass man keinen Unterschied zwischen klassischen Texten und Projekten in der Auswahl machen sollte, sodass alle Arbeiten gemeinsam diskutiert werden könnten. Ausgehend von diesem starken Bedürfnis haben wir uns darauf konzentriert, die Kriterien für die Einsendungen und die Auswahl neu zu definieren, sodass es möglich wurde, eine bessere Vergleichbarkeit im Auswahlprozess herzustellen. Es mussten neue Kriterien entwickelt werden, die prozesshaften, kollektiven Textentwicklungen gerecht werden. Beispielhaft kann man sagen, dass eine hohe literarische Qualität oder eine gute Nachspielbarkeit vielleicht gar nicht die wichtigste Qualität solcher Texte darstellen. Gerade mit dem Kriterium der »Nachspielbarkeit« haben wir uns intensiv auseinandergesetzt – dies wäre ja ein naheliegendes Kriterium, wenn man die Distributionsstruktur des klassischen Stückemarktes anschaut. Dass neue Autor*innen den Zugang in eine Theater- und Verlagslandschaft finden, war ein zentraler Aspekt in den vorherigen Jahren des Stückemarkts. Dabei kreiste eine wichtige Diskussion um den Uraufführungshype und um die Forderung nach häufigerem Nachspielen. Aber wir haben schnell gemerkt, dass man bei der Erweiterung des Autor*innenbegriffs vielen spannenden Arbeiten, die sehr an die Performer*innen und an den Live-Charakter der jeweiligen Arbeit gebunden sind, mit dem Kriterium »nachspielbar« nicht gerecht wird. Beispielsweise hatten bisher wenige die Idee, Stücke von She She Pop nachzuspielen, und auch die Arbeiten der ersten zum Stückemarkt eingeladenen Gruppe Markus & Markus, die sehr stark von der Energie der beiden Performer lebte, waren nicht in erster Linie auf Nachspielbarkeit angelegt. Nachdem im folgenden Jahr der Autor*innenbegriff sehr stark erweitert und auch Arbeiten aus dem Bereich des Physical Theatre und der Narrative Spaces eingeladen wurden, hatten wir wiederum den Eindruck, dass der Stückemarkt kein ausreichend scharfes Profil mehr aufwies. Wir sind dann in einem nächsten Schritt dahin gekommen, den Textbegriff beim Stückemarkt wieder weiter einzugrenzen und haben als neues Kriterium den Begriff der Sprache gefunden, d. h., damit ein Stück für den Stückemarkt zugelassen wird und vergleichbar diskutiert werden kann, sollte Sprache ein Hauptaspekt der Arbeit sein oder im Zentrum der Arbeit stehen – egal, ob die Sprache vor oder während des Probenprozesses von ein oder mehreren Menschen aufgeschrieben wird, ob sie erst in jeder Aufführung entsteht, es vielleicht sogar gar keine Sprache gibt, dabei aber stark um die Abwesenheit von Sprache geht. Zentral musste nur ein definierbarer, klarer Umgang mit oder eine Reflexion über Sprache sein. Das hat sich als sehr brauchbares Kriterium herausgestellt; es konnten Fragen entwickelt werden, die auf alle Arbeiten beziehbar waren, z. B.: Welche Aufgabe übernimmt die Sprache in einer Arbeit? Wie wird über die Möglichkeiten von Sprache nachgedacht? Was macht die Qualität der Sprache aus? Wir haben dann allerdings auch relativ schnell gemerkt, dass es trotzdem schwierig bleibt, wirkliche Vergleichbarkeit herzustellen. Überraschend war in diesem Prozess für uns, dass wir wenig wissenschaftliches Handwerkszeug für die Analyse und Beschreibung eines Sprachbegriffs finden konnten, das für neue Stücke, ob kollektiv-prozesshaft oder klassisch entwickelt, anwendbar wäre. Ein wichtiger Grund für das Fehlen der wissenschaftlichen Literatur ist, vermute ich, dass die Veröffentlichung und Analyse der Transkription beziehungsweise Fixierung der Sprache in eher performativen Entwicklungsbereichen bisher nicht so eine große Rolle gespielt hat. Ich denke, die Schwierigkeit der vergleichenden Besprechung der unterschiedlichen Entwicklungspraxen hat nicht nur mit dem überschaubaren analytischen Handwerkszeug zu tun, sondern auch mit der klassischen Distribution von Theaterstücken. Dass sich z. B. die meisten Verlage bis heute an den Bedürfnissen literarischer, individueller Formen von Autor*innenschaft ausrichten, ist dabei ein zentraler Punkt. Bei den meisten Verlagen werden Stücke in ein Programm aufgenommen, es werden Werkaufträge verhandelt, Nachspielmöglichkeiten gesucht etc. (Es gibt einige wenige Verlage, die verschiedene Künstler*innen vertreten und sich stärker als Agentur aufgestellt haben.) Theaterverlage arbeiten in erster Linie mit dieser Form der Distribution mit Staats- und Stadttheater zusammen und tragen so auch deren Repertoirebetrieb und Abonnent*innenstrukturen Rechnung. Auf der anderen Seite gibt es die Freien Spielstätten, die mit diesem literaturbasierten Theaterbegriff kaum mehr umgehen, in denen klassische neue Dramatik also kaum noch vorkommt. Viele Autor*innen hingegen bewegen sich selbstverständlich in beiden Bereichen, schreiben individuell und im Rahmen von kollektiven Entwicklungen, wie z. B. Olivia Wenzel, Laura Naumann, Leif Randt. Ich persönlich finde das sehr spannend, diesen sprachlichen beziehungsweise literarischen Aspekt von kollektiver, prozesshafter Sprachentwicklung zu untersuchen und diese damit als Form von Texterzeugung und Autor*innenschaft stärker sichtbar zu machen. Unser Autor*innenbegriff hat sich stark gewandelt. Das bedeutet für mich aber nicht nur, dass ich alle Elemente einer Aufführung als Text betrachte, also alles Text beziehungsweise Autor*innenschaft darstellt, sondern gerade auch: Das, was ich klassischerweise als Text bezeichne, findet sich auch in Arbeiten mit mehreren Autor*innen, die nicht vor Probenbeginn den kompletten Text notiert haben. Die Kollektivierung der Arbeitsprozesse im Theater betrifft eben auch das Schreiben. Die Vorstellung, dass jede*r seinen beziehungsweise ihren eigenen, unantastbaren Geniebereich im Theater hat, empfinden viele, auch ich, als nicht mehr zeitgemäß. Was wäre nun also das utopische Moment, wenn sich diese Textgenerierungen gegenseitig anregen? Wenn sie also in einer wissenschaftlichen Beschreibung besser in eine Verständigung miteinander kämen? Ich glaube, dass sich vor allem diese Frage stellt: Was soll Theater sein und leisten? Was ist die neue Aufgabe in einer sich stark verändernden Gesellschaft? Das ist eine große Frage, an der man gemeinsam arbeiten muss, und nicht jede Berufsgruppe im Theater für sich. Gerade von den Autor*innen wird oft erwartet, dass sie diese Relevanzfrage lösen, dass sie mit ihren Stoffen und neuen Formen die Antwort darauf liefern sollen: Womit sollen wir uns beschäftigen? Warum ist Theater noch wichtig? Und das können die Autor*innen meines Erachtens nicht alleine leisten, weil Theater einfach kein ausschließlich literaturbasiertes Medium...


Karin Nissen-Rizvani ist Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin. Sie hat die künstlerische Leitung des Hamburger Klabauter Theaters inne. Schwerpunkte ihrer Forschung sind u. a. Dramaturgien und Textformen des Gegenwartstheaters. Als Dozentin unterrichtet sie an der Universität Hamburg und an der Theaterakademie Hamburg.

Martin Jörg Schäfer lehrt Neuere deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Theaterforschung an der Universität Hamburg. Er forscht u. a. zum Verhältnis von Theater und Text, zu Fiktionen des Politischen, zu Traditionsbrüchen und Krisennarrativen (etwa bezüglich Arbeit, Nichtarbeit und Kunst) sowie zu Gegenwartstheater und -performance.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.