E-Book, Deutsch, 344 Seiten
Noack / Kracke / Weichold Entwicklungspsychologie des Jugend- und jungen Erwachsenenalters
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-030145-0
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 344 Seiten
ISBN: 978-3-17-030145-0
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Welche Verläufe nimmt die Entwicklung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter, was sind wesentliche Erklärungsansätze und wie lässt sich Entwicklung in dieser dynamischen Phase des Lebens fördern? Im Lehrbuch werden theoretische und empirische Perspektiven auf diese und weitere Fragen vorgestellt. Sie betreffen verschiedene Aspekte und Kontexte der Entwicklung, die teils dem traditionellen Themenkanon entstammen, wie auch solche, die bislang eher seltener Beachtung finden wie beispielsweise Entwicklung der Berufsorientierung oder der sexuellen Identität und Orientierung. Alle Kapitel verbindet ein biopsychosoziales Verständnis der Entwicklung junger Menschen als Prozess, den aktive Individuen in Interaktion mit ihren Alltagsumwelten vorantreiben.
Die Kapitel wurden inhaltlich zudem mit lebendigen und lebensnahen Zitaten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen illustriert, die zeigen, wie diese zu den Herausforderungen dieser Lebensphase stehen.
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Einleitung
Man soll Verantwortung übernehmen, Pflichten, andere Aufgaben, die man als Kind nicht übernehmen musste. Man muss den Gesamteindruck vermitteln, alles unter Kontrolle zu haben, dann ist man erwachsen. Für meine Zukunft wünsche ich mir, einen Abschluss zu haben und ein glückliches, erfülltes Leben zu führen, mit allen Facetten, die man sich vorstellen kann. Victoria, 19 Victoria Am Anfang eines Lehrbuchs zum Jugend- und jungen Erwachsenenalter steht praktisch immer eine Definition des Gegenstands, insbesondere der zeitlichen Zuordnung bzw. Abgrenzung des Jugendalters zu anderen Lebenszeitabschnitten. Traditionell bezieht sich das Jugendalter ungefähr auf die zweite Lebensdekade des Menschen. Oft wird das Einsetzen des pubertären Reifungsschubs als Beginn dieser Entwicklungsphase angesetzt. Auch wenn dahingehend eine weitgehende Übereinstimmung im Feld herrscht, erweist sich selbst diese Festlegung als nicht vollkommen eindeutig. Angesprochen sind in dem Fall vor allem die äußerlich wahrnehmbaren Anzeichen körperlicher Reifung. Im historischen Trend verlagerten sich diese körperlichen Veränderungen immer weiter nach vorn und erste hormonelle Umstellungen sind schon ein paar Jahre früher festzustellen, können also bereits vor dem Teenageralter beginnen ( Kap. 1, Pubertät: Normative biologische Entwicklungsprozesse). Schwieriger noch ist die Bestimmung der oberen Grenze der Phase. Als Marker wurde früher die Elternschaft angesehen, die jedoch heute für die große Mehrheit junger Menschen erst Thema in den Dreißigern wird. Ebenso ist mit dem Erreichen der Volljährigkeit, also bei uns mit dem Abschluss des 18. Lebensjahres, ein letztlich willkürlicher Schnitt gesetzt. Dem stehen starke interindividuelle Unterschiede in Timing und Dauer biopsychosozialer Reifeprozesse und insbesondere eine fortgesetzte Umstrukturierung des Gehirns bis mindestens Mitte Zwanzig gegenüber. So markiert die Volljährigkeit höchstens gesetzlich definierte, gesellschaftliche Erwartungen, steht aber kaum für einen abgeschlossenen Entwicklungsschritt. In diesem Zusammenhang wird die Jugend auch als »longest decade« bezeichnet, was impliziert, dass eine Altersbegrenzung der Jugend auf die zweite Lebensdekade heute nicht mehr angemessen ist (Steinberg, 2016). Entsprechend beschäftigen wir uns in diesem Lehrbuch auch mit dem jungen Erwachsenenalter, das allerdings noch schlechter zeitlich zu definieren ist (früher grob bis Mitte/Ende der dritten Lebensdekade verortet). Zutreffender ist vielmehr davon auszugehen, dass es sich bei der offensichtlich immer längeren, über die zweite Lebensdekade hinausgehende Jugendphase nicht um ein klar von der Erwachsenenphase abgrenzbares Entwicklungsfenster handelt, sondern, zumindest an der oberen Altersgrenze, um einen eher graduellen Übergang. Daher hat es sich eingebürgert, bei Definitionen mehr auf die Bewältigung von sog. »Entwicklungsaufgaben« zu fokussieren als auf Altersgrenzen. Das der Pädagogik entlehnte Entwicklungsaufgabenkonzept (Havighurst, 1948; Hurrelmann & Quenzel, 2018) bezeichnet Anforderungen, die sich aus dem Zusammenspiel von Prozessen der biologischen Reifung, sozialen Erwartungen sowie individuellen Zielsetzungen ergeben. Beispiele hierfür sind die Auseinandersetzung junger Menschen mit der eigenen biologischen Entwicklung sowie eine Haltung zum veränderten eigenen Körper zu entwickeln, die persönliche Positionierung in der Welt der Gleichaltrigen zu finden oder eine Orientierung mit Blick auf das Feld von (Aus-)Bildung und Beruf zu erlangen. Allein diese Beispiele machen deutlich, dass die diversen Aufgaben nicht mit dem 18. Geburtstag als abgeschlossen gelten können, sondern sich die Auseinandersetzung mit ihnen bis ins junge Erwachsenenalter hineinzieht. Hinzu kommt, dass das Erreichen eher gesellschaftlich definierter Entwicklungsaufgaben im Spiegel persönlicher Ziele und Pläne für das eigene Leben zu sehen ist. So muss z. B. im Jugendalter nicht notwendigerweise Partnerschaft initiiert werden, wenn dies nicht den Wünschen für das eigene Leben der einzelnen Person entspricht. Die Verlängerung der Jugendphase über das zweite Lebensjahrzehnt hinaus gilt umso mehr in Zeiten zunehmend langer Ausbildungsgänge, zunehmend späterer fester Partnerschaften und ebenfalls späterer Erstelternschaft. Entsprechend wurde in der jüngeren Vergangenheit das Konzept der »emerging adulthood« (Arnett, 2007) eingeführt, das sich entwickelnde Erwachsenwerden und -sein, das sich auf jugendartige Entwicklungsphänomene im Alter zwischen 20 und 30 Jahren bezieht und das frühe Erwachsenenalter als eine Phase der Selbstfindung, der fehlenden Festlegungen sowie des subjektiven »Dazwischen« versteht. Dieses Konzept scheint jedoch vor allem die Situation junger Erwachsener eines bestimmten, privilegierten sozioökonomischen Hintergrunds angemessen zu beschreiben (Hendry & Kloep, 2007). Das Konzept der Entwicklungsaufgaben ist häufig als zu stark normativ kritisiert worden. Zutreffend ist sicherlich, dass formulierte Listen von Entwicklungsaufgaben die gesellschaftliche Realität für normative Übergänge an einem gegebenen Ort zu einer gegebenen Zeit spiegeln. Entsprechend wurden in der Folgezeit »neue« Entwicklungsaufgaben postuliert, die die Lebensrealität Jugendlicher in einem veränderten Umfeld einfangen sollen (z. B. Konsum, Partizipation, vgl. Hurrelmann & Quenzel, 2018). Eine deutlich wahrnehmbare gesellschaftliche Veränderung besteht mit Blick auf Entwicklungsaufgaben auch darin, dass ihre Bewältigung unter heutigen Bedingungen in gewissem Maße ergebnisoffen ist. Während noch vor etwa zwei, drei Generationen die Ausgestaltung der Entwicklungsaufgaben hinsichtlich akzeptabler und möglicher Lösungen weniger Spielräume zuließ, etwa in der Auseinandersetzung mit der Orientierung auf Partnerschaft oder auf eine spätere berufliche Tätigkeit, ist nunmehr zu konstatieren, dass sich Jugendliche heute zwar fast ausnahmslos ebenfalls mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen, zugleich aber auch wenig verbreitete, individuelle Ergebnisse dieser Prozesse denkbar sind, was zudem bedeuten würde, dass anstehende Entwicklungsaufgaben bewältigt sind und als weitgehend abgeschlossen gelten können. Wenig Zweifel besteht indessen daran, dass eine fehlende oder schwierige Auseinandersetzung mit solchen Entwicklungsfragen zu eher ungünstigen Prognosen Anlass gibt. Tragen junge Menschen solche Anforderungen in ihrem weiteren Leben mit sich, kommen neue hinzu, die unter Umständen auch nicht gelöst werden. Eine zeitliche Häufung von ungelösten Entwicklungsaufgaben kann sich dann leicht zu einer Überforderung entwickeln. Das gilt nicht zuletzt in einer Lebensphase, in der sich junge Menschen ohnehin vergleichsweise vielen Aufgaben und Veränderungen zu stellen haben, wie z. B. zu Beginn des Jugendalters (Simmons, Burgeson, Carlton-Ford & Blyth, 1987; Silbereisen & Eyferth, 1986), und damit das Risiko für die Entwicklung vielfältiger Anpassungsprobleme an sich schon hoch ist (Weichold & Blumenthal, 2018b). Umso mehr interessiert sich die Jugendforschung seit langem dafür, Faktoren zu finden, die die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von Problemen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter erhöhen, mit dem Ziel, diese im Rahmen von Präventionsbemühungen anzuvisieren. Daneben sind aber auch solche Faktoren relevant, die mit einer gelungenen, positiven Entwicklung in diesem Lebensabschnitt einhergehen. Dies wird beispielsweise im Konzept der »Positiven Jugendentwicklung« expliziert, das eine positive Sicht auf Jugendliche und ihr Potential für eine gelungene Anpassung unterstreicht – und damit dem oft negativen, problembehafteten Stereotyp von Jugend in unserer Gesellschaft und auch der Forschung entgegenwirkt. Grundlegend für eine positive Entwicklung sind Stärken und Kompetenzen in der Person, aber zugleich auch Optionen für positive Erfahrungen, Partizipation und Unterstützungen aus den verschiedenen Lebensumwelten junger Menschen. Person und Kontext beeinflussen sich hierbei explizit wechselseitig und bedingen in Interaktion ein gelungenes, erfolgreiches und glückliches Erwachsenwerden (Lerner et al., 2021). Ich bin erwachsen, weil ich meinen eigenen Haushalt führen kann, ich erledige Behördengänge allein und organisiere meine Arztbesuche allein und ich kann alleine leben, fühle mich abgekapselt von Zuhause. Ich fühle mich gut in der Stellung, in der ich jetzt bin. Trotzdem verstehe ich mich mit meinen Eltern gut, fahre regelmäßig heim, bleibe aber dort nicht zu lange, weil ich es sehr genieße, ein eigenes Leben zu führen. Meine Freunde sind mir dabei wichtig, meine Stütze, mein soziales Netz. Ohne die würde es mir sehr viel schlechter gehen. Lucy, 21 Clemens S., Lucy, Nhat Tien, Ganymed Auch das...