E-Book, Deutsch, 42 Seiten, Format (B × H): 210 mm x 297 mm
Nolden / Schmidt / Weber Lehre.Lernen.Digital
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-86676-819-2
Verlag: Verlag für Polizeiwissenschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Jahrgang 4, 2023 Ausgabe 2
E-Book, Deutsch, 42 Seiten, Format (B × H): 210 mm x 297 mm
ISBN: 978-3-86676-819-2
Verlag: Verlag für Polizeiwissenschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Mit der Transformation der Digitalisierung in allen Lebensbereichen kommt auch einer zeitgemäßen und auf die heutige Schüler- und Studierendengeneration zugeschnittenen Lehre eine besondere Bedeutung zu.
Die Digitalisierung hat längst Einzug in die Seminarräume sowie Lehr- und Hörsäle der Bildungseinrichtungen gehalten. Zugegeben fehlt es vielerorts nicht nur an den technischen Voraussetzungen, sondern nach wie vor sind Fragen zu Lehrdeputaten, mediendidaktischen Beratungsangeboten und strategischen Verankerungen nicht oder nur unzureichend beantwortet.
Die größten Hemmnisse für die Etablierung lehr-und lernbegünstigender digitaler Settings tragen jedoch noch die Lehrenden selbst in sich. Sie müssen sich in ihrem Berufsleben täglich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen, ganz unabhängig davon, in welchem Bildungszweig sie tätig sind und welche Unterstützung sie dabei erfahren.
Insbesondere die Heraus- und Weiterbildung für das gesamte Leben so wichtiger digitaler Kompetenzen und insbesondere für die Lehre relevanter Medienkompetenzen braucht das integrative Zusammenspiel von Wissenschaft und Praxis und einen Raum bzw. ein Medium, in dem ein Austausch und Diskurs möglich sind.
»Lehre. Lernen. Digital!« ist eine unabhängige und interdisziplinäre Zeitschrift insbesondere für digitale Mediendidaktik.
Sie erscheint halbjährlich in gedruckter, aber auch digitaler Form. In ihr kommen Autorinnen und Autoren aus der Wissenschaft und Praxis fachlich übergreifend zu Wort.
Die Fachbeiträge in der Zeitschrift sollen Neugierde wecken, zum Nachdenken, Nachahmen und zu fachlichen Diskursen anregen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Editorial
Prof. Dr. Gabi Reinmann
Wozu sind wir hier? Eine wertebasierte Reflexion und Diskussion zu ChatGPT in der Hochschullehre
Prof. Dr. Christian Spannagel
Inverted Classroom und Künstliche Intelligenz. Neue Perspektiven für eine moderne Hochschullehre
Dr. Philipp Wagner
ChatGPT in der Juristen- und Polizeiausbildung
Prof. Dr. Cornelia Fischer
Prüfungen neu denken
Prof. a.d. PA Dr. Heike Matthias-Ripke & Prof. Dr. Waltraud Nolden
Fachdidaktik in der Polizei – Strategietagung und Netzwerktreffen DIDAktik
Nicole Mayer
Back to the Future – Ein Erfahrungsbericht. Wie die Digitalisierung uns neue Wege zu traditionellen Konzepten guten Unterrichts eröffnet
Holger Meeh & Thomas Schroeder
„Jetzt sag ich dir mal meine Meinung“ – Onlinetools für Peer-Feedback
Inverted Classroom und Künstliche Intelligenz Neue Perspektiven für eine moderne Hochschullehre
Prof. Dr. Christian Spannagel1, Pädagogische Hochschule Heidelberg Die Methode Inverted Classroom ist mittlerweile eine gängige Methode in der Hochschullehre. Die schnell voranschreitende Verbreitung und Zugänglichkeit von KI-Systemen bietet eine weitere Argumentationsbasis für den Einsatz der Methode. Darüber hinaus können KI-Systeme vielfältig in einem Inverted Classroom eingesetzt werden. Neben der produktiven Nutzung von KI-Systemen müssen dabei auch deren Grenzen und Herausforderungen diskutiert werden. 1 Der Inverted Classroom
Die Methode Inverted Classroom (oder auch Flipped Classroom) lässt sich am besten in Abgrenzung zur traditionellen Vorlesung beschreiben: Der Erstkontakt der Studierenden mit neuen Konzepten findet nicht wie bei der Vorlesung im Hörsaal statt, sondern im Selbststudium (Talbert, 2017). Hierfür werden den Studierenden entsprechende Aufgaben und Materialien (oftmals Videos) zur Verfügung gestellt. Die Präsenzveranstaltung dient dann der gemeinsamen Vertiefung, Anwendung und Übung. Abeysekera und Dawson (2015) definieren den Inverted Classroom „as a set of pedagogical approaches that: (1) move most information-transmission teaching out of class (2) use class time for learning activities that are active and social and (3) require students to complete pre- and/or post-class activities to fully benefit from in-class work.“ (Abeysekera & Dawson, 2015, S. 3) Diese Definition macht deutlich, dass der Wesenskern des Inverted Classrooms nicht Online-Lernen oder digitales Lernen oder E-Learning ist. Wesentliches Merkmal ist eine Präsenzveranstaltung, die durch aktives und kollaboratives Lernen geprägt ist und die von den Studierenden vorbereitet (und ggf. nachbereitet) werden muss. Die Vorbereitung dient dabei oftmals der Erarbeitung eines grundlegenden Verständnisses der Inhalte. Im Fokus der Präsenzveranstaltung steht dann der Erwerb höherwertiger Kompetenzen (wie etwa das Anwenden, Analysieren, Evaluieren und das Erstellen komplexer Produkte; Anderson & Krathwohl, 2001), also das Erlernen von Prozessen, bei denen Studierende oftmals Unterstützung benötigen. Werden diese in der Präsenzphase durchgeführt, dann können die Studierenden daran gemeinsam arbeiten und sich gegenseitig helfen. Außerdem ist der Dozent bzw. die Dozentin anwesend und kann beraten und Feedback geben (guide on the side; King, 1993). Der Inverted Classroom ist in der Hochschuldidaktik breit rezipiert worden: Über seinen Einsatz wurden hunderte Artikel und zahlreiche Bücher und Herausgeberwerke verfasst (Brandhofer, Buchner & Freisleben-Teutscher, 2020; Buchner, Freisleben-Teutscher, Haag & Rauscher, 2018; Buchner, Freisleben-Teutscher, Neiske & Morisse, 2021; Green, Banas & Perkins, 2017; Großkurth & Handke, 2014, 2016; Haag & Freisleben-Teutscher, 2016; Handke, Kiesler & Wiemeyer, 2013; Handke & Sperl, 2012; Kauffeld & Othmer, 2019; Reidsema, Kavanagh, Hadgraft & Smith, 2017; Talbert, 2017; Walker, Tan & Koh, 2020; Zeaiter & Handke, 2017, 2020). Der Inverted Classroom wurde in vielen empirischen Studien mit der traditionellen Hochschullehre verglichen. In Meta-Studien, welche die in den Einzelstudien berichteten Ergebnisse zusammenfassen, wurden positive Effekte des Inverted Classrooms auf den Lernerfolg ermittelt: Wenn man die Kategorisierung nach Cohen (1992) zu Grunde legt, wurden kleine Effekte (Effektgröße > 0,2; Bredow, Roehling, Knorp & Sweet, 2021; Farmus, Cribbie & Rotondi, 2020; Hew & Lo, 2018; Strelan, Osborn & Palmer, 2020; van Alten, Phielix, Janssen & Kester, 2019), mittlere Effekte (Effektgröße > 0,5; Kim & Lim, 2021; Shi, Ma, MacLeod & Yang, 2020; Zhang, Cheung & Cheung, 2021) und große Effekte (Effektgröße > 0,8; Ge, Chen, Yan, Chen & Liu, 2020; Hu et al., 2018; Li et al., 2020; Liu et al., 2018; Tan, Yue, & Fu, 2017; Xu et al., 2019) berichtet. Diese Ergebnisse sind aber aus vielen Gründen mit Skepsis zu betrachten, unter anderem weil die Varianz der Effekte sehr groß ist (Kapur, Hattie, Grossman & Sinha, 2022): Inverted Classrooms können sehr viel besser, aber auch sehr viel schlechter als traditionell gehaltene Veranstaltungen sein. Man kann also nicht prinzipiell sagen, dass der Inverted Classroom der Vorlesung überlegen ist, sondern es kommt darauf an, wie man den Inverted Classroom umsetzt. Hierbei können methodenunabhängige Kriterien für effektiven Unterricht handlungsleitend sein: kognitive Aktivierung, Unterstützung der Lernenden und Classroom Management (Praetorius, Klieme, Herbert & Pinger, 2018). 2 Drei Triebfedern für die Verbreitung der Methode Inverted Classroom
Um das Jahr 2000 herum wurden erstmals die Begriffe Inverted Classroom und Flipped Classroom verwendet (Lage, Platt & Treglia, 2000; Baker, 2000). Eine entscheidende Triebfeder für die Entwicklung der Methode war der technologische Fortschritt im Bereich der Digitalisierung durch die aufkommende breite Verfügbarkeit des World Wide Web, von Multimedia-Anwendungen und etwas später dann von Video-Streaming-Plattformen. Nüchtern betrachtet ist die Methode Inverted Classroom aber viel älter als ihr Name. Lehrende haben früher schon von Studierenden verlangt, bestimmte Texte in Vorbereitung zu lesen, um dann im Seminar mit ihnen über die Inhalte zu diskutieren. Solche Veranstaltungskonzeptionen entsprechen der in Abschnitt 1 zitierten Definition von Abeysekera und Dawson (2015), denn die Verwendung von Videos ist gemäß dieser Definition kein notwendiges Kriterium für einen Inverted Classroom. Es gibt zwar Autoren, welche die Nutzung von Lehrvideos als wesentliches Merkmal des Inverted Classroom beschreiben (Bishop & Verleger, 2013; Lo, Hew & Chen, 2017). Diese Forderung erscheint aus didaktischer Sicht aber nicht sinnvoll zu sein, denn die Wahl des Mediums hängt unter anderem von dessen Passung zum jeweiligen Inhalt hab. So liegt es beispielsweise in den Geistes- und Sprachwissenschaften nahe, Texte als Vorbereitungsmaterial zur Verfügung zu stellen, wenn Kompetenzen in der Arbeit mit Texten erworben werden sollen. In den MINT-Fächern und in den Naturwissenschaften hingegen wurde die Methode Inverted Classroom vielleicht erst durch die Möglichkeit, Lehrvideos zu nutzen, in der Breite bekannt. In diesen Fächern spielen Lösungen zu einem bestimmten Typ von Problemen eine wichtige Rolle. Diese Lösungen lassen sich in der traditionellen Vorlesung gut an der Tafel entwickeln. Anhand der Demonstration eines Prozesses an der Tafel können die Studierenden diesen am Modell lernen und ihn anschließend auf neue Probleme desselben Typs in Übungs- und Anwendungsaufgaben übertragen (cognitive apprenticeship; Collins, Brown & Newman, 1989). Die Demonstration des Lösungsprozesses lässt sich besser in einem Video medial repräsentieren als in einem Text, da hier die zeitliche Entwicklung der Lösung dargestellt und mit zusätzlichen Erläuterungen des bzw. der Lehrenden zu den verwendeten Lösungsstrategien versehen werden kann (Spannagel, 2013). Insofern liegt es in diesen Disziplinen oft nahe, Videos als Vorbereitungsmaterial im Inverted Classroom zu Verfügung zu stellen und die Übungs- und Anwendungsaufgaben in Präsenz durchführen zu lassen. Als zweite Triebfeder für die Verbreitung der Methode Inverted Classroom kann die technologische und didaktische Weiterentwicklung der Hochschullehre im Rahmen der Corona-Pandemie gesehen werden. In dieser Zeit waren die Hochschulen gezwungen, Systeme für das asynchrone (z. B. Videoserver) und für das synchrone Online-Lernen (z. B. Videokonferenzsysteme) auf- und auszubauen. Lehrende mussten plötzlich asynchrone und synchrone Lernphasen neu arrangieren. Es erschien in vielen Situationen plausibel, synchrone Videokonferenzen von den Studierenden vorbereiten zu lassen, etwa unter Nutzung von Vorlesungsaufzeichnungen. So entstanden in dieser Zeit Online-Varianten des Inverted Classrooms (Divjak, Rienties, Iniesto, Vondra & Žižak, 2022; Martinelli et al., 2021; Schärtl, 2021; Tang, 2023; Teichgräber et al., 2021; Tolks et al., 2021). Die dritte Triebfeder für die weitere Verbreitung der Methode Inverted Classroom zeichnet sich bereits ab: Das rasante Aufkommen von Systemen der künstlichen Intelligenz (KI) Ende des Jahres 2022 lässt den Einsatz der Methode als Alternative zur traditionellen Vorlesung in vielen Fällen sinnvoll, wenn nicht gar notwendig erscheinen. Dies wird in den nächsten beiden Abschnitten ausgeführt. 3 KI-Systeme in der Lehre
Es gibt schon lange Forschung zu künstlicher Intelligenz (Teich, 2020). Doch erst durch die direkte Zugänglichkeit und ständige Verfügbarkeit inhaltlich breit einsetzbarer KI-Systeme wie ChatGPT, Bard, Midjourney und DALL ·E 2 wird KI auch zunehmend in Bildungsinstitutionen wahrgenommen – sowohl als Chance als auch als...