E-Book, Deutsch, 128 Seiten
Nolte Alexander von Humboldt
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-359-50081-0
Verlag: Eulenspiegel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Lebensbild in Anekdoten
E-Book, Deutsch, 128 Seiten
ISBN: 978-3-359-50081-0
Verlag: Eulenspiegel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Universalgelehrter und Lästermaul – amüsante Episoden über Alexander von Humboldt
Alexander von Humboldt, der preußische Adlige, der adligen Dünkel verachtete, war getrieben von unbändiger Forscher- und Entdeckerlust. Er kämpfte sich durch Bergwerkstollen in Preußen und den Dschungel des Amazonas, maß die Temperatur von Meeresströmungen und bestimmte die Bläue des Himmels, bestieg Berge und Vulkane wie den Chimborazo oder den Pichincha, nahm an gewagten Expeditionen teil und legte in den fast neun Jahrzehnten seines Lebens zehntausende Kilometer auf Schiffen, Maultieren, Pferden, in Kutsche und zu Fuß zurück. Er war ein Wissenschaftler und Autor von ungeheurem Horizont, brillanter Redner, begnadeter Netzwerker, Kritiker der Sklaverei, Vordenker der Globalisierung, einer der berühmtesten Gelehrten seiner Zeit - eine Wucht, ein Ereignis. Und: Er war ein Schalk, ein Spötter, ein Lästermaul. Angeblich verließen manche Zeitgenossen eine Abendgesellschaft nicht, solange Alexander von Humboldt anwesend war, denn sie wollten nicht riskieren, dass nach ihrem Abgang über sie hergezogen werde. "Mein Freund Humboldt", so sagte es der Physiker François Arago, "ist das beste Herz auf der Welt, aber auch das größte größte Schandmaul, das ich kenne". Das tat seiner Anerkennung keinen Abbruch, schon zu Lebzeiten wurde er als ein "zweiter Kolumbus", als "Aristoteles der Moderne" bewundert. Berlin ehrte den Naturforscher, Entdecker und ersten Vertreter einer globalisierten Wissenschaft später bekanntlich als Namensgeber (gemeinsam mit seinem Bruder) der Humboldt-Universität und des Humboldt-Forums.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Teil I Von Schloss Langweil
in die Welt
1769–1799 Wo denn nun? Kann das wahr sein: dass man nicht weiß, wo Alexander von Humboldt geboren wurde? Schon da entzieht sich der Schalk der Festlegung. Am Gendarmenmarkt, wo Berlin am schönsten ist, hängen gleich zwei Gedenktafeln: Die eine behauptet in der Jägerstraße 22, genau hier sei Alexander geboren, in dem Gebäude nämlich, das 1769 hier stand, dem Elternhaus der Humboldt-Brüder. Kaum hundert Meter weiter, wo die Jägerstraße auf den Gendarmenmarkt trifft, widerspricht eine andere, neuere Infotafel: Es sei auch möglich, dass Alexander im Schloss Tegel das Licht der Welt erblickt habe, in jenem Jagdschlösschen zwei bis drei Kutschstunden von Berlin-Mitte entfernt, in dem die Familie ihre Sommer verbrachte. Immerhin ist das Datum verbürgt: der 14. September 1769. Ist Mitte September noch Sommer-Tegelzeit oder schon Herbst-Gendarmenmarktzeit? Die Wissenschaft, die doch hier ihre Heimstatt hat – in den Gebäuden residiert heute die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften –, kann es nicht sicher sagen. Der Lottokönig Wer ein Stadthaus und ein Schlösschen in Tegel hat, der zählt nicht zur ärmeren Bevölkerungsschicht. Die Immobilien hat Marie Elisabeth mit in die Ehe gebracht, die Mutter der beiden Brüder, selbst Tochter reicher Hugenotten und Witwe des ebenfalls sehr wohlhabenden Barons von Holwede. Ihr Geburtsname lautet »Colomb«, ein Name mit Symbolkraft: Alexander wird nach seiner Amerika-Reise als »zweiter Kolumbus«, als zweiter, wissenschaftlicher Entdecker des Kontinents gefeiert werden. Aber noch, im September 1769, ist Alexander ein Baby, und sein Bruder Wilhelm tapst als Zweijähriger übers Parkett. Der Herr Papa, Major Alexander Georg von Humboldt, hat in den Schlesischen Kriegen für Preußen gekämpft und zuletzt als Kammerherr der Gattin des Kronprinzen Friedrich Wilhelm gearbeitet. Da die Ehe zwischen dem Prinzen und seiner Frau just im Jahr von Alexanders Geburt geschieden wird, kann Vater Humboldt fortan privatisieren: Er erhält vom König das Privileg, Lottoscheine zu verkaufen, und besitzt Anteile an der staatseigenen Tabakherstellung. Bequeme Verhältnisse also und viel Zeit, um sich dem Gut in Tegel und der Ausbildung seiner Jungs zu widmen. Kronprinz Friedrich Wilhelm bleibt ihm stets gewogen und wird gar Taufpate von Alexander. Dürftige Sandnatur »Tegel ist kein eigentliches Dorf, sondern ein Jagdschloss, von dem Großen Kurfürsten gebaut und von meinem Vater ganz umgeschaffen«, schreibt Alexander mit Mitte zwanzig an einen Freund. »Es liegt an dem Ufer eines eineinhalb Meilen langen Sees, der von schön angebauten Inseln durchschnitten ist. Hügel mit Weinreben, die wir hier Berge nennen, große Pflanzungen von ausländischen Hölzern, Wiesen, die das Schloss umgeben, und überraschende Aussichten auf die malerischen Ufer des Sees machen diesen Ort zu dem reizendsten Aufenthalte der hiesigen Gegend.« Das ist die eine Seite: Die Landschaft ist schön. Die Kindheit und Jugend der Brüder ist es weniger. Wilhelm wird sie später als »öde und freudenlos« bezeichnen, und Alexander klagt: »Hier in Tegel habe ich den größeren Teil dieses traurigen Lebens zugebracht, unter Leuten, die mich liebten, mir wohlwollten, und mit denen ich mir doch in keiner Empfindung begegnete, in tausendfältigem Zwang, in entbehrender Einsamkeit.« Im väterlichen Hause, so schreibt er, sei er »18 Jahre lang gemisshandelt und in einer dürftigen Sandnatur eingezwängt« worden. Die »dürftige Sandnatur« um Berlin wird er im späteren Leben noch oft geißeln – und die Tropen werden ihm umso schöner erscheinen. Papa, Mama und die Lehrer Am Vater liegt es nicht, dass die Brüder sich unwohl fühlen: Der gilt als liebenswürdig, gesprächsfreudig, vielseitig interessiert. Aber er stirbt, als Alexander neun Jahre alt ist, und damit bleiben nur die kühle, ehrgeizige Mutter, ihre eigenartigen Verwandten und die wechselnden Hauslehrer als Ansprechpartner. Einer davon ist Joachim Heinrich Campe, der dem kleinen Alexander vielleicht schon erste Sehnsucht nach der weiten Welt eingeimpft hat – der spätere Kinderbuchverleger schreibt wenige Jahre nach seinem Dienst in Schloss Tegel einen Jugendroman »Robinson und die Entdeckung von Amerika«. Der Held des Romans strandet ausgerechnet im Mündungsgebiet des Orinoco, den Alexander mit dem Einbaum erkunden wird. Wichtiger ist allerdings Hofmeister Gottlob Johann Christian Kunth, der viele Jahre bei der Familie bleibt. Er unterrichtet die Jungen in Mathematik, Deutsch, Latein, Griechisch, Französisch und Geschichte und wählt Fachgelehrte für die anderen Fächer aus, allesamt den Idealen der Aufklärung verpflichtet. Kunth ist streng, fordernd und mit Alexander des Öfteren unzufrieden. Der erinnert sich: »Ich entwickelte mich unendlich viel später als mein Bruder Wilhelm, der von erster Kindheit an durch seine tiefe Kenntnis des Griechischen und der gesamten alten Literatur wie durch seinen Geschmack für Poesie in Erstaunen versetzte.« Der kleine Apotheker Griechisch, Latein, alte Poesie: Herr im Himmel, muss das sein? Alexanders Interessen sind ganz anders gelagert als Wilhelms. Er stromert gern durch die Wälder rund ums Tegeler Schloss, sammelt Blätter und Blumen, Schnecken, Muscheln, Steine – die Familie soll ihn deshalb den »kleinen Apotheker« genannt haben. Im Unterricht bei Kunth und den Fachlehrern dagegen wird »alles, was auf Naturkunde und Chemie Bezug hatte«, vernachlässigt. Einmal immerhin unternimmt der Leibarzt der Familie, Ernst Ludwig Heim, einen Versuch der naturwissenschaftlichen Unterweisung: »Er hatte eine große Sammlung von Moosen und gab sich eines Tages die Mühe, meinem älteren Bruder die Linnéischen Klassen zu erläutern. Dieser, des Griechischen schon damals kundig, lernte die Namen auswendig, ich klebte Lichen parietinus (Flechten) und Hypna (Schmetterlinge) auf Papier, und in wenigen Tagen war uns beiden alle Lust zur Botanik wieder verschwunden.« Weltreisen auf dem Papier Überhaupt geht Alexander ganz eigene Wege. Bis zum Alter von 16 Jahren, so schreibt er später, »hatte ich wenig Lust, mich mit der Wissenschaft zu befassen, und wollte Soldat werden«. Schon früh entdeckt er jedoch seine Liebe zu Landkarten, für die sich ja Militärs und Wissenschaftler gleichermaßen interessieren. Der Junge begeistert sich für Karten von fernen Ländern, für die kräuseligen Linien der Ufer und Flussläufe, den kühnen Schwung der Längen- und Breitengrade, er fährt mit kindlichen Fingern nach, was er als Mann bereisen wird. Seine ersten Karten zeichnet er mit 14 Jahren, eine Karte der Neuen Welt und eine der »Oostsee« sind erhalten und zeugen von einem erstaunlichen Zeichentalent. Mit 17 stellt Alexander Bilder in der ersten Kunstausstellung der Berliner Akademie aus. Wir schreiben das Jahr 1786: Friedrich der Große stirbt, Kronprinz Friedrich Wilhelm, der Gönner der Familie Humboldt, übernimmt. Der Blitz schlägt ein Hauslehrer Kunth hat von Naturwissenschaft und Technik wenig Ahnung, aber er weiß immerhin, wen er fragen muss. Auf dem Dach des Tegeler Schlosses soll ein Blitzableiter angebracht werden, eine neumodische und höchst umstrittene Einrichtung. Kunth fragt also den Arzt und Physiker Marcus Herz um Rat, der als erster Einwohner Berlins an seinem Haus in der Spandauer Straße einen Blitzableiter angebracht hat. Herz lädt regelmäßig Gelehrte und Interessierte zur »Mittwochsgesellschaft« in sein Haus. Die Humboldt-Söhne dürfen mitkommen und lernen in dieser »Gesellschaft der Freunde der Aufklärung« führende Vertreter des Geisteslebens kennen. An diesen Abenden schlägt gewissermaßen der Blitz in die wissbegierigen Köpfe der jungen Männer ein, hier entzünden sich Gedanken und Gespräche über experimentelle Naturwissenschaft und Philosophie. Die Temperatur steigt noch, wenn sie ins Nebenzimmer gehen: Denn Marcus Herz' Gattin Henriette unterhält dort ebenfalls einen Salon. Wilhelm und Alexander werden zu Stammgästen im Hause Herz und auch in anderen Salons der Aufklärung, und Alexander schreibt, man unterhalte sich »besser in Gesellschaft jüdischer Frauen als auf dem Schlosse der Ahnen«. Das Schloss der Ahnen ist für ihn »Schloss Langweil«, in der Spandauer Straße hingegen trifft er auf »die schönste und auch die klügste, nein! ich muss sagen, auch die weiseste unter den Frauen«. In den Salons kann Alexander ausleben, was Zeitgenossen schon früh an ihm auffällt: seine Redegewandtheit, seine Gabe, Menschen für sich einzunehmen, und seine Spottlust. Einmal legt er in einem kleinen Text Henriette folgende Worte über sich selbst in den Mund: »Humboldt, der versteht die Kunst zu lachen. Sind die Menschen unterhaltend, lacht er mit ihnen. Sind sie langweilig, so lacht er über sie. Die Moral ist nicht übel.« Majestätischer Ball Manchmal gibt es auch außerhalb der Salons Aufregendes zu erleben. Zum Beispiel kommt ein berühmter Franzose, Jean-Pierre Blanchard, in die eher langweilige Residenzstadt Berlin und erhebt sich vom Exerzierplatz im Tiergarten einfach in die Luft. Eine Sensation, sein Gasballon! »Vorgestern war ganz Berlin auf den Beinen«, schreibt Alexander an einen Freund. »Blanchard steigen zu sehen, verdiente wirklich die 2 Reichstaler, die es mich kostete. Der Anblick einer so großen, 26 Fuß breiten Maschine, eines Mannes, der durch seine übermenschliche Kühnheit es wagte, über den Ozean zu gehen, der majestätische Gang des Balls, und am meisten der...