Nowacki / Remiorz | Bindung bei Pflegekindern | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 210 Seiten

Nowacki / Remiorz Bindung bei Pflegekindern

Bedeutung, Entwicklung und Förderung

E-Book, Deutsch, 210 Seiten

ISBN: 978-3-17-042005-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Fremdunterbringung in Pflegefamilien stellt eine wichtige Hilfe zur Erziehung dar. Soziale Beziehungen und die Bindung zu Bezugspersonen sind elementare Schutzfaktoren für die Entwicklung. In verschiedenen Studien zeigte sich, dass Erfahrungen mit den Pflegeeltern einen positiven Einfluss auf die Bindungsentwicklung und den Abbau von Bindungs- bzw. Beziehungsstörungssymptomen haben können. Daher sollten entsprechende Fördermöglichkeiten für Pflegefamilien erweitert werden. Im vorliegenden Werk werden diese Themen und die Bedeutung für die Praxis anhand von praktischen Beispielen und empirischen Untersuchungen diskutiert. Die 2. Auflage berücksichtigt u. a. Neuerungen in der klinischen Diagnostik und bzgl. rechtlicher Grundlagen, v. a. beim Kinder- und Ju-gendstärkungsgesetz.
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1 Pflegekinderwesen
· Welche rechtlichen und theoretischen Grundlagen gibt es für das Pflegekinderwesen in Deutschland? · Wie stehen Elternrecht und Kindeswohl zueinander, und welche Bedeutung hat dies für Besuchskontakte und Rückführungsoptionen? · Welche Unterschiede gibt es vom deutschen System der Fremdunterbringung (Hilfen zur Erziehung) zum Pflegekinderwesen in England und den USA? · Welche Entwicklung im Rahmen von Fremdunterbringung hat es in osteuropäischen Ländern, speziell Rumänien gegeben? Dieses einführende Kapitel dient der Darstellung des Pflegekinderwesens in Deutschland einschließlich der rechtlichen Grundlagen, der Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten, seinen unterschiedlichen Formen und Voraussetzungen sowie den verschiedenen Unterbringungskonzepten und der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteursgruppen. Wichtig ist dies, um die Befunde zur Bindungsentwicklung von Pflegekindern in Bezug zum aktuellen deutschen System zu setzen, damit inhaltliche Ableitungen auch im Hinblick auf praxisorientierte Umsetzung im weiteren Verlauf des Buches diskutiert werden können. Ein weiterer Aspekt, der in diesem Kapitel beschrieben wird, ist das deutsche Pflegekinderwesen im internationalen Vergleich. Hier werden insbesondere das Pflegekinderwesen in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten von Amerika mit dem deutschen System verglichen und davon abgrenzt. Viele internationale Studien zur Bindungsentwicklung von Pflegekindern stammen aus dem angloamerikanischen Raum, deshalb sollen die dahinterliegenden Systeme kurz skizziert werden, um die Ergebnisse entsprechend einordnen zu können. Abschließend wird die aktuellere Entwicklung des Pflegekinderwesens in Abgrenzung zur Heimerziehung in Rumänien skizziert, da in diesem Bereich wichtige Studien in Bezug auf Bindungsstörungen vorliegen. 1.1 Pflegekinderwesen in Deutschland
Im Folgenden werden die sozialpolitischen Entwicklungen, rechtlichen Grundlagen sowie die aktuellen Zahlen der Unterbringung von Pflegekindern in Deutschland aufgezeigt. Dies soll zum Verständnis des deutschen Pflegekinderwesens als Hintergrund für die weiteren Kapitel zur (Bindungs-)?entwicklung von Pflegekindern und möglichen Ableitungen für die Praxis dienen. 1.1.1 Sozialpolitische Entwicklung
Die Bedeutung und gesellschaftliche Stellung von Pflegekindern in Deutschland haben sich seit dem vergangenen Jahrhundert bis hin zur Gegenwart stark gewandelt. So waren Kinder, die aus verschiedensten Gründen nicht bei ihren Herkunftseltern aufwachsen konnten oder nur bei einem Elternteil lebten, gesellschaftlich nicht hoch angesehen. Auch die gesellschaftliche Stellung der Erwachsenen, meist die von Frauen, die die Aufgabe der Erziehung für die betroffenen Kinder übernommen haben, war sehr niedrig. Gesellschaftspolitisch waren das Pflegekinderwesen und alle darin agierenden Akteurinnen und Akteuren in Deutschland stets abhängig von der jeweilig vorherrschenden Sozialpolitik Deutschlands, sowohl ökonomisch als auch inhaltlich (Blandow, 2011). In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg wurde dies in Deutschland besonders deutlich, da auch im sozialpolitischen Bereich eine neue gesellschaftliche Identität der deutschen Bevölkerung und eine neue inhaltliche Ausrichtung gesucht wurde. Eine wichtige historische Änderung im Umgang mit Pflegekindern in Deutschland gab es jedoch bereits im Jahr 1922, in dem das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz beschlossen wurde. Dieses verortete die Unterbringung von Pflegekindern vom bisher Privaten hin ins Institutionelle und folglich in die öffentliche Hand. Es entstanden kommunale Jugendämter, die sich gezielt um die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen kümmerten, die nicht mehr in der eigenen Herkunftsfamilie aufwachsen konnten. Pflegekinder wurden nun als Gesamtgruppe von schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen betrachtet und nicht mehr als ausgestoßene Individuen (Blandow, 2011). Blandow (2011, 2004) hat die Entwicklung des Pflegekinderwesens in Deutschland nach 1945 bis 1990 in insgesamt fünf Phasen eingeteilt: 1. die frühe Nachkriegszeit mit der Neuordnung Deutschlands, 2. die Übergangsphase zwischen Neuordnung und Reformpolitik, 3. die Zeit der Reformbewegung in den 1960er und 1970er Jahren, 4. die Zeit der stärkeren Partizipation der Herkunftseltern in den 1980er Jahren, 5. die gesetzliche Neuordnung der Kinder- und Jugendhilfe Anfang der 1990er Jahre. Aktuell ergibt sich mit der Novellierung des achten Sozialgesetzbuches (Sozialgesetzbuch VIII; SGB VIII) und den darin enthaltenen Hilfen zur Erziehung eine gesellschafts- und sozialpolitische Erneuerung und Ausrichtung in diesem Bereich (Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen, 2017). Mit dem im Jahr 2021 (vorerst) beendeten Novellierungsprozess des SGB VIII und dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, KJSG) am 03.?06.?2021 gehen bedeutende Änderungen einher, die das gesamte Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe beeinflussen und damit ebenso das Pflegekinderhilfewesen betreffen. So ließe sich das Fünf-Phasen-Modell der Geschichte des Pflegekinderwesens von Blandow (2011, 2004) in Anbetracht aktueller Entwicklungen um eine sechste Phase erweitern: 6. die Novellierung der Kinder- und Jugendhilfe und Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen 2021. Welche Entwicklung wird das Pflegekinderwesen in den kommenden Jahren nehmen, und wie ist diese einstige ehrenamtliche Aufgabe in ein hoch professionelles Handlungs- und Arbeitsfeld einzuordnen? Um dies beurteilen und vor allem diskutieren zu können, ist ein kurzer geschichtlicher Abriss sinnvoll. So ist herauszustellen, dass es in der Phase des Pflegekinderwesens in der Nachkriegszeit Pflegefamilien, so wie man diese gegenwärtig kennt, eher selten gab. Dies lag unter anderem daran, dass neben den knappen Ressourcen der Familien selbst die kommunalen Jugendämter in der Nachkriegszeit teilweise handlungseingeschränkt waren. Eine Unterbringung von Waisenkindern und anderen Kindern, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr in ihrer Herkunftsfamilie leben konnten, erfolgte zu diesem Zeitpunkt noch häufig in großen Heimeinrichtungen eher im ländlichen Raum, da dies zum damaligen Zeitpunkt eine kostengünstige Unterbringungsform war (Blandow, 2011, 2004). In der zweiten Phase, dem Übergang zwischen der Neuordnung Deutschlands hin zur Reformpolitik änderte sich dies. Deutschland befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Übergangsphase zu einer aufstrebenden Wirtschaftsnation, was folglich auch Auswirkungen auf das Pflegekinderwesen hatte. Die Unterbringung von Kindern erfolgte nun häufiger in Pflegefamilien, was jedoch nicht die Unterbringung von allen Kindern in Heimeinrichtungen ersetzen konnte. Die kostengünstige Unterbringung der Kinder sowie das ehrenamtliche Engagement der Pflegeeltern standen somit auch im Vordergrund der Unterbringung (Blandow, 2011, 2004). Die Zeit der Reformbewegung in den 1960er und 1970er Jahren war geprägt von einem Paradigmenwechsel, in dem die Fremdunterbringung von Kindern zu einem politischen Thema wurde, dem sich vor allem die Studentenbewegung am Ende der 1960er Jahre annahm. Diese brachte in vielen Bereichen der Sozialpolitik einen Wandel, in dem Chancengleichheit für alle geschaffen werden sollte, also auch für Kinder, die fremduntergebracht waren. Die Erziehung in Heimgruppen wurde als nicht mehr zeitgemäß empfunden, und Kinder sollten in Familien aufwachsen können, damit Chancengleichheit für alle hergestellt werden konnte. Wenn dies nicht in deren Herkunftsfamilien möglich war, so sollte die Pflegefamilie als Ersatz fungieren, zumal auch der wirtschaftliche Aspekt mehr und mehr eine Rolle spielte, da die Unterbringung in Heimeinrichtungen sich ebenfalls geändert hatte und durch eine aufkommende Professionalisierung von Fachkräften auch teurer wurde. So wurden erstmals mehr Kinder in Pflegefamilien als in Heimeinrichtungen untergebracht. Die Pflegefamilien professionalisierten sich mehr und mehr, sie bekamen in der Öffentlichkeit eine größere Lobby und organisierten sich selbstständig und mit Hilfe von neu gebildeten Fachdiensten, die auf Pflegefamilien spezialisiert waren. Das Pflegekinderwesen war nun sozialpolitisch wichtig geworden (Blandow, 2011, 2004). In der Phase der 1980er Jahre bis hin zur großen gesetzlichen Reform mit der Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) im achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII), stand die Individualisierung des Einzelnen im Vordergrund jeder sozialpolitischen Debatte in Deutschland. So betraf dies auch insbesondere das Pflegekinderwesen. Dieses wirkte nach außen hin eher exkludierend und als eine Art Stigma für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, da diese nicht gleichgestellt zu den Kindern und Jugendlichen waren, die in ihren Herkunftsfamilien aufwuchsen....


Prof. Dr. Katja Nowacki, Psychologin und Sozialpädagogin, ist Professorin für Klinische Psychologie und Sozialpsychologie an der Fachhochschule Dortmund und hat davor lange Jahre im Bereich der Hilfen zur Erziehung gearbeitet. Dr. Silke Remiorz, Sozialwissenschaftlerin und Sozialarbeiterin, war wissenschaftliche Mitarbeiterin in Praxisforschungsprojekten an der Fachhochschule Dortmund und ist jetzt im Bereich der Hilfen zur Erziehung tätig.


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