Nunn | Ist die Erde hart | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Nunn Ist die Erde hart


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-95988-225-5
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-95988-225-5
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Ist die Erde hart, tanzen die Frauen. Januar 1965 in Swasiland: Schulbeginn an der Keziah Christian Academy, einem Internat ausschließlich für ?Mischlinge?. Adele Joubert ist gut darin, nicht anzuecken: immer lächeln, die Regeln befolgen, keinen Ärger machen. Doch nun kommt eine Neue aufs Internat, und Adele büßt ihren Platz in der Gruppe der privilegierten Mädchen ein. Sie muss mit der Querulantin der Schule in die Kammer der toten Lorraine ziehen, wo es spukt ... Mit Hilfe der Lektüre von Jane Eyre entflieht Adele ins ferne nasskalte England, doch die Internatswirklichkeit holt sie bald wieder ein, und sie sieht sich um ihre Wahrheiten kämpfen. Bildstark, mit Drama und leisem Humor: Malla Nunn erzählt Apartheidsgeschichte aus Sicht einer Heranwachsenden. Fühlbar wird, wie Menschen die Bruchlinien in sich selbst ignorieren, um unter Druck zu überleben - und das ist nicht nur historisch relevant.

Malla Nunn wurde im britischen Protektorat Swasiland geboren und ging dort zur Schule. In den 1970ern emigrierte ihre Familie nach Australien, um der Apartheid zu entkommen. Malla Nunn studierte in Perth Englisch und Geschichte. Als Dokumentarfilmerin wurde sie mit Preisen geehrt, insbesondere für Servant of the Ancestors (1999). 2009 erschien ihr erster Roman, Band 1 des Krimizyklus um Detective Sergeant Emmanuel Cooper, gekürt mit zwei Edgar Award-Nominierungen und zahlreichen Preisen. Sie lebt mit ihrer Familie in Sydney. Auszeichnungen für den Roman Ist die Erde hart?: L.?A. Times Book Prize, Kirkus Reviews Best Book of the Year, Josette Frank Award, YALSA Best Fiction Pick, Westchester Fiction Award.

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1
Sterbende Tage
Es ist Donnerstagabend, also gehen wir auf der Lebe-lang-Straße zur öffentlichen Telefonzelle an der Kreuzung der drei Wege namens Linker Pfad, Rechter Pfad und Mittelpfad. Der Strahl meiner Taschenlampe hüpft auf der ungepflasterten Straße voraus und kennzeichnet Unebenheiten und Schlaglöcher, davon gibt es viele. Mrs. Button, die in dem rosa Haus hinter der Autowerkstatt wohnt, sagt, alle Straßen sollten gepflastert sein wie in England, aber wir sind nicht in England – wir sind im britischen Protektorat Swasiland, ringsum eingeschlossen von Mosambik und der Republik Südafrika – also was weiß sie schon? »Geh schneller«, drängt Mutter flüsternd. »Wir dürfen uns nicht verspäten.« Wir eilen vorbei an Häusern aus Betonquadern mit Lichtritzen unter verschlossenen Vordertüren. Hunde bellen in umzäunten Höfen. Ein Vorhang zuckt, und durch einen handbreiten Spalt späht ein Gesicht heraus. Es gehört Miriam Dube, der Frau des Pastors, die es für ihre Pflicht hält, uns beim allwöchentlichen Pilgergang zur Telefonzelle zu bespitzeln. Es ist dunkel, aber ich stelle mir vor, dass Mrs. Dubes Miene selbstgerechte Missbilligung ausdrückt. Mutter hält den Kopf so hoch, als trüge sie eine schwere eiserne Krone oder einen schmerzhaften Dornenkranz. Die Nachbarn sind neidisch, sagt sie. Neidische Klatschmäuler, rümpfen die Nasen über ihre hohen Absätze und ihre Kleider aus Johannesburg, die zu viel Bein zeigen. Sie wissen, dass wir im Wohnzimmer Teppichboden haben, sagt sie. Wir haben auch seit Weihnachten Fahrräder mit blitzenden Chromteilen im Hinterhof stehen und nagelneue Bata-Schuhe unterm Bett, die noch nach Fabrik riechen. Die anderen haben Fußböden aus Beton, und wo mal ein Teppich liegt, ist er auf jeden Fall hässlich ­verglichen mit dem flauschigen Feld aus violetten Blumen, die unter unseren Füßen blühen, wenn wir von der Couch­ecke zur Küche gehen. Und darum hassen sie uns. Darum hält niemand an und nimmt uns mit, wenn sie uns am Straßenrand laufen sehen, niedergedrückt vom Gewicht unserer Einkaufstaschen. Der Manzini-Markt ist drei Meilen von unserem Haus weg, sagt Mutter. Drei Meilen über dürre Erde, gespickt mit Schlangen- und Skorpion­löchern. Ein gefährlicher Fußmarsch. Ein christlicher Mensch würde unsere Mühsal erblicken und uns mitnehmen. Aber unsere Nachbarn, die sich Christen nennen und jeden Sonntag auf den Kirchenbänken drängen, die fahren vorbei und lassen uns ihren Staub schlucken. Die Telefonzelle taucht im Strahl meiner Taschenlampe auf: ein Rechteck aus silbernem Blech, einzementiert in die rote Erde. Rechter Pfad, Linker Pfad und Mittelpfad trennen sich hier und verschwinden in der Einöde, wo nur Gräser wuchern. Gelangweilte Kinder und Betrunkene haben an den Glaswänden ihre Initialen und Stiefelabdrücke hinterlassen, aber wie durch ein Wunder spendet die Zellenbeleuchtung immer noch ein funzliges Glimmen, das eine wirbelnde Wolke aus weißen Nachtfaltern anzieht. Mutter steckt vier Silbermünzen in den Geldschlitz und wählt eine Nummer. Ihre Hände zittern und sie ist außer Atem, weil sie den unebenen Weg in hohen Absätzen gelaufen ist. Sie verlässt unser Haus grundsätzlich nie in flachen Sandalen oder gar, Gott bewahre, den losen Baumwollslippern der Frauen, denen Bequemlichkeit mehr bedeutet als Modebewusstsein. Die Münzen fallen, und sie formt ihren Mund zu einem Lächeln. »Ich bin’s«, sagt sie mit einer rauchigen Stimme, die sie nur am Telefon benutzt. Die Stimme am anderen Ende sagt etwas, das sie zum Lachen bringt, und sie wirft mir einen triumphierenden Seitenblick zu. Siehst du?, sagt ihr Blick. Ich rufe jeden Donnerstagabend an, um zu besprechen, wie es hier läuft mit dir, mir und deinem Bruder Rian, und er geht einfach so ran … Mutter will, dass ich weiß, egal, wie die Kirchgängerinnen sie nennen, ihre Beziehung mit ihm ist etwas Besonderes. Sie hat da einen guten Mann, auf den sie sich verlassen kann, wie viele »lockere Frauen« und »Flittchen« können das bitte von sich sagen? Nicht eine. So ist das nämlich. Mutter will, glaube ich, dass ich stolz bin auf unseren wöchentlichen Gang zur Telefonzelle. Ich zupfe einen zuckenden Nachtfalter aus meinem Haar und puste ihn in die Luft. Seine Flügel hinterlassen ein feines weißes Pulver auf meinen Fingerspitzen, und ich wische es an der Vorderseite meines Rocks ab, während Mutter leise und sanft in den Hörer spricht. »Natürlich. Adele steht direkt neben mir.« Sie schnippt mit den Fingern, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. »Sie will unbedingt mit dir sprechen.« Ich nehme den Hörer von ihr entgegen und sage: »Hallo … Mir geht’s gut. Wie geht es dir?« Die Stimme erzählt mir, er ist müde, aber es tut gut, meine Stimme zu hören und die von Mutter. Ist der Rest der Weihnachtsferien noch gut verlaufen? Bin ich bereit für mein vorletztes Jahr an der Highschool, und überhaupt, Herr im Himmel, wo ist nur die Zeit geblieben? Er zahlt mein Schulgeld, also sage ich: »Ja, ja, ich kann es kaum erwarten, wieder auf die Keziah Christian ­Academy zu gehen.« Es ist der 21. Januar, noch drei Tage bis Schulbeginn, aber meine Sachen sind schon gepackt. »Es wird toll, meine Freundinnen wiederzusehen.« Tele­fonierzeit ist kostbar. Ich darf keine Sekunde davon vergeuden, indem ich das miese Essen erwähne oder die scharfe Stahlkante von Mr. Newmans Lineal, das er mir über die Fingerknöchel zieht, wenn ich eine falsche Antwort gebe oder zu lange durchs Fenster des Klassenraums auf die Berge schaue. Mutter sagt: Wahre deinen Stolz, Mädchen. Niemand möchte sich deine Probleme anhören. Mach deinen Kummer mit dir selbst aus wie wir anderen auch. Sie schnippt zweimal mit den Fingern, um mir anzuzeigen, dass meine Zeit um ist. »Bis bald, hoffe ich.« Ich überlasse ihr den Hörer und gehe beiseite, damit sie ungestört ist. Eine Wolke aus Nachtfaltern schlägt einen weißen Kreis um die Telefonzelle, andere liegen mit gebrochenen Flügeln am Boden. Ich rupfe mir am Straßenrand einen Halm Wildgras ab und kaue auf dem süßen Ende, während Mutter Versprechungen ins Telefon raunt. Ihre rechte Hüfte und Schulter pressen sich gegen das Glas, und in diesem Augenblick, umringt von der raschelnden Savanne und unter dem niedrigen Nachthimmel, wirkt sie klein und vollkommen allein. Nur sie und die Nachtfalter, die im fahlen Licht miteinander tanzen, während die Dunkelheit alles um sie herum verschluckt. Minuten vergehen. Sie hängt ein und schreitet über die löchrige Straße, ihre hohen Absätze klackern und ihre Hüften wiegen sich zu einer Melodie, die nur sie hören kann. Eine lose Korkenzieherlocke schwingt gegen ihre gerötete rechte Wange wie immer, wenn sie mit ihm telefoniert hat. Ich kann nicht sagen, ob es eine unbewusste Angewohnheit ist oder ob sie sich damit beruhigt, eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger zu wickeln. Sie breitet die Arme weit aus und umarmt mich fest. Luft weicht mit einem Röcheln aus meinen Lungen. »Er kommt«, flüstert sie mir ins Ohr. »Wann?« Ich will ein Datum und eine Uhrzeit. Auf die eine oder andere Art ist er immer auf dem Weg. Er sagt uns, er wird in Mkuze sein, nur fünf Stunden Fahrt von uns entfernt. Oder er hat ein Geschäftstreffen in ­Golela vor sich, und dann ist es nur ein Sprung über die Grenze von Südafrika zu uns. Als Nächstes fährt er mit den ­anderen Kindern in den Kruger Park und kommt vielleicht für ein paar Stunden vorbei. Möglicherweise schafft er es. Vielleicht kommt er dieses Wochenende … »Samstag.« Mutter ist kribbelig vor Freude. »Er will dich noch sehen, bevor du ins Internat fährst. Und er will Rian sehen. Du weißt ja, was für Sorgen er sich wegen Rians Asthma macht. Dem Fehlen in der Schule. Er sorgt sich um uns, mein Mädchen, aber du weißt ja, wie es nun mal läuft.« Ja, ich weiß, »wie es nun mal läuft«. Ich bin Expertin für die ungeschriebenen Regeln, die über unsere Familie herrschen, und für die Grenzen, die man nicht überschreiten oder auch nur laut erwähnen darf. Ich wurde in dieses Wissen hineingeboren. Mutter erinnert mich regelmäßig daran, »wie es nun mal läuft«, damit ich nie vergesse, dass manches im Leben nicht zu ändern ist. »Komm.« Mutter ergreift meinen Arm, und wir folgen unseren Fußspuren im Staub zurück nach Hause. Das offene Land ringsum wimmelt von Geräuschen: verhuschte Stachelschweine graben Wurzeln aus, die leisen Tapser einer Hauskatze, die im Busch kleine Kreaturen jagt, der sich hochschaukelnde Gesang einer Nachtschwalbe. Mutter summt »Oh Happy Day« vor sich hin. Früher hat sie im Kirchenchor gesungen, und sie hat auch jetzt noch eine herrliche Stimme. Autoscheinwerfer biegen vom Mittelpfad ab, und zwei helle Strahlen beleuchten die zerklüftete Lebe-lang-Straße. Wir springen automatisch von der Straße ins hohe Gras, das am Wegrand üppig wuchert. Ein Pickup brettert vorbei, und wir bergen das Gesicht in der Armbeuge, um nicht am Staub zu ersticken. Der weiße Ford Pickup mit dem zerbeulten Kotflügel gehört Fergus ­Meadows, der im Haus gegenüber von unserem wohnt und vor fünf Jahren den Holzplatz seines Vaters geerbt hat. Ein Stein prallt an mein Bein, und ich sehe eine Platzwunde. Mit weiß gepuderten Fingern wische ich das Blut weg und trete zurück auf die Straße. An dieser Stelle sagt Mutter normalerweise: Dieser Hooligan! Sein Vater würde gleich noch mal sterben, wenn er wüsste, was aus dem Jungen geworden ist. Er hat uns gesehen, zu Fuß im Dunkeln. Denk ja nicht, dass er uns nicht gesehen hat. Zwei Frauen. Allein. Und er...



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