E-Book, Deutsch, 182 Seiten
Reihe: Edition Drachenfliege
Nußbaumer Weltübergang
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-95996-191-2
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fundstücke im Riss der Welt
E-Book, Deutsch, 182 Seiten
Reihe: Edition Drachenfliege
ISBN: 978-3-95996-191-2
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein schillerndes Abenteuer, das die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verwischt und unserer Realität einen Spiegel vorhält.
Pi, eine junge Anarchistin, löst unwissentlich die Apokalypse aus. Nun streift sie auf der Suche nach ihrem Kater durch eine erstarrte Metropole inmitten eines vermüllten Planeten. Als immer mehr Unerklärliches geschieht, beginnt sie zu begreifen, dass neben ihrer Welt noch andere existieren und dass sie die Türen zu ihnen öffnen kann.
Währenddessen zieht auf Mo, einer verborgenen, farbenprächtigen Welt voller erstaunlicher Wesen, Unheil auf. Niemand spürt das so wie der Außenseiter Alani. Er wagt es, unerhörte Fragen zu stellen, die ihn auf eine gefährliche Reise schicken. Sein Weg führt ihn an die Grenzen der bekannten Welt und darüber hinaus und vor allem zu sich selbst.
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Schatten
Alani lag im Gras und starrte in die Wolken. Der Har’a ragte ungerührt empor und warf einen Schatten auf ihn, den Dunklen vom Fleck der Gelben. Alanis Geist fühlte sich übervoll an, über jedes vernünftige Maß geweitet. Sich selbst hatte er durch das Bestehen dieser besonderen Herausforderung finden wollen – nun fühlte er sich erst recht verloren, überwältigt von einer fremdartigen Sicht auf die Welt. Beharrlich hatte er seine Frage gestellt: Was geschieht, wenn die Alte stirbt? Erst schien ihn der Har’a nicht zu beachten, dann kam Antwort um Antwort, die ihn Stufe um Stufe empor führte, bis er das ganze Land überblickte. Selbst die riesenhaften Har’as waren zu Kieselsteinchen geschrumpft, die über die Flecken von Mo rollten, Gelbe und Blaue und Rote wurden von hier oben zu Lupullen, hin und her wuselnd, emsig damit beschäftigt, von hier nach da zu hasten und von da nach hier. Unbedeutendes Treiben, ein Spiel unter der Sonne, nicht mehr als ein Moment in der Ewigkeit. Leben war nicht mehr als ein Tropfen Blut, der zu Boden fiel. Alani hatte die Antworten vergessen, sie schienen ihm belanglos. Warum überhaupt etwas tun? Warum nicht warten, bis dieser Tag zu Ende ging, bis eine Nacht begann, auf die ein weiterer Tag folgte, der ein Ende haben würde, das der Anfang einer neuen Nacht war und immer so weiter, bis der Tropfen Blut, der er war, am Boden ankam? Alani hatte den weiten Blick des Har’a geschenkt bekommen – und es ließ ihn beinahe zerbersten. Ewigkeit eingesperrt in Vergänglichkeit. Die Wolken lichteten sich, die Sonne kam stärker zum Vorschein. Alani richtete sich auf, atmete tief durch. Er konnte hier sitzen bleiben, überwältigt von seiner Bedeutungslosigkeit, bis ihn die Blumen überwucherten. Aber er spürte die warme Sonne auf der Haut, hörte das sanfte Klopfen der Brombeersträucher in seinem Ohr und das erfüllte ihn mit Frieden. Er könnte sein Leben unter diesem großen Himmel mit mehr Leichtigkeit leben! Gut, unter den Lichtwesen würde er ein Schwermütiger bleiben, einer der immer auf der Suche war, während die anderen das Leben einfach nahmen, wie es sich ihnen darbot. Aber brauchte ihn das so zu bekümmern? Jeder Tropfen, der auf die Erde fällt, ist anders. Und jeder fällt aus dem gleichen Himmel! Und vielleicht war ja das die Antwort des grauen Riesen gewesen – sich nicht zu viele Sorgen zu machen über Dinge, die nicht zu ändern waren? Alani stand auf und ging langsam in Richtung des Lagerplatzes der Lasol. Er freute sich auf die Seinen – er hatte niemandem von seinem Vorhaben erzählt und vielleicht würde die hübsche Alada ja schon nach ihm Ausschau halten? Er nahm sich vor, ihr seine Zuneigung deutlicher zu zeigen, was seinen Herzschlag beschleunigte. Vielleicht war sein Anderssein in ihren Augen gar kein Makel? Vielleicht sah sie etwas in ihm, das er selbst erst ganz langsam anerkennen konnte? Alani war sich nicht sicher, ob er die Initiation bestanden hatte. Die Antworten des Har’as konnte er nicht wiedergeben, auch wenn er ahnte, dass sie in ihm lagen und ihre Wirkung entfalteten. Sollte das nicht genügen, konnte er immer noch tanzen. Alani schmunzelte und beschleunigte seinen Schritt. Doch der Lagerplatz lag verlassen da, ohne Spur und Nachricht. Das war mehr als ungewöhnlich, das war noch nie geschehen. Die Lasol lebten frei – und sie lebten gebunden. Sie schauten aufeinander und ließen niemanden zurück. Bislang. Alanis Stimmung schlug blitzartig um. Sein Leben, das er sich eben noch in hellen Farben ausgemalt hatte, wurde pechschwarz und bitterkalt. Alle Bosheit, zu der er fähig war, richtete er gegen sich selbst. Natürlich hatten sie ihn verlassen! Es konnte gar nicht anders sein. Sie hatten die Gelegenheit genutzt und sich davongemacht. Er bedeutete niemandem auch nur das Geringste, er war eine Last, sogar für seine Mutter. Beinahe lustvoll zertrat er die zarten Blumen, die in seinem Herzen aufgeblüht waren. Die Einsichten des Har’a, dass sein Leben nur ein Augenblick in der Unendlichkeit war, boten ihm keinen Trost. Er hatte genug von seinen ewigen Versuchen, sich seine Lage schön zu reden, zu glauben, dass Alada oder irgendjemand sonst seine Liebe erwidern könnte, dass er sich schließlich als wertvoller Teil seines Fleckens empfinden würde. Das Leben belehrte ihn ja doch stets eines Schlechteren! Alani gab auf, stellte seinem Selbsthass nichts mehr entgegen. Er hatte es versucht, hatte all seinen Mut zusammengenommen, um endlich dazuzugehören, hatte sich einer schweren Prüfung gestellt, die er vielleicht nicht bestanden, aber doch überlebt hatte. Doch etwas in ihm hatte nur auf diesen Verrat gewartet. Er war der Dunkle, und der Dunkle wusste längst, was zu tun war. Alani hielt sein Gesicht der Sonne entgegen, lieferte seine verwundbaren Augen ihrer Gewalt aus. Verbrennen wollte er all die angesammelten Bilder, die ihn kränkten und erniedrigten. Tränen flossen über seine Wangen und färbten sich allmählich rot, während die Welt sich schwärzte. Er schrie all seine Verzweiflung und seinen Schmerz in dieses dichter werdende Schwarz. Geblendet rannte er in den naheliegenden Wald wie in ein offenes Messer. Die Seinen wollten ihn nicht und nun wollte er sich auch nicht mehr. Alani stürzte sich mit blutenden Augen in den unermesslichen Wald von Mo, in der Hoffnung, für immer darin zu verschwinden. Der Wald von Mo bot Stellen, die mit den Untiefen von Ozeanen spielend mithalten konnten. Wenige Landwesen hatten ihn bislang betreten und unbeschadet wieder verlassen und für Lichtwesen wie die Lasol war er das sichere Ende. Nach wenigen Metern schon drang kein lebensspendender Sonnenstrahl mehr durch das lückenlose Blätterdach. Dichtes Gestrüpp überwucherte den Boden, keine Wege waren in diese Wildnis geschlagen. Alani nahm sich vor zu rennen, bis er fiel, dann liegenzubleiben, bis er starb. Er erwartete, jeden Moment an einem Baum zu zerschellen oder von einem gnädigen Ast aufgespießt zu werden. Endlich ein Ende der Qualen, des Wechsels von Hochgefühl und Demütigung, endlich Nacht! Doch der Wald nahm ihn auf und stellte ihm nichts entgegen. Er lief immer weiter in dieses Wesen hinein, bis er den Eindruck hatte, im Dunkel zu schweben. In der Tiefe dieses grünen Ozeans umschloss ihn ein unverhofftes Glück. Äste strichen ihm zärtlich über das Gesicht, Blätter wisperten tröstlich. Statt des Todes erwartete ihn ein Wunderland und eine leise Melodie, die ihn leitete. Alanis Todessehnsucht verwandelte sich in ein Gefühl des Aufgehobenseins, süß wie das Leuchten des Abendrots. Er tauchte ein in die gnädige Dunkelheit und trank und trank. Versank. Anderswann und anderswo erwachte er mit schmerzenden Gliedern und geschwollenen Augen. Seine Haut war von Dornen zerschunden und hinter seinen Lidern tanzten schwarze und rote Schatten. In seinen Händen lag etwas – eine Pflanze? Ängstlich öffnete er die Augen. Er sah! Und zuckte zusammen, denn über sich gewahrte er ein verschwommenes Gesicht. „Na, aufgewacht, Lichtwesen?“, brummte eine tiefe Stimme, warm und beruhigend. „Wo bin ich?“ „Am südlichen Rand des Waldes. Nahe von Noi, meiner Siedlung. Wir sind Vogelwesen, Säher und Ernter.“ Alani richtete sich auf. „Ernter?“ Das mächtige Wesen spannte einen Flügelarm. „All das, was du vor dir siehst, sind unsere Felder. Hatui-Pflanzen, die uns nähren. Noch sind sie nicht reif.“ Gewaltige grüne Stängel, an denen verschlossene Fruchtköpfe baumelten, bewegten sich vor Alanis schmerzenden Augen. Dieses Land war dem Lasol fremd, doch er hatte schon von ihm gehört. So habe ich den Wald von Osten durchtaucht bis in den Süden! Ist das überhaupt möglich? „Wie hat es dich hierher verschlagen?“ Das Gesicht des Vogelwesens, des Noi-Ni, konnte Alani noch immer nicht im Detail erkennen, doch die Stimme gefiel ihm, weckte sein Vertrauen. „Das ist eine lange Geschichte, die ich kaum verstehe. Ich war im Wald und habe ihn durchtaucht.“ Der Noi-Ni pfiff durch die Zähne. „Erstaunlich. Und von dort hast du dieses Kraut?“ Da fiel dem Lasol die Pflanze in seinen Händen wieder ein. Rau und stachelig. In der Sonne ging sie auf und gebar eine violette Blüte. „Anscheinend. Brauchst du es? Ich glaube, es will zu dir.“ Seit dieser Begegnung waren viele Sonnen erschienen und vergangen. Alani ließ sich an dieser Stelle nieder, dicht am Wald. Nanoi half ihm, eine kleine Hütte aus Randholz und Hatui-Fasern zu zimmern. Seine gefiederte Bekanntschaft war ihm dankbar, denn ein Tee aus dem seltsamen Kraut hatte den gelähmten rechten Flügelarm seines Sohnes geheilt. Aus dem Lichtwesen im Schatten, dem Dunklen, wurde ein geachteter Nachbar der Siedlung Noi. Sein neuer Name lautete Waldtaucher, denn wenn er einen Ruf verspürte, tauchte er ein in das grüne Land, gab sich ihm hin. Immer wieder spülte es ihn an derselben Stelle an Land und in seinen Händen lagen ein Kraut, ein Stein, Beeren oder Früchte, die Heilung brachten für ein leidendes Wesen, Heilung von Schmerz und Krankheit, von Kummer, Wahn und Traurigkeit. Das betreffende Wesen kam von sich aus zu Alanis Hütte, Ruf folgte auf Ruf, das war Gesetz. Nur für ihn selbst schien kein Kraut gewachsen. Der Waldtaucher war ein Geschöpf voll Sorge, dass der seelische Schmerz ihn erneut überwältigen könnte. Er tauchte tief in den Wald ein, aber bei sich selbst blieb er an der Oberfläche, rührte seine Vergangenheit nicht an. Der Har’a, die Alte, „seine“...