O'Brien / Gretter | Wolken über Spanien | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 212 Seiten

Reihe: Die kühne Reisende

O'Brien / Gretter Wolken über Spanien

Eine Reise vor Ausbruch des Bürgerkriegs
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8438-0610-7
Verlag: edition erdmann ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Reise vor Ausbruch des Bürgerkriegs

E-Book, Deutsch, 212 Seiten

Reihe: Die kühne Reisende

ISBN: 978-3-8438-0610-7
Verlag: edition erdmann ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Alles begann 1922, als die Irin Kate O'Brien nach Abschluss ihres Literaturstudiums nach Spanien reiste und in Burgos die Stelle einer Hauslehrerin antrat. Immer wieder ist sie in den Jahren danach zurückgekehrt. Die Reise, von der sie in Wolken über Spanien berichtet, hat sie 1935 unternommen, kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs. Noch einmal fährt sie durch das geliebte Land, besichtigt die Kathedralen von Burgos und Toledo. Mäandert durch Museen und archiviert im Kopf die unermesslich großen Kunstschätze. Flaniert auf den gotischen Ramblas von Avila, lässt sich überwältigen von der wilden Küste Asturiens. Nimmt Platz in den Restaurants von Santander, wo die schönsten Meeresfrüchte, der beste Wein serviert werden. Erfreut sich bei Überlandfahrten an der Landschaft, um sich gleichzeitig zurück nach Madrid zu sehnen, dorthin, wo es Zeitungen gibt, Buchläden und aufregende Cafés. Es ist ein heiteres, lebendiges Spanien, das sie porträtiert. Aber als sie ihren Bericht 1936 niederschreibt, hat sich ein Schatten über das Land gelegt: "Während ich dies schreibe, brennt Irún …" Und so wird der Reisebericht der Feministin und Kommunistin, die entschieden Position für die Republikaner bezieht und mit ihrer Kritik an Franco nicht hinter dem Berg hält, ein Buch der Erinnerung, eine Liebeserklärung an das Land, auf das die heraufziehenden Wolken des Bürgerkriegs ihren Schatten werfen.

O'Brien / Gretter Wolken über Spanien jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Inhalt

Adiós, turismo
Verdriesslichkeit
La Montaña
Romanisch und neolithisch
Pelayos Schwert und die Knochen des Heiligen Jakobus
Der Barbier von Salamanca
Santa Teresa
No pasarán
Küchensalzpredigt
Blondinen und Brunnen
Vorwiegend persönlich
Arriba, España!
Nachwort


ADIÓS, TURISMO
Gelegenheiten zur Hemmungslosigkeit sind selten, da können Moralisten sagen, was sie wollen; und wenn die Verfasserin ihre eigenen Erinnerungen an Spanien als eine solche ausgeben will, muss sie wohl riskieren, von anderen als eine Art Nero betrachtet zu werden. Ich schreibe wirklich ungeniert als Eskapistin von dem, was vergeht und noch halbwegs in Erinnerung ist. Für Voraussagen bringe ich kein Talent und wenig Neugier auf. Aber Tod und Abschied fesseln mich, wie es die hellsten Hoffnungen der Menschheit nie vermocht haben. Während also das europäische Chiaroscuro, in dem wir alle aufgewachsen sind, zum Blackout wird und seinen in die Länge gezogenen Selbstmord hinnimmt, während das Schicksal den Leichtsinn zum Schweigen bringt und die Beherzten sich ins Zeug legen, um zu sehen, was der morgige Tag an Zerreißproben bringt, schaue ich also noch immer zurück, ganz hemmungslos. Das Morgenlicht, selbst wenn einige von uns es erleben sollten, selbst wenn es strahlt, es wird ernüchternd sein; wenn überhaupt etwas dran ist an menschlicher Verheißung, an politischem Kampf, wird es gleichförmig sein und abwechslungslos. Was die verrückt gewordene Welt jetzt suchen muss, ist die Gerechtigkeit einer vernünftigen Einheitlichkeit. Wie unerreichbar das scheint, wenn man es hinschreibt, und wie elementar notwendig! Dass es nach unserer Sintflut so kommen möge, muss unsere zentrale Hoffnung für die Nachwelt sein, wie ungewiss, wie fraglich auch immer. Wenn einige von uns einstweilen nicht den persönlichen Wunsch aufbringen, es so zu sehen, sollte ihnen diese Schwäche verziehen werden. Lasst uns, die wir nichts anderes können, die Zeit vertun. Und da das individuelle Leben weitergeht, da Gesichter und Erinnerungen nach wie vor wichtig sind, wie sehr auch die Dunkelheit zunimmt, da es noch Wein zu trinken gibt und die nächste Zigarette ein zwingendes Vergnügen bleibt, werden wir, wenn wir gescheit sind, unseren immer gleichen kleinen Marotten nachgehen, werden essen und trinken (wenn wir die Mittel dazu haben), werden stricken, Schreibmaschine schreiben, Bilder machen und Geld und Liebe. Denn was haben wir davon, diese schreckliche Gegenwart, die uns bestimmt ist, zu durchleben, wenn wir unseren egoistischen Mut verlieren, weiter wir selber zu bleiben. Indem ich also den meinen beschwöre, schreibe ich zu meinem eigenen Trost, in einem Stil, der während der letzten zweihundert Jahre überstrapaziert wurde – aber womöglich als eine der letzten, die ihn pflegt, und vielleicht resultiert aus dieser Vermutung eine besondere Befriedigung. Ich schreibe als sentimentale Reisende über ein Land, das lange schon unter derartigen Reisenden leidet. Aber Spanien muss den letzten Nachzüglern unter seinen fremden Liebhabern verzeihen, wie es den ersten verziehen und sich zu ihnen herabgelassen hat. Es wird keine sentimentalen Reisenden mehr geben – nirgends. Ihre Entschuldigung und ihr Spielraum werden an jenem Tag der Einheitlichkeit, den wir übereinstimmend als einzige Hoffnung für die verstörte Welt betrachten, dahin sein. Tourist ist schon ein veraltetes Wort für die Vernünftigen, die, wenn sie noch nach Russland fahren, es nur tun, um herauszufinden, wie die zweite Hälfte des Jahrhunderts aussehen wird, nicht nur in Moskau, sondern überhaupt. Sie fahren dorthin, um sich Experimente und Modelle anzuschauen, um Versuche zu begutachten, die uns alle betreffen und berühren, die aber natürlich in den aufziehenden Stürmen des Nationalismus noch verscherzt werden können, ehe die wahre Gestalt der Dinge, die auf uns zukommen, in Erscheinung tritt. Trotzdem sind diese Russlandreisen, wie aufschlussreich auch immer, nicht Reisen im alten Sinn des Worts. Sie folgen einem neuen Impuls. Sie reagieren auf unsere kommende Einheitlichkeit, sind keine eskapistische Suche nach dem Neuem, nach Individualismus oder Vergangenheit. Sie sind der Arbeitsurlaub für Soziologen und Moralisten, keine Unterhaltungstrips für Müßiggänger, die ihr Vergnügen suchen. Letztere – das soll nochmal gesagt sein – sind überholt. Und am Ende wird sich auch der Arbeitsurlaub überholt haben. Wenn die europäische Gesellschaft ihre nächste Krise überlebt, wenn die Wissenschaft, die uns zerstört hat, es zulässt oder uns vielleicht sogar dazu verdammt, noch einmal zu leben, dann ist es ein ganz neues Leben, das den Völkern winkt. Denn da die Wissenschaft die Musik bezahlt hat, bestimmt sie mit Sicherheit, was gespielt wird, und diejenigen von uns, die nie vorhatten, nach ihrer Pfeife zu tanzen, können dankbar sein, dass sie zum Zeitpunkt ihrer größten Machtentfaltung still gestellt sind, ganz taub. Es bringt dann nichts, loszugehen, um nach einem schwankenden Rohr zu suchen. Die Leiden und Schönheiten, die durch Unterschiede in Sprache, Glauben und Klima die Landkarte bislang geprägt haben, werden nicht mehr von Belang sein, denn selbst wenn sie noch Potential besitzen – sie werden von der Wissenschaft, diesem internationalen Diktator, der durch Flugreisen, Radio und Fernsehen ohnehin alle nur möglichen Neuerungen zu langweiligem Kamingespräch macht, kontrolliert und überwacht. Die Welt wird flach und eng, wenn das Goldene Horn nur noch einen Steinwurf von Golden Gate entfernt und hinter keinem Hügel mehr etwas Unbekanntes ist. Die menschenleere Antarktis wird zur Wochenendspritztour und unsere Nachkommen – sollten irgendwelche Aufzeichnungen überdauern, die ihre Aufmerksamkeit erregen – werden sich über unser naives Interesse für unsere Nachbarn wundern und lächelnd feststellen, dass sich die Gewohnheiten eines Arabers einmal von denen eines Holländers und die eines Tibeters von denen eines Schotten unterschieden haben. Schon jetzt singt man in den spanischen Dörfern bereits keinen Cante hondo mehr, um einem Durchreisenden eine Freude zu machen – man sucht im Radio nach »Big Ben« oder einem Song von Henry Hall1. Sollte das Ziel der Wissenschaft tatsächlich in einem vernünftigen Überleben der Menschheit bestehen, wird sie gut daran tun, darauf hinzuarbeiten, allen Grundsätzen, die einer ausgewogenen internationalen Einheitlichkeit dienen, erbarmungslos zu folgen und die romantischen Unterscheidungen zu zertreten, durch die die Geschichte, oder unser Begriff davon, uns zu dem Schlachtfeld des zwanzigsten Jahrhunderts geführt hat. In der wiederhergestellten Welt sollte es besser keine Geschichte geben. Lasst sie ganz kahl beginnen, ohne ein Haar – ohne einen einzigen Zahn. Oh, wie eifrig die Wissenschaft versuchen wird, ihre neuen Gesundheitsregeln durchzusetzen. Soll sie nur! In der Zwischenzeit warten wir darauf, dass unsere alte, zerzauste, mangelhafte Welt in einem letzten Anfall explodiert. Und wir zählen unsere unseligen Segnungen – den Ramsch, den wir angehäuft und so besessen geliebt und zu vermehren gesucht haben. Tempel, Paläste, Kathedralen; Bibliotheken voller Unsinn; Bilder, um Tote zu feiern, seltsame Legenden, noch seltsamere individuelle Konzeptionen; Lieder, um Gott zu preisen, oder eine Idee, die wir besaßen und Liebe nannten; Gräber und Buntglasfenster; Symphonien, Sonette, flügellose Siegesgöttinnen – Krimskrams aus zweitausend blödsinnigen Jahren, in denen es der Individualismus nach einer Menge beachtlicher Aufregung schließlich fertig gebracht hat, sich an seiner langen Leine zu erhängen. Es wird hoffentlich nie wieder zweitausend so derangierte oder sinnlos ertragreiche Jahre geben. Mit diesen paar Worten der Selbstherabsetzung – denn wir sind alle Teil unserer beklagenswerten und schuldigen christlichen Ära –, mit diesen paar Worten, mit denen wir die Fortschrittlichen besänftigen, die Vernünftigen beschwichtigen wollen, lassen wir die Jalousien wieder herunter und richten uns von Neuem in unserer alten Behaglichkeit ein. Lasst uns die persönliche Erinnerung preisen, die persönliche Liebe. Behaglichkeit! Während ich schreibe, brennt Irún. Die Times brachte heute Morgen ein Foto von der kleinen Plaza mit den niedrigen Stühlen aus Eisen und den gestutzten Platanen – der alltägliche Ort jeder spanischen Stadt. Das Café an der Ecke ein Haufen zerborstener Steine. Ein paar Männer mit Gewehren stehen niedergeschlagen herum. Die Zeitungen von gestern zeigten uns Frauen an der Küste von Hendaye, die zusehen, wie ihre Häuser auf der anderen Seite der Flussmündung in Flammen aufgehen. Dieser Spanienkrieg, der mit dem uralten spanischen Willen geführt wird, den Tod mit zeremonieller Grausamkeit zu erleiden oder zu vollstrecken – dieser Krieg ist nur ein Geschwür in einer mit Geschwüren übersäten Welt. Aber die individuelle Fantasie – wie die ethnische auch – ist nichts als Selbstschutz, und obwohl niemand, der eine Spur von Vernunft besitzt, über den universellen Terror von Nationalismen, Diktaturen und rassistischer Feindseligkeit hinwegsehen kann, ganz zu schweigen von der absurden Politik der versiegelten Lippen, obwohl niemand bestreiten kann, dass eine Welt, die außerstande ist, Slums, Arbeitslosigkeit, Giftgas oder Minenexplosionen abzuschaffen, dass eine Welt, die sich in der Gewalt von Dürren, Überschwemmungen, Streiks, manipulierten Märkten, Geheimabkommen, privaten Monopolen und...


Kate O'Brien, geboren am 3. Dezember 1897 in Limerick, Irland, starb am 13. August 1974 in Faversham, England. Sie ist eine der wichtigsten irischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Zu ihren bekanntesten Büchern gehören die Romane That Lady (1946) und Mary Lavalle (1936). Letzterer wurde mit Penelope Cruz verfilmt. 1951 erschien Teresa of Avila, O'Briens Biographie der heiligen Theresa von Avila.

Klaudia Ruschkowski, Autorin, Kuratorin, Dramaturgin und Übersetzerin, lebt in Volterra, Italien und Berlin. Sie konzipiert Kunst- und Literaturprojekte und ist als Hörspielautorin tätig. Sie übersetzt aus dem Italienischen und Englischen, zuletzt Etel Adnan, Giuseppe Zigaina, Vincenzo Latronico.

Susanne Gretter studierte Anglistik, Romanistik und Politische Wissenschaft in Tübingen und Berlin. Sie arbeitet als Verlagslektorin in Berlin. Sie ist Herausgeberin der Reihe DIE KÜHNE REISENDE.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.