E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Insel Krimi
Ohle Inselschatten. Inselpolizist Nils Petersen ermittel auf Amrum und Föhr - sein 4. Fall
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86358-983-7
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Insel Krimi
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Insel Krimi
ISBN: 978-3-86358-983-7
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Bent Ohle, 1973 in Wolfenbüttel geboren, wuchs in Braunschweig auf und studierte zunächst in Osnabrück, bis er an die Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg wechselte, wo er als Film- und Fernsehdramaturg seinen Abschluss machte. Heute lebt er mit seiner Familie wieder in Braunschweig.
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Prolog
Der Tag begann wolkenlos. Obwohl der Himmel in seinem hellen Blau so leicht schien, lag eine zum Schneiden schwere Schwüle in der Luft. Kein Windhauch ging, zumindest nicht an Land. Auf dem Wasser reichte die leichte Brise gerade aus, um die Segel der kleinen Boote in der Bucht ein wenig aufzublähen und sie behäbig dahinschippern zu lassen.
Sven war ein erfahrener, ehrgeiziger Segler, doch heute würden sie den geringen Wind für einen kleinen Familienausflug auf See ausnutzen. Nur an einem solchen Tag traute sich seine Frau Marga in die Jolle, die in Steenodde im Hafen lag.
Das Boot hatte Sven vor einigen Jahren in Eckernförde gekauft, um damit seinen »Lebensabend«, wie seine Frau es nannte, einzuläuten. Er hasste dieses Wort. Er war ein Sportsegler und hatte an vielen Regatten teilgenommen. Doch nun, da er langsam in die Jahre kam, musste er sich von dem aktiven Sport verabschieden. Auch weil seine Knochen nicht mehr so mitmachten, wie sie sollten. Arthrose hatte seine Ellbogen- und Hüftgelenke zerfressen. An manchen Tagen waren die Schmerzen so stark, dass er sich nur noch mit einer Handvoll Schmerztabletten ins Bett legen konnte. Sein Schreibtischstuhl blieb dann leer, doch das Nötigste konnte er auch vom Bett aus erledigen. Er besaß eine Dachbaufirma auf Amrum. Ein Familienunternehmen, das auf gesunden Beinen stand, denn auf einer dem Wind und heftigen Stürmen ausgesetzten Insel wie Amrum waren Dacharbeiten immer gefragt, erst recht, wenn der Tourismus es verlangte.
Die »Marlene«, wie sie das Boot getauft hatten, war eine Idee seiner Frau gewesen, ein fauler Kompromiss, wie er fand. Sie wollte, dass er langsam »zur Ruhe kam«, wie sie es nannte, daher hatte er sich nach einem »Familienboot« umschauen sollen. Er konnte es nicht leiden, wie seine Frau sich manchmal ausdrückte. Ihr Gerede verursachte bei ihm Kopfschmerzen, und mitunter meinte er, dass seine Arthroseschübe Reaktionen auf Margas dummes Geschwätz waren. Wenn er Schmerzen hatte, ließ sie ihn in Ruhe.
Seine Vorfreude auf den heutigen Tag hielt sich daher in Grenzen. Es war morgens um zehn Uhr schon an die siebenundzwanzig Grad heiß, und er war bereits durchgeschwitzt, als er die paar Minuten mit dem Rad bis nach Steenodde zurückgelegt hatte. Er sollte hier alles vorbereiten, obwohl es nichts vorzubereiten gab. Aber so hatte er ein wenig Zeit für sich allein, bevor Marga mit Essen für acht Personen und Klamotten, die für drei Tage reichen würden, nachkam.
Marga war im Keller und suchte verzweifelt nach den Friesennerzen, die eigentlich in einem der Kleiderschränke hier unten hätten hängen müssen. Ratlos blieb sie in der Mitte des niedrigen Raumes stehen und wischte sich mit dem Ärmel eine Haarsträhne aus der verschwitzten Stirn. Im Keller war es angenehm kühl, und sie hoffte, dass es später auf dem Meer auch eine kühlende Brise geben würde, denn die seit Tagen andauernde Hitze war einfach niederschmetternd. Jeden Abend fiel sie wie tot ins Bett, und in der Nacht wachte sie wieder auf, weil es immer noch zu warm war im Schlafzimmer. Wurde Zeit, dass das aufhörte. Irgendwann, so schnell wie möglich, wenn es nach ihr ginge, musste ein Gewitter kommen, auf das endlich ein Wetterwechsel folgte.
Sie schlug sich auf den Oberschenkel, als ihr wieder einfiel, dass die Regenjacken noch im Rucksack waren. Der stand oben in ihrem Schlafzimmer.
Sie stieg die Treppe hinauf, und mit jeder Stufe schien es ein Grad wärmer zu werden. In der Küche stand bereits die Sonne und spiegelte sich grell auf dem Fliesenboden und dem Herd. Die geschmierten Brote, etwas Obst und ein Rest kalter Braten von gestern Abend waren sorgfältig in Tüten und Tupperdosen verpackt. Drei Flaschen Wasser standen bereit. Sie bezweifelte beim Anblick der Lebensmittel, dass sie alles in einem Rucksack unterkriegen würde, und konnte Sven jetzt schon deswegen fluchen und spitze Bemerkungen machen hören. Er war so oft so schrecklich genervt von ihr.
Eine drückende Angst lastete auf ihren Schultern, dass ihr Mann sie nicht mehr liebte, dass er nur aus reinem Pragmatismus oder vielleicht auch aus reiner Faulheit bei ihr blieb. Sie spürte nichts mehr zwischen ihnen. Keine Nähe, keine… keine… Sie suchte nach dem richtigen Wort und biss sich dabei mit den oberen Schneidezähnen auf die Lippe.
Keine Verbindung. Das war es. Es gab nichts mehr, das sie verband. Aber so ein Familientag wie heute konnte daran vielleicht etwas ändern und ihm ins Gedächtnis rufen, wie es früher einmal gewesen war.
Ist es jemals anders gewesen? Sie hörte in ihrem Innersten ihre eigene Stimme diese Frage stellen. Doch, sicher, antwortete sie sich selbst. Sie stopfte das Essen in eine große Tragetasche. Sie würden es sich gut gehen lassen heute. Es würde ein wunderbarer Tag werden, trotz der Hitze und allem anderen. Sie waren schließlich eine Familie.
Die heiße Luft drückte wie ein Gewicht auf das Land, und Sven fühlte sich schon ein wenig duselig im Kopf, so als hätte er zwei, drei Bier getrunken, als die beiden endlich auf der Mole erschienen. Kopfschüttelnd nahm er die zwei Taschen und den Rucksack zur Kenntnis, die Marga bei sich trug. Der Junge sah wie immer völlig abwesend aus, so als interessierte ihn gar nichts auf dieser Welt.
»Hallo, du!«, rief seine Frau vom Steg aus. Auch so ein Begrüßungssatz, den er nicht mehr hören konnte.
»Kommt schon, es wird sonst zu spät«, maulte er und löste das Tau. Das Boot begann zu schwanken, als die beiden einstiegen, doch Sven tarierte sich geübt aus und stieß das Boot ab. In der Bucht waren noch sieben oder acht weitere Jollen unterwegs. Unerträglich langsam, wie Sven fand. Er wollte weit rausfahren, um etwas Wind zu bekommen, doch das Wasser, dem das nahtlose Blau des Himmels seine satte Farbe verlieh, lag da wie ein flüssiger Spiegel, und die schwach rollenden Bugwellen der »Marlene« glitten ölig zur Seite fort.
Der Junge hatte sich an den Bug gesetzt, während Marga steuerbords saß, mit all den Taschen zwischen ihren Füßen, und irgendwie verklärt in die hoch stehende Sonne blickte.
»Es ist wunderschön«, sagte Marga mit einer leisen, aber klaren Stimme.
Die Augen ihres Sohnes drehten sich zu ihr, ohne dass er ihr seinen Kopf zuwandte. Sie wartete auf so etwas wie eine Antwort von Sven, doch der schob nur das Ruder weit nach Backbord und kreuzte den Weg der Segler, die hier in einer Linie zwischen Wittdün-Hafen und der Mole in Steenodde herumschipperten. Er steuerte weiter hinaus, wenn auch langsam, in die Fahrrinne, die zunächst südöstlich verlief und dann eine Kehre in Richtung Nordwesten auf Sylt zu machte.
»Hast du was zu trinken dabei?«, fragte Sven.
»Sicher.« Marga öffnete die Tasche und zog eine der Flaschen heraus.
Sven trank sie fast zur Hälfte leer und gab sie zurück.
»Du auch?«, fragte sie und hielt ihrem Sohn die Flasche hin.
Lars schüttelte aber nur den Kopf und blickte hinaus aufs Meer.
»Gut, dass wir das gemacht haben. Das Beste an so einem Tag«, sagte sie.
Auch dieser Satz blieb unbeantwortet. Nur der Wind wurde etwas stärker und blähte das Segel wie zur Bestätigung auf. Sven blickte nach oben in das weiße Tuch.
Lars, der den Blick weiterhin fest auf den Horizont gerichtet hatte, konnte bereits sehen, was den Luftzug verursacht hatte. Im Rücken seines Vaters, an der Westseite von Föhr, zogen schiefergraue Wolken auf. Es war ein sich schnell vorwärtsbewegendes, scheibenförmiges Gebilde, das sich wie ein Dach über den Horizont spannte. Das eisglatte Meer hatte seine Farbe urplötzlich gewechselt, ein gefährliches Braun breitete sich aus, und die Oberfläche kräuselte sich im aufkommenden Wind.
»Endlich«, sagte Sven, und eine freudige Spannung straffte seinen Körper. Marga konnte die Wolkenwand nicht sehen. Das Großsegel versperrte ihr die Sicht.
Sie glitten immer schneller dahin, weg von der Mole. Die anderen Segelboote waren wieder im Hafen oder steuerten darauf zu. Lars hörte das Wasser gegen den Rumpf plätschern. Nur noch wenige Minuten, und die riesige Wolkenformation würde die Sonne erreichen.
Mit einem Mal kam ein kräftiger Windstoß. Die Segel strafften sich mit einem tiefen Geräusch, das fast wie eine Explosion klang, und die Stagreiter an der Fock klirrten. Das Boot machte einen Satz nach vorn, und Marga ließ einen hohen Schrei hören. Sie klammerte sich an die Bootswand. Sven drehte sich um und sah das Gewitter, das über Föhrs Westseite walzte. Dann wurde es dunkel, als hätte jemand das Licht ausgeknipst. Die Sonne war verdeckt, und wieder schrie Marga.
»Sven, was ist los?«, rief sie und lief schwankend, fast auf allen vieren, zu ihrem Mann an das Heck. Sie blieb wie eingefroren stehen, als sie hinter dem Großsegel das Unwetter erkannte. Ihr Mund öffnete sich, doch bevor sie ein Wort herausbringen konnte, löste sich ein Donnern aus dem schiefergrauen Monster. Erst ein Krachen wie brechendes Eis, gefolgt von einem Reißen, und dann zwei tiefe, alles erbeben lassende Paukenschläge. Marga verlor das Gleichgewicht und fiel auf ihren Hintern.
Sven brachte mit ein paar schnellen Handgriffen das Boot zum Kehren. Der Baum schwang gefährlich nah über Margas Kopf hinweg. Ächzend fuhr die alte Jolle eine Rechtskurve, und der Wind, der immer lauter wurde, drückte die Segel zur Seite, sodass das Boot zu kippen drohte. Margas prall gefüllte Taschen fielen um, Äpfel und Brötchen kullerten über das Deck.
»An den Mast!«, befahl Sven und blickte zu den Wolken hinauf, aus denen nun ein prasselnder Regen auf sie niederstürzte. Marga schrie erneut, und diesmal konnte man ein Lächeln auf Svens Gesicht erkennen. Der...




