E-Book, Deutsch, Band 407, 256 Seiten
Reihe: Historical
Oliver Liebespfand für den Ritter ihres Herzens
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7515-2669-2
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 407, 256 Seiten
Reihe: Historical
ISBN: 978-3-7515-2669-2
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
England im Jahr 1221: Ungläubig blickt Lady Gwenllian auf das lilafarbene Band in ihren zarten Händen. Ein Ritter, sein Gesicht verborgen hinter dem eisernen Helm, hat es ihr zu Beginn des Turniers zugesteckt. Sie kennt dieses Stück Stoff genau: Damals hat sie es Ralph de Kinnerton als Pfand ihrer ewig währenden Zuneigung überreicht. Ihre Liebe zerbrach, weil Gwen sich weigerte, mit ihm bei Nacht und Nebel die Burg zu verlassen. Doch nie hat sie Ralphs Küsse vergessen. Und nie ihre Tränen, als sie von seinem Tod erfuhr! Sie muss herausfinden, wer der Ritter ist - und traut ihren Augen nicht, als er den Helm abnimmt ...
Weitere Infos & Material
1. KAPITEL
England im Jahre 1221, vor den Mauern von Schloss Pulverbatch, Shrewsbury
Als Ralphs Blick auf die schöne Frau fiel, welche mit einem hauchzarten Schleier über ihrem flachsblonden Haar unter den Zuschauern saß, begann sein Puls zu rasen. Denn er erkannte sie wieder, als hätten sie sich erst gestern getrennt.
Sie zu sehen, erschütterte ihn bis ins Mark, und das bevorstehende Turnier war ihm plötzlich kaum noch wichtig. Da er merkte, wie er erbleichte, war er heilfroh, dass sein Gesicht vom Visier seines eisernen Helmes verdeckt war. Um Selbstbeherrschung bemüht zwinkerte er und schloss für Sekunden die Augen. Ja, diese Frau war ihm wie keine andere vertraut.
Unversehens zog sich ihm die Kehle zusammen, und er schluckte. So ist sie also hier, dachte er voll Bitterkeit, Lady Gwenllian ferch Hywel of Clwyd. Ralph war einst mit ihr verlobt gewesen, die Liaison aber hatte keinen guten Ausgang genommen. Denn am Ende hatte Gwenllian ihm das Herz gebrochen.
In seiner Jugend hatte er sich ihr mit Leib und Seele ergeben, schließlich aber einsehen müssen, dass er einem Trugschluss aufgesessen war. Seither waren sechs Jahre ins Land gegangen.
Lieber Gott, seufzte er unhörbar, ich hoffte, das alles hinter mir gelassen zu haben. Tatsächlich war es fast einer Gnade gleichgekommen, als er vor zwei Jahren für eine Weile sein Gedächtnis verloren hatte, nachdem er aus dem Hinterhalt attackiert und fast umgebracht worden war. Das war in Aquitanien nahe dem Dörfchen St-Jean-de-Côle geschehen, wo die Angreifer ihn irrtümlich für tot liegengelassen hatten. Am Ende eines langen Genesungsprozesses aber war die raue Wirklichkeit wieder über ihn hergefallen, und der unerträgliche Schmerz um seinen toten Vater und den verlorenen Familienbesitz hatte ihn aufs Neue gepackt. Der Verlust der geliebten Frau aber hatte alldem die Krone aufgesetzt, war doch sein uneingeschränktes Vertrauen in sie schwer enttäuscht worden.
„Ist alles in Ordnung mit Euch?“ Sir Thomas Lovent, der an diesem Tag als Ralphs Junker fungierte, warf seinem Freund aus den Tiefen seiner Kapuze einen besorgten Blick zu, während er ihm sein Schild und das stumpfe Schwert reichte, welches bei einem Übungsturnier zum Einsatz kam.
„Mir geht es gut“, behauptete der Angesprochene, worauf Tom zweifelnd die Brauen hob, sich aber jeden Kommentars enthielt.
Beide gehörten zum Gefolge Sir William Geraints, Lord von Clancey, welches gegen die Ritter eines anderen Lords zu einem Schaukampf antrat. Während Ralph beobachtete, wie alle sich bereitmachten, wurde er sich der Schwere seines Helmes bewusst, welcher hart auf die Narben drückte, welche er damals in Aquitanien davongetragen hatte. Dort war ihm die rechte Seite seines Gesichts arg zerhauen worden, sodass er noch immer an den Folgen trug. Lange hatte es gedauert, bis er sich von dem erlittenen Blutverlust erholt hatte, und es war ein Segen, dass er wenigstens seinen linken Arm uneingeschränkt gebrauchen konnte. Denn der rechte versagte ihm weitgehend den Dienst.
Auf Ralphs Bitte hin lockerte sein Freund die Bänder, welche ihm das Kettenhemd am Hals zusammenhielten. Da atmete er auf, war ihm doch bei Gwenllians Anblick die Brust eng geworden.
„Ist es besser so?“, fragte Tom.
„Ja, jetzt ist alles gut“, gab Ralph nicht ganz wahrheitsmäßig zurück.
Seit er sich in der Nähe Kinnerton Castles befand, wo er aufgewachsen war, ging es ihm alles andere als gut. Und setzte es ihm schon zu, dass seine alte Heimat ihm verwehrt war, tat die Anwesenheit seiner ehemaligen Verlobten ein Weiteres dazu, ihm die Seele zu beschweren. Im Grunde hatte er gehofft, ihr nach jener schicksalsträchtigen Nacht vor Schloss Kinnerton nie wieder begegnen zu müssen.
„Hütet Euch vor de Fevre, der seine Streiche gern von unten nach oben führt“, mahnte sein Freund.
„Wir führen nur einen Schaukampf, Tom“, wehrte sein Freund den Rat ab.
„Was nicht heißen darf, auf den Sieg zu pfeifen“, versetzte Tom. „Am besten nutzt Ihr die verbleibende Zeit, um Eure Gegner zu beobachten und ihre Schwächen einzuschätzen.“
Erst als Ralph sich dazu herabließ, sich durch die Helmschlitze prüfend umzusehen, fiel ihm auf, dass die Ritter in ständiger Bewegung waren. „Ich frage mich, warum sie dauernd hin- und herlaufen“, sagte er. „Auf was zum Teufel sind sie aus?“
„Dreimal dürft Ihr raten“, grinste Tom. „Natürlich versuchen sie, sich der Gunst eines Edelfräuleins zu versichern. Wie oft kommt man den schönen Ladys des königlichen Hofes schon so nahe?“
Und in der Tat: Immer wieder schlenderten einzelne Recken zur Zuschauertribüne hinüber, wo eine nach der anderen hübschen Jungfer ihrem Favoriten unter allgemeinem Jubel ein Tüchlein oder ein buntes Band überreichte.
Ohne weiter zu überlegen, machte auch Ralph sich dorthin auf den Weg.
„Ich sehe wohl nicht recht?“, rief Tom ihm übermütig nach. „Macht Ihr denn alles nach?“ Sein Freund aber drehte sich nicht mehr um, sondern ging mit langen Schritten auf den überdachten Bereich zu, der dem Gefolge des königlichen Schirmherrn vorbehalten war. Dieser, der junge King Henry, befand sich auf einer Rundreise durch sein Herrschaftsgebiet.
Während der allgemeine Lärm in Ralphs Ohren zu einem dröhnenden Trommelwirbel anschwoll, dachte er daran, welche Rätsel das purpurne Band an seinem Handgelenk ihm während seiner Genesung aufgegeben hatte. Erst nach Monaten war ihm die Erinnerung wiedergekommen, wer es ihm dereinst verehrt hatte.
Unversehens wurde ihm heiß vor Zorn und er ertrug das verblichene Andenken nicht länger auf der Haut. Und während er Schwert und Schild zu Boden warf, die Fausthandschuhe auszog und mit zitternden Fingern das Band aufknüpfte, wünschte er aus tiefstem Herzen, im selben Zuge die Erinnerung an seine Verlobte für immer loszuwerden.
Anders als die übrigen Ritter nahm Ralph seinen Helm nicht ab, obwohl man ihm das als Unhöflichkeit hätte auslegen können. Zum einen aber wollte er Gwenllian ferch Hywel in dem Glauben lassen, er sei in Aquitanien ums Leben gekommen. Und zum anderen hatte er sich unter dem Namen seines Freundes Sir Thomas Lovent bei dem Turnier angemeldet und musste sich vorsehen, nicht verraten zu werden. Ralph brauchte den Silberschatz, der auf den Sieg ausgesetzt war, wie das Brot zum Leben. Galt es doch, die hohe Steuer abzuzahlen, welche King John, Henrys Vater, nach dem Ableben des alten Barons von Kinnerton auf den Stammsitz erhoben hatte. Bis Ralph die exorbitante Summe aufbrachte, lag die Hand der Krone auf seinem Besitz, sodass er, der einzige Sohn Walter de Kinnertons, sein Erbe nicht antreten konnte.
Nein, der Ritter wollte wirklich nicht, dass Gwenllian etwas von seinen Nöten erfuhr. Er fand, diese gingen sie nicht das Geringste an, zumal er eine freundliche Anteilnahme ihrerseits ohnehin für ausgeschlossen hielt. Dass sie für sein Schicksal fürderhin kein Interesse mehr aufbrachte, hatte sie ihm vollkommen klargemacht, als sie sich zuletzt begegnet waren. Mehr Beweise ihrer Gleichgültigkeit hätte er nicht ertragen, zumal er sie nach all den Jahren verheiratet wähnte.
Ihm war nichts weiter wichtig, als diejenigen, welche ihm Unrecht angetan hatten, zur Verantwortung zu ziehen und Gerechtigkeit zu erlangen. Vor allem sein Cousin Stephen le Gros hatte ihm übel mitgespielt, und Ralph malte sich oft aus, wie er sein Eigentum von ihm zurückforderte.
Jetzt nahm er seinen Mut zusammen, trat an das Podest heran, auf dem Gwenllian saß, und hielt ihr das feine Band hin, welches sie ihm einst geschenkt hatte. Erst als dieses schon vor ihren Augen baumelte, hob sie den Blick, und Ralph stockte vor Bestürzung der Atem. Denn war die junge Frau nach all den Jahren auch ebenso lieblich anzuschauen wie früher, muteten ihre blauen Augen doch erschreckend leer an. Auf den Ritter wirkte sie so geistesabwesend, als befände ihre Seele sich in einer anderen Welt.
Tief betroffen verhielt er in seiner Geste, als sich langsam, ganz langsam etwas Leben in ihre Miene stahl. Und während ihre Wangen sich röteten und ihre Brauen sich fragend zusammenzogen, hob sie wie fassungslos die Hand und streckte sie nach dem alten Andenken aus. Bei dem Versuch, das Band aus Ralphs Fingern zu lösen, streifte sie seine Hand, wobei ihn ein längst vergessenes Gefühl durchfuhr.
So nah stand er vor ihr, dass er die kleine Narbe über ihrem rechten Augen wiedererkannte, die Gwen, wie er sie früher genannt, einst bei einem gemeinsamen riskanten Schwimmmanöver davongetragen hatte. Da begann sein Herz vor Schmerz schneller zu pochen, war doch das Versprechen, das sie sich gegeben hatten, damals noch ungebrochen gewesen.
Später aber, nach dem Betrug seines Cousins an ihm, der ihm den Besitz entrissen hatte, war es zur Stunde der Wahrheit gekommen. Ralph hatte fliehen müssen, um sein Leben zu retten, Gwen sich aber geweigert, mit ihm zu gehen. Ich muss Ehre und Pflichterfüllung über meine Gefühle stellen, hatte sie behauptet. Ihr seid verarmt, da der nächste Baron von Kinnerton ein anderer sein wird. Deshalb muss ich unsere Verbindung aufkündigen.
Bei der Erinnerung daran wandte der Ritter sich schaudernd ab, war er doch entschlossen, seine Vergangenheit mit Gwenllian für immer hinter sich zu lassen. Nun er ihr das Unterpfand ihrer Liebe zurückerstattet hatte, war nichts mehr von Bedeutung für ihn, als dem Turnier seine Zukunft abzutrotzen.
So bin ich es nun, der Ehre und Pflichterfüllung voranzustellen hat, dachte er mit bitterem Spott. Die Lady aber muss ich vollends vergessen, ist doch das Band,...