E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Omido / Hoffmann Mit der Wut einer Mutter
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95890-281-7
Verlag: Europa Verlage
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Geschichte der afrikanischen Erin Brockovich
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
ISBN: 978-3-95890-281-7
Verlag: Europa Verlage
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als Phyllis Omido 2007 ihren neuen Job in der Verwaltung einer Recyclinganlage für Altbatterien nahe Mombasa antritt, stürzt sie sich mit Eifer in die Arbeit. Doch plötzlich erkrankt ihr kleiner Sohn lebensgefährlich: Der Bleigehalt in seinem Blut ist um das 37-Fache erhöht, das Kind ist hochgradig vergiftet. Als die junge Mutter recherchiert, was ihren Sohn krank gemacht hat, stößt sie auf alarmierende Ergebnisse: Seit ihre Fabrik vor Ort tätig ist, häufen sich massive Gesundheitsbeschwerden bei der Bevölkerung. Kurzerhand kündigt Phyllis ihren Job, pflegt ihr Kind und sammelt Beweise für die lebensbedrohlichen Umweltsünden ihres Arbeitgebers.
Unermüdlich warnt sie vor dem bleiverseuchten Grundwasser im Umkreis der Anlage, organisiert Massenproteste und erzwingt unter Gefährdung ihres Lebens die Schließung der Metal Refinery. Als die Regierung die Fabrik erneut öffnet, wendet sich die Alleinerziehende an internationale NGOs und startet ihren Kampf gegen die Bleischmelzen in ganz Kenia. Mit der Wut einer Mutter legt sich Phyllis Omido mit internationalen Unternehmen an und verklagt sogar den kenianischen Staat auf Wiedergutmachung und das Recht auf unversehrte Gesundheit. In ihrem mit Spannung erwarteten Buch erzählt die wohl mutigste Umweltaktivistin Afrikas erstmals ihre ganze Geschichte und zeigt dabei auch globale Zusammenhänge auf: Denn ein Großteil des krank machenden Bleis stammt aus Europa, das in Afrika unter Missachtung geltender Umweltauflagen entsorgt wird.
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KAPITEL 2
Ein Todesurteil
»Bling!« Meine Mailbox auf dem Rechner meldet einen neuen Posteingang, und ein Blick auf den Absender verrät mir, dass die Stunde der Wahrheit gekommen ist: Fred Owiti hat seinen Bericht geschickt. Ich klicke auf das PDF-Dokument im Anhang. Bereits die ersten Sätze verursachen mir eine Gänsehaut. »Das Blei, das in der Metal Refinery verarbeitet wird, ist für die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen sehr schädlich«, lese ich. »Gelangt das Schwermetall ins Wasser und von dort über die Nahrungskette in den Körper, kann es die Organe und das zentrale Nervensystem schädigen. Es lagert sich in den Knochen ab und stört die biochemischen Prozesse im Körper.« Neben Blei werde beim Einschmelzen der Batterien auch noch Schwefelsäure freigesetzt. Diese wirke ätzend und schädige das menschliche Gewebe, führt Fred Owiti aus. Er kommt zu dem Schluss, dass die Menschen von Owino Uhuru von der Anlage nichts Gutes zu erwarten hätten, dass die gesundheitlichen Schäden den wirtschaftlichen Nutzen bei Weitem übertreffen würden. »Die Recyclinganlage muss dringend aus dem Wohngebiet entfernt werden«, empfiehlt er. Ich lege den Bericht beiseite. Die Einschätzung des Fachmanns ist vernichtend. Wenn die NEMA das Dokument in die Finger bekommt, wird sie uns ganz sicher keine dauerhafte Lizenz erteilen. Wird sich die Metal Refinery dann einen anderen Produktionsstandort suchen? Was wird das für die Arbeiter und letztlich auch für mich bedeuten? Habe ich mir durch mein Beharren auf das Gutachten am Ende den eigenen Arbeitsplatz geraubt? Andererseits hätte ich es auch nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können, den ordnungsgemäßen Weg zu ignorieren. Klar, auch ich hatte nicht damit gerechnet, dass das Gutachten so katastrophal ausfallen würde. Aber es gibt in Kenia nun einmal Gesetze, die wir zu beachten haben. Alles muss seinen korrekten Gang gehen, andernfalls wäre das vorsätzlicher Betrug gewesen. Schweren Herzens drucke ich den Report aus und klopfe – in der Vorahnung eines heraufziehenden Gewitters – an die Bürotür von Herrn Shah. »Der Umweltbericht ist da!« Shah sieht von seinem Schreibtisch auf. »Ah, gut. Und Sie sind auch endlich da«, sagt er mit einem demonstrativen Blick auf die Uhr. »Und? Was sagt unser Experte?« »Tja«, druckse ich herum. »Lesen Sie selbst.« Shah beginnt, sich in den Text zu vertiefen, und mit jeder Zeile verfinstert sich seine Miene mehr. »Dieses Geschmiere ist eine Unverschämtheit!«, ruft er schließlich. »Und wir bezahlen diesen Umweltheini auch noch. Was fällt ihm eigentlich ein?!« Shah starrt mich wütend an, sein Blick lässt keinen Zweifel, dass er mir die Schuld für Owitis verheerende Analyse gibt. »Dieser Report wird unser Haus auf keinen Fall verlassen«, knurrt er. »Verstanden?« »Ja, verstanden«, murmele ich und kann seinen Ärger sogar verstehen. Aus seiner Sicht habe ich mit meinem Übereifer eine Situation heraufbeschworen, die den Betrieb der Fabrik gefährden kann. Doch falls die Emissionen der Metal Refinery tatsächlich so schädlich sind, wie der Experte schreibt, geschieht es der Werksleitung vielleicht ganz recht, wenn ihnen jemand Grenzen aufzeigt. Und ich bin ganz sicher, dass es Maßnahmen gibt, mit denen wir gegensteuern und die NEMA am Ende doch noch überzeugen können: bessere Filter, höhere Schornsteine oder dergleichen. Die Metal Refinery muss sich eben bemühen, umweltfreundlicher zu werden. Shah reißt mich aus meinen Gedanken. »Ich werde den Verfasser dieses Papiers persönlich kontaktieren, nicht, dass er noch redet. Und jetzt gehen Sie mir aus den Augen«, herrscht mein Vorgesetzter mich an. Ein Wunsch, dem ich gerne nachkomme. Als ich abends zurück ins Krankenhaus komme, geht es King immer noch nicht besser. Das Antibiotikum, das ihm der Arzt aus der Notaufnahme verordnet hat, kann so schnell natürlich nicht angeschlagen haben. Trotzdem hatte ich eine leise Hoffnung gehabt, dass es umgehend wirkt. Inzwischen haben sie ihn auch auf Malaria, Typhus, HIV, das Rotavirus und Denguefieber getestet – ohne Ergebnis. Ich betrachte meinen Jungen, wie er unter einem weißen Laken in diesem viel zu großen Krankenhausbett liegt. Auf seiner Stirn schimmern kleine Schweißperlen. Ob er erneut Fieber hat? Vorsichtig ziehe ich das Laken ein Stück beiseite, um King etwas Kühlung zu verschaffen. Wenig später schlägt er die Augen auf. »Mama«, sagt er, dann beginnt er, leise zu wimmern. Es gibt nichts Schrecklicheres, als hilflos mit ansehen zu müssen, wie das eigene Kind leidet. Daneben wird alles, was ich derzeit im Büro erlebe, zur Nebensache. Was Shah mit Owitis Bericht macht – was geht mich das an? Ich will nur, dass mein Junge wieder gesund wird. Die Nacht verbringe ich bei King im Krankenhaus. Gegen Mitternacht, als die Schwester ihre letzte Runde gemacht hat, schlüpfe ich zu ihm ins Bett. Der Junge ist so heiß wie ein Ofen. Doch es beruhigt ihn, meine Nähe zu spüren, und mit einem tiefen Seufzer schmiegt er sich vertrauensvoll an mich. Unfähig, selbst ein Auge zuzutun, streichele ich seinen Kopf, während er schläft. Am nächsten Morgen bin ich wie gerädert. Ungeduldig warte ich auf die Visite der Ärzte. Aber einer der Pfleger lässt mich wissen, dass sie sich oft erst zur Mittagszeit blicken lassen. So lange kann ich nicht hierbleiben: Herr Shah, der für heute ein Krisentreffen wegen des Berichts anberaumt hat, würde mich umbringen, wenn ich abermals zu spät käme. Ich habe nicht einmal mehr Zeit, um nach Hause zu fahren und meine Kleider zu wechseln. Glücklicherweise habe ich ein Fläschchen »J’Adore« in meiner Handtasche. Ausgiebig sprühe ich mich mit dem Parfum ein, sodass ich wenigstens angenehm rieche, wenn ich mich schon nicht richtig frisch machen kann. Das Meeting startet um neun Uhr. Zu meiner Überraschung sind nicht nur Vorq und Bhatavea gekommen, sondern auch ihr kenianischer Partner, Hesron Awiti Bold, der sich sonst nie auf dem Firmengelände blicken lässt. Ihm gehört das Land, auf dem die Metal Refinery steht. Ich kenne ihn aus dem Fernsehen, denn Awiti ist Politiker. Normalerweise steht er hinter einem Mikrofon und macht seinen Anhängern vollmundige Versprechungen. Sein Markenzeichen ist ein großer, breitkrempiger Hut, der seinem bulligen Gesicht eine tatkräftige Ausstrahlung verleihen soll. Den Hut trägt Awiti auch jetzt. Missmutig blickt er unter der Krempe hervor. »Es war eine idiotische Idee, diesen Wissenschaftler anzuheuern«, poltert Awiti los, noch bevor die Unterredung offiziell begonnen hat. Herr Shah, der rangniedrigste unter den Männern, macht ein zerknirschtes Gesicht. »Wir haben ihn inzwischen gefeuert«, versichert er. »Sie müssen hundertprozentig sicherstellen, dass diese Untersuchung nicht publik wird«, fordert Awiti. Vorq und Bhatavea nicken zustimmend, Herr Shah versichert unterwürfig, dass dies keinesfalls geschehen werde. Ich traue meinen Ohren kaum. »Aber wir brauchen doch die Umweltlizenz – und dafür verlangt die NEMA nun einmal einen Expertenbericht«, wage ich es, den Männern zu widersprechen. Alle Augen richten sich auf mich. Ich habe das Gefühl, dass Vorq und Bhatavea erst jetzt zur Kenntnis nehmen, dass ich überhaupt anwesend bin. Awiti starrt mich an wie ein Krokodil auf Beutejagd, sein breiter Mund scheint bereit, jeden Moment zuzuschnappen. »Und wer bitte schön sind Sie?« »Ich bin Phyllis Omido.« »Unsere neue Buchhalterin und Personalrekruterin«, erklärt Herr Shah. »Frau Omido hat uns gesagt, wir könnten Ärger mit den Behörden vermeiden, wenn wir den Bericht erstellen ließen.« »Was für ein Unsinn!«, schimpft Awiti. »Als Kenianerin sollten Sie es eigentlich besser wissen, Frau Omido!« »Aber ohne Umweltplakette machen wir uns strafbar«, beharre ich. »Ach, was wissen Sie schon von diesen Dingen?«, herrscht er mich mit verächtlicher Stimme an. Der Politiker zeigt deutlich, dass er mich nicht als gleichwertigen Gesprächspartner betrachtet. »Wenn Ihnen Ihr Job lieb ist, lassen Sie in Zukunft die Finger von solchen Recherchen«, droht er mir. »Und die NEMA lassen Sie mal schön meine Sorge sein.« Am Ende des Meetings bin ich total frustriert. Was für eine Demütigung! Wozu haben mich meine Chefs überhaupt eingestellt, wieso haben sie mich damit beauftragt, ihnen mit den Behörden zu helfen, wenn sie gar nicht vorhaben, sich an die Gesetze zu halten? Wieder und wieder gehe ich die Situation in Gedanken durch, und jedes Mal komme ich zu dem Schluss, dass ich mir nichts vorzuwerfen habe. Ich habe meine Arbeit ordentlich und im Rahmen des Gesetzes erledigt, für das Ergebnis des Gutachtens...