I. Walthers Gedichte – Rühmkorfs Übertragungen
| Nû wil ich mich des scharpfen sanges ouch genieten: |
| dâ ich ie mit vorhten bat, dâ wil ich nû gebieten. |
| ich sihe wol daz man hêrren guot und wîbes gruoz |
| gewalteclîch und ungezogenlîch erwerben muoz. |
5 | singe ich mînen höveschen sanc, sô klagent siz Stollen. |
| dêswâr ich gewinne ouch lîhte knollen: |
| sît si die schalkheit wellen, ich gemache in vollen kragen. |
| ze Ôsterrîche lernt ich singen unde sagen: |
| dâ wil ich mich allerêrst beklagen: |
10 | vind ich an Liupolt höveschen trôst, so ist mir mîn muot entswollen. |
(ge)nieten üben, sich befleißigen | vorhte Angst, Sorge | guot Vermögen, Besitz | Stolle(n) wohl Eigenname eines nicht mehr bekannten Dichters | lîhte leicht | knollen Wut (eig. ›dicker Hals‹) | in ihnen | vollen kragen machen redensartl. für ›durchprügeln‹ | Liupolt Leopold VI. (1176–1230), Herzog von Österreich und der Steiermark | muot hier: schlechte Gemütslage (›daß mir der Kamm abschwillt‹)
| Jetzt will ich meine scharfe Klinge auch mal nutzen. |
| Wo ich sonst Klinken putzte, ein paar Federn stutzen. |
| Ich weiß schon, daß man Herrenlohn und Frauendank |
| am ehesten erreicht mit Lärm und Mißgesang |
5 | Singe ich höfisch, werd ich gleich bei Stolle angeschmiert – |
| Paßt auf! für Wutanfälle wird nicht garantiert. |
| Wer mich bespeien will, dem geh ich an den Kragen. |
| In Österreich hab ich gelernt zu dichten und den Takt zu schlagen. |
| Dort will ich mich zunächst beklagen: |
10 | Wo Leopold mich stützt, mag sein, daß sich mein Grimm verliert. |
Ton 12, IV; WKI Nr. 2. Textvorlage Rü: Stapf S. 118; textkritischer Standard: Bein S. 104. Im Nachlaß Rü Entwicklung der Übertragung und Varianten auf 9 Typoskriptseiten, darunter: Jetzt will ich meine scharfe Klinge auch mal zeigen. / Wo ich sonst höflich anstand, meine Meinung geigen. / Ich weiß schon, daß man Herrenlob und Frauendank / bestens erreicht mit Dreistigkeit und Mißgesang. / Singe ich höfisch, werd ich gleich bei Stolle angeschmiert – / Paßt auf! für Wutanfälle wird nicht garantiert. / Wer mich bespeien will, dem fahr ich an den Kragen. / In Österreich hab ich gelernt, den Takt zu schlagen. / Dort will ich mich zu allererst beklagen. / Wo Leopold mich schützt, vielleicht, daß sich mein Grimm verliert.
| Swer mir ist slipfic als ein îs |
| und mich ûf hebt in balles wîs, |
| sinewell ich dem in sînen handen, |
| daz sol zunstæte nieman an mir anden, |
5 | sît ich dem getriuwen friunde bin |
| einlœtic unde wol gevieret. |
| swes muot mir ist sô vêch gezieret, |
| nû sus nû sô, dem walge ich hin. |
in balles wîs wie einen Ball | sinewel kugelrund, rollend | zunstæte ze unstæte, als Unbeständigkeit | einlœtic von gleichem Lot (Gewicht) | vêch bunt | walge(n) (sich) wälzen, rollen
| Wer mir eisglatt begegnet und |
| mich packt als wär ich kugelrund, |
| dem werd ich wie ein Ball entgleiten. |
| Redet mir nicht von Schlüpfrigkeiten: |
5 | Bei treuen Freunden hab ich festen Stand, |
| völlig im Lot und klar umrissen – |
| Nur dem, der selber tappt im Ungewissen, |
| mal so – mal so, dem roll ich aus der Hand. |
Ton 54 (Bogenerton), VII; WKI Nr. 3. Textvorlage Rü: Stapf S. 222; textkritischer Standard: Bein S. 321. Im Nachlaß Rü Entwicklung der Übertragung und Varianten auf 2 Manu-, 3 Typoskriptseiten, darunter V. 5–9 in 3 Fassungen: 1. Die treuen Freunde bauen auf mein Wort, / das steht im Lot und klar umrissen – / Wer selber tappt im Ungewissen, / mal so, mal so – dem flieg ich fort; 2. Bei treuen Freunden hab ich festen Stand: / Ich bin im Lot und scharf umrissen – / Nur dem, der selber tappt im Ungewissen, / mal so, mal so – dem roll ich aus der Hand; 3. Dem treuen Freunde stell ich mich / lotrecht und klar gehauen (lotrecht und handlich zugehauen) / Wer … / mal so, mal so – dem flieg ich weg wie Spreu.
| Man hôhgemâc, an friunden kranc, |
| daz ist ein swacher habedanc: |
| baz gehilfet friuntschaft âne sippe. |
| lâ einen sîn geborn von küneges rippe: |
5 | er enhabe friunt, waz hilfet daz? |
| mâgschaft ist ein selbwahsen êre: |
| sô muoz man friunde verdienen sêre. |
| mâc hilfet wol, friunt verre baz. |
kranc auch: arm | baz besser | âne ohne | er enhabe er habe nicht | mâgschaft Verwandtschaft | selbwahsen von allein gewachsen | mâc Blutsverwandter | verre baz weit besser
| Hoch von Geburt, an Freunden arm, |
| das ist ein rechter Gotterbarm: |
| lieber will ich die Freundschaft loben. |
| Laßt einen sein von ganz hoch oben |
5 | und ohne Freund – die Welt bleibt leer. |
| Ist Sippschaft schon Verdienst zu nennen? |
| Nichts! Aber Freunde binden können. |
| Vetter mag gut sein – Freund ist mehr. |
Ton 54 (Bogenerton), V; WKI Nr. 4. Textvorlage Rü: Stapf S. 218, Wap S. 202; textkritischer Standard: Bein S. 320. Im Nachlaß Rü Entwicklung der Übertragung und Varianten auf 8 Manuskriptseiten, darunter: Hoch von Geblüt, an Freunden arm.
| in dem dône Ich wirbe umb allez daz ein man. |
| Ein man verbiutet âne pfliht |
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