E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Orths / Schachinger / Stavaric Requiem
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-903061-57-6
Verlag: Septime Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fortwährende Wandlung
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-903061-57-6
Verlag: Septime Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erstmals verfassen drei AutorInnen ein "Requiem der Sprache": Ihre Totenmesse vertraut dem Wort, verzichtet gänzlich auf Musik und ist keiner Religion verpflichtet. Bewusst wird außerdem so manch Denkgewohntes infrage gestellt; denn der Tod kennt keine Konfession und keine Überzeugungen. "Requiem – Fortwährende Wandlung" fokussiert primär den Charakter des Veränderlichen allen Lebens – sei es menschlich, tierisch oder pflanzlich. Denn es sind unzählige Wandlungen, die alles Dasein in seiner Gesamtheit prägen, bevor das Sterben als letzte große Wandlung beginnt. Die finale Metamorphose ist jedoch der Tod. Ebenso im Mittelpunkt steht die Frage des Umgangs mit dieser Unausweichlichkeit: Geboren, um zu sterben – will man es auf den Punkt bringen. Darin schwingt jedoch auch implizit die Reflexion des "Wie leben? " mit – wie leben, damit die Zeit der Metamorphose aus unserer Sicht "gut" genannt werden kann, und was hinterlassen wir allem Danach. "Requiem – Fortwährende Wandlung" wurde im Mai 2017 in der Pfarrkirche in Gaubitsch (NÖ) als Liturgische Feier unter Anwesenheit des Pfarrers Christian Wiesinger von den drei AutorInnen Marlen Schachinger, Michael Stavaric und Markus Orths uraufgeführt und liegt nun als Buch im Septime Verlag vor.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kains Buße Von guten Gedanken ist nicht viel geblieben, die Schatten der Vögel wischen über mich hinweg, als würden ihre Flügel löschen und nur auslöschen, mich ungeschehen machen wollen, um jeden Preis, Federradiergummis! Als ob es so einfach wäre, sich aus seiner Haut zu schrubben, sein Herz auszuwringen, Häuser abzutragen und Berge zu glätten, die Welt erneut zu wenden, wie ein irregeleitetes Fuhrwerk. Tritte am Waldesrand, Konturen von Fliegenpilzen gerade noch zu erahnen, man hört sie plötzlich züngeln und summen, Fleischfliegengeister, sie rollen um ihre Achsen und schlagen sich in Eichblätter ein. Die Zweige verwischen jedweden Gedanken, wenn man ihnen zu nahe kommt, die Rehe im Unterholz stehen starr, wie Schnappschüsse irgendeiner längst entglittenen Weltnachwelt, Trophäen, deren Farben allmählich zu verblassen beginnen. Der Bruder hängt zwischen zwei Wolken, tiefstehende, sich an den Bäumen labenden Kreaturen, himmlische Aasfresser, konturlos und dennoch Körper verschlingend, wie paradox es doch ist, taubefleckt zu seinen Füßen ein Schemel, als ob dieser eine Entschuldigung wäre, umgestoßen vom Wind, mitgerissen von Wildschweinrotten, es fällt kein Traum herab. Aus dem Körper des Bruders scheint es zu regnen, ich muss die Augen schließen, was man doch nur dann macht, wenn mit dem Regen etwas nicht stimmt, als ob der Bruder ein Wetterphänomen wäre, das den saueren Waldboden noch saurer macht. Er ist tot, was sollte er auch sonst sein, wenn doch kein Boden unter seinen Füßen, baumelnd über dem Mariannengraben, schwebend vor der Auferstehung, Tiefseekalmare saugen an seinen Fesseln, Leuchtgarnelen in seinem Haar formieren sich zu einer Art Heiligenschein, als ob sich die Seele nunmehr tatsächlich aufrafft in lichte Höhen, wenn doch das Herz ausgekühlt und verglüht. Im klammen Gras, kaum zu verwechseln mit dem Herzschlag, huschen Waldmäuse ihren Hohlweg entlang, Plankton treibt durchs Unterholz, keine Fähnchen im Wind, die flattern und den Weg nach Hause weisen würden. Blind in sich versunken, der alte Schäferhund am Waldrand, irgendwer hat sein Fell gegen den Strich gebürstet, doch so ein Sternbild gibt es nicht. Er ist tot, man wird ihn nicht vergessen, alle werden zu seinem Begräbnis antanzen, Leichenbittermienen, doch später strömen Wodka und Bier, wenn erst die Steine auf ihm liegen und sich alle reichlich bekreuzigt, sich ordentlich geräuspert und sich ein paar auf den Toiletten einen runtergeholt haben … und warum auch nicht. Man erklärt das Unheil oft genug: Es sei doch menschlich! Man kennt das Unheil: Die alten Bücher warnten doch davor, einst geschrieben, um aller Seelenheil zu retten, heutzutage nicht mal mehr das Papier wert, auf dem sie gedruckt. Wer faselt etwas von Gerechtigkeit, seine Sache war sie nicht, in der frisch ausgehobenen Erde ein paar Tonscherben, ein paar Spielsachen, ein paar längst vergessene Kulturen, bestimmt einst in den Brunnen gefallen, verschütt gegangen im eigenen Unvermögen, nichts wissend, viel betend, viel wissend, nicht betend, es heißt: Kein Meister sei jemals vom Himmel gefallen! Und wer ohne Sünde sei, werfe doch bitte schön den ersten Stein, ich mag Lapislazuli. Der Mensch vollbringt nichts und Abel am allerwenigsten, tot einzutauchen in den Waldboden, in das fichtengrüne Meer mit seinen Untiefen, sich des eigenen Schicksals zu entheben, mich benutzend, sich vorzudrängeln in der Schlange, sich die Henkersschlinge wie ein Collier überzustreifen, überstreifen zu lassen, wehe ihm. Ab in den Schlund das Gewissen, zum Magenpförtner, warum darüber schweigen, nur weil es sich nicht schickt, Stoffwechselsonette, und alle meinen, es gräme die Toten, wenn man ungebührlich von ihnen redet, die hören und fühlen doch nicht. Die Toten kennen einen nicht mehr, sie erkennen die einfachsten Probleme nicht, was es doch heißt, weiterzuleben, sich alltäglich zu erinnern, ganz egal, ob eine Kindheit fröhlich oder schrecklich war, man vergöttert sie. Am Waldrand haben wir gelebt wie Hunde, am Seerand sind wir herumgekreucht, aus der Ferne ließ sich kaum erkennen, wer Hund, wer Mensch, wer aufrecht und wer auf allen vieren in die taillierten Hütten kroch. Ungewöhnlich war das schon, grob zusammengezimmerte Verschläge, die an Sanduhren erinnerten, Vergänglichkeit mit Erinnerungswert. An der Küste haben wir gelebt, an der See, ohne zu erkennen, dass ein Abgrund am Waldrand lauerte, mit Flossen und Zähnen zwischen den Korallenpilzen, wo sich zwar das Licht brach an den Zweigen, doch schon ein paar Schritte weiter war es dunkler und unwirtlicher als anderswo an vergleichbaren Orten. In unserer Gegend gab es sogar ein Sprichwort: Geh nicht in den Wald, ohne etwas Seewasser im Kopf zu haben! Ich weiß noch, als ich ihn zum letzten Mal sah, dass er hechelte, dass er seine Zunge halb über die Unterlippe rollen ließ, ein kleiner roter Teppich, auf den man sich sogleich legen wollte, seine Lefzen zuckten ständig, er pinkelte mir ans Bein, so schnell konnte ich gar nicht schauen. Ich weiß schon, dass es sich nicht ziemt, dass man so nicht über seinen Bruder spricht, als wäre dieser ein beliebiger Fußabstreifer, irgendein Mobiliar oder Inventar eines sich langsam auflösenden Hauses. Ein paar aus den Hügeln trauern, die erkennen sich selbst und bekommen eine Ahnung von der Zukunft, ein paar Geschäftstüchtige fragen sich, wer die Sanduhrhütten übernehmen werde, das Grundstück mit den Beerensträuchern, die Boote und Fischreusen, die meisten halten sich bedeckt, flicken ihre Netze, scheuern ihre Büchsen, krempeln die Hosenbeine hoch, Vater und mir traut es wohl keiner mehr zu. Zugegeben, der Vater ist gealtert, keine Ahnung, wo die Zeit blieb, ja, wie viel Zeit noch bleibt, bis kein Hahn mehr kräht. Ich frage mich, ob ihre Hüte und Schnauzer echt oder aus Nebelpappmaschee sind, wer von ihnen ein Gewissen hat, doch kaum einer kann sich ein solches leisten, niemand mag verdorren. Ein Regenguss schneidet mir das Wort ab, die Gedankengänge geraten ins Stocken wie ein Fuhrwerk im tiefen Matsch, Wasser läuft mir in den Kragen und eiskalt den Rücken entlang, wie mit einer rostigen Harke gezogen, von der Schwerkraft immer weiter befeuert, die von ganz tief unten nach einem langt. Der Prediger lässt den Totengräber schaufeln, zurück die Erde, dorthin, wo sie vorgestern noch war, ein öliger Film reitet am Boden auf, dabei will keiner zusehen, die Füße verlieren jedweden Halt, irgendetwas wäscht alles Wasser aus dem Himmel und leert die grauen Flächen unerbittlich aus, mit ein klein wenig Glück bricht sich noch irgendwer den Hals hier unten, einer sollte das, einer verdient es doch immer. Ich habe ihm einmal gesagt, dass er gehen solle, irgendwohin ins Kino, irgendwo weit weg, um wirklich etwas von der Welt zu sehen, dass er hier weg müsse, weil man so einem wie ihm nichts zugesteht, man presst ihn aus, umgarnt ihn, so gut es geht, schließlich nimmt man sich, was man will, und lässt die Worte sein, Buchstabenpfützen am Boden, Schneckenschleim, was immer auch vom Tage übrig blieb. Ich spüre selbst längst nichts mehr, den kleinsten Köter nicht, der mich in die Wade zwickt, irgendeinen Chihuahuascheiß, den sich Züchter hinter dem großen Teich zusammenschustern in ihren Freilaufgehegen, ein einziger Sonnenstich die ganze Brut, ein von der Hitze schockgeröstetes Land, ein missratener Landschaftsgärtner entschuldigt es auch nicht. In der Predigt hieß es eben doch, dass der Herr sich aller Toten annimmt, dass er sie geleitet und bettet, vielleicht rahmt er sie auch, um sie im Himmel aufzuhängen, die größte und umfangreichste Porträtsammlung, die man sich nur denken kann, mit altbekannten Engeln als Kuratoren und einer Cafeteria voller aufgeschäumter Wolken. Ja doch, der Herr hat eben Geschmack, lässt sich nicht lumpen, Kartenermäßigungen bleiben dabei selten, alles hat seinen Preis, man kann das gar nicht oft genug betonen. Er hat mich einmal gefragt, ob ich mit ihm ganz tief in den Wald kommen würde, zwischen den Wellenkämmen Pilze sammeln und Beeren kosten (bloß nicht mehr Fischen!), vielleicht hätte ich ja sagen, ihm die Pfade und Schluchten erklären sollen, wohin er schwimmen, auf was er achten müsse, wo die wirklich finsteren Ecken nach einem langen. In Asien deutet man es als Zeichen von Frische, aufgeschnittene Leiber, deren Herzen weiter schlagen, während längst ein Marktstand mit ihnen bestückt, all den Fischen und dem Geflügel und dem Ungeziefer. Das unbeirrbare Pochen der offenen Herzen lockt Käufer an, die dann tiefer in die Taschen greifen, manchmal schafft es so ein Herz bis zum häuslichen Küchentisch, schlägt so lange, bis man es ins heiße Öl gleiten lässt. Er ist tot, eine sich längst zersetzende Frucht am Baum, ein schimmliger Klumpen Fäulnis in der Erde, Algenschlieren, die sich vom Grund lösen, seifiges Unbehagen, Augäpfel und Kulleraugen, die von innen verdorren und sich von außen aufwölben. Die körperlichen Gebrechen meines Bruders scheinen sich zu potenzieren, ich gebe es unumwunden zu, eine leichte, eine klitzekleine Schadenfreude sei einem vergönnt. Beinahe wäre ich ausgerutscht am Weg ins Gasthaus, wo sich alle wiedersehen, klitschnass die Scheiben, beschlagen, milchig, Kondensstreifen am Plafond, den Koch hört man plötzlich brüllen, nimm das Fleisch vom Grill, wasch dir die Hände, stell dich nicht blöd an, sein Gehilfe ist so ein blasser Barsch mit Streifen um die Leibesmitte, an Brackwasser gewöhnt. Es wird gelacht und getuschelt, jetzt schon geht das Leben weiter, wie könnte es auch anders sein, ein Blitz züngelt...