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E-Book, Deutsch, Band 69, 374 Seiten

Reihe: Stuttgarter Biblische Aufsatzbände (SBAB)

OSB / Hieke / Schmeller Tora und Fest

Aufsätze zum Deuteronomium und zur Liturgie
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-460-51074-6
Verlag: Katholisches Bibelwerk
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Aufsätze zum Deuteronomium und zur Liturgie

E-Book, Deutsch, Band 69, 374 Seiten

Reihe: Stuttgarter Biblische Aufsatzbände (SBAB)

ISBN: 978-3-460-51074-6
Verlag: Katholisches Bibelwerk
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der sechste Sammelband des Verfassers in dieser Reihe enthält Artikel zum Deuteronomium und Aufsätze zur Liturgie. Der erste Teil erarbeitet Besonderheiten der deuteronomischen Theologie. Der zweite liturgische Teil behandelt die Verehrung alttestamentlicher Heiliger, das Verständnis des "Pascha-Mysteriums" und die Rolle der Tora bei der Erneuerung der nachkonziliaren Liturgie, die Charakterisierung Marias als Inbild Israels in der benediktinischen Marienvesper und das an Gott als Vater und Erlöser gerichtete Klagelied Jes 63,7–64,11..

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Eine Gesellschaft ohne Arme
Das altorientalische Armenethos und die biblische Vision
1Die Sorge für die Armen im Alten Orient und in Israel
563 Bei Grabungen in Khirbet Qeiyafa wurde 2008 ein Ostrakon, eine beschriftete Tonscherbe, entdeckt. Der Fundort, eine von Mauern umgebene israelitische Verwaltungsstadt, liegt 27 km südwestlich von Jerusalem im Grenzgebiet zwischen Judäa und dem Philisterland. Die nur bruchstückhaft erhaltene Tinteninschrift auf dem Ostrakon ist einzigartig. Sie stammt aus dem 10. vorchristlichen Jahrhundert, aus der Zeit König Davids. Vielleicht handelt es sich um eine Schülerübung. Einige Schriftzeichen lassen sich nur hypothetisch rekonstruieren. Gershon Galil von der Universität Haifa hat – mit manch diskutabler Lesart – die folgende Übersetzung des Ostrakons vorgeschlagen:1 … du sollst […] nicht tun, sondern diene […] Hilf zum Recht dem Skla[ven] und der Witwe. Hilf zum Recht der Wais[e] [und] dem Fremdling. Tritt ein für den Arm[en und] die Witwe. Verteidige [den Armen] in den Händen des Königs. Schütze den Ar[men und] den Sklaven [unter]stütze den Fremdling. Dieser hebräische Text ist in mehrfacher Hinsicht eine Sensation. Er bildet ein frühes außerbiblisches Zeugnis für die hohe Sensibilität, die es schon damals gegenüber sozialen Problemen in Israel gab. Vor dem sozio-ökonomischen Hintergrund seiner Zeit wirft er ein Schlaglicht auf die Nöte der gesellschaftlichen Randschichten. Auffallend ist, dass er sich offenbar nicht an den König, sondern an das Volk wendet. Wir werden später bei der biblischen Sozialgesetzgebung auf den gleichen Adressaten treffen. Zugleich 564 unterscheidet sich die Inschrift dadurch grundlegend von vergleichbaren altorientalischen Texten. Sie verlangt von jedem – vielleicht sogar als Dienst Gottes (s. Zeile 1) – den Rechtsbeistand und die Sorge für Sklaven, Witwen, Waisen, Fremde und Bedürftige. Eine ähnliche Zuwendung zu den Armen belegen auch viele andere Dokumente der Antike.2 Zwar dürfte die Realität anders ausgesehen haben. Aber wir können davon ausgehen, dass Ägypten und Mesopotamien, das Hetiterreich und Kanaan wahrscheinlich ein höher entwickeltes Armenethos hatten als unsere moderne Weltgesellschaft. Ein paar Zitate aus der altorientalischen Literatur sollen dieses Ideal im Folgenden illustrieren. Denn erst vor diesem kulturellen Hintergrund lässt sich die Einbindung Israels in seine Umwelt, aber auch die Besonderheit der biblischen Botschaft verstehen. Im Alten Orient wurde die Oberschicht zur Sorge für die Armen erzogen. Ihre Ausbildung spiegelt sich vor allem in der Weisheitsliteratur. Da heißt es zum Beispiel in der Lehre für König Merikare am Ende des 3. vorchristlichen Jahrtausends: »Beruhige den Weinenden, quäle keine Witwe, verdränge keinen Mann von der Habe seines Vaters«. In der Lehre des Ani am Ende des 2. Jahrtausends findet sich die Ermahnung: Du darfst nicht dein Essen verzehren, während ein anderer dabeisteht und du nicht deinen Arm auch für ihn nach der Speise ausstreckst […] Der Mensch ist ein Nichts. Der eine ist reich, der andere ist arm […] Auch du kannst in die Lage kommen, dass ein anderer dir Brot reichen muss. In autobiographischen Grabinschriften Ägyptens aller Epochen erklären die wohlhabenden Verstorbenen, was jeder dem 125. Kapitel des ägyptischen Totenbuchs zufolge vor dem göttlichen Richter bekennen muss: »Brot gab ich den Hungrigen, Wasser den Durstigen, Kleidung den Nackten.« Für das Recht der Armen zu sorgen war insbesondere die Pflicht der Könige. In der Lehre für Merikare heißt es sogar, Gott habe »die Fürsten dazu erschaffen, den Rücken der Schwachen zu stützen.« Deshalb galt es zum Beispiel nach dem ugaritischen Daniil-Epos aus dem 14. vorchristlichen Jahrhundert als die Hauptaufgabe des Stadtkönigs, sich am frühen Morgen zum Stadttor zu begeben, wo die Bürger ihre Rechtsstreitigkeiten austrugen. Dort »verhalf er der Witwe zu ihrem Recht, sprach er rechtes Urteil zugunsten der Waise.« Am besten sind Recht und Praxis des königlichen Rechts in Mesopotamien bezeugt. Seit der Mitte des 3. Jahrtausends rühmten sich die mesopotamischen Könige ihrer häufigen Schuldenerlasse und Rechtsreformen. Um wirtschaftliche Katastrophen abzuwenden und die hoffnungslos Verschuldeten vor dem bitteren Tagelöhner-, ja Sklavenschicksal zu bewahren, erließ der König aus jeweils freiem Beschluss einen allgemeinen Schuldenerlass. Damit zwang er die Gläubiger, auf ihre Forderungen zu verzichten, und ermöglichte so ein neues Leben in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher 565 Freiheit. Dieser soziale und ökonomische Ausgleich bildet auch einen Topos der Prologe und Epiloge der Gesetzeskodizes. Schon das älteste uns bekannte Rechtsbuch, der Kodex Urnammu, behauptet: »Die Waise wurde nicht dem Reichen überantwortet, die Witwe wurde nicht dem Mächtigen überantwortet.« Witwen und Waisen gelten im ganzen Alten Orient als typische Beispiele für Menschen, die an den unteren Rand der Existenzmöglichkeit geraten sind. Jahrhunderte später erwähnt Hammurabi von Babylon im Epilog seines Gesetzeswerkes nicht nur die sozialen Maßnahmen, sondern erklärt seinen Kodex selbst zum Mittel, den Unterdrückten zu helfen: Damit der Starke den Schwachen nicht unterdrückt, um der Waise und der Witwe zu ihrem Recht zu verhelfen, habe ich in Babel […] in Esagila, dem Tempel, […] meine überaus wertvollen Worte auf meine Stele geschrieben und sie vor der Statue von mir, dem »König der Gerechtigkeit«, aufgestellt, um das Recht des Landes zu ordnen, um die Entscheidungen für das Land zu fällen, um dem Unterdrückten Recht zu verschaffen. Der »unterdrückte Mensch« könne jederzeit in den Tempel kommen und dort »sorgsam die beschriftete Stele« lesen. Sie werde »ihm seinen Fall erklären«, sodass »sein Herz aufatmen kann«. Welche Überraschung hätten allerdings der »unterdrückte Mensch« oder eine Waise oder Witwe erlebt, wenn sie dem Ratschlag Hammurabis folgend die 282 Paragraphen des Kodex gelesen hätten. Sie hätten in ihnen keinen Rechtssatz über die »Armen« oder »Unterdrückten« gefunden. Denn keine der mesopotamischen Gesetzessammlungen enthält eine Sozialgesetzgebung. Im Gegensatz zu den Pro- und Epilogen verschweigen sie nämlich die Armut. Möglicherweise ist diese Diskrepanz entstehungsgeschichtlich zu erklären. Das hieße: Die reinen Gesetzessammlungen entstammen dem Lehr- und Diskussionsbetrieb des »Tafelhauses«. Sie wurden erst in einer späteren Phase durch Prologe und Epiloge erweitert und bekannt gemacht. Nach ihrer Veröffentlichung kehrten die Gesetzbücher wieder in den Schulbetrieb der juristischen Eliten im Tafelhaus zurück und beeinflussten über ihre Ausbildung die Rechtsprechung. Wie auch immer man den unterschiedlichen Umgang mit den Armen deutet, in den uns vorliegenden Gesetzbüchern des Alten Orients stehen einander in Pro- und Epilog einerseits und Rechtssätzen andererseits zwei Weltentwürfe gegenüber. Sie unterscheiden sich dadurch von der Bibel. Denn in ihr fehlen die Armen in keiner der großen Sammlungen von Einzelgesetzen. Das hohe Ethos der Armenfürsorge beruhte im Alten Orient auf der Überzeugung, dass die Götter selbst die Schützer und Retter der Armen waren. Weil der Sonnengott in jedes Dunkel hineinleuchtet, galt er überall als 566 Gott der Gerechtigkeit und der gelingenden menschlichen Sozialordnung. Als solcher liebte er vor allem die Armen und sorgte für sie. In Ägypten wurde meist Amun, der sich als belebender Geistgott auch der kleinsten und hilfsbedürftigsten Lebewesen annahm, von den Armen angerufen oder gepriesen. Dafür gibt es vor allem in der Ramessidenzeit (13. bis 11. Jahrhundert v. Chr.) eine Fülle von Zeugnissen, weshalb man sogar von einer »Religion der Armen« spricht. Die Beteuerung der damaligen Beter, sie seien »Arme«, war ein wichtiger Ausdruck der sogenannten »persönlichen Frömmigkeit«. So heißt es in einem Gebet an Amun-Re als den Schöpfer- und Sonnengott: Du gibst Sättigung ohne Speise, du gibst Trunkenheit ohne Trank.3 Mein Herz möchte dich sehen. Mein Herz ist froh, Amun, du Schützer der Armen. Du bist der Vater der Waise, der Gatte der Witwe. Wie lieblich ist es, deinen Namen zu nennen. Er ist wie der Geschmack des Lebens. Er ist wie der Geschmack von Brot für ein...


Georg Braulik OSB, geboren 1941, war Professor für alttestamentliche Exegese und biblische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Er ist korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte bilden das Deuteronomium und die Verbindung von Bibel und Liturgie.



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