E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: MIRA Taschenbuch
Osborne Wacholderglück
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7457-5029-4
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: MIRA Taschenbuch
ISBN: 978-3-7457-5029-4
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Daisy ist eine Weltenbummlerin. Solange sie reist, ist sie glücklich. Allerdings hat ihr Großonkel ihr jetzt ein wunderschönes altes Bahnhofsgebäude vererbt. Bei dem Gedanken an den renovierungsbedürftigen Bau hat Daisy sofort Hunderte Ideen, was man daraus machen kann. Doch es gibt eine Bedingung: Um das Erbe anzutreten, muss sie ein Jahr lang in Ottercombe Bay bleiben, dem Ort, in dem so viele Erinnerungen auf Daisy warten, die sie lieber vergessen würde. Kann sie die Geister der Vergangenheit besiegen, ihre Angst Wurzeln zu schlagen überwinden und endlich das wahre Glück finden?
»Ich verschlinge Bella Osbornes Bücher!« Katie Fforde
»Absolut fantastisch. Lustig, herzergreifend, unterhaltsam und ich konnte es einfach nicht aus der Hand legen. Es ist der perfekte Sommerroman« Phillipa Ashley
In Bellas Romanen geht es um Freundschaft, Liebe und was das Leben sonst noch bereithält. Sie schafft es, auch in dunklen Momenten ihren Humor nicht zu verlieren. Für Bella gibt es nichts Schöneres, als sich Geschichten auszudenken, direkt gefolgt von guten Gesprächen, Schokolade, Sekt und Reisen. Zusammen mit ihrem Mann und ihrer wundervollen Tochter lebt sie in England.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
Daisys Hintern fühlte sich nach der vierstündigen Fahrt auf einem alten Motorrad an, als gehöre er jemand anderem. Obwohl ein hübsches Ortsschild sie willkommen hieß, wurde Daisy von einer lange verdrängten Traurigkeit beschlichen, die über sie hinwegkroch wie Frost über eine Fensterscheibe. Nach Ottercombe Bay zurückzukehren, war ein großer Fehler. Wenn mir doch nur eine andere Wahl bliebe, dachte sie.
Urplötzlich trat ein attraktiver Mann in einer unansehnlichen Warnweste auf die Straße, stellte sich Daisys Motorrad in den Weg und riss Daisy aus ihren Gedanken. Hastig scherte sie zur Seite aus und stieg in die Bremse. Stotternd kam das uralte Gefährt zum Stehen.
»Sie können hier nicht durchfahren«, sagte der junge Mann und verschränkte seine muskulösen Arme vor seinem in Leuchtfarbe erstrahlenden Brustkorb.
»Bitte«, erwiderte sie und bedachte ihn mit dem breitesten Grinsen, zu dem sie in diesem Moment fähig war; in ihrem Hirn rotierte es, weil sie sich zu erinnern versuchte, warum ihr der dunkle Wuschelkopf des Mannes irgendwie bekannt vorkam.
Er straffte die Schultern. »Auf gar keinen Fall.«
Trotzig klappte Daisy das Visier ihres Motorradhelms hoch; so leicht ließ sie sich nicht einschüchtern. »Seien Sie nicht albern. Ich muss in die Trow Lane.« Mit sehnsüchtigem Blick schaute sie die Hauptstraße entlang, die sich vor ihr auftat. Sie war nur drei Querstraßen von ihrem Ziel entfernt.
»Sie werden außen herumfahren müssen.« Der Mann schaute Daisy mit forschendem Blick an. »Kenne ich Sie?«, wollte er wissen und runzelte für einen kurzen Moment die Stirn, was seinem von der Sonne gebräunten Gesicht einen missbilligenden Ausdruck verlieh.
»Das bezweifele ich. Schauen Sie, es wäre blödsinnig, einen Umweg von mehreren Kilometern zu fahren. Ich muss ja nur dorthin«, sagte sie und zeigte mit dem Finger auf die entsprechende Querstraße. Daisy war müde nach ihrer langen Reise und würde sich von diesem aufgeblasenen Arbeiter sicher nicht herumkommandieren lassen. Zumal sie keinen Grund dafür erkennen konnte, dass die Straße an einem sonnigen Samstagabend Ende Juni gesperrt war.
Sie ließ den Motor ihrer Maschine aufheulen, doch der Warnwestenmann stellte sich vor den Vorderreifen und versperrte ihr den Weg. Zornig starrten sie einander an. Wieder brachte Daisy den Motor zum Aufheulen, und dieses Mal sorgte sie dafür, dass das Motorrad ein paar Zentimeter nach vorn hüpfte. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. Dass sich ganz in der Nähe eine Menschenmenge versammelte, bekam sie nur aus den Augenwinkeln mit. Im nächsten Moment hörte sie es dann – ein schepperndes Geräusch in der Ferne. Wütend blitzte sie den Mann an, der ihren Blick ebenso wütend erwiderte. Die scheppernden Geräusche kamen näher, und Daisy erkannte einen Trommelrhythmus, begleitet von etwas, das wie das Tröten eines unbedarften Elefanten klang. Im nächsten Moment erblickte sie die Wimpelketten, mit denen man die Straße geschmückt hatte. Und da ging ihr endlich ein Licht auf – es war der Abend des Karnevalsumzugs. Er hatte recht: Dass sie heute Abend mit ihrem Motorrad durch die Stadt fuhr, war absolut unmöglich. Mit Wucht klappte sie das Visier ihres Helms wieder herunter, entschuldigte sich mürrisch und fuhr dann mit quietschenden Reifen davon. Warnwestenmanns selbstzufriedene Reflexion im Rückspiegel wurde dabei von einer Wolke aus stinkendem schwarzem Rauch eingehüllt.
Daisy war immer noch sauer, als sie vor dem Sea Mist Cottage vorfuhr. Sie stellte das Motorrad ab und riss sich den Helm vom Kopf und den schweren Rucksack von den schmerzenden Schultern. Das Ganze fing gar nicht gut an, was nur eine weitere Bestätigung dafür war, dass sie nicht hätte zurückkommen sollen. Sie drehte sich um und ließ ihren Blick über das Cottage schweifen. Es war, als sei sie mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit gereist – das Haus hatte sich überhaupt nicht verändert. Als kleines Mädchen hatte Daisy sich immer eingebildet, ein trauriges Gesicht zu sehen, wenn sie auf das uralte Gebäude schaute. Dieses überhängende Strohdach sah aus wie schwere buschige Augenbrauen, und die symmetrischen Fenster wirkten wie Augen, deren halb heruntergezogene Jalousien schlaffen Augenlidern ähnelten. Die schlichte Eingangsveranda ragte hervor wie eine nachträglich angebaute Nase, und der kleine Haustür-Mund seufzte den wenige Schritte entfernten Bürgersteig an. Sie erinnerte sich, dass die Tür immer leicht geklemmt hatte, aber das war Jahre her, sie war in der Zwischenzeit sicher repariert worden. Hinter der Milchglasscheibe näherte sich eine Silhouette, deren Besitzerin dem Rahmen einen Stoß versetzte und im nächsten Moment nach draußen stolperte.
»Daisy, Liebes. Du hast es geschafft«, rief Tante Coral und schloss Daisy fest in die Arme. Es war lange her, dass irgendein Mensch sie so umarmt hatte. Daisy hatte vergessen, dass man Tante Corals Umarmungen nicht entrinnen konnte.
»Lass mich dich anschauen.« Tante Coral schob Daisy auf Armlänge von sich weg. Daisy schüttelte ihre karamellblonden Haare aus, die während der letzten vier Stunden unter dem Helm wie in einen Kokon eingezwängt gewesen waren.
Tante Coral kamen die Tränen. »Oh, Daisy, eine wunderschöne junge Frau ist aus dir geworden.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Und du siehst deiner Mutter so ähnlich.«
Bei der Erwähnung ihrer Mutter spürte Daisy wieder, wie die Trauer sie beschlich. Obwohl inzwischen so viele Jahre vergangen waren, tat es immer noch weh, als sei es erst gestern passiert. Das Gefühl von Verlust war genau das Gleiche ebenso wie das Gefühl von Leere, das sich in ihrem Inneren breitmachte. Für Daisy bestand Ottercombe Bay ausschließlich aus Traurigkeit und schlimmen Erinnerungen.
Nichtsdestotrotz rang sie sich ein Lächeln ab, denn sie wusste, dass das die Reaktion war, die von ihr erwartet wurde. Prompt strahlte Tante Coral noch mehr. »Es ist schön, dich zu sehen. Komm herein, und ich setze Wasser auf«, sagte sie und bedeutete Daisy mit einer Handbewegung, ins Haus zu gehen. Diese wollte gerade nach der Türklinke greifen, als sie ein erstickt klingendes Kläffen vernahm und sofort wieder zurückwich. Es folgte wildes Gebell, das die Ankunft eines kleinen schwarzen Hundes begleitete, der jetzt auf der anderen Seite der Tür auf und nieder sprang, als hüpfe er auf einem Pogostab.
»Sch, Bugsy Malone, sei jetzt still«, rief Tante Coral und schob sich hastig an Daisy vorbei. Sie zog die Tür auf, und das schwarze Hündchen schoss nach draußen und schnappte nach Daisys Stiefeln, woraufhin diese einen Satz rückwärts machte. »Na, na, na«, meinte ihre Tante und hob den protestierenden Hund, der Daisy weiterhin anbellte, mit Schwung vom Boden hoch.
»Was ist das?«, fragte Daisy und wich noch weiter von dem zähnefletschenden Bündel zurück, das sich aus dem Klammergriff ihrer Tante zu befreien versuchte. Daisy hatte nicht viel Ahnung von Tieren; sie hatte nichts gegen sie, und einige schienen recht niedlich zu sein, aber da sie ein Nomadenleben führte, hatte sie nie Gelegenheit gehabt, ein Haustier zu halten.
Tante Coral lachte leise vor sich hin. »Er ist ein Mops«, sagte sie und lief voraus ins Cottage hinein. Bugsy setzte seinen lautstarken Angriff dabei unbeirrt fort, und Daisy folgte den beiden mit großzügig kalkuliertem Sicherheitsabstand.
»Er wirkt nicht gerade glücklich«, rief Daisy, um das schrille Gekläffe zu übertönen.
»Er steht ein bisschen neben sich, seit dein Großonkel Reg gestorben ist. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Ich glaube nicht, dass der kleine Bugsy versteht, warum er nicht mehr da ist.« Tante Corals Stimme zitterte plötzlich. Im nächsten Moment räusperte sie sich und setzte Bugsy durch die Hintertür nach draußen, wo er für ein paar Sekunden von den Gerüchen des Gartens abgelenkt wurde. »So! Tee?«
»Ja, bitte. Mit Milch und einem Stück Zucker«, antwortete Daisy und behielt dabei mit einem Auge die Pfoten im Blick, die bereits versuchten, sich ihren Weg wieder ins Cottage zu bahnen.
In der Küche duftete es nach frisch gebackenem Biskuitkuchen. Gierig atmete Daisy den Duft ein, und sofort besserte sich ihre Laune. Sie stellte ihren Rucksack ab und setzte sich an den kleinen Küchentisch mit der blütenweißen Tischdecke darauf. Während Tante Coral sich um den Tee kümmerte, schaute Daisy sich um. Auch hier war es, als sei die Zeit stehen geblieben. Die Küche sah noch genauso aus wie damals, als Daisy noch ein Kind gewesen war; die einzigen Veränderungen, die ihr auffielen, waren das Gelb der einst blauen Wände und die Pinnwand aus Kork, die es früher nicht gegeben hatte und an der eine Vielzahl von Zetteln und Briefen hing. Daisys Blick fiel auf die letzte Postkarte, die sie aus Frankreich geschickt hatte, und sofort war ihre gute Laune wieder verflogen. Sie erinnerte sie an ihre Beziehung mit Guillaume, die in einer Katastrophe geendet hatte.
Daisy sah zu ihrem Rucksack, der neben ihr auf dem Fußboden stand. Abgesehen von dem Motorrad befanden sich all ihre Habseligkeiten in diesem Rucksack. Mehr gab es nicht. Ihr gesamter irdischer Besitz in einem Bündel. Daisy straffte die Schultern und gab sich einen Ruck. Genauso gefiel ihr das Leben doch. Keine Bindungen, nichts, das sie an einen Ort fesselte oder zurückhielt. Sie war frei wie ein Vogel, und so fühlte sie sich wohl. Tante Coral kam mit einem großen Tablett an den Tisch, auf dem eine Teekanne und zwei zerbrechlich aussehende Tassen und Unterteller standen. Sie nahm gegenüber von Daisy Platz und deutete auf den Rucksack. »Du hast also nicht vor, lange zu bleiben?« Traurigkeit...