Ostrom | Jenseits von Markt und Staat. Über das Potential gemeinsamen Handelns | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 109 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

Ostrom Jenseits von Markt und Staat. Über das Potential gemeinsamen Handelns

[Was bedeutet das alles?]

E-Book, Deutsch, 109 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

ISBN: 978-3-15-962077-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Wie kann mit natürlichen Ressourcen - z. B. mit Land, Wasser oder Fischbeständen - so umgegangen werden, dass alle Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen können? Wie funktionieren gemeinschaftlich verantwortete Institutionen dauerhaft? Diese Fragen haben die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Umweltökonomin Elinor Ostrom ein Leben lang beschäftigt. 2009 wurde sie als erste Frau mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet, denn ihre Gemeingüter-Forschung gilt als bahnbrechend. Ostrom legt offen, wie kollektives selbstorganisiertes Handeln gelingt, und zeigt, dass es Regulierungsalternativen abseits von Markt und Staat gibt. In ihrer Nobelpreisrede, die hier erstmals in deutscher Übersetzung erscheint, zeichnet Ostrom ihre intellektuelle Lebensreise nach.

Elinor Ostrom (1933-2012), US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Umweltökonomin, wurde 2009 als erste Frau mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Sie war eine der bedeutendsten Commons-Forscherinnen weltweit.
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Jenseits von Markt und Staat. Über das Potential gemeinsamen Handelns

Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Literaturhinweise
Elinor Ostrom: Ein Leben für die Wissenschaft. Von Johannes Euler und Insa Theesfeld
Werke von und über Elinor Ostrom (Auswahl)
Silke Helfrich und Elinor Ostrom – ein Nachruf. Von Jacques Paysan


2. Frühe Versuche, ein besseres Verständnis komplexer sozialer Systeme zu entwickeln
Die Idee aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, die Welt in einfachen Systemen zu fassen, hat sich infolge umfangreicher empirischer Forschung sowie durch die Entwicklung eines Analyserahmens, der mit spieltheoretischen Modellen konsistent ist und für vielfältige Fragestellungen eingesetzt werden kann, allmählich verändert. A. Erforschung polyzentrischer öffentlicher Dienstleistungen
Durch empirische Studien zur Bereitstellung, Herstellung und Verwaltung öffentlicher Dienstleistungen und gemeinschaftsgetragener Eigentumsregime10 auf verschiedenen Ebenen durch Bürger:innen, lokale öffentliche Unternehmer:innen oder Angestellte im öffentlichen Dienst konnte umfangreiches Wissen geschaffen werden, das nicht durch zwei Modelle für optimale Organisationsformen erklärt werden kann. Im Versuch zu verstehen, ob öffentliche und private Einrichtungen, die in Ballungsräumen Dienstleistungen bereitstellten, tatsächlich chaotisch handelten – wie andere Wissenschaftler:innen behaupteten – oder ob es sich um potentiell produktive Arrangements handelte, führten Vincent Ostrom, Charles Tiebout und Robert Warren das Konzept der Polyzentralität ein. ›Polyzentrisch‹ bedeutet, dass es viele Zentren der Entscheidungsfindung gibt, die formal voneinander unabhängig sind. Ob sie tatsächlich unabhängig voneinander funktionieren oder vielmehr ein interdependentes System von Beziehungen darstellen, ist im Einzelfall empirisch zu prüfen. In dem Maße aber, wie sie sich im Wettbewerb gegenseitig berücksichtigen, verschiedene vertragliche und kooperative Verpflichtungen miteinander eingehen oder Zugang zu zentralen Konfliktlösungsmechanismen haben, können die verschiedenen Zuständigkeitsbereiche in einem Ballungsraum kohärent funktionieren und konsistente sowie vorhersagbare Interaktionsmuster aufweisen. Und in dem Maße, wie dies der Fall ist, kann man davon sprechen, dass sie als ein ›System‹ funktionieren.11 In Anlehnung an das Konzept der öffentlichen Dienstleistungsindustrie12 wurde in den 1960er Jahren in verschiedenen Regionen Kaliforniens die Leistungsfähigkeit der Wasserwirtschaft untersucht.13 Dies lieferte stichhaltige Belege dafür, dass mehrere öffentliche und private Einrichtungen auf verschiedenen Ebenen zu einem produktiven Wassermanagement gefunden hatten und stand im Gegensatz zu der Annahme, das Vorhandensein mehrerer staatlicher Einheiten ohne klare Hierarchie sei chaotisch. Darüber hinaus arbeiteten die Forscher:innen drei Wirkmechanismen heraus, die die polyzentrische Organisation in Ballungsräumen produktiver machen: (1) Kleinere bis mittelgroße Städte überwachen das Verhalten der Bürger:innen sowie relevante Kosten effektiver als Großstädte, (2) Bürger:innen, die mit der Leistungserbringung unzufrieden sind, können »mit ihren Füßen abstimmen« und dorthin ziehen, wo der Mix an Leistungen und Kosten ihren Vorlieben mehr entspricht, und (3) lokal eingebundene Gemeinschaften können mit größeren Produzenten verhandeln und die Verträge ändern, wenn sie mit den erbrachten Leistungen nicht zufrieden sind, wohingegen Nachbarschaften in einer Großstadt keine Stimme haben. In den 1970er Jahren wurde dieser Forschungsansatz zur Wirkung verschiedener Organisationsformen der Wasserversorgung in Ballungsräumen auf die Bereiche Polizeiarbeit und öffentliche Sicherheit ausgeweitet. Wir stellten fest, dass in den 80 untersuchten Großstädten zwar viele Polizeidienststellen die Menschen versorgten, die Bürger:innen aber kaum doppelt versorgt wurden.14 Auch die weitverbreitete Meinung, eine Vielzahl von Dienststellen in einem Großstadtgebiet sei ineffizienter, konnte nicht bestätigt werden. Tatsächlich liefern »die effizientesten Produzent:innen in Ballungsräumen mit zahlreichen Dienststellen mehr Output pro gegebenem Input als effiziente Produzent:innen in Metropolregionen mit weniger Dienststellen«.15 Metropolregionen mit einer großen Zahl autonomer Akteure, die ihre Leistungen direkt anbieten, waren im technischen Sinne effizienter.16 Die technische Effizienz war auch dort besser, wo nur wenige Dienstleister für indirekte Leistungen wie Funkkommunikation oder kriminaltechnische Analysen zur Verfügung standen. So konnten wir die Theorie widerlegen, die den Reformvorschlägen für Metropolregionen zugrunde lag. Wir haben, mit Blick auf die Verwaltung von Großstädten, gezeigt, dass Komplexität nicht das Gleiche ist wie Chaos. Diese Erkenntnis wurde durch weitere empirische Studien zur polyzentrischen Verwaltung von Ressourcen- und Infrastruktursystemen auf der ganzen Welt untermauert.17 B. Die Verdoppelung der Güterkategorien
Die Forschung darüber, wie Menschen mit verschiedenen öffentlichen Problemen umgehen, führte uns letztlich dazu, Samuelsons Gütereinteilung in zwei Arten abzulehnen. Buchanan18 hatte bereits eine dritte Art hinzugefügt, die er »Clubgüter« nannte. Bei Clubgütern konnten mehrere Menschen private Vereinigungen (Clubs) gründen und sich im kleinen Maßstab mit nichtrivalen Gütern und Dienstleistungen versorgen. Während sie in diesen Genuss kamen, blieben Nichtmitglieder von Zugang und Konsum solcher Güter und Leistungen ausgeschlossen. Im Lichte weiterer empirischer und theoretischer Forschung schlugen wir zusätzliche Änderungen der Güterklassifikation vor, um grundlegende Unterschiede zwischen den Gütern, die sich auf die Nutzungsanreize für die Individuen auswirken, zu identifizieren.19   Ersetzen des Ausdrucks ›Rivalität im Konsum‹ durch ›Substrahierbarkeit durch Nutzung‹. Substrahierbarkeit und Ausschließbarkeit nicht als ›vorhanden‹ oder ›nicht vorhanden‹ charakterisieren, sondern als variierend zwischen ›niedrig‹ und ›hoch‹. Offenkundig die Ergänzung einer vierten Güterart, Gemeinressourcen, die mit Privatgütern die Eigenschaft der Substrahierbarkeit und mit öffentlichen Gütern die Schwierigkeit des Ausschlusses teilen.20 Wälder, Gewässer, Fischbestände und die globale Atmosphäre sind allesamt Gemeinressourcen, die für das Überleben der Menschen überaus bedeutsam sind. Änderung des Begriffs ›Clubgut‹ in ›Mautgut‹21, da viele Güter mit diesen Eigenschaften sowohl von überschaubaren und öffentlichen als auch privaten Akteuren bereitgestellt werden   Abbildung 1 gibt einen Überblick über die vier großen Güterarten. Sie bringen unterschiedliche Probleme mit sich, wenn Institutionen entwickelt werden sollen, die verschiedene Güter bereitstellen, produzieren und verbrauchen. Diese vier Güterkategorien enthalten zahlreiche Unterarten, die sich in ihren Eigenschaften substantiell unterscheiden. So sind beispielsweise ein Fluss und ein Wald beide Gemeinressourcen. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich voneinander, etwa was die Mobilität, die Messbarkeit, die Regenerationszeiträume der jeweils produzierten Ressourceneinheiten und andere Eigenschaften angeht. Spezifische Gemeinressourcen unterscheiden sich auch in ihrer räumlichen Ausdehnung, in der Anzahl der Nutzer:innen und vieler anderer Faktoren.   Substrahierbarkeit durch Nutzung hoch niedrig Schwierigkeit, potentielle Nutzer:innen auszuschließen hoch Gemeinressourcen: Grundwasserbecken, Seen, Bewässerungssysteme, Fischerei, Wälder usw. Öffentliche Güter: Frieden und Sicherheit eines Gemeinwesens, nationale Verteidigung, Wissen, Brandschutz, Wettervorhersagen usw. niedrig Privatgüter: Lebensmittel, Kleidung, Autos usw. Mautgüter: Theater, private Clubs, Kindertagesstätten usw. Abbildung 1: Vier Arten von Gütern22   Wer umfangreiche Feldforschung betreibt, begegnet einer außerordentlichen Vielfalt von Situationen, in denen Menschen interagieren. Wer als Beobachter:in an einem Samstag mitten in der Nacht mit der Polizeistreife durch das Zentrum einer amerikanischen Großstadt fährt, erkennt andere Muster als jene, auf die die Polizei an einem Wochentag nachmittags gegen Schulschluss in einem Vorort trifft. In beiden Fällen beobachtet man, dass Beamt:innen der kommunalen Regierung ein öffentliches Gut bereitstellen: lokale Sicherheit. Die anderen Beteiligten unterscheiden sich in Alter und Nüchternheit, sie haben andere Gründe...


Elinor Ostrom (1933–2012), US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Umweltökonomin, wurde 2009 als erste Frau mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Sie war eine der bedeutendsten Commons-Forscherinnen weltweit.


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