Palm | Strandbadrevolution | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Palm Strandbadrevolution

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-552-06345-7
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-552-06345-7
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im Sommer 1972, in dem die Amerikaner Nordvietnam bombardieren, bereitet Ernst, der sich nach seinem Idol von den Rolling Stones Mick nennt, mit seinen Freunden im Strandbad die Revolution vor. Während sein Vater meistens in der Garage beschäftigt ist und seine Mutter die Tiefkühltruhe zum Bersten anfüllt, sollte Mick eigentlich für die Französisch-Nachprüfung lernen, lässt sich jedoch von zwei bislang im Bad noch nie gesichteten Mädchen ablenken. Doch schließlich endet dieser Sommer nicht nur für Candy, den jüngsten der Freunde, mit einer Katastrophe. Kurt Palm erzählt, wie lange ein Sommer in der Provinz in Österreich sein kann und wie kurz und unerbittlich das Leben.

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    I.   HA! HA! SAID THE CLOWN   »Ich glaube, dass das Auto ganz besser ist.« Zufrieden lehnte sich mein Vater an die schattige Hauswand und zündete sich eine Smart Export an. Er nahm einen tiefen Zug und versuchte den Rauch in Ringen auszublasen. Aber aus seinem Mund kamen nur unförmige Schwaden. Ich stand mit meinem Fahrrad daneben und wusste nicht genau, was ich sagen sollte. »Es hat nur fünftausend Schilling gekostet.« Mein Vater sah mich erwartungsvoll an. »Was ist es denn für ein Baujahr?« »1955, ist aber noch sehr gut beisammen. Hat zumindest der Walchetseder gesagt. Und über den Wurzelpass kommen wir damit bestimmt.« »Der heißt Wurzenpass, nicht Wurzelpass.« Mein Vater ignorierte meine Bemerkung und ging zu seinem neuen Wagen, den er wie ein Pferd tätschelte. »Der Walchetseder hat auf das Auto geschaut. Ganz besser. Kannst dich ja einmal hineinsetzen.« »Ich kenne mich bei Autos sowieso nicht aus«, antwortete ich achselzuckend. Ich hätte ja nicht einmal sagen können, welche Farbe unser neues Auto hatte. War es beige? Oder hellgrüngelb? Um meinem Vater einen Gefallen zu tun, öffnete ich die hintere Wagentür und setzte mich hinein. Im Auto war es stickig heiß, und es roch nach Benzin und Kunststoff. Irgendwie war es ein angenehmer Geruch. Als ich mit meinem Onkel und meiner Tante einmal ans Meer gefahren war, hatte es in ihrem Auto genauso gerochen. »Und? Was sagst?« »Ja, wenn er wirklich gut beisammen ist, wird es schon passen.« Ich betätigte probehalber die Fensterkurbel, die allerdings klemmte. Auf der Rückbank lag ein Lockenwickler, in dem sich ein paar blonde Haare verfangen hatten. Ich überlegte, ob ich ihn meiner Mutter schenken sollte, ließ den Gedanken aber fallen, weil sie damit sicher keine Freude gehabt hätte. »Das ist ein Opel Kapitän, da sollte es motorisch nichts geben.« Mit Kennermiene klopfte mein Vater erneut auf die Motorhaube. Der Opel Kapitän war das erste Auto meines Vaters, und ich bezweifelte, dass er vom Motor dieses Wagens tatsächlich etwas verstand. Aber mir war das egal, ich musste damit ja nicht fahren. Trotzdem wurde mir bei der Vorstellung, dass wir mit dieser alten Kiste nach Strunjan auf Campingurlaub fahren sollten, ein bisschen mulmig zumute. Schließlich hatte mein Vater erst im Frühjahr den Führerschein gemacht. Ich stieg aus und strich pro forma über den Lack, der an einigen Stellen bereits abblätterte. »Bist du eigentlich selbst hergefahren?« »Nein, ich habe mich nicht getraut, aber ich werde heute Abend gleich eine Probefahrt machen.« Mein Vater warf die halb gerauchte Zigarette auf den Kiesboden und drückte sie mit dem Fuß aus. Er schob ein paar Steinchen darüber. Es sah aus wie ein kleines Grab. Fehlte nur noch ein Kreuz aus Zündhölzern: Hier ruht in Frieden eine Smart Export, die ihr Leben viel zu früh ausgehaucht hat. Semper et ubique. »Was sagt denn eigentlich die Mama zu dem Wagen?« »Sie hat ihn noch nicht gesehen, das wird eine Überraschung.« Mein Vater kratzte sich nachdenklich am Kopf. Er hatte in den letzten Wochen zwar immer wieder davon gesprochen, sich ein Auto zu kaufen; dass es aber ein uralter Opel Kapitän sein würde, hatte er nie erwähnt. »Ich bin am Abend wieder zurück«, sagte ich und schwang mich auf mein Fahrrad. Mein Puch-Fahrrad hatte ich vor fünf Jahren zur Firmung bekommen. Ich war ein bisschen enttäuscht gewesen, weil es bereits gebraucht war und mir eine Armbanduhr lieber gewesen wäre. Aber jetzt war ich froh über das alte Rad, weil es gut zu meinen abgeschnittenen Jeans und zum Unterhemd meines Großvaters passte. Außerdem hatten mir meine Eltern zum fünfzehnten Geburtstag dann ja doch noch eine Armbanduhr geschenkt. Neben dem Fahrrad und der Armbanduhr besaß ich noch einen Plattenspieler und eine Schreibmaschine; also alles, was ein Siebzehnjähriger zum Leben brauchte. »He, warte«, rief mir mein Vater nach. »Du musst noch den Garten gießen.« »Wieso ich? Das soll gefälligst die Mama machen.« Garten gießen war das Letzte, was ich am Beginn meiner Ferien machen wollte. »Aber die Mama ist zur Baba ins Krankenhaus gefahren. Sie kommt erst später zurück. Und sie will unbedingt noch einkaufen gehen.« Typisch, dachte ich, kaum ergibt sich die Gelegenheit zum Einkaufen, schon wird diese von meiner Mutter genutzt. Und wozu? Um Dinge zu kaufen, die ohnehin kein Mensch brauchte. Da ich im Sommer mit zwei abgeschnittenen Jeans und zwei Unterhemden meines Großvaters auskam, sah ich überhaupt keinen Grund, meine Mutter bei ihren geliebten Einkaufstouren zu begleiten. Ich fand das nur peinlich. Außerdem stand ich konsequent auf der Seite der Konsumverweigerer, außer, wenn es um die Topfentorte vom Hufnagel ging. »Wie geht es denn der Cveta Baba?«, fragte ich pflichtschuldig. Meine Großmutter hieß mit Vornamen eigentlich Cvetanka, wurde in der Familie aber nur Baba genannt. Außer von mir, für mich war sie die Cveta Baba. Sie stammte aus Serbien und tat sich mit der deutschen Sprache immer noch schwer. Dass meine Großmutter im Krankenhaus lag, hatte ich verdrängt, weil mich Krankengeschichten im familiären Umfeld genauso wenig interessierten wie Eheschließungen oder Geburten. Von Scheidungen ganz zu schweigen. Im Übrigen erfuhr man als Jugendlicher von den wirklich schweren Erkrankungen der Erwachsenen ohnehin erst, wenn es bereits zu spät war. »Genaueres weiß ich auch nicht, aber es wird schon wieder werden.« Die Antwort meines Vaters klang nicht sehr überzeugend, aber ich hütete mich, jetzt eine Debatte über den Gesundheitszustand meiner Großmutter anzufangen. Vor allem, weil ich gehört hatte, dass Cveta Baba angeblich Probleme mit dem Unterleib hatte. »Und wenn nicht? Fahren wir dann trotzdem nach Jugoslawien?« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Mutter ihre Zustimmung zur Urlaubsreise geben würde, wenn ihre Mutter im Krankenhaus lag. »Natirli«, antwortete mein Vater. Mein Vater sagte natirli statt natürlich, genauso wie er Filtertitten statt Filtertüten sagte. Offenbar hatte er eine ausgeprägte Ü-Aversion. »Also, was ist jetzt? Gießt du den Garten?« »Ich mache das, wenn ich zurickkomme, bin eh schon spät dran.« Ich sah zu, dass ich so schnell wie möglich wegkam.   Wie am Vortag trafen wir uns auch heute wieder in dem Rohbau, den Mü bei einer seiner Erkundungstouren entdeckt hatte. Das halbfertige Haus lag am Ende einer Sackgasse und war eine dieser Scheidungsruinen, von denen es in letzter Zeit immer mehr gab. Neben Mü, der eigentlich Müller hieß, waren noch Candy, Taylor und Hendrix gekommen. Und ein Typ, den ich nur vom Sehen kannte. Sein Name war Rick, und er war Müs Cousin. Rick war sicher über zwanzig, trug einen Bart und hatte eine Gitarre bei sich. Wahrscheinlich gehörte ihm auch das Moped, das vor dem Haus am Zaun lehnte. Wie Mick Jagger beim legendären Konzert im Hyde Park setzte er sich im Schneidersitz auf den Boden und schlug ein paar Akkorde an. Dann legte er los und sang mit halb geschlossenen Augen über ein baby, das round my door herumhing, sich am Ende – yeah – aber als insane herausstellte. Was sly, sly, sly like a demon’s eye heißen sollte, war mir nicht ganz klar. Nachdem Rick den Song mit einem wilden Riff beendet hatte, warf er seine Haare theatralisch zurück. »Ich habe in London Deep Purple bei Studioaufnahmen begleitet. Ich war dritter Rhythmusgitarrist bei Demon’s Eye. Das ist eine Nummer auf der Fireball-LP. Der Jon Lord und der Ritchie Blackmore sind echt klasse Burschen. Hier, der Jon hat sogar meine Gitarre signiert.« Er hielt sein Instrument in die Höhe, auf dem tatsächlich eine unleserliche Unterschrift zu sehen war. Dass er Gitarre spielen konnte, war unüberhörbar. Ich schaffte gerade einmal If I had a hammer und I can’t get no satisfaction, wobei ich so falsch sang, dass die Lieder nur für Eingeweihte erkennbar waren. Kein Wunder, dass sich meine Eltern immer fürchterlich aufregten, sobald ich auf meiner verstimmten Gitarre zu üben begann. Mü nickte zufrieden und holte aus seiner Plastiktasche ein paar Flaschen Bier sowie einen Kranz Knacker. fescher mit fashy. FASHY IHRE BADEMÜTZE stand auf der Plastiktasche. »Rick spielt ja bei den Black Eagles, die geben am Samstag ein Konzert in der Turnhalle. Wird sicher lässig.« Von den Black Eagles hatte ich noch nie etwas gehört, obwohl ich regelmäßig auf Konzerte in der näheren Umgebung ging. »Ihr müsst aber rechtzeitig kommen, wird ein ziemlicher Andrang.« Rick stand auf und sah auf seine Armbanduhr....


Palm, Kurt
Kurt Palm, geboren 1955 in Vöcklabruck, Studium der Germanistik und Publizistik, wurde mit der gefeierten TV-Produktion "Phettbergs nette Leit Show" (1994-96) bekannt. Sein Bestseller Bad Fucking (2010) wurde 2011 mit dem Friedrich Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Krimi des Jahres ausgezeichnet und war auch als Film erfolgreich. Bei Deuticke sind seine Romane Strandbadrevolution (2017) und Monster (2019) erschienen.



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