E-Book, Deutsch, 121 Seiten
Paretti Laura Lumati
1. Auflage 2022
ISBN: 978-87-28-46947-7
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 121 Seiten
ISBN: 978-87-28-46947-7
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sandra Paretti (1935-1994) wurde als Irmgard Schneeberger in Regensburg geboren und verfasste in erster Linie Gesellschaftsromane. Parettis Werke wurden in 28 Sprachen übersetzt, wodurch sie bis heute zu einer der meistgelesenen deutschsprachigen Autorinnen zählt. Ihr Werk 'Der Wunschbaum' wurde zudem als TV-Serie adaptiert.
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1
Kluge Frauen heiraten einen Mann, der weit mehr Geld besitzt, als sie auszugeben gedenken. Stolze Frauen fordern mehr vom Leben als nur materielle Bequemlichkeit. Trotzdem hält ein instinktives Mißtrauen sie ab, sich allein auf die Wahl ihres Herzens zu verlassen. Nur Menschenverächter und Frauenhasser wittern Betrug, wenn eine Frau es versteht, sich in den Mann zu verlieben, den ihre Klugheit sie hat wählen lassen.
So betrachtet, war Laura eine Ausnahme. Sie hatte nicht den Reichtum Ceno Lumatis geheiratet. Von ihrer Klugheit im Stich gelassen, war sie der Faszination der dunklen Vergangenheit, der imposanten Häßlichkeit und der zentaurenhaften Vitalität dieses Mannes, der zwanzig Jahre älter war als sie, erlegen.
Es war Leidenschaft gewesen; eine Leidenschaft, die ihr das Empfinden gab, alles davor sei nur eine Art von Tod gewesen und erst jetzt beginne das Leben. Sie schien erlöst von sich selbst. Daß sie als Kind ihre Lieblingspuppen mit Schrotladungen durchlöchert hatte; daß sie den kostbarsten Schmuck ihrer Mutter hinter die Holzverschalung des Dachbodens geworfen und schweigend zugesehen hatte, als man deswegen zwei Zofen entließ; daß sie als Halbwüchsige ihren Hauslehrer verführt und dann angezeigt hatte, waren nur noch vage Erinnerungen. Der unterirdische Strom von Haß, Grausamkeit und Zerstörungslust, der immer wieder aufgebrochen war, manchmal für Augenblicke, manchmal für Tage, schien endgültig versickert.
Wann hatte es wieder begonnen? Heute früh, als die Motoren der Cessna angesprungen waren, als die Vibration der Maschine plötzlich auch in ihr gewesen war? Oder erst später, in Mailand, auf der Versteigerung? Neun Millionen Lire hatte sie für die sieben mal fünf Meter große Polarfuchsdecke gezahlt. Ein verrückter Preis für etwas, das für Laura nur deshalb Wert hatte, weil es ihr die Möglichkeit gab, es jemand anderem wegzunehmen. Neun Millionen Lire für Sekunden, in denen ihr heiß wurde, für die Enttäuschung, die ein anderer empfand.
Zu leben, reich und glücklich zu sein, genügte ihr nicht. Weder die Liebe noch die Gefahr stillten den Hunger nach Ungeschmecktem. Was sie auch tat, immer wieder fand sie sich in diesem luftleeren Raum des Glücks, in dem das Leben nichts war als ununterbrochene Langeweile.
Manchmal beschlich Laura Entsetzen vor diesem Glück, das ihr alles zu nehmen drohte, die Wünsche, die Ängste, das Staunen; eines Tages würde nichts mehr da sein, nur noch dieses taube Gefühl in Fingern, denen im Schlaf etwas entglitten ist. Es war furchterregend, dieses Glück. Es trocknete sie aus. Es versuchte sie vergessen zu machen, daß sie lebte. Sie begann es zu hassen.
Der ungeschliffene Smaragd an Lauras Handgelenk zitterte. Grüne Reflexe huschten durch die Kabine der Cessna. Hinter den Sitzen am Boden lag das lose verschnürte Plastikpaket mit der weißen Polarfuchsdecke.
Das Flugzeug, das Laura über der Landepiste des Flughafens Venedig durchgestartet hatte, zog steil in die Höhe. Laura spürte an der rechten Hand den Ehering. Er war ihr nach sieben Jahren immer noch zu weit. Nur dieser Schmerz, am Steuer des Autos oder des Flugzeugs, erinnerte sie manchmal daran, daß sie ihn trug.
Der Copilot beobachtete schweigend ihre Handgriffe. Der Mann trug eine blaugetönte Brille; am Ansatz seiner grauen Haare standen Schweißperlen. Was mit dem Flugzeug geschehen konnte, ließ ihn kalt; aber bei der Vorstellung, sich vor Ceno Lumati rechtfertigen zu müssen, drehte es ihm den Magen um.
Laura dachte nicht daran, ihn zu besänftigen. Damit er seinen Zorn und seine Erbitterung vergaß, genügte es, ihm das Gesicht zuzuwenden; dieses Gesicht, das die Natur geschaffen hatte, um damit über alle Versuche der Kunst, die Schönheit darzustellen, zu triumphieren: Botticelli hatte sich an diesem immateriellen Blond versucht, Leonardo an dieser honigfarbenen Haut, Giambellino an diesen braunen Augen.
Daß Schönheit etwas war, das gegen alles andere recht behielt, war eine Erfahrung, die Laura sehr früh gemacht hatte. Sie hatte sich daran gewöhnt, wie ihre Umwelt sich daran gewöhnt hatte, ihre Launen als Gesetz zu nehmen.
Warum sie durchgestartet war? Vielleicht wegen des schwarzen Cadillac und des roten Alfa Romeo, die sie beim Anfliegen neben der Landebahn entdeckt hatte. Ivanka und Valentino. Vielleicht hatte Laura die Vorstellung gereizt, daß Ivanka und Valentino sich um sie ängstigen würden, vielleicht auch das Schauspiel, wie die beiden Gestalten da unten sich wieder verflüchtigten.
Über Venedig wehten die Dunstschleier eines Septemberabends. Der Himmel war noch hell. Das Meer breitete sich dunkel unter ihnen aus. Im Canale di San Marco vor der Riva degli Schiavoni lagen zwei weiße Schiffe. An der Treppe von San Giorgio Maggiore legte ein Motorboot an. Mönche in weißen Kutten stiegen aus.
Hier, über Lagunen und Meer, hatte Laura ihre Flugstunden absolviert, über den Fahrtrinnen der Schiffe, den Sandbänken, den mit den Tageszeiten die Farbe wechselnden Strömungen. Das Gefühl von Wagnis, um dessentwillen sie das Fliegen lernte, war ihr hier abhanden gekommen, bevor sie es noch richtig ausgekostet hatte, bis damals, als sich eines Nachmittags aus den Reflexen des Lichts und des Wassers etwas kristallisierte. Sie ging mit dem Flugzeug tiefer, und es wurde eine weiße Kuppel daraus, die sich aus einer blühenden Wildnis erhob, das Mausoleum.
Am nächsten Morgen fuhr sie mit Ceno im Motorboot zu der Insel hinaus. Weißer Strand, keine menschliche Spur. Dünen, Buchten, wieder weißer Sand. Ein Wald aus Pinien und Pappeln. Die Pfosten eines zerfallenen Stegs. Bronzene Kandelaber flankierten den Anlegeplatz. Efeu rankte sich um das Metall, das braun und schrundig war wie alte Rinde. Aus den Laternen hatte der Sturm die Verglasung herausgebrochen. Möwen nisteten darin.
Ein Weg aus weißem Marmor, der sich im Schatten der Pinien verlor. Zwischen den Stämmen Sträucher mit gelben Beeren. Grüne Dämmerung. Polster aus Moos. Große buntgefiederte Vögel. Aus Metall, aus Edelsteinen? Oder konnten sie sterben?
Auf dem weißen Marmor des Wegs die gebleichten Nadeln der Pinien. Mauern aus Rosen zu beiden Seiten des Wegs. Weiße Blüten. Aus Wachs, aus Seide? Oder konnten sie verwelken?
Zärtlicher, zudringlicher Duft. Zwischen den Lippen, im Mund, unter der Haut. Der Weg wurde breiter. Ein weißer Platz. Säulen. Leichtgeschürzte Göttinnen.
Das Mausoleum. Ein leeres Rund. Leere Wände. Eine Kuppel. Auf der Marmorbank kein Sarkophag, sondern Polster seidigen Lichts. Woher kam das Licht? Licht wie Seide. Zärtliches, kühles Licht, anschmiegsam . . .
Die Cessna war jetzt über der Insel. Laura blickte hinunter. lauralba . In dieser Sekunde fiel ihr der Name ein, nach dem sie so lange gesucht hatten.
Laura drückte die Taste des Aufnahmegeräts:
»lauralba . Auf der ganzen Welt gibt es keinen Ort wie diesen. Zwei Stunden von Paris, drei von London, vier von Stockholm, eine von Zürich, eine von Rom – eine Insel, die das Paradies an Vollkommenheit übertrifft. lauralba – auf der ganzen Welt ist kein Ort, wo Sie glücklicher sein können.«
Laura drückte die Rückspultaste. Ihre Stimme war in der Kabine. Sie hörte aufmerksam zu. Wie oft hatte sie die Texte der Werbeabteilung abgelehnt? Wie oft hatte sie zu Galli gesagt: »Ein Traum. Wir wollen einen Traum verkaufen.« Sie lauschte auf ihre Stimme. Man mußte sehen, ob die Worte auf Papier auch noch gut waren.
Diese Insel war Lauras Entdeckung und Idee gewesen. Sie hatte an den Plänen und Modellen mitgearbeitet. Sie hatte die ersten Verhandlungen mit dem Fürsten Frevelli geführt, dem Besitzer der Insel, mit den Behörden. Die Besuche in der Präfektur. Das Abkommen mit dem Forstamt über die Reglementierung der hydrologischen Auflagen zum Schutz und zur Verbesserung des vorhandenen Waldbestands der Insel. Die Absprachen wegen der Wasserversorgung mit der E.D.D.P., wegen der Lieferung von elektrischem Strom mit der E.N.E.L. Das zähe Hin und Her mit dem urbanistischen Planer, der nicht einsehen wollte, daß er bei der Planung dieser Insel seine funktionelle Leidenschaft einmal vergessen mußte. Nein, keine Drähte für Strom und Telefon. Nichts, was an das Heute erinnerte. Villen in venezianisch-polisanischem Stil.
Ceno würde ein Milliardengeschäft aus der Insel machen, ein Geschäft mit den Reichsten der Reichen, mit Menschen, die, der Wirklichkeit müde, auf der Jagd nach Träumen waren. Das war das Geheimnis von Cenos Erfolg. Er verkaufte Projekte, die es zunächst nur in seiner Phantasie gab, die er aus dem Nichts erschuf.
lauralba . War sie schon wie Ceno, besessen von der Idee, aus Nichts Geld zu machen?
Nein, das war es nicht, was sie immer wieder hierherzog. War es die weiße Kuppel des...