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E-Book, Deutsch, 381 Seiten

Paretti Paradiesmann


1. Auflage 2022
ISBN: 978-87-28-46942-2
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 381 Seiten

ISBN: 978-87-28-46942-2
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Pavelino ist ein Frauenheld, wie er im Buche steht: reich, gutaussehend, geheimnisvoll. Seine Zeit versüßt er sich mit Frauen und Sportwagen und genießt sein Leben dabei in vollen Zügen. Doch wie kann er sich diesen Lebensstil leisten? Das weiß niemand so genau, doch alle sind sich sicher, dass dies nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Was verheimlicht Pavelino, und wer ist er wirklich?

Sandra Paretti (1935-1994) wurde als Irmgard Schneeberger in Regensburg geboren und verfasste in erster Linie Gesellschaftsromane. Parettis Werke wurden in 28 Sprachen übersetzt, wodurch sie bis heute zu einer der meistgelesenen deutschsprachigen Autorinnen zählt. Ihr Werk 'Der Wunschbaum' wurde zudem als TV-Serie adaptiert.
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1


Pünktlich war er nie . . .« Flo Friedl rückte mit dem Liegestuhl etwas mehr in den Halbschatten unter dem Fliederbusch und lehnte sich wieder zurück, die Arme unter dem Kopf verschränkt. »Nein, pünktlich war er nie, nicht einmal bei unserem ersten Rendezvous . . . eine geschlagene Stunde ließ er mich warten. Ich dachte, er hat mich vergessen, aber dann, als ich die Hoffnung schon aufgegeben hatte, kam er. Und er brachte mir eine Orchidee mit, eine weiße Orchidee, nicht in einer durchsichtigen Zellophanschachtel mit Seidenschleife drumherum, wie sich das gehört. Er hatte die Orchidee einfach in der Hand, sozusagen unterwegs gepflückt . . . das war typisch für ihn, typisch Pavelino, eine Stunde zu spät, aber eine weiße Orchidee in der Hand. Nur er machte so was, nur Pavelino. Kein Wunder, daß ich mich in ihn verliebt habe. Ich dachte mir, entweder ist er ein Maharadscha oder ein Hochstapler, so oder so, er ist der erste, der mich wie eine Dame behandelt, ich muß ihn haben . . .«

Sie sprach leise vor sich hin, träumerisch, mehr zu sich selbst als zu mir. Ich konnte mir ihre Worte nicht zusammenreimen: Vor fünf Minuten, als sie in den Garten herunterkam – in ihrem weißen Leinenkostüm mit dem schmalen, engen Rock und der losen Jacke, die nur einen Knopf hatte, und der saß an der Taille –, sagte sie etwas von einem amerikanischen Offizier, der in München stationiert war, und heute eigens ihretwegen nach Regensburg kam. Und jetzt redete sie von einem anderen, von einem Mann, der Pavelino hieß.

Flo Friedl arbeitete im Nachtclub der amerikanischen Besatzungstruppen, und ihre Männerbekanntschaften wechselten rasch.

»Ich kenne mich nicht mehr aus«, sagte ich. »Ich dachte, du hast ein Rendezvous mit dem Amerikaner aus München.«

»Hab’ ich auch.«

»Und der andere?«

Sie hob den Kopf. »Welcher andere?«

»Pavelino . . .«

»Pavelino . . .« sie sagte den Namen weich und melodiös, » . . . aber Pavelino ist der Amerikaner.«

»Ein Amerikaner, der Pavelino heißt?«

»Er ist kein richtiger Amerikaner, eigentlich Deutscher, 1931 ausgewandert.« Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: »Als ich ihn kennenlernte, konnte er nicht genug Englisch, um einen Schlagertext zu verstehn. Er mußte jedes Wort im Langenscheidt nachschlagen – und jetzt ist er amerikanischer Offizier . . . Typisch Pavelino, bei ihm ist alles möglich, auch das Unmögliche.«

Meine Neugier war geweckt. »Pavelino . . . was ist das eigentlich für ein Name?«

»Soviel ich weiß, hat er den Namen von seinem Großvater, und der war Russe.« Sie setzte sich auf, und das amerikanische Magazin, das am Ende des Liegestuhls lag, fiel ins Gras. »Eins ist sicher, wenn ich mal einen Sohn habe, nenne ich ihn Pavelino.«

Ich sah sie überrascht an, »Du willst ihn heiraten?«

»Pavelino? Du hast Ideen . . .« Sie griff hinauf, in den Fliederbusch, riß ein Blatt ab, und aus einer halbverblühten Dolde fielen kleine violette Blüten auf ihr weißes Kleid. Es war ein warmer, leicht verschleierter Junitag. Der Wind schlief, die Donau rauschte leise, und in der Luft schwebte der süße Duft der letzten Fliederdolden, die dunkelviolett und schwer wie Weintrauben allmählich dahinwelkten.

Flo Friedl sammelte die kleinen Blüten zusammen und blies sie von der flachen Hand.

»Es geht die Flo lila / Von Kopf bis Schuh lila / Auch das Dessous lila / Das muß man sehn . . . / Wenn jemand kömmt lila / Macht sie die Lampe lila / Beim lila Bett . . .« Sie sprach die Worte leise vor sich hin. Ich kannte den Schlager, denn sie ließ die Schallplatte oft laufen. Plötzlich brach sie ab. »Genug mit dem Quatsch, das ist nichts für Kinderohren.«

»Ich bin kein Kind!« protestierte ich.

»Du bist elf, und mit elf ist man noch ein Kind.«

»Ich bin neunundzwanzig.«

»Du bist elf.«

»Ich bin neunundzwanzig, denn neunundzwanzig und elf ist dasselbe. Wenn man die Zwei und die Neun von neunundzwanzig zusammenzählt, kommt elf heraus, also ist elf neunundzwanzig.«

»Neunundzwanzig! Auf die Idee wäre ich nicht gekommen, einfach addieren und man ist wieder elf und fängt von vorne an . . . Aber jetzt heißt’s lernen, mein Fräulein, du hast morgen eine Ex in Geschichte, oder?«

»Ich bin fertig mit dem Lernen.«

»Du hast noch nicht mal angefangen. Du starrst die ganze Zeit hinaus auf die Badstraße. Man könnte meinen, du hast das Rendezvous mit Pavelino, aber dazu bist du noch zu jung, verstanden? So früh habe nicht einmal ich angefangen!«

»Wann hast du angefangen?«

»Schluß jetzt!« Flo Friedl griff nach dem Geschichtsheft, das im Gras lag. »Ich frage dich ab, dann werden wir gleich sehen, ob du gelernt hast.« Sie stellte die Lehne des Liegestuhls senkrecht, setzte sich zurück und schlug das Heft auf: »Alexander in Mesopotamien . . . Mensch, von dem habe ich noch nie was gehört . . . das muß ich mir merken. Alexander in Mesopotamien . . . klingt irre gut . . . Da kann man was daraus machen . . . Man, you behave like Alexander in Mesopotamia . . . irre gut . . . Mii-soo-poo-tamia, salonfähig und doch irgendwie unanständig . . . Das ist was für meine Herren Offiziere, so was mögen sie. Ein Wort, das nur unanständig ist, pah, nicht halb so gut. Das hat mir Pavelino beigebracht: Beim Reden und beim Anziehn nicht zuviel Haut zeigen! Neugierig machen, das genügt . . .« Sie blickte an sich hinunter, und ihre Hände folgten diesem Blick, glitten über die Knie und die Beine abwärts bis zu den hochhackigen Sandaletten aus hellgrauem Schlangenleder. »Pavelino hat eine Dame aus mir gemacht. Vorher war ich nur so ein Zeigste-was-biste-was-Mädchen. Ich dachte, was Josephine Baker kann, kann ich auch: oben nichts und unten einen Bananengürtel . . .« Wieder hatte sie vergessen, daß ich ein Kind war, und ich auch. Nach einer Pause fuhr sie fort. »Wenn die Amerikaner wüßten, wer da für sie steppt und tingelt – die Witwe von einem hohen SS-Tier, auweia! Jedesmal, wenn ich mir den neuen Stempel für den Passierschein hole, habe ich Bammel. Aber jetzt kann mir nichts mehr passieren. Pavelino holt mich hier raus. Ich packe noch heute meine Koffer und verschwinde mit ihm. Darauf kannst du Gift nehmen.«

Flo Friedl war eine Frau mit Vergangenheit: Sie hatte eine Karriere als Revuetänzerin hinter sich, sie hatte Filme gemacht, sie war ein paarmal verheiratet gewesen. 1945, kurz vor Ende des Kriegs, war sie mit den Resten eines Fronttheaters in Regensburg gelandet, und man hatte sie bei uns einquartiert. Sie hatte dunkles Haar, die Augen einer Sphinx, lange rote Fingernägel, lange Beine und die Figur einer hochgeschossenen Sechzehnjährigen, Kind und Frau in einem. Sie parfümierte sich mit Unmengen von Chypre und sprach Berliner Jargon. In ihrem Zimmer herrschte ein wildes Durcheinander. Tausend Fotografien aus ihrer großen Zeit lagen am Boden herum, tausend amerikanische Magazine, tausend Schallplatten, tausend Pumps, tausend einzelne Nylonstrümpfe. Und der Tisch quoll über von Schminksachen.

Sie kam aus einer anderen Welt. Ich konnte ihr stundenlang zuhören, wenn sie erzählte: die großen Revuen an der Berliner Scala, ihr Engagement am Deutschen Theater in München, die Filme, die sie bei der Ufa gedreht hatte, ihre Ehen, ihre Scheidungen und die Männer zwischendurch. Es war wie eine Droge. Ich vergaß die Schule, ich vergaß, daß ich ein Kind war. Mein Kopf summte von abenteuerlichen Bildern und Szenen, von Andeutungen, die mich verwirrten, von Rätseln, die ich nicht lösen konnte.

Flo Friedl schaute auf ihre Armbanduhr. »Halb drei!«

»Wann wollte er da sein?«

»So um zwei.«

»Vielleicht findet er nicht her.«

»Daran liegt es bestimmt nicht.«

»Hast du ihm den Weg erklärt zum Oberen Wöhrd?«

»Das war nicht nötig, er kennt Regensburg, und er kennt den Oberen Wöhrd. Er ist hier aufgewachsen.«

»Hier in Regensburg? Pavelino ist in Regensburg aufgewachsen?«

»Ja . . . ein komischer Zufall oder Fügung des Schicksals. Er wußte sofort, wo die Badstraße ist. Er kennt dieses Haus, er hat es mir genau beschrieben: ein gelbes Haus mit grünen Läden und einem kleinen Vorgarten. Er kennt auch den Tennisclub. Dort hat er sich als Schüler sein Taschengeld verdient, als Balljunge.«

*

Bis dahin war Pavelino für mich nur ein schöner Name, eine Figur aus dem abenteuerlichen Leben der Flo Friedl gewesen. Jetzt wurde er lebendig. Er war in Regensburg aufgewachsen, er war hier zur Schule gegangen, er hatte im Tennisclub, nur fünf Minuten...



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