E-Book, Deutsch, 260 Seiten
Reihe: zur Einführung
Paul Theorie des Geldes zur Einführung
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96060-104-3
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 260 Seiten
Reihe: zur Einführung
ISBN: 978-3-96060-104-3
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Geld regiert die Welt" – angesichts der jüngeren Finanzkrisen eine Binsenweisheit. Die tatsächliche Herrschaft des Geldes ist jedoch selbst in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften häufig unverstanden. Anstatt einzelne "alternative" Theorien des Geldes aneinanderzureihen, gibt dieser Band aus der Perspektive einer ökonomisch aufgeklärten, soziologischen Kredittheorie des Geldes einen kohärenten Überblick über die Anfänge, die Funktionsweise, die finanziellen und sozialstrukturellen Effekte unseres heutigen Geldwesens. Behandelt werden u.a. "primitive Gelder", behavioral finance und Experimente mit Alternativwährungen. Dabei zeigt sich, dass nicht nur unser kapitalistisches Wirtschaftssystem als geldbestimmt, sondern die moderne westliche Gesellschaft selbst als monetär integriert aufgefasst werden muss.
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II. Urszenen des Geldes
1. Gabentausch und zeremonielle Gelder
Wenn Geld nicht dem Tausch entspringt, sich zumindest nicht zwanglos aus ihm entwickelt, wie gelangt es dann in die Welt? Die prinzipielle Alternative zu den Tauschmitteltheorien des Geldes sind Zahlungsmitteltheorien des Geldes. Auf den ersten Blick mag der begriffliche Unterschied marginal erscheinen. Ist eine Zahlung denn nichts Anderes als die eine Seite eines geldvermittelten Tauschs, dessen andere der Besitzwechsel einer Ware ist? Zahlen wir auf dem Markt, im Geschäft oder bei Bestellungen im Internet nicht eben und bloß deshalb, weil anders der Tausch in einer arbeitsteiligen Gesellschaft nicht zustande käme? Besteht der Zweck des Geldes neben, wenn nicht vor der Quantifizierung von Wertgrößen nicht gerade in der »Halbierung« des Tauschs? Ist nicht die Spaltung des Tauschs von Ware gegen Ware durch die Dazwischenschaltung von Geld der ebenso einfache und darum von den Menschen im Laufe der Geschichte an den verschiedensten Orten der Welt unabhängig voneinander immer wieder entdeckte wie geniale Trick, ihn aus seiner Beschränkung auf die konkreten und dazu noch in den »richtigen« Mengen vorhandenen Gegenstände zu befreien? Ist nicht die Zahlung, auch wenn erst das Geld den Tausch aus seinen natürlichen Fesseln befreit, ein Abkömmling desselben? Wie soll die Zahlung das Geld begründen, wenn das Geld zugleich deren Voraussetzung ist? Tatsächlich wird in vielen, zumal orthodox ökonomischen, aber auch etlichen geldhistorischen Darstellungen nicht oder wenigstens nicht systematisch zwischen der Tausch- und der Zahlungsmittelfunktion des Geldes unterschieden, ganz so, als ob, wie eben durchgespielt, zwischen diesen kein wesentlicher, sondern lediglich ein genealogischer Unterschied und das heißt ein vom Tausch zur Zahlung verlaufender Zusammenhang bestünde. Diese weitverbreitete Argumentation sitzt jedoch einem anthropologischen sowie einem damit korrespondierenden konzeptionellen Fehlurteil auf. Der Waren- oder allgemeiner der vor allem an den Gegenständen des Tauschs interessierte Tausch gehört in historisch-kulturvergleichender Perspektive nicht zu den dominanten Formen menschlicher Interaktion (Dalton 1982; Humphrey 1985). Es ist zwar richtig, dass schon aus »vorgeschichtlicher«, das heißt vorschriftlicher Zeit bekannt ist, dass Materialien oder Produkte, die einer Gruppe von Menschen dort, wo sie lebten und siedelten, natürlicherweise nicht zur Verfügung standen, gleichwohl aber von ihnen besessen wurden, über für damalige Verhältnisse zum Teil sehr weite Distanzen herbeigeschafft worden sein müssen und dass zwischen vorgeschichtlichen Gruppen verschiedenartige Güter sehr wahrscheinlich auch ausgetauscht wurden (Parzinger 2014, S. 66, 68). Umgekehrt folgt aus dem bloßen Vorhandensein ortsfremder Materialien und Gegenstände allerdings nicht, dass diese auf dem Wege des Handels und nicht durch Raubzüge oder die einseitige Weitergabe in die Hände ihrer Besitzer gelangt sein müssen. Vor allem aber waren handelsartige Austauschbeziehungen, sofern es sie gab, für die materielle Reproduktion der handelnden Gemeinwesen unwesentlich. Das Überleben weder der für die menschheitsgeschichtlich längste Zeit »exklusiven« Wildbeuter- noch der späteren postneolithischen Ackerbaugemeinschaften war davon abhängig, dass Handelsbeziehungen zu Nachbar- oder gar weit entfernt lebenden, kulturell fremden Gruppen bestanden. Zumindest die »wirtschaftlichen« Beziehungen zwischen den einzelnen Einheiten dieser frühen, segmentär verfassten Gesellschaften waren in einem nicht nur räumlichen Sinne randständig. Von regelrechten und regelmäßigen Handelsbeziehungen zwischen verschiedenen Gemeinwesen kann erstmalig in Hinblick auf das Verhältnis der frühen mesopotamischen Städte des vierten vorchristlichen Jahrtausends zu ihrer Peripherie die Rede sein (Oates 1983). Und selbst dieser verlief nicht anders als noch der inter-»nationale« Handel der Phönizier im ersten vorchristlichen Jahrtausend bargeldlos. Doch das ist längst noch nicht alles. Innerhalb der vorgeschichtlichen Gemeinschaften und der im Rahmen oder Schatten der Reiche und Staaten bis vor Kurzem überlebenden Wildbeuter- und Stammesgesellschaften gab es keine Märkte, auf denen individuelle Akteure oder auch nur für die Versorgung zuständige Vertreter der einzelnen Familien miteinander gefeilscht hätten, geschweige denn, dass der Gang zum Händler selbstverständlich oder überhaupt möglich gewesen wäre. In nicht-agrarischen Gesellschaften machte die nur gering entwickelte Arbeitsteilung den Austausch von Gebrauchsgegenständen weitgehend obsolet; die Siedlungsgemeinschaften selbst waren darüber hinaus quasifamilial verfasst. Und die Beziehungen der Familien zueinander waren wie die Beziehungen innerhalb einer Familie zwar nicht frei von Neid und Konkurrenz, nicht aber bestimmt durch den Austausch von Gütern. Der Besitz einer Familie war abgesehen von wenigen persönlichen Dingen wie zum Beispiel Kleidung, Schmuckstücken oder Waffen Gemeinschaftsbesitz. Die typischen Formen des Besitzwechsels einzelner Gegenstände zwischen den Familien oder zwischen einzelnen Bewohnern eines Dorfes waren die Leihe oder die Gabe. Diese wurde nicht unmittelbar und nicht notwendigerweise – und wenn, dann nicht durch einen genau definierten (Gegen-)»Wert« – vergolten; jene war in der Regel zeitlich unbestimmt und, wenn auch Ausdruck eines bestehenden oder Anlass eines künftigen unausgesprochenen wechselseitigen Beistandsversprechens, vor allem zinslos. In ackerbauenden Gesellschaften kam es zwar zu einer Zunahme weniger der beruflichen als der materiellen Differenzen, infolge dessen zu grundlegenden sozialstrukturellen Schichtungsprozessen und, wenn auch nicht zu regelmäßigen, institutionalisierten Märkten, so doch zum gelegentlichen Austausch von hier überschüssigen und dort begehrten Gütern, insbesondere von Lebensmitteln, Saatgut und Haushaltsgegenständen. Der wirtschaftliche Tausch ist also kein exklusives Merkmal moderner Gesellschaften. Doch – und das ist entscheidend – bleibt er, bleiben Märkte, so es sie überhaupt gibt, für das Überleben und vor allem die soziale Integration die längste Zeit der Geschichte unwesentlich. Dem Austausch von Gebrauchsgegenständen ist keine Dynamik eigen, die unweigerlich zur Entwicklung oder gar einem prinzipiell unbegrenzten Wachstum von Märkten führen würde. All dies bedeutet freilich nicht, dass nicht auch in und zwischen traditionalen, einfachen Gesellschaften getauscht worden wäre. Und es heißt auch nicht, dass diese Gesellschaften (in) kein(em Fall) Geld besessen hätten (Parry/Bloch 1989; Akin/Robbins 1999). Nur ist längst nicht jeder Tausch ein Warentausch und nicht alles Geld ein Zwischentauschgut, das diesen vermittelt. Die vormodern dominante (und im Übrigen bis heute lebendige) Tauschform nämlich ist der Gabentausch, und Gelder, so es sie gibt, sind zeremonielle Gelder. Der Gabentausch ist eine Interaktionsform, die ebenso zwischen Kollektiven wie zwischen Individuen stattfinden kann (Mauss 1923-24/1989). Es werden im Gabentausch nicht notwendigerweise nützliche Dinge, sondern ebenso und vor allem symbolisch, mit magischen Fähigkeiten, religiöser Aura oder weltlichem Prestige aufgeladene Gegenstände, aber auch Ehrerweise, Feste oder Titel und nicht zuletzt Menschen, zumeist unverheiratete Mädchen und gebärfähige Frauen, getauscht. Gabe und Gegengabe finden häufig zeitversetzt statt. Zwar ist nicht beliebig, sondern traditionell vorgeschrieben, dass und häufig auch was gegeben wird, einen Anspruch aber auf eine gleichwertige Gegenleistung besitzt der Geber nicht. Gabe und Gegengabe stehen nicht in einem Verhältnis der Äquivalenz, sondern der »Adäquanz« oder Angemessenheit. Gabentauschbeziehungen können asymmetrisch sein, ja der Gabentausch kann seinerseits soziale Asymmetrien begründen, indem die eine die andere Seite durch eine außerordentlich große oder dauerhaft besondere Gabe in ein Verhältnis der Inferiorität drückt (Baudy 1983). Entscheidend für die Unterscheidung von Gaben- und Warentauch ist jedoch, dass Ersterer, auch wenn er sich unter Umständen bestimmter wertvoller Dinge bedient, nicht darauf zielt, dass diese ihren Besitzer wechseln, sondern darauf, eine soziale Beziehung zwischen Geber und Nehmer zu etablieren, zu bekräftigen oder auch infrage zu stellen, wohingegen Letzterer, wenn und wo es ihn und das heißt zumindest Märkte in embryonaler Form gibt, den Zweck hat, die Tauschakteure in den Besitz bestimmter, eben genau der qua Tausch zu erwerbenden Güter zu bringen. Die soziale Beziehung zwischen den Tauschpartnern ist in diesem Fall ein lediglich punktueller Kontakt, der nach dem Besitz(er)wechsel der Waren prinzipiell (wenn auch nicht unbedingt empirisch) gleich wieder erlischt. Ähnlich verhält es sich mit zeremoniellen Geldern (Hénaff 2009, S. 452–481), irgendwie, das heißt nicht notwendigerweise aufgrund ihrer Materialeigenschaften, sondern auch oder nur aufgrund ihrer Geschichte wertvollen, durchaus zähl- und manchmal auch teilbaren,...