E-Book, Deutsch, Band 1, 784 Seiten
Reihe: Die Plantagenet-Saga
Penman Thronräuber
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-33090-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Roman. »Mehr kann man sich von einem historischen Roman nicht wünschen.« Rebecca Gablé - -
E-Book, Deutsch, Band 1, 784 Seiten
Reihe: Die Plantagenet-Saga
ISBN: 978-3-641-33090-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
England, 1135. Als die Kirchenglocken den Tod von König Henry I. verkünden, sehen sich seine Fürsten mit einer unliebsamen Vorstellung konfrontiert: einer Frau auf dem englischen Thron. Kaiserin Maude ist aufbrausend und gebieterisch, aber die rechtmäßige Erbin des Königreichs ihres Vaters. Ihr Gegenspieler, Stephen von Blois, ist ritterlich, beliebt, unentschlossen, aber ein brillanter Befehlshaber - und ein Mann. Ein blutiger Konflikt voll von Chaos und Entbehrungen bricht aus, ausgetragen auf dem bewegten und intrigenreichen Schachbrett des mittelalterlichen Europas. Am Ende wird nur einer der beiden auf dem Thron sitzen.
Sharon Penman, 1945 in New York geboren, war eine Juristin und hochgelobte Autorin historischer Romane und Krimis. Ihr schriftstellerisches Werk inspirierte zahlreiche Autor*innen, darunter George R. R. Martin, Bernard Cornwell und Rebecca Gablé. Penman starb 2021 im Alter von 75 Jahren.
Weitere Infos & Material
Prolog
Januar 1101
Kathedrale von Chartres, Frankreich
Seinen fünften Geburtstag sollte Stephen nie vergessen, denn es war der Tag, an dem er seinen Vater verlor. Eigentlich war dies faktisch nicht ganz richtig, nur werden Kindheitserinnerungen nicht allein aus Fakten gewoben, und später erinnerte er sich stets unter ebendiesem Vorzeichen daran.
Zusammen mit seinen Eltern und seinen beiden älteren Brüdern war er zu dieser gewaltigen Kirche der heiligen Maria gekommen, um eine Predigt des Bischofs über die Kreuzzüge zu hören. Er wusste nicht, wer dieser Bischof war, aber sein Sermon war lang und öde gewesen, und Stephen hatte die meiste Zeit über auf der Sitzbank herumgezappelt und sich gewunden, denn außer Reichweite seiner Mutter konnte er sich das erlauben. Sie hatte kein Verständnis für kindlichen Unfug, kein Verständnis für überhaupt irgendeinen Unfug. »Denk daran, wer du bist«, war ihre liebste mütterliche Zurechtweisung, und ihre älteren Kinder hatten schnell gelernt, dass sie sich dieser Warnung auf eigene Gefahr widersetzten.
Stephen hingegen wunderte sich darüber. Warum hätte er vergessen sollen, wer er war? Er wusste es doch sehr gut: Stephen von Blois, Sohn und Namensvetter des Grafen von Blois und seiner Gemahlin Adela, der Tochter von Wilhelm dem Eroberer, König von England und Herzog der Normandie. Stephen hatte seinen viel gerühmten Großvater nicht mehr kennengelernt, wusste aber, dass er ein großer Mann gewesen war. Seine Mutter erwähnte das recht häufig.
Auch über den Kreuzzug wusste Stephen Bescheid, denn die Leute redeten über kaum etwas anderes. Sein Vater hatte den Kreuzfahrereid abgelegt und war losgezogen, das Heilige Land von den Ungläubigen zu befreien. Da hatte Stephen noch in der Wiege gelegen, und als sein Vater zurückkehrte, war er zwei Jahre alt gewesen. Dieser Rückkehr hatte jedoch irgendetwas Schändliches angehaftet. Stephen verstand das nicht, denn er war überzeugt davon, dass sein Vater nichts Unrechtes tun konnte, nicht dieser Mann, der so viel lachte, kleine Missetaten mit einem Augenzwinkern vergab und Stephen zu seinem lange herbeigesehnten fünften Geburtstag ein weißes Pony versprochen hatte. Stephen hatte sich sogar schon einen Namen ausgesucht – Schneeball –, so sicher war er sich, dass sein Vater es nicht vergessen und dieses Pony bereits auf ihn warten würde, sobald sie in die Burg zurückkehrten.
Tatsächlich hatte Stephen gehofft, dass sie direkt nach der Messe nach Hause zurückkehren würden. Stattdessen hatten sie in Begleitung des Bischofs draußen im Kreuzgang verweilt und angeregt über das neue Kreuzfahrerheer diskutiert, das sich anschickte, sich den Glaubensbrüdern im Heiligen Land anzuschließen. Von den Erwachsenen unbeachtet, langweilte Stephen sich schrecklich und schlich bald zurück ins Innere der Kathedrale.
Dort war alles von Schatten und Stille erfüllt. Jetzt, da die Kerzen gelöscht und die Mitglieder der Pfarre gegangen waren, wirkte die Kathedrale auf Stephen ganz fremd – wie eine riesige dunkle Höhle. Von der nachwirkenden Sonne geblendet, stolperte er über ein Gebetskissen und schlug der Länge nach auf den glatten Steinfliesen hin. Ohne sich von dem aufgeschürften Knie entmutigen zu lassen, kam er schnell wieder auf die Beine und tastete sich durch das Mittelschiff zum Altarraum vor.
Er wollte gern einen genaueren Blick auf die Sancta Camisia werfen, die ausgebreitet über dem Reliquienschrein auf dem Hochaltar lag. Aus der Nähe stellte sie sich allerdings als Enttäuschung heraus – bloß ein verblichenes Hemd, ausgefranst und zerknittert. Er hatte etwas Prächtigeres erwartet, vielleicht ein Tuch aus Gold oder verzierter Seide, denn immerhin war dieses schäbige Kleidungsstück eine der meistverehrten Reliquien der ganzen Christenheit, getragen von der Jungfrau Maria höchstselbst, als sie das heilige Christuskind gebar. So hieß es zumindest. Stephens ältester Bruder Will hatte einmal zu fragen gewagt, wie es denn so viele Jahrhunderte hatte überdauern können, und prompt hatte seine Mutter ihm einen Schlag auf den Mund versetzt für diese lästerlichen Worte. Sorgfältig wischte Stephen sich die Hände an seiner Tunika ab und streckte sie soeben nach der Sancta Camisia aus, als plötzlich die Tür aufging und Sonnenlicht das Kirchenschiff flutete.
Er duckte sich hinter den Hochaltar in der Hoffnung, dass die Eindringlinge rasch wieder verschwanden. Stattdessen näherten sich Schritte. Als er seitlich um den Rand der Altardecke spähte, keuchte er vor Entsetzen auf. Es wäre schlimm genug gewesen, hier von einem Priester entdeckt zu werden. Den Zorn seiner Mutter aber fürchtete er mehr als den aller Priester und Bischöfe zusammen, sogar mehr als den Zorn Gottes, denn Er war droben im Himmel – Mama hingegen hier in Chartres.
Adela blieb vor dem Hochaltar stehen. Sie war ihm so nah, dass er fast den Saum ihres Kleides hätte berühren können. Das zweite Paar Schritte klang schwerer, doch genauso vertraut. Ein Teil der Angst wich von Stephen, jetzt, da sein Vater ebenfalls in der Nähe war. Trotzdem fürchtete er sich noch immer vor Entdeckung, denn für Züchtigungen war seine Mutter zuständig.
»Ich kann nicht fassen, dass dir mein Leben so wenig wert ist, Adela.« Stephen wusste, dass sich seine Eltern schon seit Tagen stritten, nun aber klang sein Vater nicht verärgert, sondern eher müde, fast ein wenig traurig.
»Ich bin deine Frau, Stephen. Natürlich ist mir dein Leben viel wert. Deine Ehre allerdings auch … Und unglücklicherweise scheint sie mir mehr zu bedeuten als dir.«
»Das ist ungerecht! Als der Kreuzzug zum ersten Mal gepredigt wurde, habe ich das Kreuz genommen, mehr deinetwegen als Gott zuliebe, wenn ich ehrlich bin. Und jetzt verlangst du von mir, ich soll noch einmal dorthin zurück? Bist du so begierig darauf, zur Witwe zu werden?«
»Ich will dich nicht zum Sterben zurückschicken, Stephen, sondern um deine Ehre wiederzuerlangen. Das bist du deinen Söhnen schuldig. Das bist du schuldig. Du musst deinen Kreuzrittereid erfüllen. Tust du es nicht, wird dich die Schmach von Antiochia bis ans Ende deiner Tage verfolgen.«
»Jesus Christus, Weib … Ich habe dir immer und immer wieder erklärt, warum ich die Belagerung verlassen habe. Ich war krank und entmutigt und angeekelt von all dem sinnlosen Gemetzel …«
»Wie kannst du so etwas sagen? Was könnte es für einen größeren Ruhm geben, als für die Befreiung Jerusalems zu sterben?«
»Jerusalem befreit worden, Adela, schon vor über einem Jahr.«
»Ja, aber du warst nicht dabei, oder? Nein, du warst zu Hause in Chartres und hast es dir gut gehen lassen, während dort Christen von den Feinden des rechten Glaubens erschlagen wurden!«
Stille folgte ihren Worten. Sie währte so lange, dass der kleine Junge einen verstohlenen Blick über den Rand des Hochaltars wagte. Seine Eltern standen nur wenige Schritte entfernt und starrten einander an.
»Du hast nahezu zwanzig Jahre lang mein Bett geteilt, Adela. Du kennst alle Narben, die mein Körper trägt, jede einzelne von ihnen in der Schlacht errungen. Du müsstest die Letzte sein, die meine Tapferkeit in Zweifel zieht. Stattdessen warst du eine der Ersten. So sei es. Ich werde tun, was du von mir verlangst. Ich werde abermals das Kreuz nehmen, zurück in dieses verfluchte Land ziehen und dich stolz machen.« Die Stimme des Grafen klang so tonlos, dass sein Sohn erschauderte.
Stephen hörte die Antwort seiner Mutter nicht, denn er hatte sich die Faust in den Mund gesteckt und biss sich auf den Daumen. Sein Blickfeld verschwamm, als er erfolglos die Tränen fortzublinzeln suchte. Schritte entfernten sich, eine Tür fiel hallend ins Schloss. Stephen kam auf die Füße, verließ den Schutz des Hochaltars und sah sich seinem Vater gegenüber.
Der Graf von Blois war sichtlich bestürzt. Sein Atem stockte halb in einer Verwünschung, und seine Stirn legte sich in Falten, als der Junge flüsterte: »Geh nicht weg, Papa …«
»Ach, mein Junge …« Und dann wurde Stephen von seinem Vater hochgehoben und eng an die Brust gedrückt, wo er sich die Tränen am weichen Wollmantel des Grafen abwischte.
»Warum musst du denn weg, Papa?« Einmal hatte er seinen Vater gefragt, wie es im Heiligen Land gewesen war. Er erinnerte sich noch gut an die schroffe Antwort: »Ein höllischer Ort.« Also sagte er jetzt: »Du willst doch nicht zurück, also bleib hier, bitte geh nicht wieder fort.«
»Ich habe keine Wahl.« Sein Vater nannte Stephen nur selten beim Namen, sondern bevorzugte »Junge« oder »Kerlchen« oder scherzhaft »Teufelchen«. Jetzt allerdings sagte er leise »Stephen« und klang dabei abermals traurig. »Ich hatte gehofft, warten zu können, bis du älter bist … Als ich im Heiligen Land war, habe ich einen Fehler gemacht. Damals kam es mir nicht wie einer vor. Aber genau das war es: der größte Fehler meines Lebens. Wir hatten Antiochia seit fast acht Monaten belagert. Ich litt an einem Fieber und habe mich ins nahe Alexandretta zurückgezogen. Am Tag nach meiner Abreise haben unsere Truppen die Stadt eingenommen. Doch dann rückte ein großes Sarazenenheer an und schloss sie in der Stadt ein. Sie schienen mir ohne Zweifel verloren, und ich … Tja, ich habe beschlossen, nach Hause zurückzukommen, nach Blois.«
Er stockte und zauste Stephen die Haare, die genauso hellbraun waren wie seine eigenen, ehe er widerwillig fortfuhr. »Aber die in Antiochia eingeschlossenen Kreuzfahrer wurden durch ein Wunder gerettet. Weißt du, mein Kleiner, sie haben in einer der Kirchen dort eine uralte Lanze...