Pernau Transnationale Geschichte
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8463-3535-2
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 188 Seiten, Gewicht: 198 g
ISBN: 978-3-8463-3535-2
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nationale Grenzen prägen heute nicht mehr die Erfahrungswelt der Europäer. Durch diese Tendenz zur Transnationalität verliert auch die Ausrichtung der Geschichtswissenschaft an der Nation und ihren Grenzen viel von ihrer Selbstverständlichkeit.
Anstelle der in sich abgeschlossenen Veranstaltungen zur deutschen, französischen oder britischen, seltener zur europäischen Geschichte, sehen sich Studierende mit Angeboten konfrontiert, die entweder Regionen in den Blick nehmen oder über den nationalen Rahmen hinausweisen. Transnationale Geschichte ist ein anspruchsvoller Zugang, der hohe Anforderungen an die Selbstreflexion des Historikers stellt.
Margrit Pernaus Einführung in die transnationale Geschichte leistet hier Hilfestellung und schlägt Schneisen durch das mittlerweile recht unübersichtlich gewordene Theorieangebot.
Grundkurs Neue Geschichte
• kompakte Darstellung komplexer Theorien
• ausführliche Erläuterung von Problemstellungen
• mit vielen illustrierenden Beispielen
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
I. Einleitung 7
1. Geschichtsschreibung und Nation 7
2. Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe 9
2.1 Das Beispiel Deutschland 12
2.2 Das Beispiel Indien 15
3. Transnational, translokal, transregional? 17
II. Über die Nation hinaus? Forschungstraditionen und
Möglichkeiten ihrer Fortentwicklung 20
1. Von der Außenpolitik zu den internationalen
Beziehungen 20
2. Imperialismusforschung 25
3. Komparatistik 30
III. Methodische Zugänge jenseits der Nation 36
1. Connected History 37
2. Transfergeschichte 43
3. Histoire croisée 49
4. Verflechtungsgeschichte und New Imperial History 56
5. Translokalität 67
6. Weltgeschichte und Geschichte in globaler Perspektive 65
IV. Forschungsfelder 85
1. Moving Actors – Menschen unterwegs 86
2. Regionen 95
2.1 Das Mittelmeer 95
2.2 Der Indische Ozean 104
2.3 Zentralasien und die persische Welt 111
3. Religion 117
V. Die Sprache der transnationalen Geschichte 132
1. Sprache und Gesellschaft 134
2. Begriffe und ihre Übersetzung 138
3. Die Begriffsbildung der Historiker 143
Literatur 148
Danksagung 178
Register 180
1. Ortsregister 180
2. Personenregister 182
3. Sachregister 183
|19? ?20| II. Über die Nation hinaus? Forschungstraditionen und Möglichkeiten ihrer Fortentwicklung Wie die Einleitung gezeigt hat, war die Geschichtsschreibung seit dem 19. Jahrhundert eng mit Vorstellungen von Nationalstaaten verbunden. Doch bedeutete dies nicht, dass nur die Innenpolitik der einzelnen Nationen als angemessenes Thema für die Historiografie gesehen wurde. Die transnationale Geschichte, so wie sie jetzt verstanden wird, ist keineswegs die erste historiografische Richtung, die mehr als eine Nation zugleich untersucht und in ihren Beziehungen analysiert. Dieses Kapitel zeigt an drei Themenfeldern –der Geschichte der Außenpolitik, der Imperialismusforschung und der vergleichenden Geschichtswissenschaft–auf, welche Ansätze einer Überwindung der thematischen Begrenzung auf die Nation es schon vor den gegenwärtigen Debatten gegeben hat, in welche Richtungen sie in den letzten Jahren weiterentwickelt wurden und welche Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten sie in Bezug auf die transnationale Geschichte immer noch bereitstellen. 1. Von der Außenpolitik zu den internationalen Beziehungen Es liegt in der Natur der Sache, dass Untersuchungen zur Außenpolitik sich nicht auf einen einzelnen Staat beschränken können, geht es doch in diesem Forschungsfeld gerade um die Beziehungen der Staaten untereinander. Dennoch braucht dies keinesfalls zu einer Relativierung oder gar Dekonstruktion der Kategorie Nationalstaat zu führen, ganz im Gegenteil. Für den größten Teil der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts war der Nationalstaat eine dem Menschen vorgegebene Realität, an der sich das politische Handeln zu orientieren hatte. Auf dem Feld der Außenpolitik begegneten sich die Nationalstaaten als gleichsam personifizierte, nicht weiter auflösbare Einheiten–man beachte die |20? ?21| Sprache der Quellen: ›Deutschland forderte‹, ›Frankreich warf ein‹, ›Großbritannien vermittelte‹. Ihnen schien die Selbstbehauptung nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten, denn über dem Staat gebe es keine übergeordnete Macht und kein übergeordnetes Recht: eine »Idealisierung des Staates auf der Basis der Spiritualisierung der Macht« (Mollin, 2000, S. 6). Eine Eindämmung der überbordenden Hegemonialansprüche einzelner Staaten könne nur durch die größere Macht anderer Staaten–allein oder in Allianzen–geschehen. Politiker und Historiker waren sich einig, dass der Charakter der Außenpolitik als ein Kampf um Macht den Staatsmännern, die den Nationalstaat auf dem internationalen Parkett vertraten, unbeeinflussbar vorgegeben sei. Ihre Kunst bestehe darin, die Handlungsmöglichkeiten auszuloten und in Entscheidungen umzusetzen –als große Männer machten sie große Politik. Die Aufgabe der Historiker sei es, diese Entscheidungen nachzuzeichnen und zu würdigen. Dies konnte durchaus zu Kritik im Einzelfall, jedoch kaum jemals zur Kritik an den Grundannahmen der Außenpolitik führen. Dabei war im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Radikalisierung der nationalen Position der Historiografie zu verzeichnen. Wo noch Ranke den Staat zwar als unauflösliche Einheit, jedoch stets eingebunden in die Gemeinschaft mit anderen Staaten sah, warfen seine späteren Kritiker ihm vor, genau damit den nationalen Standpunkt bereits verlassen zu haben und zum Kosmopoliten geworden zu sein (genau das also, was den frühen Historismus, der in dieser Hinsicht noch das Erbe der Aufklärung bewahrte, für heutige Historiker zunehmend attraktiv zu machen scheint). Staaten bewegten sich nach ihrer Auffassung zwar auf dem gleichen Feld, doch gab es nichts mehr, was sie verbinden und zwischen ihnen vermitteln konnte–jeder Staat trug sein Gesetz des Handelns und seine Legitimation in sich selbst. Die deutsche Diskussion über die Bedeutung der Geschichte der Außenpolitik und die Maßstäbe, die zu ihrer Untersuchung anzulegen seien, entflammte Mitte der 1970er Jahre. Andreas Hillgruber und Klaus Hildebrand vertraten die Auffassung, dass es die Außenpolitik sei, die den Verlauf der Geschichte maßgeblich präge und vor allem auch die Rahmenbedingungen für die Innenpolitik|21? ?22| schaffe (Hildebrand, 1975; 1976; Hillgruber, 1973; 1976). Zwar wirkten auch die innenpolitischen Entwicklungen auf die Außenpolitik zurück, insgesamt folge diese jedoch einer Eigengesetzlichkeit, die von den Interessen des Nationalstaates bestimmt werde, der »in Geschichte und Gegenwart–und eben nicht zuletzt als politische Einheit im internationalen Geschehen–in seiner Erheblichkeit kaum hoch genug einzuschätzen ist« (Hildebrand, 1976, S. 349). Außenpolitik sei eine »Antwort der Staatskunst« auf die »Herausforderung der Macht« (Hildebrand, 1995), daher gelte es für die Geschichtswissenschaft, ihren Entscheidungscharakter herauszuarbeiten und ihn nicht mit Hilfe von über den Einzelfall hinausreichenden Theorien in allgemeinen Prozessen verschwinden zu lassen. Die Kategorien, anhand derer die Außenpolitik beurteilt werden müsse, sind–ganz im Rahmen des Historismus gedacht–die Kategorien der zeitgenössischen Akteure, die zugleich die Richtlinien der Interpretation vorgeben: die Nation, der Staat, die Macht, der Gegensatz zwischen Gleichgewicht und Hegemonie, aber auch Konzepte wie Dämonie, Tragik und Schicksal. Da die Historisierung dieser Begriffe unterbleibt und zugleich der Erzählung gegenüber der Analyse der Vorzug gegeben wird, gewinnen die Außenpolitikhistoriker dieser Schule keinen Ansatzpunkt, von dem aus die Innensicht auf die Ereignisse aufgebrochen werden könnte–zumal die Beschränkung auf die »Große Politik der europäischen Kabinette« (so der Titel einer vielbändigen Quellensammlung zur Diplomatiegeschichte von 1871–1914) eine entsprechende Begrenzung des untersuchten Quellenmaterials nach sich zieht. Noch immer sind es die Staatsmänner des 19. und 20. Jahrhunderts, deren Auffassung vom Charakter der Außenpolitik den Untersuchungsgegenstand definiert. Hier setzte die Kritik des Bielefelder Gesellschaftshistorikers Hans-Ulrich Wehler ein, der forderte, den Primat der Außenpolitik durch einen Primat der Innenpolitik zu ersetzen (Wehler, 1975). Dies erlaube erstens die Frage, welche innenpolitischen Konstellationen die Formulierung einer außenpolitischen Position beeinflussten und zweitens die Untersuchung, wie Außenpolitik in die Innenpolitik zurückwirke. Damit würde ihre Interpretation|22? ?23| aus der Fixierung auf die internationalen Konstellationen herausgelöst und es könne sichtbar gemacht werden, dass sich Ziele der Außenpolitik häufig weniger durch ihren Bezug auf andere Nationalstaaten, als vielmehr durch ihre innenpolitischen Intentionen erklären lassen. In seinen Untersuchungen zum Kaiserreich führte Wehler diese These am Beispiel des Imperialismus aus, der für ihn weniger aus der Dynamik der Großstaatspolitik, denn als ›Sozialimperialismus‹ mit dem Ziel der Ablenkung von Partizipationsforderungen im Innern erklärt werden muss (Wehler, 1973). Für die transnationale Geschichte sind beide Positionen nur sehr begrenzt anschlussfähig. Die Schärfe des Streits ließ in den Hintergrund treten, in welchem Maße seine Protagonisten wesentliche Grundannahmen teilten, allen voran die Idee der herausragenden Stellung des Nationalstaates. Beherrschten bei Hillgruber und Hildebrand die Nationen als einzige Akteure die internationale Bühne, so gelang es Wehler, die Heterogenität der Nation im Inneren aufzuzeigen und konfligierende soziale und wirtschaftliche Interessen in den Mittelpunkt der Analyse zu rücken. Ohne dass dies ausdrücklich thematisiert oder gar theoretisch reflektiert wird, geht jedoch auch er davon aus, dass der Nationalstaat den gleichsam natürlichen Rahmen für diese Interessen darstellt und sie ohne Referenz auf andere Einflüsse abschließend erklärt werden können–Gesellschaftsgeschichte kann als Nationalgeschichte, kann als »Deutsche Gesellschaftsgeschichte« (Wehler, 1987–2008) geschrieben werden. Der Gegensatz zwischen den beiden Lagern–der im Rückblick weit weniger fundamental erscheint, als es die Zeitgenossen empfanden –bestimmte die Debatten zur Außenpolitik über zwanzig Jahre lang. Vermittelnde Positionen, die es immer wieder gegeben hat, konnten sich nicht durchsetzen (Ziebura, 1990). Erst Ende der neunziger Jahre gelang es, diese Fronten aufzubrechen (Conze, 1998; Loth / Osterhammel, 2000). Seitdem besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich Außenpolitik nur durch das Zusammenspiel von inneren und äußeren Faktoren erklären lässt. Im Gegensatz zur Hildebrand-Schule wird damit die Bedeutung der Innenpolitik für die Interpretation der Außenbeziehungen |23? ?24| anerkannt; zugleich wird betont, dass einzelne Bereiche, gerade dort, wo sie institutionell abgestützt sind, auch eine Eigendynamik und Eigengesetzlichkeit entwickeln können. Jedoch erlaubt erst der größere, transnationale Zusammenhang die Ebenen, die sinnstiftend für das Handeln der außenpolitischen Akteure sind, zueinander in Beziehung zu setzen und ihren jeweiligen Einfluss empirisch auszuloten. Die Betonung des kommunikativen Aspekts der Politik (Frevert / Haupt, 2005) rückt nicht nur die Strukturen und Regeln der internationalen Beziehungen als historisch geworden und historisch wandelbar in den Mittelpunkt–sie sind gleichermaßen Niederschlag vergangener Kommunikation wie auch Bedingung künftiger. Dieser Ansatz lässt auch nach den Bedingungen der Kommunikation fragen, nach ihren Formen und Symbolen, nach ihrer Sprache sowie nach der Sozialisation ihrer Akteure. Damit eröffnet er den Weg für eine Kulturgeschichte der internationalen Beziehungen, die...