E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Carola Witt
Persson Hundling
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96041-733-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Oberbayern Krimi
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Carola Witt
ISBN: 978-3-96041-733-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Humorvolle Krimiunterhaltung vor traumhafter Voralpenkulisse.
Die heile Welt am Ammersee gerät aus den Fugen: Eine Mückenplage spaltet die Menschen vor Ort. Umweltschützer und Politiker, die sich für den Einsatz von Pestiziden aussprechen, stehen sich unversöhnlich gegenüber. Dann wird die Pressesprecherin des Landrats tot aufgefunden. Ein Zufall? Mitnichten, glaubt Kommissar Lenz Meisinger und ist sich dabei ausnahmsweise einig mit seiner Freundin Carola Witt. Als es eine weitere Tote gibt, beginnt für die beiden ein Wettlauf mit der Zeit.
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Ich bring ihn um Ich bring ihn um. Okay. Das mach ich. Ich bring ihn um. Sofort. Nein, morgen. Morgen bring ich ihn um. Und das Letzte, das wirklich Allerletzte, was er sieht, bevor er sein kleines Scheißleben aushaucht, das bin ich. Sie streckte sich in ihrem Sitz, die Augen geschlossen. Das tat gut. Wohlig badete sie noch etwas länger in ihren Gedanken. Sonnenlicht, reflektiert von den Scheiben eines vorbeifahrenden Autos, streifte ihr Gesicht. Unwillkürlich öffnete sie ihre Augen einen Spaltbreit. Vor ihr leuchteten vier Zahlen und ein Doppelpunkt im Armaturenbrett: »08:28«. Sie überlegte kurz. Die Anzeige war dreimal umgesprungen, seitdem sie im Schutz ihrer Sonnenbrille in ihre Träume geglitten war. Sie lächelte. Drei Minuten lang hatte sie es sich vorgestellt, nein, sie hatte es gespürt, ganz tief in ihrem Inneren, wie es sich anfühlen würde, wenn er endlich tot wäre. Phantastisch. Er. Weg. Endgültig. So sollte es sein. Nein, so würde es sein. Es, das war ihr Leben. Sie nickte sich selbst zu. Ja, genau. Ihr Leben, das würde so ganz anders werden. Sie würde nicht mehr nur darauf hoffen, dass er nicht nach Hause kommen, von der Straße fliegen, gegen einen Baum fahren würde. Dass irgendein Raser ihn vom Bürgersteig fegen, die Brücke in der Mitte einstürzen, das Wildschwein queren würde – dass irgendetwas passieren würde, völlig egal, was. Hauptsache, er käme nicht mehr wieder. Ihr erdachtes Leben, in dem er nicht mehr vorkam, war herrlich. Sie konnte den ganzen Tag damit verbringen, es sich in allen Details vorzustellen. Es war, als ob sie durch bunte Kulissen wandelte, die voller bekannter Gesichter waren, von denen aber eines fehlte. Sie atmete ein. War das ein Seufzer, oder holte sie Luft? Das waren Träume, die mit ihrem jetzigen Leben nichts zu tun hatten. Jedes Mal musste sie zurückkehren, so wie jetzt, aus ihrem Zauberleben zurück auf ihren Autositz. Aber … sie konnte nicht mehr anders, seit sie sich das erste Mal getraut hatte, aus ihren Ideen Bilder entstehen zu lassen. Von da an war sie high on emotion, vollkommen berauscht. Endorphine mischten sich mit Adrenalin und strömten in ihrem Blut durch ihre Adern, jedes Mal aufs Neue, wenn sie sich ihren Gefühlen hingab. Von da an wurde jeder Tag zum Fest, selbst das Alltägliche schwerelos, der Job ein Kinderspiel, Haushalt, Kinder, alles ging ihr leicht von der Hand. Wie war sie vorher Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag enttäuscht gewesen, abends seine Schritte wieder auf der alten Holztreppe ihres Elternhauses zu hören. Schwer, laut, so ganz anders als das leichte Trippeln der Kinderfüße. Hatte das Blei gefühlt, das sie niederdrückte, wenn er die Tür öffnete. Wenn sie in sein Gesicht sehen musste, jeden Abend, starr, abweisend und schweigend. Seine Kälte spürte, die ihr entgegenschlug wie eine winterliche Frostnacht. »Grüß dich« sagen musste, jeden elenden Tag, und dafür ein Knurren erntete. Das sprachen sie miteinander. Zwei Worte und ein Geräusch. Jeden einzelnen Tag. Gott sei Dank kam er nicht mehr so häufig abends heim. Und wenn, dauerten ihre Begegnungen meist nicht lang. Dann setzte er sich an seinen Platz, aß schweigend seine Brotzeit, stand auf, verschwand grußlos in seinem Zimmer. Schloss die Tür hinter sich. Blieb dort die ganze Nacht, um am nächsten Tag, meist vor Morgengrauen, wieder zu gehen. Zwei Worte und ein Brummen. Mehr nicht. Außer, ja, außer sie wollte, sie musste etwas mit ihm besprechen. Besprechen, was für ein Hohn. Sie waren verheiratet, lebten in einem Haus, hatten Kinder, es mussten Rechnungen bezahlt, Steuererklärungen abgegeben, Versicherungen geändert werden. Der ganz normale Wahnsinn eben, der jeden traf und den alle irgendwie hinzukriegen hatten. Für den er sich aber nicht zuständig sah. Den er als Zumutung empfand, wenn sie damit ankam. Weil er ja den ganzen Tag gearbeitet hatte, während sie nur ein bisserl blöd in den Computer geschaut hatte. Und sie nun seinen Feierabend störte, der ihm zustand. Über die Jahre waren diese alltäglichen Aufgaben zur Tortur geworden. Ihre Bemühung um gemeinsam gefundene Lösungen familiärer Aufgaben mutierte innerhalb kürzester Zeit zu einem Pranger. Zum Gerichtssaal. Zum Tribunal mit nur einem Ankläger und einer Angeklagten – und der immer selben Anklage: Arbeitsscheu sei sie, kein Wunder, ihre Eltern seien es ja auch. Der Sohn ein fauler Strick. Und zu nichts zu gebrauchen. Ihre Arbeit sinnlos, ihre Pläne illusorisch und dann noch ihre Freunde, alles Ich-Menschen, genau wie sie. Laut. Scharf. Lange. Ohne ein Ende zu finden. In der ersten Zeit hatte sie geweint. Vor ihm, allein auf dem Klo, im Fahrstuhl vor irgendeinem Arzttermin. Eine Weile lang schrie sie zurück, wütend, warf Teller nach ihm. Es war doch einfach nicht wahr! Und war schließlich verstummt. Seit Jahren schwieg sie schon, stand vor ihm am Esstisch, ließ die immer gleichen Worte über sich hinwegströmen, hörte zu und hörte nicht zu, kannte die Sätze, die sie ab und zu noch trafen, aber meistens nicht mehr, wartete, bis er langsamer wurde, bis er sich ausgeleert hatte, um ihn dann anzulächeln und sich mit seinem obligatorischen Knurren die Zustimmung für das Bezahlen einer Rechnung bei ihm abzuholen. Sie spürte, wie Magensäure ihre Speiseröhre nach oben kroch. Mit der Rechten tastete sie im Fußraum nach ihrer Handtasche, hob sie auf den Schoß, suchte und fand die kleine Plastikdose mit den Säureblockern und ihre Trinkflasche. Mit zwei, drei Handgriffen hatte sie sich eine Kapsel auf die Zunge gelegt und sie mit einem Schluck Wasser hinuntergespült. Sie schloss die Augen und atmete aus. In wenigen Minuten würde das Medikament seine Wirkung tun, ihren Magen entspannen, der Schmerz würde nachlassen und sie wieder ruhig werden. Plötzlich erschöpft lehnte sie sich zurück, ließ ihren Kopf an die gepolsterte Stütze sinken, schloss die Augen. Ein kurzes, dumpfes Scheppern ließ sie auffahren. Sie sah den erschreckten Gesichtsausdruck einer blonden Frau, die ihre Fahrertür ans Auto gedonnert hatte. Die Frau klopfte an ihr Fenster, machte eine entschuldigende Geste, sie winkte ab. Aus dem roten Wagen neben dem ihren kletterte ein nicht mehr junger, aber schlanker, braun gebrannter Mann mit grauen Locken, die ihm bis zu den Schultern reichten. Er schien etwas zur Blondine zu sagen, denn sie lachte, schloss zu ihm auf. Gemeinsam gingen sie über den Parkplatz. Durch das Seitenfenster blickte sie ihnen nach. Was sie wohl vorhatten? Sie sahen geschäftig aus, irgendwie vertraut. Kein Paar, aber schon von Weitem als Team zu erkennen. Wie gern wäre sie jetzt die Frau an der Seite des grau gelockten Mannes gewesen. Vereint durch Jahre des gemeinsamen Arbeitens. Vertraut. Verlässlich. Sie spürte das Brennen einer Träne im Augenwinkel, fühlte, wie sie über ihr Gesicht rollte, und ließ sie nach unten in ihren Schoß fallen. Zwischen ihren Wimpern blinzelte sie durch die Windschutzscheibe nach vorn. Vor ihr ein Wagen, rechts und links neben ihr auch. Wie lange saß sie schon im Auto auf dem namenlosen Parkplatz? Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Sie hatte das Zeitgefühl verloren. Niemand hatte sie beachtet, eine Frau, die auf dem Beifahrersitz saß, angeschnallt, still. Es war Regen angesagt. Eine zarte Erinnerung an das Gefühl, wie es sein würde, wenn er tot wäre, flog an ihr vorbei. Sie versuchte, nach ihrem Gedankengespinst zu greifen, sich von ihm emporheben zu lassen, raus, weg aus dem Auto, von diesem Sitz, der unter ihr von Sekunde zu Sekunde wärmer wurde. Aber es gelang ihr nicht, den Traumzipfel zu erhaschen, er zog vorbei, verblasste, löste sich auf wie eine kleine Kumuluswolke am Junihimmel. Sie war wieder allein. Mühsam versuchte sie, sich in ihren Gedanken zurechtzufinden. Wie lange würde er noch fort sein? Erfahrungsgemäß dauerten diese »Meetings« mindestens eine Stunde, manchmal auch zwei, je nachdem, wie gut aussehend die Sekretärin war. Um zehn Uhr müssten sie zusammen bei diesem Empfang in München im Ministerium auftauchen. Das Bild der anderen schoss ihr plötzlich durch den Kopf. Die Zeitung hatte es abgedruckt. Groß, schlank, selbstbewusst und im figurbetonten Kostüm stand sie neben irgendeinem Politiker. Wer war das doch gleich noch gewesen? Ah ja, der Landrat. Seine Pressesprecherin sei sie, war unter dem Foto zu lesen gewesen. Was auch immer man als solche tat, aber für ein Bild im Dorfbladl reichte es anscheinend aus. Sie hatte die andere gegoogelt, sich noch mehr Bilder von ihr angesehen, die Informationen aufgesogen: Mitte dreißig, studiert, tough, schick. Offizieller Beziehungsstatus auf Facebook: Single. Na ja, was hatte sie auch erwartet? Es gab ja kein Kästchen für »Gspusi«. Lächelte sie schon wieder? Ja, tatsächlich. In ihr war keine Enttäuschung, keine Eifersucht, sondern – Erleichterung. Wenn er wüsste, wie befreit sie sich fühlte, seit er zu ihr ging. Mehr oder weniger regelmäßig. Aber eigentlich immer mittwochs und freitags, nachdem er zu Hause geduscht hatte. Und an diversen Wochenenden. Und sie in Ruhe ließ, in ihrem schmalen Bett, das sie neben ihrem Schreibtisch ins Arbeitszimmer gestellt hatte. Sie hatte es sofort gemerkt. Seit vorletztem Sommer bewegten sich die Moleküle anders durch den Raum, die wenigen Male, wenn er schweigend an ihr vorbei in seinem Zimmer verschwand. Ganz vermeiden konnte er es ja nicht, ihr zu begegnen. So entging ihr nicht sein auftrumpfender Gesichtsausdruck, wenn er in sein Auto stieg, um zu ihr zu fahren. Und dann diese Jacke, die die andere ihm letzten Winter geschenkt hatte. Diese federleichte Daunenjacke....