PeterLicht | Ja okay, aber | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

PeterLicht Ja okay, aber


Die Auflage entspricht der aktuellen Auflage der Print-Ausgabe zum Zeitpunkt des E-Book-Kaufes.
ISBN: 978-3-608-11715-8
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-608-11715-8
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Mann mittleren Alters mietet sich in einem Co-Working-Space ein. Er will endlich vorankommen. Womit ist noch unklar, doch er spürt, es geht ums Ganze. So scheint es allen in diesem kargen wie fantastischen Co-Working-Space zu gehen. Flexible Selbstoptimierer*innen, erfahrene Förderantragsschreiber, sprachlose Call-Center-Agenten, wortgewandte Prokrastinierer und andere frei flottierende Büroexistenzen - sie alle haben viel vor und stehen doch die meiste Zeit im Pausenraum und trinken Kaffee, viel Kaffee. Denn es gilt: kein Kapitalismus ohne Kaffee.   Der Space: Ein kleiner Raum, ein Tisch, ein Stuhl. Und im Pausenraum eine hochwertige Kaffeemaschine. Der Erzähler hat viel vor, doch dann kommt immer etwas dazwischen: Kaffeetrinken, Friseurtermin, Dokumentarfilm im Schwimmbad, Besuch von alten Bekannten, ein Konzert mit schrecklichem Ausgang, schlechte Träume von sich abschlachtenden Generälen, ein sich auftuendes Vakuum, das ihn zu verschlingen droht, solche Sachen, und immer wieder Kaffee. Doch auch die anderen kommen nicht voran. Und so stehen mit der Zeit immer mehr Leute vor der hochwertigen Kaffeemaschine herum, lauschen den Zisch- und Brumm-Geräuschen, bis sie unvermittelt beschließen, eine Party zu schmeißen. Danach wird nichts mehr so sein wie zuvor. Poetisch, klug und witzig führt PeterLicht mitten hinein ins korrupte Herz unseres Selbst - ein Feuerwerk. »PeterLicht schreibt so, wie ich gerne sprechen würde.« Sophie Passmann

Mit seinem Lied vom Sonnendeck landete PeterLicht 2001 den Underground-Sommerhit. Nach drei Studio-Alben erschien sein erstes Buch »Wir werden siegen - Buch vom Ende des Kapitalismus«. 2008 folgte »Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des 3. Jahrtausends«, wofür er den Publikumspreis und den 3sat-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt erhielt. 2014 erschienen das Buch und das gleichnamige Album »Lob der Realität«. PeterLicht ist mit seinen Stücken auf den namhaften deutschsprachigen Theaterbühnen als Dramatiker präsent. 2019 wurde »Tartuffe oder das Schwein der Weisen« zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Eine Zeit lang war er als Kolumnist der Süddeutschen Zeitung tätig. 2021 veröffentlichte er sein 8. Album »Beton und Ibuprofen«.
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Der Coworking-Space, in dem ich arbeite, befindet sich in einem mehrgeschossigen Haus. Eine Vielzahl von Büro-Etagen und Stockwerken mit verschiedenartigen Nutzungen, die ich nicht überblicke, haben darin ihre Heimat. Wenn man auf meiner Etage die Tür öffnet, kann man den Coworking-Gang betreten. Ab hier verzweigt sich das Coworking-Reich. Es ist gefüllt mit Menschen. Ein dunkles Reich mit schweigenden Herumtapsern und Vorsichhinhockern. Die Herumtapser halten gerne Kaffeetassen in ihren Händen. Der heiße Kaffee wärmt die Kaffeehand, während die andere Hand, die ja auch noch am Körper angebracht ist, das Handy bedient, in dem sich die Gesprächspartner befinden. Manchmal erweist sich die Bedienung des Handys aber nur als der Versuch der Bedienung eines Handys. Das hat hin und wieder unerwartete Folgen. Mitunter ereignen sich nämlich in der Handyhand Fehlbedienungen, die dazu führen, dass in der Kaffeehand, also der Hand, die nicht die Handyhand ist, ein Missgeschick geschieht: Der Kaffee schwappt heraus. Es mutet an wie der Schmetterlingseffekt: Obwohl die linke Hand das Handy hält und bedient, verschüttet die rechte Hand den Kaffee. Sonderbar.

Entgegenkommende Herumtapser erschrecken sich dabei, denn die Herausschwappung des Kaffees beinhaltet eine gewisse Gefährlichkeit für mitgeführte Blätter, Laptops und sonstige ARBEITSUNTERLAGEN, die sie unter den Arm geklemmt haben. Eine missliche Lage. Die Coworker haben, wenn sie über den Gang laufen, oft zarte Agglomerationen von Blättern und anderen Working-Gegenständen in ihre Achselhöhlen und Armbereiche geklemmt. Das sorgt während des ganzen Coworking-Tages für eine unterschwellige Anspannung im Space, denn nie weiß man, ob die ARBEITSUNTERLAGEN den Gang des Coworkers über den Flur unbeschadet überstehen werden. Die Flure sind eng, denn der Patron des Coworking-Spaces, der den Umbau des alten Baubestandes beauftragte, sorgte sich zuallererst um die Größe der einzelnen Büroräume, damit er mehr Space vermieten und mehr Ertrag erwirtschaften kann. Dann sind die Flure eben etwas kleiner. Ja okay. Aber wie wir ja alle wissen, kann man nicht den Kuchen essen und den Teig. Will sagen: Einen Tod muss man sterben.

Wenn ich auf den Gang trete, ziehe ich mir die Schuhe an. Hausschuhe trage ich nicht. Niemand trägt Hausschuhe im Working-Space. Nur im Hochsommer, wenn meine Füße es richtig wissen wollen, laufe ich barfüßig aus meiner Tür heraus.

In der Teeküche, die offen ist, und sich zum Gang hin öffnet, steht die Kaffeemaschine. Das wurde hier schon erwähnt. Sie ist groß und warm und lässt immer einen raus. Ein wirklich stattliches Ungetüm in der Größe eines Sargs. Sie stand einmal in einem florierenden Café. Niemand sagt etwas gegen sie, egal, was auch passiert.

Kurz vor dem Ende des Ganges ist der Working-Space der Allroundkünstlerin. Sie teilt sich ein Büro mit einer anderen Workerin, ich habe sie aber noch nie gesehen. Ich glaube, sie macht irgendwas mit Sexualität. Was genau, weiß ich nicht, vielleicht stellt es sich noch heraus. Es könnte etwas Soziologisches sein. Oder ein Dessous-Startup. Ihr Raum ist überraschend groß. Ein grauer Linoleumbelag bedeckt den Boden. Das ist eine gute Idee, denn der Boden ist eigentlich uneben und garstig. Hier war wohl mal eine Werkstätte, in der mit schwerem Gerät schweres Zeug herein- und herausgebracht wurde oder hoch und runter. Ein schwerer Stahlträger mit einer Kette und einem übergroßen Stahlhaken daran, der an einer Öse befestigt ist, hängt über der Allroundkünstlerin, wenn sie in ihrem Working-Space sitzt und arbeitet. Die Wände sind dick, sie müssen viel Gewicht tragen. Durch sie hindurch hört man nichts. Es gibt keine Fenster. Aber das Dach ist aus Glas. Daher kommt das Licht. Man hat hier in ihrem Working-Space keinen Blick nach draußen auf den Horizont. Man sieht nur den Himmel oder die Nacht.

Der Raum ist frisch geweißelt und macht einen guten und aufgeräumten Eindruck. Es ist alles neu. Das ist auch nötig, denn der Vornutzer dieses Raumes, ein Künstler, erhängte sich an dem Stahlträger, ich weiß nicht genau, an welcher Stelle, ich möchte es auch nicht wissen. Die Allroundkünstlerin sagt, es sei ihr egal, wo genau das war. Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Wahrheit sagt. Sie könnte mit ihrem Schreibtisch genau darunter sitzen. Dann würden ihr die Füße im Nacken baumeln. Aber sie beharrt auf der Egalheit. Man bekommt den Stahlträger nicht aus dem Raum heraus. Er ist zu schwer. Er hält die ganze Konstruktion und das Dach aus Glas, durch das das Licht fällt.

Die Selbsterhängung des Künstlers zog eine Kaskade von Umnutzungen, Neugestaltungen und Neuorientierungen nach sich. Der letzte Lebenspartner des Künstlers arbeitet jetzt als Verleger gedruckter Kunst. Er verkauft große, bunte, sehr schön und sehr sachlich gestaltete Kalender, bei denen auf jedem Kalenderblatt statt Tagen und Zahlen der Schriftzug »Alles wird besser« geschrieben steht. Man kann monatlich umblättern, der Spruch bleibt an der gleichen Stelle. Es ändert sich nichts als die Farbe der Schrift.

Die Allroundkünstlerin sitzt am Schreibtisch ihres Büros. Sie schreibt einen Förderantrag an die Stiftung für Kunst. Sie braucht Geld. Denn sie möchte eine neue Performance machen und muss dafür ihre Leute bezahlen. Die Allroundkünstlerin war einmal eine Tänzerin. Das ist sie schon lange nicht mehr, sie ist jetzt die Regisseurin anderer Tänzer, Performer und Leute, die Licht machen, Texte schreiben oder tönen. Auch Filme dreht sie mittlerweile Früher tanzte sie noch selbst in ihren Stücken. Damit hat sie aufgehört. Das Thema all ihrer Kunst, eigentlich ihres Lebens, ist die DIREKTHEIT. Man kann sagen, direkter geht es kaum. Auch die Allroundkünstlerin selbst ist sehr direkt. Ein guter Teil ihrer Knochen ist schon einmal im Einsatz durchgebrochen. Man könnte mit all ihren gebrochenen Knochen ein kleines Scherzskelett zusammensetzen, wie man es in Mexiko über die Tür hängt, um daran zu erinnern, dass man das Leben genießen sollte, oder man könnte mit den Knochen das Chassis für einen Wolpertinger basteln. Dann müsste man nur noch ein Hasenfell darübernähen und Elsterfedern anbringen und der Wolpertinger wäre fertig. Man hätte genug Material. Einmal brach sich die Allroundkünstlerin bei einer ihrer Performances das Jochbein. Sie konnte genau hören, wie es in ihrem Schädel knack machte. Es gibt Leute, die sagen, ihre Performances seien krass, aber das versteht sie nicht, sie sagt, die Welt ist krass. Sie lügt nicht, wenn sie das sagt. Bei ihren Aktionen kann es passieren, dass ein Rudel nackter Martial-Arts-Kämpferinnen ein Auto vergewaltigt. Das letzte Auto, mit dem das geschah, war gelb und schwebte an einem Stahlseil. Ein Lamborghini. Das Publikum jubelte. Es ging dem Auto nicht gut. Die Allroundkünstlerin ist Feministin, geht aber davon aus, dass eine Erektion keine politische Handlung ist.

Sie hat ein hageres und etwas kantiges Gesicht in der Größe eines Schuhkartons für Kinderschuhe. Sie heftet ihren kreisrunden Blick an die frisch geweißelte Wand ihres Büros. Sie sieht schön aus. Ihr Gesicht ist gegerbt und hat Falten des Ernstes. Man könnte mit ihr auf gute Weise alte Fotografien von Frauen aus der Großen Depression in Amerika nachstellen. Schwarz-Weiß-Aufnahmen, auf denen desillusionierte, alleinstehende und schlanke Frauen mit ihren verschmutzten Kindern am Straßenrand lagern. Die Frauen auf diesen Aufnahmen haben einen Blick, der ins Nichts geht.

Wenn die Allroundkünstlerin einen Antrag stellt, um an das Geld der Stiftung zu gelangen, ist das ein vollständig niederschmetternder Vorgang. Es ist ganz einfach: Bevor sie eine ihrer anarchischen, alle Regeln sprengenden Veranstaltungen unternehmen darf, muss sie das Wesen ihrer Kunst, ihre Anarchie und sich selbst durch ein alle Regeln erfüllendes Regelwerk zwängen. Sie muss in das MIND der Leute hineinschlüpfen, die ihren Antrag lesen werden, und sie muss sich in deren MINDS ausbreiten wie eine Gaswolke.

Alles sträubt sich in ihr. Sie ist ein Profi, und deshalb ist sie stärker als das Sträuben. Ihr Antragsknochen steht stabil. Aber hart ist es schon.

Die Stiftung für Kunst ist eine staatliche Institution. Sie verteilt Geld an Künstler, damit die Künstler Kunstprojekte machen können. Das Geld stammt aus den Lottoerträgen, die entstehen, wenn Lotto gespielt wird. Es gibt ein Gesetz, wonach von jedem Euro, der bei Glücksspielen erwirtschaftet wird, ein Prozentsatz an die Stiftung geht. Dadurch wird aus Glücksspiel Kunst, zum Beispiel vergewaltigte gelbe Autos. Die Stiftung hat viel Geld, der Fluss endet nie.

Das Coworking-Space hat...


PeterLicht
Mit seinem Lied vom Sonnendeck landete PeterLicht 2001 den Underground-Sommerhit. Nach drei Studio-Alben erschien sein erstes Buch 'Wir werden siegen – Buch vom Ende des Kapitalismus'. 2008 folgte 'Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des 3. Jahrtausends', wofür er den Publikumspreis und den 3sat-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt erhielt. 2014 erschienen das Buch und das gleichnamige Album 'Lob der Realität'. PeterLicht ist mit seinen Stücken auf den namhaften deutschsprachigen Theaterbühnen als Dramatiker präsent. 2019 wurde 'Tartuffe oder das Schwein der Weisen' zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Eine Zeit lang war er als Kolumnist der Süddeutschen Zeitung tätig. 2021 veröffentlichte er sein 8. Album 'Beton und Ibuprofen'.

Mit seinem Lied vom Sonnendeck landete PeterLicht 2001 den Underground-Sommerhit. Nach drei Studio-Alben erschien sein erstes Buch 'Wir werden siegen – Buch vom Ende des Kapitalismus'. 2008 folgte 'Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des 3. Jahrtausends', wofür er den Publikumspreis und den 3sat-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt erhielt. 2014 erschienen das Buch und das gleichnamige Album 'Lob der Realität'. PeterLicht ist mit seinen Stücken auf den namhaften deutschsprachigen Theaterbühnen als Dramatiker präsent. 2019 wurde 'Tartuffe oder das Schwein der Weisen' zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Eine Zeit lang war er als Kolumnist der Süddeutschen Zeitung tätig. 2021 veröffentlichte er sein 8. Album 'Beton und Ibuprofen'.



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