Pickel / Riescher / Weber | Demokratie | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 158 Seiten

Pickel / Riescher / Weber Demokratie


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-17-032813-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 158 Seiten

ISBN: 978-3-17-032813-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Blickt man in die Medien, gewinnt man den Eindruck, Demokratie sei die einzige legitime Herrschaftsform. Gleichzeitig finden sich viele Analysen, die eine Krise der Demokratie bescheinigen oder gar ihren Niedergang prognostizieren - unter anderem wird von Post- oder Fassadendemokratien gesprochen. Insofern drängen sich für politisch interessierte ZeitgenossInnen fundamentale Fragen auf: Was zeichnet eigentlich eine Demokratie aus? Welche Formen kann Demokratie annehmen? Wie ist sie von anderen Herrschaftsystemen abzugrenzen und welche Zwischenformen gibt es? Wie kann man Demokratie und ihre Qualität messen? Und was denken eigentlich die BürgerInnen über Demokratie?
In diesem einführenden Lehrbuch werden solche und andere Fragen in knapper, prägnanter und fundierter Weise beantwortet.

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  3          Was ist Demokratie? Demokratieverständnis und alternative Herrschaftsformen
      3.1       Bestandteile der Demokratie: Freiheit, Gleichheit, Partizipation und Kontrolle?
Was ist nun eine Demokratie – und wann ist ein politisches System eine Demokratie? Diese Fragen sind gerade heute umstrittener denn je. So wird die Eigenschaft, »demokratisch« oder »eine Demokratie« zu sein, von vielen Staaten – quasi selbstverständlich – für sich in Anspruch genommen. Gleichzeitig sieht man nicht nur Defizite im Verhalten Herrschender den Bürger:innen gegenüber, sondern gelegentlich korrespondiert die reale Herrschaftsform kaum mit den Merkmalen einer Demokratie, insbesondere liberaler Prägung. Demokratien mit spezifischen Defiziten werden oft mit Adjektiven wie »gelenkt« versehen, wenn z. B. die Freiheitsrechte der Bürger:innen eingeschränkt sind oder das Prinzip der Gewaltenteilung verletzt wird. Zudem gerät gegenwärtig das lange Zeit dominante Verständnis von der liberalen Demokratie unter Druck. So wird – teilweise auch unter westlichen Wissenschaftler:innen – angeprangert, dieses Verständnis von Demokratie sei durch eine bestimmte (westliche) Kultur geprägt und könne nicht für alle Kulturkreise gleichermaßen angenommen werden. Die Versteifung auf die liberale Demokratie westlicher Prägung wird in Gegenteil als Ethnozentrismus angesehen. Debatten über die Kulturspezifität von »Demokratien jenseits des Westens« (Schubert/Weiss 2016) haben sich dabei fest in der heutigen Politikwissenschaft etabliert. Gleichzeitig scheinen die Kriterien für die Klassifikation eines politischen Systems als Demokratie zu verschwimmen. Im Prinzip kann die attische Demokratie als eine Art Basis (Root)-Konzept angesehen werden, von dem sich sowohl verschiedene Subtypen der Demokratie ableiten als auch nicht-demokratische Systeme abgrenzen lassen. Wichtig ist es, die Grundprinzipien von Demokratie und Autokratie zu fassen. Diese richten sich in modernen Demokratiekonzeptionen oft zunächst nach den Merkmalen Robert Dahls von einer Polyarchie ( Kap. 2.5). Insbesondere Hans-Joachim Lauth (2004) und Wolfgang Merkel (2010) haben griffige Konzepte entwickelt, die sich in Indizes zur Messung der Qualität von Demokratie ( Kap. 6) niedergeschlagen haben. Lauth vertritt ein prozedurales Demokratieverständnis, das Verfahren in den Fokus stellt, die die Beteiligung der Bürger:innen an der Herrschaft regeln. Im Gegensatz dazu orientieren sich materielle Demokratiekonzepte an den Politikinhalten und ihren Ergebnissen (Outcome; z. B. soziale Demokratie). »Demokratie ist eine rechtsstaatliche Herrschaftsform, die eine Selbstbestimmung für alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger im Sinne der Volkssouveränität ermöglicht, indem sie die maßgebliche Beteiligung von jenen an der Besetzung der politischen Entscheidungspositionen (und/oder an der Entscheidung selbst) in freien, kompetitiven und fairen Verfahren (z. B. Wahlen) und die Chance einer kontinuierlichen Einflussnahme auf den politischen Prozess sichert und generell eine Kontrolle der politischen Herrschaft garantiert. Demokratische Partizipation an der politischen Herrschaft findet damit ihren Ausdruck in den Dimensionen der politischen Freiheit, der politischen Gleichheit und der politischen und rechtlichen Kontrolle.« (Lauth 2004: 100; Hervorhebung S. Pickel) Die im ersten Zugriff etwas sperrige Definition vermittelt alle für eine liberale Demokratie notwendigen Merkmale. Ausgehend von den bereits vorgestellten Demokratietheoretiker:innen, sind dies die Prinzipien der Freiheit, der Partizipation, der Gleichheit, sowie der Kontrolle und Rechtsstaatlichkeit. Sie kennzeichnen ein politisches System als eine Demokratie und korrespondieren mit den ideologischen Richtungen, die wir in den vorangegangenen Kapiteln (speziell Kap. 2.2) bereits diskutiert haben. Das verwendete Konzept von Gleichheit ist dabei durchaus umstritten. Sieht ein stärker sozialistischer oder sozialdemokratischer Demokratiebegriff Gleichheit vor allem als umfassende Gleichheit in allen Lebensverhältnissen, würde in einer liberalen oder libertären Demokratie die Chancengleichheit betont werden. Unabhängig von dieser Unterscheidung heben sowohl der sozialistische als auch der libertäre Demokratiebegriff die Gleichheit vor dem Gesetz und der Bürger:innen hervor (z. B. »one man, one vote«). Diese Gleichheit setzt ein funktionierendes Rechtsstaatsprinzip und einklagbare bürgerliche Rechte sowie effektive und fundamentale Möglichkeiten bürgerlicher Beteiligung voraus. Freiheit bezieht sich im Wesentlichen auf die bereits von Dahl eingeführten politischen Freiheiten: Organisationsfreiheit, Meinungsfreiheit, aktives Wahlrecht, Recht auf Wettbewerb um politische Unterstützung, Informationsfreiheit (Dahl 1971: 3). Politische Kontrolle bedeutet Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative mit Unabhängigkeit der Gewalten, Föderalismus mit Eigenverantwortlichkeiten der föderalen Gebiete und Austauschbarkeit der gewählten Amtsinhaber durch freie und faire Wahlen oder Amtsenthebungsverfahren (siehe amerikanisches Impeachment). Manfred G. Schmidt (2019: 385) hat die Funktionserfordernisse von Demokratie zu einer Art Standardmodell der Bestimmung einer prozeduralen Demokratie zusammengefasst: »1) Aufteilung staatlicher Exekutivgewalt 2) zivile Kontrolle polizeilicher und militärischer Gewalten 3) breit gestreute Machtressourcen 4) eine politische Kultur, in der ein hoher Anteil der Bevölkerung vitalen Selbstentfaltungswerten anhängt und die Demokratie unterstützt 5) Wertschätzung individueller Autonomie und Freiheit, die Trennung von Staat und Kirche sowie ein hoher Säkularisierungsgrad 6) eine Wirtschaft und eine Politik, die für beträchtliche Sicherheit der Lebensführung einer großen Mehrzahl der Staatsbürger:innen sorgt 7) das Fehlen einer größeren Anti-System-Partei oder mehrerer einflussreicher demokratiefeindlicher Parteien 8) stabil verwurzelte Traditionen der Zügelung der Staatsgewalten 9) eine ethnisch relativ homogene Bevölkerung oder im Falle ethnischer Heterogenität die friedliche, typischerweise konkordanzdemokratische Regelung von Konflikten zwischen den Ethnien 10) völkerrechtliche Unabhängigkeit und unstrittige Grenzen 11) ein internationales Umfeld, in dem demokratische Nachbarn anstelle von Autokratien vorherrschen 12) Barrieren gegen eine Einparteiendominanz im Parlament und in der Regierung 13) mit einiger Regelmäßigkeit erfolgende Regierungswechsel, sodass die Verlierer von Wahlen auf die Chance eines zukünftigen Machtwechsels zählen können.« Die Aspekte eines zumeist voranschreitenden Wirtschaftswachstums und einer abnehmenden sozialen Ungleichheit gehören für nicht wenige Politikwissenschaftler:innen zu den zentralen Voraussetzungen für eine funktionsfähige, persistente Demokratie (Przeworski et al. 1996; vgl. auch Lipset 1981). Ebenso wird eine nicht allzu große Lücke zwischen politischer Gleichheit und sozialer Ungleichheit (Shklar 1998) sowie eine ausgebaute »soziale Demokratie« mit liberalem Korporatismus (Dryzek 1996) als demokratiestützender Faktor wahrgenommen. Gleichzeitig bedarf es einer gewissen Enthaltung oder Apathie gegenüber der Demokratie, sodass nicht alle Bürger:innen stets partizipieren wollen. Gleichzeitig dürfen sich auch nicht zu wenige Bürger:innen am politischen Willensbildungsprozess beteiligen, sonst fehlt es an politischer Unterstützung (Schmidt 2019: 385). Ideal ist eine klassische civic culture nach Almond und Verba (1963; vgl. auch Lipset 1981; Easton 1979), die eine gesunde Mischung aus den verschiedenen Faktoren beinhaltet. Aus ähnlichen Konzeptionen entwickelt Wolfgang Merkel (2010) sein Konzept der embedded democracy, das als Kurzfassung des obigen Standardmodells der Funktionsvoraussetzungen der Demokratie nach Schmidt verstanden werden kann. Auch dieses Konzept fußt auf der Idee einer prozeduralen liberalen Demokratie, die in ein gesellschaftliches Umfeld und funktionierende staatliche Strukturen eingebettet ist. Diese Einbettung mildert Destabilisierungstendenzen und schützt so den Kern der Demokratie. Der Kern besteht aus den einzelnen Teilregimen der Demokratie (A–E, Abb. 3.1), die jeweils funktional verschränkt sind und dadurch ihren Bestand sichern. Aus diesem Ansatz leitet sich z. B. der Bertelsmann Transformation Index ( Kap. 6) ab. Die Demokratiebewertung nach Freedom House ( Kap. 6.3) ist wiederum Teil des Konzeptes der embedded democracy (politische Freiheiten und bürgerliche Rechte). Die Kombination mit der Demokratietheorie und der Demokratiemessung macht das Konzept fruchtbar...


Prof. Dr. Gert Pickel lehrt Religions- und Kirchensoziologie an der Universität Leipzig. Prof. Dr. Susanne Pickel lehrt Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen.



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