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E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Pinzler / Schmitt Auch das noch!
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-451-83616-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das freundliche Krisenbuch. Das Buch zum ZEIT-Krisenpodcast
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-451-83616-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Petra Pinzler, geb. 1965, Studium von Wirtschafts- und Politikwissenschaft und Besuch der Kölner Journalistenschule; von 1998 bis 2001 war sie ZEIT-Korrespondentin in Washington, danach bis 2007 in Brüssel; seitdem für die ZEIT in Berlin zuständig für den Politik- und Wirtschaftsbereich.
Autoren/Hrsg.
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Vorwort:
Auch das noch?
»Moin, Petra!«
»Moin, Stefan!«
Als wir uns so das erste Mal vor den Mikrofonen begrüßten, da war uns nicht klar, worauf wir uns einlassen würden. Wir waren aufgeregt und ein bisschen unsicher, unseren Stimmen hörte man das an. Wir wussten aber auch: Etwas Neues war nötig. Wir alle brauchten etwas gegen dieses traurige Gefühl, ein Mittel, das uns helfen würde, all die schlechten Nachrichten besser einzuordnen, das uns positive Energie geben würde und ein wenig Hoffnung, trotz der Weltläufte.
»Ich habe heute Morgen wieder eine ganze Weile gewartet, bis ich das Radio eingeschaltet habe«, sagte Petra in unserer ersten Aufnahme. (Angeschaltet hatte sie es dann natürlich trotzdem.) Und Stefan reagierte so: »Ich lese für den Job regelmäßig die Fachzeitschriften Science und Nature und erfahre da oft mehr, als ich in Wahrheit wissen will – über die Klimakrise, über die Biodiversität, über die Ernährungssicherheit, in was für einem Zustand die Welt ist.« (Weitergelesen hat er trotzdem.) Man kann das professionelle Deformation nennen: Lesen und Lernen, neugierig sein und Nachdenken und dann zu schreiben, ist schließlich unser Job. Aber es ist eben auch eine Art, mit der Welt umzugehen: Dem Widerwillen zum Trotz erst einmal genauer hinzuschauen.
Daraus entstand die Idee, die sich durch dieses Buch zieht: Wir würden dem Impuls, bei jeder neuen Krise am liebsten wegzuhören und abzuschalten, auch künftig nicht (oder nur in den frühen Morgen- und späten Abendstunden) nachgeben. Wir würden im Gegenteil jede Krise genau betrachten – den Wahlsieg des nächsten Populisten, das Artensterben, den nächsten krummen Deal beim Klimaschutz, die wachsende Wut der Menschen aufeinander. Wir würden sie stattdessen in ihrer ganzen Fürchterlichkeit vermessen. Die Fakten prüfen. Und mit klugen Leuten über das ganze Drama sprechen.
So entstand »Auch das noch – der freundliche Krisenpodcast«.
In jeder Folge unterhalten wir uns seither über einen Aspekt des schier unentwirrbaren Knäuels von großen und kleinen Problemen, das die Fachleute inzwischen als »Polykrise« bezeichnen (was genau damit gemeint ist, steht im nächsten Kapitel). Viele von ihnen betreffen unseren Alltag noch nicht oder nicht unmittelbar. Wir gehen ja weiter zur Arbeit und ins Kino, treffen Freunde und treiben Sport. Wir lieben, lachen und leben. Trotz alledem. Gleichzeitig ahnen wir, dass die Zukunft für viele ungemütlich werden wird. Vielleicht auch für uns? Jedenfalls wird es die unbeschwerte Welt, wie wir sie kennen, mit ihren Blumen und Bienen, dem Schnee im Winter, mit sonnigen, aber nicht zu heißen Sommerferien, immer seltener geben.
Also sprechen wir über die Gründe: über die Klimakrise, das Artensterben, das Auseinanderbrechen von Gesellschaften und die Krise der Demokratie. Jedes Mal erzählt eine Expertin oder ein Experte, wo genau das Problem liegt, wie es mit all den anderen Problemen zusammenhängt und wo es Auswege geben könnte. Das Erstaunliche dabei: So groß und vertrackt ein Problem auch ist, eine Ahnung von Lösung, zumindest von der richtigen Richtung, entwickelt sich im Gespräch doch immer. Nicht selten steht am Ende dann die Hoffnung, dass es so gelingen könnte.
Klar hören wir immer wieder mal den Vorwurf: Ihr redet euch die Welt schön! Ihr suggeriert, dass es doch noch ein Happy End für die Menschheit geben kann, wie unterkomplex! Die besten Zeiten liegen hinter uns. Ihr solltet euer Publikum besser darauf einstimmen, dass das Zeitalter des Fortschritts vorbei ist. Ihr solltet den Leuten die Augen öffnen, sie brutal auf unvermeidlichen Verlust, radikalen Verzicht und drastische Veränderung einstimmen, denn nur dann lassen sich wenigstens noch Teile unseres Alltags bewahren. Nur so lässt sich die Heftigkeit der Öko-Katastrophen ein wenig mildern und die Demokratie vor ihren schlimmsten Feinden retten.
Und noch einen zweiten Vorwurf gibt es, nämlich den der Niedlichkeit, und der geht so: Ein einzelner Mensch kann doch sowieso kaum etwas zum Besseren verändern, in Zeiten, in denen Xi Jinping China zur Digitaldiktatur formt, Wladimir Putin und Donald Trump das Schicksal der gesamten Menschheit mit Großmachtsfantasien verändern und Territorialansprüche stellen, die wie aus dem 20. Jahrhundert gefallen erscheinen (manchmal auch aus dem 19. Jahrhundert). Noch dazu in einem Alltag, in dem Populisten die Wut und den Frust der Leute verstärken und dann bei den Wahlen ernten. In einer politischen Lage, in der progressive politische Parteien in vielen Ländern vor den Trümmern ihrer Politik stehen und Klimaschutz- und Gerechtigkeitsfragen immer seltener Wahlen entscheiden. In solchen Zeiten braucht es große Entwürfe und große Wenden, mindestens das Ende des Kapitalismus, gar die Flucht ins Weltall oder die radikale persönliche und gesellschaftliche Umkehr – statt vieler kleiner Korrekturen. In solchen Zeiten kann man doch nicht mehr seriös suggerieren, dass jede und jeder Einzelne die Zukunft zum Positiven verändern könne.
Wir antworten darauf mit folgender Gegenfrage: Wo würde uns solch ein Fatalismus denn hinführen? Ja, die Zukunft scheint nicht rosig. Ja, im Vergleich mit Trump hat jeder von uns wenig Wirkmacht. Ja, es braucht in der Politik große Veränderungen. Ja, die Wirtschaft müsste viel schneller klimaneutral werden. Ja, wir erleben gerade das größte Artensterben seit dem Untergang der Dinosaurier. Ja, es wäre schön, wir würden weltweit wieder abrüsten, statt immer mehr aufzurüsten. Aber darauf zu warten, würde den meisten von uns dann doch den letzten Rest an Zuversicht rauben, also genau die Ressource, die wir mehr als alles andere brauchen. Deswegen sprechen wir immer wieder genau darüber: Über den Wert des Handelns, des Einsatzes, des Etwas-Tuns an sich. Auch weil eine Demokratie – und damit das politische System, das mehr persönliche Freiheit und Unversehrtheit ermöglicht als jedes andere – ohne diese Zutat nicht funktionieren würde. Sie braucht Engagement, um gegen ihre inneren und äußeren Feinde gewappnet zu sein.
Uns jedenfalls überzeugt und ermutigt nun schon seit zweieinhalb Krisenpodcast-Jahren immer wieder aufs Neue das Gespräch mit Menschen, die die Komplexität der Wirklichkeit kennen und trotzdem nicht daran verzweifeln. Viele, die wir zu Gast hatten, haben uns wunderbare Geschichten hinterlassen, die eine neue Sicht auf Probleme ermöglichen und kluge, unkonventionelle Lösungen präsentieren. Deswegen gibt es nun dieses Buch. Wir wollen die Gespräche nicht einfach nach und nach dem Vergessen überlassen. Wir wollen sie nachlesbar und damit weiterdenkbar machen. Wir haben deswegen 18 Menschen gebeten, unsere Aufnahmen mit ihnen kondensieren und redigieren, aktualisieren und abdrucken zu dürfen. Die Texte haben wir so ausgewählt, dass sie ein breites Spektrum von Themen abdecken, und Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Haltungen vorkommen. Ergänzt werden die Interviews durch Ideen aus vielen der anderen Podcast-Gespräche, sie fließen in kondensierter Form mit in die jeweiligen Kapitel ein, als Zitat, Gedanke oder Zahl.
Wir beantworten die Frage, ob wir uns in Deutschland wirklich so viel streiten und warum. Wie es um die Energiewende steht. Warum sich im Verkehr alle über alle ärgern und sich doch so wenig ändert. Wieso die Klimakrise uns krank macht. Warum die Moore nicht nur wunderschön, sondern auch wichtig sind. Welche Rezepte Putin und Trump und all die anderen autoritären Regierungschefs so erfolgreich machen. Warum es bei der Rettung der liberalen Demokratie vor allem auf die Konservativen ankommt. Und, und, und …
Fehlen darf natürlich auch der »Beam« nicht. Diese Erzählform des Rückblicks aus der Zukunft macht uns besonders viel Spaß. Sie funktioniert so: Wir beamen uns gemeinsam gedanklich ein Jahrzehnt in die Zukunft – ins Deutschland des Jahres 2035 – und stellen uns vor, was bis dahin gut gegangen sein wird. Wir sprechen also über die Vergangenheit einer plausiblen Zukunft. Das klingt kompliziert, ist es aber gar nicht. Denn wir alle denken doch immer mal wieder darüber nach, wie es uns wohl in den kommenden zehn Jahren gegangen sein wird: Wie dem Land? Wie uns privat?
»Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.« Dieses Zitat wird gleich mehreren berühmten Männern zugeschrieben, von Karl Valentin bis Mark Twain. So richtig es ist – die Zukunft ist natürlich nicht vorhersehbar – so sehr unterbetont es doch, dass heutiges Verhalten diese Zukunft sehr wohl beeinflussen kann. Es macht bestimmte Zukünfte wahrscheinlicher und andere unmöglich – sowohl privat als auch gesellschaftlich. Rauchen wir Kette, senken wir unsere Lebenserwartung. Stoppen wir das Artensterben nicht, wird es viele Tiere bald nicht mehr geben. Lassen wir die Hetze im Netz wuchern, schwächen wir die Demokratie. Kurz: Wir erhöhen oder senken Wahrscheinlichkeiten, verstärken oder schwächen Trends, die erst in ein paar Jahren ihre ganze Wirkung entfalten. Im Negativen, aber eben auch im Positiven. Ideen, Erfindungen, neue Gesetze und Verhaltensänderungen im Heute verändern das Morgen.
Unsere Beams sind eine kleine Auswahl an Weltverbesserungsideen. Sie sind keine pure Fantasie, sie sind Möglichkeiten, die sich noch nicht entfaltet haben. Jede hat einen realen Kern, der in die Zukunft extrapoliert wird. Mal geht es um eine soziale Veränderung, die es in Anfängen heute schon irgendwo gibt. Mal um eine Technik, deren Grundlagen bereits gelegt sind.
Sie können dieses Buch traditionell von vorne nach hinten...