Piontek | Doing Gender | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Piontek Doing Gender

Umgang mit Rollenstereotypen in der therapeutischen Praxis
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-87159-421-2
Verlag: dgvt-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Umgang mit Rollenstereotypen in der therapeutischen Praxis

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-87159-421-2
Verlag: dgvt-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die polarisierten und einengenden Geschlechtsrollenstereotype „Jungenhellblau und Mädchenrosa“ beginnen sich allmählich aufzulösen, um einer facettenreicheren Vielfalt menschlicher Erlebens- und Verhaltensmuster Raum zu geben, unabhängig vom biologischen Geschlecht.
Das ist auch das Ziel genderbewusster Psychotherapie. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung einer gendersensiblen therapeutischen Grundhaltung, die berücksichtigt, dass Frauen wie Männer sowohl störungsspezifisch als auch interaktional unterschiedliche Möglichkeiten von Kommunikation und Beziehungsgestaltung gelernt haben. Ein differenzierter Blick auf den Genderaspekt kann die Qualität der Therapie deutlich verbessern, indem die bekannten therapeutischen Methoden entsprechend modifiziert und um die gendersensitive Perspektive erweitert werden.
Wie dies im Therapieverlauf mithilfe von strukturierten Bausteinen gelingen kann, wird handlungsnah und therapiepraktisch anhand konkreter Beispiele aufgezeigt und durch die Erkenntnisse aus der Genderforschung untermauert. Eine Pflichtlektüre für PsychotherapeutInnen aller Schulen!

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2. „Ja, aber das spielt doch keine wichtige Rolle!“ – Ein Kapitel für Gender-SkeptikerInnen Martin Weiß Dieses Kapitel ist all jenen Leserinnen und Lesern gewidmet, die genderbezogenen Theorien und Arbeitsweisen mehr oder weniger skeptisch, wenn nicht sogar ablehnend gegenüberstehen. Deshalb soll hier eine Sichtweise vorgestellt werden, die mit vielen Grundüberzeugungen unserer Alltagstheorie über Männer und Frauen im Widerspruch steht. Aus Sicht der Gendertheorie möchte ich einige wichtige Einwände gegen die Genderperspektive entkräften, ohne mich dabei jedoch in den Tiefen des theoretischen Fachdiskurses zu verlieren. Anhand kurzer, thesenartiger Statements, die die wesentlichen Grundlagen der Genderforschung zur Sprache bringen, möchte ich einigen „Wenns“ und „Abers“ in Bezug auf die Genderperspektive argumentativ entgegentreten. All jenen LeserInnen, die dem Genderansatz aufgeschlossen gegenüberstehen, kann dieses Kapitel als Argumentationshilfe dienen in den fast schon ideologisch anmutenden Auseinandersetzungen im „Anlage-Umwelt-Streit“, im Streit um feministische bzw. patriarchatskritische Positionen bzw. im Konflikt über die Relevanz des Faktors „Geschlecht“ in Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur. 2.1Einwand 1: „Aber das ist doch alles biologisch bestimmt!“ – Die biologistische Argumentation Immer wieder begegnet man biologistischen Einwänden gegen gendersensible Arbeitsansätze in Sozialarbeit, Pädagogik und Psychotherapie. Die Argumentationslinie verläuft immer mehr oder weniger wie folgt: Die soziale Geschlechterdifferenz zwischen Männern und Frauen hat ihre Grundlage in der Biologie, also in unterschiedlichen Hormonen, Genen usw. In unmittelbarer Kausalität formt die unterschiedliche Biologie von Männern und Frauen klar voneinander trennbare männliche und weibliche Geschlechtscharaktere. Da die sogenannten „natürlichen“ Unterschiede nicht überwindbar sind, ist folglich auch die soziale Geschlechterdifferenz ein unabänderliches Schicksal. Jeder Versuch, geschlechterstereotype Rollenmuster zu verändern, ist somit ein zum Scheitern verurteilter Aufstand gegen die Natur und damit nicht nur widernatürlich, sondern sogar moralisch verwerflich. Mehr oder weniger differenziert vorgetragen, findet man dieses Argumentationsmuster sowohl in wissenschaftlichen Abhandlungen, in päpstlichen Verlautbarungen, in Diskussionsrunden im Fernsehen als auch am Stammtisch. Dieser biologistische Genderdiskurs prägt sehr tiefgehend und subtil die kulturell vorherrschende Alltagstheorie der Geschlechterdifferenz, die die Kategorien „sex“ (biologisches Geschlecht) und „gender“ (soziales Geschlecht) unsachgemäß miteinander vermischt und Kausalitäten konstruiert, die gar nicht da sind. Diese unterkomplexe Alltagstheorie unterliegt zwei schwerwiegenden Irrtümern. 2.1.1Irrtum 1: „Es gibt nur zwei klar getrennte biologische Geschlechter (sex): Mann und Frau.“ Was auf dem ersten Blick so selbstverständlich erscheint, ist es auf dem zweiten Blick nicht mehr. Das wichtigste Gegenargument hierfür liefert das Phänomen der Intersexualität: Menschen, die genetisch, anatomisch und/oder hormonell nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können. Diese Menschen, immerhin rund 2 % der deutschen Bevölkerung (DGTI; Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität, 2001), sprengen die dualistische Geschlechtertheorie. Deutlich wird: Das biologische Geschlecht von uns Menschen ist nicht in der dualistischen Logik von A/Nicht-A oder männlich/nichtmännlich strukturiert, sondern in einer pluralen Logik von A, B, C, D … Intersexuelle Menschen machen uns deutlich: Es gibt nicht zwei starre Geschlechter, sondern viele Varianten und Mischungen von dem, was wir kulturell mit dem Etikett „männlich versus weiblich“ belegen. 2.1.2Kurzer Exkurs in die Welt der Dekonstruktion Judith Butlers Nur am Rande möchte ich erwähnen, dass man die Kritik biologistischer Argumentation noch viel grundsätzlicher betreiben kann. Hier ist die vielfach diskutierte dekonstruktivistische Geschlechterforschung Judith Butlers zu nennen, die sogar die im Genderdiskurs etablierte Unterscheidung sex/gender infrage stellt (vgl. Butler, 1991). Sie verweist darauf, dass selbst die Wahrnehmung biologischer Geschlechterunterschiede eine diskursive Kulturleistung darstellt. Ihrer Argumentation folgend, ist die Unterscheidung männlich/weiblich somit ausschließlich eine diskursiv erzeugte kulturelle Konstruktion, die unseren Körpern erst ein „biologisches“ Geschlecht (sex) einschreibt. Erst wenn wir andere Menschen mit der Brille „männlich/weiblich“ wahrnehmen, werden sie und wir nicht nur sozial, sondern auch biologisch zu „Männern“ und „Frauen“. Die Anatomie wird mit kulturellen Wahrnehmungsmustern erfasst – und so gibt es „Natur“ nie an und für sich, in Reinform, sondern immer nur kulturell vermittelt. Da wir allerdings in einem kulturellen Rahmen leben, in dem die Wahrnehmung der sozialen und biologischen Geschlechterdifferenz von grundlegender Bedeutung ist, verlasse ich jetzt wieder den dekonstruktivistischen Bezugsrahmen Judith Butlers und verwende die gendertheoretischen Grundbegriffe „sex“ und „gender“ als Arbeitsbegriffe weiter, im Bewusstsein, dass beide Begriffe selbst Teil eines kulturellen Diskurses sind. Sie zu verwenden hat dennoch Sinn, da mit ihnen die Grenzen und Wechselwirkungen biologischer, psychischer und sozialer Systeme benannt werden können. 2.1.3Irrtum 2: Die Hormone und Gene prägen zwei grundverschiedene Geschlechtscharaktere: „sex“ prägt „gender“ unmittelbar Der zweite Irrtum der dualistischen und biologistischen Alltagstheorie von Geschlecht besteht in der Annahme, dass biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen in linearer Kausalität auch verschiedene geschlechtsbezogene Charaktere, Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensweisen beeinflussen und prägen – „Sex“ präge „gender“ unmittelbar. Dieser irrigen Annahme unserer dualistischen Alltagstheorie von Geschlecht widersprechen folgende empirische Befunde: Das erste Gegenargument stützt sich auf das Phänomen „Transgender“. Mit diesem Begriff werden Menschen beschrieben, die biologisch eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können, sich aber selbst als dem anderen Geschlecht zugehörig empfinden bzw. jede Geschlechtszuweisung grundsätzlich ablehnen. Nach Schätzungen betrifft dies 0,5 bis 5 % der Bevölkerung (vgl. Conway, 2002). Begegnet man diesem Phänomen nicht im heteronomen Modus der Beurteilung, Verurteilung bzw. Pathologisierung, sondern betrachtet man es im Modus der Deskription als Variante des Menschseins, dann beweist das Phänomen „Transgender“ Folgendes: Aus dem biologischen Geschlecht (sex) folgt nicht unmittelbar das soziale Geschlecht (gender). Unterstützt wird diese Schlussfolgerung durch die Beobachtung, dass es historisch und kulturell eine große Vielfalt von Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen gab und gibt. So existierte in Europa bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts eine bunte Vielfalt verschiedener Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Erst danach entwickelte sich historisch das System der komplementären Geschlechtscharaktere mit der dualistischen Zuweisung: männlich (= stark, vernünftig, Außenbezug)/weiblich (= schwach, gefühlsbetont, innenorientiert). Die zentrale Ursache für diesen Wandel des kulturellen Diskurses über das Geschlecht war die Auslagerung der Produktion aus dem Haus und damit die Trennung der Erfahrungswelten von Frauen und Männern in weibliche Haus- und männliche Erwerbsarbeit (vgl. Martin Weiß-Flache, 2001, S. 81 – 91). Die Existenz dieser getrennten Erfahrungswelten führte zu einem trennenden Diskurs über Männlichkeit und Weiblichkeit, der auf die Wahrnehmung der vermeintlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern besonderen Wert legte. Es wird wieder deutlich, dass die Rede von „männlichen“ oder „weiblichen“ Eigenschaften fast nichts mit der Biologie zu tun hat, sondern maßgeblich durch kulturelle Prozesse bestimmt wird. Hierfür spricht auch die Variationsbreite von Männlichkeits- und Weiblichkeitsbildern in unterschiedlichen Kulturen. Dem „vergeistigten Gelehrten“ im Ostjudentum steht der mediterrane „Machismo“ als Männlichkeitsideal gegenüber. Daneben spielt die geschlechtliche Differenzierung in typisch „Männliches“ und „Weibliches“ in der autochthonen Bevölkerung auf Tahiti fast keine Rolle (vgl. Weiß-Flache, 2001, S. 65 – 69). Gegen den Biologismus als Deutungsmatrix des Phänomens „Geschlecht“ ist Folgendes festzuhalten: Es gibt mehr als zwei Geschlechter. Männlichkeit und Weiblichkeit sind weder eindeutig bestimmbar noch ein starres Gegensatzpaar. Die Entwicklung einer Geschlechtsidentität unterliegt sozialen und kulturellen Konstruktionsprozessen ganz bestimmter Diskurse über das sogenannte „Männliche“ und „Weibliche“. Beide werden über den Weg der Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung durch geschlechtsbezogene Diskurse und Praktiken in die Psyche, ja sogar in den Körper der Menschen eingeschrieben. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu spricht hierbei von „Inkorporation“ (vgl. Bourdieu,...


Piontek, Rosemarie
Diplom-Psychologin, Verhaltenstherapeutin, Psychologische Psychotherapeutin, tätig in einer Praxengemeinschaft in Bamberg und als Lehrtherapeutin sowie Supervisorin für verschiedene Ausbildungsinstitute und psychosoziale Einrichtungen. Mitbegründerin des „Bamberger Instituts für Gender und Gesundheit“ (BIGG e.V.). Ehrenamtliche Tätigkeiten in kommunalen Gremien der psychosozialen Versorgung.

Rosemarie Piontek, Diplom-Psychologin, Verhaltenstherapeutin, Psychologische Psychotherapeutin, tätig in einer Praxengemeinschaft in Bamberg und als Lehrtherapeutin sowie Supervisorin für verschiedene Ausbildungsinstitute und psychosoziale Einrichtungen. Mitbegründerin des „Bamberger Instituts für Gender und Gesundheit“ (BIGG e.V.). Ehrenamtliche Tätigkeiten in kommunalen Gremien der psychosozialen Versorgung.



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