Pitsch | Kuckucksei-Syndrom | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Pitsch Kuckucksei-Syndrom


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-942200-46-2
Verlag: Brighton
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-942200-46-2
Verlag: Brighton
Format: EPUB
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Klappentext: Disziplin und Charakterstärke haben sein Leben bestimmt, und wenngleich ihm diese Zweckdienlichkeit nicht gerade eine Quelle der Freude erschlossen hat, so schuf er sich damit seine eigene kleine Welt, die in geregelten und überschaubaren Bahnen ablief. Mit einem harmlosen Maulwurfshügel beginnt es: Seine heile Welt bekommt die ersten Risse, der sus-pekte Nachbar mischt sich laufend ein, und die profunde Angst vor Mutter Bürstensteif, die ihn weiterhin gnadenlos bevormundet, entzieht seiner Hoffnung auf Liebe jede Grundlage. Als Mutter plötzlich ent-führt wird, fängt der Oberfeldwebel a.D. an, sein Dasein in Frage zu stellen und deckt ein Geheimnis auf, das sein Leben für immer verändern wird. Über das Buch: Ein dichtender Hippie, satanischer Regisseur, voyeuristischer Psychologe und eine dominante Mutter - sie alle machen ihm das Leben schwer, nichts bleibt dem Oberfeldwebel a.D. erspart auf seinem Marsch Richtung Abgrund.

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Die Ordnung

Er war ein Mann von großer Gründlichkeit und Charakterstärke, wie er selbst zu sagen pflegte, auch heuer fehlte es dem Oberfeldwebel a.D. weder an strenger Disziplin noch an eiserner Willenskraft.

Pünktlich um sechs, wenn der Wecker schrillte, sprang Hannes Bürstensteif aus dem Feldbett und absolvierte zehnfach gestaffelte Kombinationen aus Gliederstrecken, Kniebeugen und Liegestütze. Nach dem Drill erstürmte er das Badezimmer, stellte sich wacker und geübt im Ertragen von Widrigkeit unter den eiskalten Strahl der Brause.

Sein solides Frühstück – Spiegeleier und Schinkenröllchen und mordsstarker Kaffee – nahm er an einem runden Tischchen nahe dem Küchenfenster ein. Auf einem unbequemen Stahlstuhl hockend, den er liebevoll sein Auachen nannte, spähte er hinaus in den Garten und inspizierte das penibel gepflegte Rechteck seines Rasens. Nie hatte es das Geringste auszusetzen gegeben an dieser grünen Fläche der Ordnung und der Tugend, bis eines schicksalhaften Tages ein enormer Maulwurfshügel auftauchte, der das Sinnbild bürgerlichen Schaffens verunstaltete.

Ganz der Eiferer, hechtete Bürstensteif durch die Terrassentür und blies gegen den aufrührerischen Schandfleck zum Angriff, und im Handumdrehen war die Erde geplättet und die geziemende Disposition wiederhergestellt. Hernach fiel das unerquickliche Zwischenspiel der Vergessenheit anheim, dank einer straffen Routine, die Bürstensteifs Dasein als Rentner bestimmte.

Der weitere Tagesablauf sah vor, dass er seine Wanderstiefel schnürte und sich einen mit Proviant gefüllten Rucksack auf den Rücken lud – solcherart ausgerüstet, verließ er seinen Bungalow, der am Rande eines schläfrigen Vororts erbaut war, und stapfte auf einen angrenzenden Tannenwald zu. Den umhertrabenden Hundebesitzern, die seinen Weg kreuzten, schenkte er wenig Beachtung. Sofern ihm danach war, salutierte er zackig oder verlor eine Bemerkung über das Wetter, doch für gewöhnlich beließ er es bei einem ebenso knappen wie unwirschen Gruß.

Die Äste der Bäume erzitterten wie von einem Schauer durchlaufen, als Bürstensteif vorbeikam, und streuten einen feinen Nadelregen über jenen Trampelpfad, auf dem er seit jeher seinen Zehn-Kilometer-Marsch bewältigte. An einer schattigen Stelle, wo ein Rinnsal sich plätschernd über eine Lichtung wand und ein von Moos umrankter Baumstumpf zum Verschnaufen einlud, löffelte er unprätentiös eine kalte Gulaschsuppe aus der Dose. Er krönte die schlichte Mahlzeit mit einem Stückchen von Mama Bürstensteifs hausgemachtem Apfelstrudel, entfaltete eine Boulevardzeitung und widmete seine Aufmerksamkeit einer kritischen Analyse der Nachrichten.

Eben noch im kulinarischen Himmel, schlugen ihm die blutrünstigen Glossen heftig auf den Magen. Die haarsträubenden Artikel, die den Ernst der Lage verdeutlichten, bestärkten ihn in der Annahme, dass allerorts nichts als Verrat, Unheil und Intrige regierten. Nach der Lektüre faltete er die Gazette sorgfältig und versenkte sie gemeinsam mit der geleerten Konservendose im Rucksack. Dann folgte er dem mittelalterlichen Pfad, bis er auf eine verkehrsarme Landstraße stieß, welche am Ortsschild „Hinterwengen“ vorbeiführend den Weg ins Zentrum seines Universums wies. Am Straßenrand lagen zuhauf die Indizien einer fortschreitenden Vernachlässigung der Sitten, jede weggeworfene Bierdose, jeder schrill farbige Joghurtbecher und jede zerknüllte Zigarettenschachtel peinigte das geschulte Auge, bedeutete einen Schlag gegen seinen Ordnungssinn und schürte die Alarmbereitschaft.

Die Stunden des Nachmittags opferte Bürstensteif zugunsten der Haus- und Gartenpflege, er verrichtete alle anfallenden Arbeiten im Zeichen einer tadellosen Akribie, machte Unkraut und Staubflusen gleichermaßen den Garaus. Nachdem das umfangreiche Pensum erfüllt war, frönte er einer, wie er meinte, gediegenen Passion: Das Basteln von Modellflugzeugen, genauer gesagt, den Kopien von formvollendeten Propellermaschinen aus der Epoche des Zweiten Weltkriegs, die er nach ihrer Fertigstellung minutiös bemalte und an dünnen Bindfäden unter die Zimmerdecke hängte.

Bei Anbruch des Abends war sein Tagewerk vollbracht, als Nutznießer einer geregelten Welt trat er auf die Terrasse und ließ seinen Blick über das abgegrenzte Terrain schweifen. Da sträubte sich angesichts eines frisch aufgeworfenen Erdhügels sein Schnauzbart, lief das kantige Gesicht puterrot an, quollen Zornesäderchen an den Schläfen hervor. Mit seiner bloßen Anwesenheit höhnte der Dreckhaufen seiner mustergültigen Lebensweise, und Bürstensteif schwante, dass er das Monstrum von einem Maulwurf unterschätzt hatte, dass es sofortiger Gegenmaßnahmen bedurfte, um den hinterhältigem Feind das Fürchten zu lehren. Von neuem nahm der Rentner seinen Spaten zur Hand, schlug wutentbrannt drauflos, klopfte und plättete, bis ihm der Schädel dröhnte und der Rücken krachte. Am Ende der Strapazen schob er grimmig das Kinn nach vorn und patrouillierte an einer Reihe fiktiver Rekruten entlang, die zu seinem Ergötzen plötzlich allesamt weiblichen Geschlechts waren und auf sein Geheiß bereitwillig die Uniformen fallen ließen.

Die makabren Albträume, die Bürstensteif in der folgenden Nacht heimsuchten, kündeten von weiterem Unheil. Er träumte, überall wären Maulwürfe zugange, sie untergruben Moral und Anstand, planten Aufstände und Meuterei. Der alte Soldat konnte sich der Dreck aufwirbelnden Plagegeister nicht erwehren, immer neue Haufen schossen rings um ihn her aus der wogenden Matte. Das fiebrige Grauen aber, das sein Unterbewusstsein hervorrief, fand in einem perfiden Dämonenstreich seine Auflösung: der Erdboden unter seinen Füßen öffnete sich, ein schwarzes Loch sperrte seinen Schlund auf und verschlang sein zappelndes Opfer mit Haut und Haaren. Das Abhandenkommen seiner selbst schien von unendlicher Dauer. Das Nichts regierte, nichts wollte geschehen, nichts war vorhanden und nichts füllte das nichtige Nichts. Jählings aber, ohne einen mildernden Übergang, riss ihn der Waggon einer U-Bahn durch eine waagerechte Röhre mit enormer Akzeleration. Hinter den Zugfenstern herrschte diese komplette, alles vertilgende Dunkelheit; im hell erleuchteten Innenraum hingegen (wo Bürstensteif als einziger Fahrgast seitlich zur Fahrrichtung kauerte) waren die Wände mit den erstarrten Farbexplosionen hundertfach aufgesprühter Graffiti-Motive übersät. Ein wirres, surreales, comic-ähnliches Bilderchaos ohnegleichen, eine Phantasmagorie wahnsinniger Untergrund-Geister. Ein verworrenes, unübersichtliches Geflecht, aus dessen erschreckend exzessiver Fülle alle monströsen Formen der Fantasie hervorströmten. Seine Augen verschließend vor dieser grellbunten Vielfalt, glitt Bürstensteif rücklings aus dem rasenden Vorwärtsschub des Unbekannten in seine vorherbestimmte, beruhigende Existenz zurück, zurück an die Oberfläche der alltäglichen Dinge.

Schweißgebadet schnellte er früh morgens aus dem Bett, sputete sich in Pantoffeln und Schlafrock gekleidet über die Wiese, um im diffusen Schein der Morgendämmerung nach dem Rechten zu schauen. Die Katastrophe, die dort seiner harrte, überstieg seine schlimmsten Befürchtungen: er zählte elf, o nein, ganze zwölf Maulwurfshügel, die das Schlachtfeld an strategisch wichtigen Positionen besetzten, und darunter verschanzte sich der Adversarius. Hier waren die Eigenschaften eines gestandenen Soldaten gefragt, Oberfeldwebel a.D., Ausbund an Geradlinigkeit und Tugend, Mannsperson aus Schrot und Korn.

Mordlust loderte in seiner Brust, als er den Garten schlauch entrollte, am Wasserhahn anschloss und mit der Plastikspritze im Anschlag zu den feindlichen Stellungen schritt.

„Ich komme, du Biest, hörst du, um dich ist es geschehen!“, tönte er. „Ich werde dich überschwemmen, bis dir Hören und Sehen vergeht. Dir werde ich das Fell über die Ohren ziehen und dich anschließend den Geiern zum Fraß vorwerfen!“

Zwei geschlagene Stunden leitete er Liter um Liter in das Erdloch, ohne dass die geringste Spur eines Erfolges sich anbahnte, und nicht nur das Wasser, auch Hannes Bürstensteif schäumte inzwischen. Wo aber blieb der kleine Madenfresser, müsste er nicht jeden Moment mit aufgeweichtem Fell und feuchter Nase aus seinem Versteck krabbeln und den Oberfeldwebel winselnd um Gnade anflehen?

„Ich weiß, dass du da unten steckst, mein Freundchen, doch glaube mir: früher oder später kriege ich dich am Schopf zu fassen“, grummelte er. „Und wenn ich alles Wasser dieser Welt in dein Versteck leiten müsste!“

„Auch mal was von Wassersparen gehört?“, vernahm er plötzlich inmitten seiner Bemühungen die Stimme des neunmalklugen Nachbarn – eine alberne Zumutung, ausstaffiert mit Ohrring, viel zu langen Haaren und einer ganzen Palette verwerflicher Ansichten.

„Ach, halten Sie sich doch da raus“, erwiderte Bürstensteif grantig. „In Ihrem unansehnlichen Garten macht sich ja kein Maulwurf zu schaffen! Außerdem kann ich mit meinem Wasser tun oder lassen, wie es mir beliebt!“

Ihr Wasser! Dummes Geschwätz, glauben Sie wirklich, nur weil das Wasser aus Ihrem Hahn kommt, gehört es Ihnen allein? Das Wasser ist ein Allgemeingut, und die Ressourcen der Erde sind begrenzt. Wie kann man überhaupt so idiotisch sein, einen harmlosen Maulwurf mit Tonnen von Wasser ertränken zu wollen? Was für eine Verschwendung! Sie sollten mal lieber Ihr Hirn einschalten und sich was Besseres einfallen...



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