E-Book, Deutsch, Band 31, 736 Seiten
Pitscheider Hakenkreuz am Hahnenkamm
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7065-6419-9
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kitzbühel in der NS-Zeit
E-Book, Deutsch, Band 31, 736 Seiten
Reihe: Studien zu Geschichte und Politik
ISBN: 978-3-7065-6419-9
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ereignisse in der Stadt Kitzbühel von den 1930er Jahren bis in die 1950er
Kitzbühel entwickelte sich mit der Hahnenkammbahn, mondänen Bällen, rustikalen Belustigungen und einem Spielkasino in den 1930er Jahren zu einem Eldorado des alpinen Skisports. Politisch war die Stadt ein unruhiges Pflaster, persönliche Kränkungen und die Folgen der Wirtschaftskrise behinderten den Gemeinderat. 1931/32 drang der Nationalsozialismus ein, ihm folgten zuerst angesehene Bürger, die ihm einen seriösen Anstrich verliehen. Nach dem Verbot aller NS-Organisationen überzogen Illegale die Stadt mit Terror. Den "Anschluss" begrüßte die Gemeinde begeistert, einige Wenige litten unter Verfolgungen. In den Jahren 1938 bis 1945 beherrschte das NS-Regime jeden Bereich des Lebens, jagte Andersdenkende, ermordete "unwertes Leben", "arisierte" Eigentum, beschränkte die Macht der katholischen Kirche und raubte Klosterbesitz. Kitzbühel bot eine Bühne für sportliche Großveranstaltungen. Luftwaffe und Polizei ließen sich nieder. Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen ersetzten zur Wehrmacht eingezogene Männer. Ab 1943 besetzten Schulen aus dem bombenbedrohten Deutschen Reich, Lazarette und Umquartierte die Betten in den Tourismusbetrieben. NS-Prominente wie Leni Riefenstahl siedelten sich an. In den ersten Maitagen 1945 befreite die US-Armee die Stadt vom NS-Regime, begleitet von Skandalen entwickelte sich eine demokratische Verwaltung. Lange Zeit dominierte der Prozess der nur unzureichend durchgeführten Entnazifizierung; Lügen und Ausreden begleiteten Gesellschaft und Politik, in die Ehemalige im Jahr 1950 zurückkehrten.
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II. Kitzbühel März 1938 bis Mai 1945
Die deutsche Wehrmacht marschierte im März 1938 in eine Diktatur ein, die ohne Gegenwehr kapitulierte. Der „Anschluss“ im März und die „Volksabstimmung“ im April 1938 erhoben den Nationalsozialismus zur Staatsideologie und beförderten seine österreichischen ExponentInnen nach Jahren der Verfolgung in einflussreiche Positionen. Das NS-Regime griff nach dem „Führerprinzip“ von oben nach unten in alle Lebensbereiche und das Leben jedes Einzelnen radikal ein. Die NationalsozialistInnen etablierten ein Regime, in dem einzig und allein sie bestimmten, wer zu ihrer „Volksgemeinschaft“ gehörte und wer nicht. Wer dazu gehörte, profitierte, wer nicht, durfte verfolgt oder sogar getötet werden. Das NS-Regime setzte die zweite politische Säuberung innerhalb weniger Jahre radikaler um als die ständestaatlichen Funktionäre 1934/35, alle waren einem System von Belohnung und Strafe unterworfen. Im September 1939 zwang das Deutsche Reich mit seinem Überfall auf Polen der Welt einen verheerenden Krieg auf. Die Kitzbüheler Bevölkerung begrüßte mit wenigen Ausnahmen die „Machtergreifung“ Hitlers euphorisch und schenkte dem Regime eine fast 100%ige Zustimmung. Ein dichtes Netz von NS-Organisationen überzog die Stadt, unterdrückte abweichende Meinungen und verkündete bis Kriegsende den Glauben an den Sieg. Politisch Andersdenkende, „rassisch Unreine“, psychisch Kranke und die katholische Kirche als Konkurrentin im Kampf um die gesellschaftliche Vorherrschaft unterlagen der Verfolgung. Kitzbühel bot dem Regime eine Bühne für sportliche Großveranstaltungen und hielt mit seiner touristischen Infrastruktur jahrelang die Illusion von Normalität aufrecht. Ab 1943 füllten sich die Betten mit verwundeten Soldaten, Schulkindern und Flüchtlingen. 1. „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ – Der „Anschluss“
Das Treffen Adolf Hitlers mit Bundeskanzler Kurt Schuschnigg am 12. Feber 1938 in Berchtesgaden endete mit der faktischen Kapitulation Österreichs.1 Die österreichische Regierung musste sich verpflichten, Nationalsozialisten mit Regierungsämtern zu betrauen, seine Politik weitgehend mit dem Deutschen Reich abzustimmen und eine Amnestie für illegale NationalsozialistInnen zu erlassen, womit Österreich auf den Status eines Satellitenstaates herabsank.2 Einer der Minister war der als gemäßigt geltende Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart – 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtet –, der ausgerechnet das Innenministerium und damit die Befehlsgewalt über die Polizei übernahm.3 In den Wochen bis zum „Anschluss“ entwickelte sich eine Art Doppelherrschaft, auf der einen Seite der Ständestand und seine Funktionäre, die unbeirrt an ihrer Idee von Österreich festhielten, auf der anderen Seite die beiden nationalsozialistischen Minister und der Druck der Straße.4 Wie wenig es dem austrofaschistischen Ständestaat5 in den vergangenen vier Jahren gelungen war, die aufgeheizten politischen Gemüter zu beruhigen und sich NS-AnhängerInnen als Alternative anzubieten, zeigte sich in den folgenden Wochen. In den Dörfern und Städten traten NS-AnhängerInnen offen auf und ignorierten behördliche Vorgaben, die so viel Spielraum ließen, dass die Gendarmerie und Polizei sie gewähren ließen, besser gesagt angesichts der überwältigenden Teilnahme der Bevölkerung und der mangelnden Unterstützung des Innenministeriums gewähren lassen mussten. Verwaltungsbehörden mussten wegen der weitgehenden Amnestie für Illegale schwebende Strafverfahren einstellen. Was den Kitzbüheler Bezirkshauptmann noch mehr bekümmerte, war, dass sich Illegale bei Amtshandlungen auf bei der Behörde noch nicht bekannte Erlässe des Innenministeriums bezogen, wonach ihre Tat erlaubt sei. Dies erschwere nicht nur die Arbeit der Exekutive, sondern untergrabe die Autorität der Behörden, klagte der Bezirkshauptmann.6 Die Regierungserklärung Schuschniggs am Abend des 24. Feber im Radio, welche die Presse als „Glaubensbekenntnis zu Österreich“ bezeichnete,7 hinterließ bei NS-AnhängerInnen keinerlei Eindruck. Sie demonstrierten ihre Macht und ihre Verachtung für den Staat, ignorierten Verbote und provozierten mit NS-Symbolen. Nach dieser Rede sei es in Kitzbühel ruhig geblieben, meldete die Bezirkshauptmannschaft in ihrem Situationsbericht für den Monat Feber und fügte einen Kommentar hinzu, der sich entweder als resigniert, eingeschüchtert oder hoffnungsvoll interpretieren lässt. Er lautete: „Anscheinend haben die gemässigten Nationalsozialisten die Oberhand und wäre mit diesen Personen, falls sie ehrlich am Aufbaue des Staates interessiert sind, eine Zusammenarbeit ganz gut möglich.“8 Am 9. März 1938 besuchte Schuschnigg die Landeshauptstadt Innsbruck und verkündete zur Überraschung der österreichischen Bevölkerung und des Deutschen Reiches eine Volksabstimmung für den kommenden Sonntag, den 13. März. Folgender Parole sollte zugestimmt werden: „Für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich. Für Friede und Arbeit und die Gleichberechtigung aller, die sich zu Volk und Vaterland bekennen.“9 Demokratischen Gepflogenheiten hätte die Abstimmung nicht entsprochen: Die Stimmzettel waren mit einem Ja vorgedruckt, wer Nein stimmen wollte, musste selbst einen Zettel in passender Größe zuschneiden und mit Nein beschreiben. Die Stimmabgabe sollte „vor allen Leuten zeigen, daß ich den Ja-Stimmzettel in die Urne werfe“. Zusammengefaltete oder in einem Umschlag eingeworfene Stimmzettel hätten deutlich gemacht, wer mit Nein stimmte.10 Bis zum Morgen des 11. März entwickelten sich hektische Aktivitäten, die Vaterländische Front demonstrierte auf den Straßen und versuchte, die Bevölkerung auf das Ja einzuschwören, während NS-AnhängerInnen gegen die Abstimmung und für den „Anschluss“ durch Dörfer und Städte zogen. Zugleich überlegte Hitler mit seinen engsten Mitarbeitern, wie die Abstimmung verhindert werden konnte. Am Abend des 10. März befahl er, die Wehrmacht für den Angriff auf Österreich zu mobilisieren.11 Propagandaminister Joseph Goebbels notierte am 11. März in seinem Tagebuch: „Aufforderung zum Widerstand. Das Volk steht auf. Und Sonntag Einmarsch. Zuerst Wehrmacht und dann Legion.“ Ein weiterer Eintrag modifizierte den Plan: „Die Würfel sind gefallen: am Samstag Einmarsch. Gleich bis Wien vorstoßen. Große Flugblattaktion. Der Führer geht selbst nach Österreich.“12 1.1 März 1938 – „Die Ostmark ist heimgekehrt“
Am Morgen des 11. März, einem Freitag, sperrte das Deutsche Reich die Grenzen und unterbrach den Zugverkehr.13 An diesem Tag versammelten sich Illegale im ganzen Land. Am Vormittag strömten sie in Kitzbühel bei der Hochfilzersäge in der Grießgasse zu einer Demonstration für den Wahlboykott zusammen. Trotz Aufmarschverbot schritten die Gendarmeriebeamten nicht ein, weil sie sich, personell unterlegen, einer Masse entschlossener NS-AnhängerInnen gegenübersahen. Um 13 Uhr zogen rund 300 Personen ohne Zwischenfälle durch die Stadt.14 In der Kitzbüheler Hauptschule hielt sich die Frontmiliz in Bereitschaft, bewaffnet war sie mit zwei Maschinengewehren, Pistolen und Gewehren.15 Unmittelbar, nachdem Schuschnigg um 20 Uhr seinen Rücktritt verkündet hatte, besetzten Männer der SA und SS öffentliche Gebäude.16 Zu der Zeit wehten vom Landhaus und dem Innsbrucker Rathaus schon Hakenkreuzfahnen. Nach der Abdankung Schuschniggs verließen die meisten Frontmilizmänner die Hauptschule, in die im Laufe des Abends Johann Posch mit Gendarmeriebeamten und SA-Männern eindrang, Waffen beschlagnahmte und die Verhaftung des Unterführers der Frontmiliz Franz Föger und des stellvertretenden Ortskommandanten Franz Thaler befahl.17 Posch, Parteimitglied seit April 1932, von Beruf Buchhalter, hatte 1933/34 aus politischen Gründen seine Arbeit bei der Bezirkshauptmannschaft verloren, war im Anhaltelager Wöllersdorf interniert gewesen und übernahm nun als treuer Nationalsozialist die Funktion eines NS-Kreisleiters und zugleich kommissarischen Bezirkshauptmannes.18 Für seine Verdienste „im Kampfe um die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reiche“ verlieh ihm die SA-Gruppe Österreich den Dienstgrad eines SA-Hauptsturmführers.19 Den ersten Verhaftungen folgten in den nächsten Tagen weitere, während der Großteil der Bevölkerung „in überzeugter Freude u. großem Jubel“ den Sieg feierte.20 Am 12. März titelte der Tiroler Grenzbote mit einer Sonderausgabe „Österreich ist frei!“21 Die Kitzbüheler Nachrichten folgten dem Beispiel, präsentierten die neuen Regierungsmitglieder, Kreisleiter Posch entbot dem „Führer, im Namen meiner Gefolgschaft heißerfüllten Dank und die Versicherung der unverbrüchlichen Treue“ (Abb. 6). Als erste „vaterländische“...