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E-Book, Deutsch, 160 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 210 mm, Gewicht: 180 g

Plener Sie brauchen uns jetzt

Was Kinder belastet. Was sie schützt.
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-99001-524-7
Verlag: edition a
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Was Kinder belastet. Was sie schützt.

E-Book, Deutsch, 160 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 210 mm, Gewicht: 180 g

ISBN: 978-3-99001-524-7
Verlag: edition a
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Lockdown-Trauma, Wirtschaftskrise, Klimawandel und die ganze Welt in Veränderung: Leicht werden es unsere Kinder nicht haben. Was können wir ihnen mitgeben, damit sie ihre Aufgaben meistern werden? Wie können wir sie zu widerstandsfähigen und stabilen Menschen erziehen und Phänomene wie Handyspielsucht oder Essstörungen rechtzeitig erkennen und verhindern? Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Paul Plener zeichnet das Bild einer Generation mit Potenzial, die jetzt ganz besonders unsere Hilfe braucht. Leicht verständlich zeigt er, worauf wir achten mu¨ssen, was die Gefahren sind und wie wir worauf reagieren sollten.

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DIE ÜBERSEHENE GENERATION
Während die Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie an den Krankenhäusern schon immer deutlich ausgelastet waren, mitunter mit monatelangen Wartezeiten für stationäre Behandlungen, kamen während der pandemiebedingten Lockdowns so viele Patienten, dass wir Fachärzte die Zustände nicht mehr unkommentiert lassen konnten. Eine Weile sahen wir mit wachsendem Unbehagen zu, aber irgendwann war klar, dass wir an die Öffentlichkeit gehen und warnen mussten. Doch was passierte hier wirklich? Warum kamen ab dem Herbst 2020 auch Kinder ganz ohne typische Risikofaktoren und aus allen Gesellschaftsschichten? Woran litten sie und was genau hatte ihre Krankheiten verursacht? Wie konnten wir ihnen helfen? Und was können Eltern, Lehrer und Bildungs- und Gesundheitspolitiker daraus lernen, um unsere Kinder und Jugendlichen fit für die Zukunft zu machen? Während des ersten Lockdowns war nichts. Es kamen sogar weniger Patienten als sonst. Denn ein paar Wochen keine Schule, das geht. Das sind Kinder und Jugendliche aus den Sommerferien gewöhnt. Die Situation war auch in gewisser Weise aufregend für alle. Es gab noch keine Lockdown-Müdigkeit. Es herrschte noch das Gefühl vor, jetzt müssen wir da durch. Das motivierte und gab Kraft. Auf einmal daheim bleiben können, mit ein bisschen Online-Unterricht, bei dem sie noch dazu zeigen konnten, dass sie auf diesem Gebiet ihren Lehrern und ihren Eltern zumeist überlegen waren, das war noch in Ordnung. Doch im Spätherbst war alles anders. Die von einer gewissen Neugier und Abenteuerlust, aber auch von Zusammenhalt geprägte Stimmung des ersten Lockdowns war verflogen. Niemand wusste mehr so genau, wann dieses Durchhalten müssen ein Ende haben würde und alle sehnten sich mit wachsender Ungeduld und wachsender Resignation nach ein bisschen Normalität. Rasch wurde die Lage prekär. Auch deshalb, weil jetzt alle, auch die Jugendlichen, verstanden oder zumindest spürten, dass hier mehr als nur ein vorübergehender Ausnahmezustand herrschte. Dass die Pandemie ein offenes Ende hatte und dass danach etwas kommen würde, das womöglich noch schlechter war. Etwas, das ihre ohnedies nicht rosigen beruflichen Zukunftsaussichten eintrüben und ihre Lebensentwürfe über den Haufen werfen könnte: eine Wirtschaftskrise nicht abschätzbaren Ausmaßes. Die kleineren Kinder verstanden das vielleicht noch nicht, aber sie konnten etwas davon spüren. Wenn eine Gesellschaft nicht mehr so recht weiter weiß oder verängstigt ist, dann beeinflusst das immer auch die Stimmung der Allerjüngsten. Aus Sicht der Kinder- und Jugendpsychiatrie beinhalteten die Lockdowns alles, was in der Depressionsentstehung als auslösende Umweltfaktoren diskutiert wird. Die Kinder und Jugendlichen verloren den für sie so wichtigen Zugang zu Gleichaltrigen und gleichzeitig ihre täglichen Routinen, die ihnen Halt und Stabilität geben. Ihr Schlafrhythmus kam durcheinander, was Schlafstörungen verursachte. Vielen fehlte es an Bewegung und an frischer Luft. Schließlich erstreckte sich ihr Lebensraum nur noch zwischen Kinderzimmer, Bad und Küche. Bei den Fällen psychischer Erkrankungen, mit denen wir Ende 2020 und Anfang 2021 zu tun hatten, zeigte sich uns Fachärzten ein ungewohntes Bild. Die klassischen Risikofaktoren Armut, »Broken Home«-Situationen oder durch Sucht und eigene psychische Erkrankungen belastete Eltern waren jetzt viel seltener anzutreffen. Jetzt kamen unsere Patienten aus allen gesellschaftlichen Verhältnissen, auch aus der Mittel- und Oberschicht, aus Familien ohne weitere Risikofaktoren. Sie waren erkrankt, weil das aus ihrem Alltag genommen worden war, was sie für ihre psychische Stabilität und ihre Entwicklung brauchen. Das Home-Schooling und die Art, wie es stattfand, spielten dabei auch eine Rolle. Abgesehen davon, dass längst nicht jeder Haushalt über einen Computer für jedes Kind, einen stabilen Internetzugang und einen zum Nachhilfelehrer geeigneten Elternteil verfügte, wuchs nun auch der digitale Leistungsdruck auf die Schüler. Dies nicht nur im Vergleich zum ersten Lockdown, sondern auch im Vergleich zum alten analogen Schulalltag. Denn während die Schulen im ersten Lockdown noch vergleichsweise milde Leistungsanforderungen an die Schüler gestellt hatten, kippte das jetzt ins Gegenteil. Die Schulen hatten ihren digitalen Unterricht professionalisiert, was ja im Grunde gut war, und die Lehrer wollten möglichst viel Stoff mit möglichst vielen Leistungsfeststellungen in möglichst kurzer Zeit durchbringen. Stundenlang Schule vor dem Bildschirm, plus Hausübungen, Lernen und andere Projekte, das war für viele Schüler eine viel höhere Belastung, als der Unterricht im Klassenzimmer. Viele tauchten ab, weil sie nicht anders konnten, und fühlten sich als Versager, als abgehängt und litten darunter. Alle, die Familien und vor allem die am stärksten betroffenen Jugendlichen ab 13 und 14 Jahren selbst, unterschätzten dabei das Problem der Schlafstörungen. Warum ist das so groß? Jugendliche schlafen anders
Jugendliche haben aufgrund der Zeitpläne unseres Bildungssystems generell ein Problem mit dem Schlaf. Das lässt sich mit einer Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus erklären: Die Spitze der Konzentration des Schlaf-Hormons Melatonin im Blut verschiebt sich im Jugendalter nach hinten, was dazu führt, dass Jugendliche länger aufbleiben und dafür länger schlafen wollen. Warum die Evolution das so wollte, darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen. Eine dieser Vermutungen ist, dass diese Verschiebung evolutionär gewollt sein könnte, um für Jugendliche den für ihre Entwicklung so wichtigen Raum zu schaffen, in dem sie ungestört von ihren Eltern und ihren jüngeren Geschwistern unter sich sein können. Jugendliche werden im normalen Schulbetrieb mit Beginn zwischen 7.30 Uhr und acht Uhr morgens also schlafdepriviert. Er widerspricht ihrer Natur. Studien haben hinlänglich dokumentiert, dass ein Schulbeginn für Jugendliche ab neun Uhr oder sogar ab 9.30 Uhr ideal wäre. Der Notendurchschnitt stieg bei solchen Studien um einen Grad und unter anderem kam es zu weniger Mobbing, weil bei ausgeschlafenen Schülern auch der Aggressionspegel niedriger ist. Eine Schule, die den Schulbeginn ab der Oberstufe von acht Uhr um eine Stunde oder neunzig Minuten nach hinten verschiebt, würde genau das Richtige tun. Leider passiert das nicht, da es eine Anpassung des Gesamtsystems Schule und auch der Familie nach sich ziehen würde. Lockdowns und Distance Learning schufen nun jedenfalls eine Extremsituation. Der Rahmen war nicht mehr starr genug, um den eigentlich unnatürlichen Schlafrhythmus zu stützen. Viele Schüler erzählten, dass sie erst einmal länger schliefen, um acht Uhr dann ihr Tablet einschalteten, damit beim jeweiligen Lehrer der Punkt neben ihrem Namen aufleuchtete und dann einfach weiterschliefen, während ihr Lehrer im Unterrichtsstoff fortschritt. Allmählich zerfloss ihre Tagesstruktur, die gewöhnlich vom Aufstehen zur immer gleichen Zeit und dem Weg in die Schule bestimmt ist. An den Abenden schien dann nichts dagegen zu sprechen, länger mit Freunden online zu spielen oder bis in die Nacht hinein Serien zu schauen. Viele bewegten sich überhaupt nur noch zwischen dem Bett und dem Schreibtisch hin und her, oder nicht einmal das, womit dann auch noch ein Bewegungsmangel ihre Situation verschärfte. Bewegung für die Seele
Bewegung macht sehr viel mit der Psyche. Gerade für Kinder und Jugendliche ist sie wichtig und kann enorm ausgleichend wirken. Wir wissen, dass sportliche Betätigung, die auch einigermaßen anstrengend ist, einen ähnlichen Effekt wie eine psychopharmakologische Therapie im Bereich der Depression hat. Besonders bei Kindern hat Sport (beziehungsweise Bewegung) vor allem auch einen sozialen Aspekt. Er macht ihnen nicht nur Spaß, sondern bietet ihnen auch Raum, um sich auszutauschen, dem Alltag zu entfliehen und Stress abzubauen. Zudem kann Sport Erfolgserlebnisse liefern. Umso schlimmer war es, dass auch die Sporteinrichtungen für Kinder und Jugendliche geschlossen waren. Wenn von einem Tag zum anderen neben der Tagesstruktur, dem Schlafrhythmus und den persönlichen sozialen Kontakten auch die Möglichkeiten zum Sport und zur Bewegung fehlen, kann das erst recht Folgen für die psychische Gesundheit haben. Wozu genau führte das alles? Zwei dominierende Diagnosen
Krankheiten, beziehungsweise Krankheitssymptome, die sich europaweit während der Lockdowns an den kinder- und jugendpsychiatrischen Stationen am häufigsten zeigten, waren vor allem zwei: Depressionen und Essstörungen. Depression. Unsicherheit, Einsamkeit, fehlende soziale Kontakte. Diese Faktoren können in Kombination mit Schlafstörungen und den ganz normalen Problemen von Teenagern depressive Muster erzeugen. Studien aus der Zeit vor COVID-19 zeigen, dass auch in normalen Zeiten etwa zwanzig Prozent der Teenager irgendwann bis zu ihrem 18. Lebensjahr eine behandlungsbedürftige depressive Episode erleben, also jeder fünfte. Dieser Wert stieg mit den anhaltenden Lockdowns deutlich. Eine Studie der niederösterreichischen Donau-Universität, die ich begleiten durfte, ergab, dass die Lockdowns bei 56 Prozent der 14- bis 18-Jährigen und bei 46 Prozent der 18- bis 25-Jährigen Depressionen verursachten. 39 Prozent der Jugendlichen berichteten von Suizidgedanken. Das sind dramatische Zahlen, bei denen zu betonen ist, dass sie wissenschaftlich noch nicht umfassend abgesichert sind. Sie stammen aus Online-Befragungen, von denen wir wissen, dass daran eher Betroffene teilnehmen. Die...


Plener, Paul
Univ. Prof. Dr. Paul Plener studierte Medizin und absolvierte eine Facharztausbildung fu¨r Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie in Ulm. 2018 u¨bernahm er nach leitenden Funktionen in Deutschland die Professur fu¨r Kinder- und Jugendpsychiatrie und die Leitung der Universitätsklinik fu¨r Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien/ Universitätsklinikum AKH. Er ist neben vielen weiteren Funktionen Mitglied des während der Corona-Krise eingerichteten psychosozialen Krisenstabs der Stadt Wien.



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