Powell | Ein Tanz zur Musik der Zeit / Tendenz: steigend | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 296 Seiten

Reihe: Ein Tanz zur Musik der Zeit

Powell Ein Tanz zur Musik der Zeit / Tendenz: steigend

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-941184-77-0
Verlag: Elfenbein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 2, 296 Seiten

Reihe: Ein Tanz zur Musik der Zeit

ISBN: 978-3-941184-77-0
Verlag: Elfenbein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der zwölfbändige Zyklus „Ein Tanz zur Musik der Zeit“ — aufgrund seiner inhaltlichen wie formalen Gestaltung immer wieder mit Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ verglichen — gilt als das Hauptwerk des britischen Schriftstellers Anthony Powell und gehört zu den bedeutendsten Romanwerken des 20. Jahrhunderts. Inspiriert von dem gleichnamigen Bild des französischen Barockmalers Nicolas Poussin, zeichnet der Zyklus ein facettenreiches Bild der englischen Upperclass vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die späten sechziger Jahre. Aus der Perspektive des mit typisch britischem Humor und Understatement ausgestatteten Ich-Erzählers Jenkins — der durch so manche biografische Parallele wie Powells Alter Ego anmutet — bietet der „Tanz“ eine Fülle von Figuren, Ereignissen, Beobachtungen und Erinnerungen, die einen einzigartigen und aufschlussreichen Einblick geben in die Gedankenwelt der in England nach wie vor tonangebenden Gesellschaftsschicht mit ihren durchaus merkwürdigen Lebensgewohnheiten. So eröffnet Powell seinen „Tanz“ in dem Band „Eine Frage der Erziehung“ mit Szenen der Jugend: Jenkins in der Abschlussklasse des College, während eines Sprachaufenthalts in Frankreich sowie beim Five O’ Clock Tea seines Universitätsprofessors. Jahre später sehen wir ihn im zweiten Teil, „Tendenz: steigend“, auf Bällen und Partys der Oberklasse, aber auch der Boheme, wo er neue und immer wieder alte Bekannte trifft — sowie erste Liebschaften erlebt. Geheimnisvolle spiritistische Sitzungen und Dinnerpartys kennzeichnen den dritten Teil, „Die Welt des Wechsels“, bis im vierten, „Bei Lady Molly“, der Erzähler während eines Wochenendaufenthalts ein Schloss besucht, wo er seine zukünftige Frau kennenlernt. Der historische Hintergrund, die Jahre zwischen 1921 und 1934, scheint dabei immer wieder überraschend schlaglichtartig auf.
In deutscher Sprache ist Powells „Tanz“ recht unbekannt geblieben, mangelte es doch bisher an einer Übersetzung des gesamten Zyklus. Drei Anläufe hat es in der Vergangenheit gegeben, alle scheiterten. Die hier angekündigte Ausgabe startete 2015. Sie basiert auf den in den 80er Jahren von Heinz Feldmann (geb. 1935) angefertigten und noch einmal vollständig durchgesehenen ersten drei Teilen. Über den Übersetzer vermerkte Anthony Powell in seinem Tagebuch: “I am lucky to have him as a translator.“

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2
Onkel Giles’ Wertesystem war in den meisten Fällen nur schlecht dazu geeignet, von jemand anderem als ihm selbst angewandt zu werden. Dennoch verstehe ich jetzt, dass er durch seine bedenkenlose Verachtung allen menschlichen Verhaltens außer seines eigenen – das unter seinen engen Verwandten für alles andere als untadelig gehalten wurde – einen Spiegel hochhielt, um die verborgenen Unzulänglichkeiten fast jeder Situation, die ein momentaner Enthusiasmus vielleicht zuerst übersehen hat, stärker hervorzuheben. Genauer gesagt, seine Ansichten dienten ihm als eine Art Maßstab, dessen Proportionen kein irdisches Maß gewachsen war. Diese blinde Ver­urteilung von allem und jedem hatte ihn zweifellos mit ei­nem Schutzpanzer gegen einige der Enttäuschungen des Le­bens versehen; doch welche philosophische Befriedigung auch immer er von einer solchen Haltung ableitete, sie hatte sicherlich in keiner Weise meines Onkels Fähigkeit vermindert, zu jeder Zeit über die Anomalien gesellschaftlichen Verhaltens zu nörgeln, die seiner Meinung nach besonders seit dem Kriege überall zu finden seien. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, die Dinge mit den Augen Onkel Giles’ sehen zu wollen; aber einfach als außergewöhnliches Mittel bei dem Versuch, sich das Gefühl für die Proportionen zu bewahren – ein Geisteszustand, der, wie man sagen muss, nicht immer willkommen oder unmittelbar vorteilhaft ist –, sprach vielleicht doch einiges dafür, etwas von Onkel Giles’ Methode zu übernehmen. Es ist natürlich kein besonders profunder Gedanke, seine eigenen Angelegenheiten durch das Medium eines Freundes oder Verwandten zu betrachten; aber im Falle meines Onkels nahm ein auf diese Weise ins Auge gefasstes Blickfeld wahrscheinlich immer eine in so großem Maße nur für ihn selbst geltende Form an, dass fast jede von diesem Punkt aus betrachtete Szene auf Seiten eines anderen Beobachters eine äußerst drastische Neueinstellung verlangte. Den Ball bei den Huntercombes zum Beispiel hätte er als einen jener formellen Anlässe abgetan, die ihm selbst, sozusagen per Definition, völlig unsympathisch waren. Onkel Giles verurteilte aus Prinzip jeden, der es sich leisten konnte, am Belgrave Square zu wohnen (denn er wiederholte oft in fast identischer Form Mr. Deacons Worte über Leute, »die mehr Geld haben, als gut für sie ist«), besonders wenn sie zusätzlich noch »Träger von Titeln« waren, wie er sie nannte; doch pflegte er manchmal in demselben Zusammenhang mit gesprächiger Vertraulichkeit, mehr sorgenvoll als ärgerlich, ein paar Angehörige seiner eigenen Generation zu erwähnen, die er in der Vergangenheit mehr oder weniger gut gekannt hatte und die durch Vererbung in jene unglückselige Lage gebracht worden waren. Aus irgendwelchen Gründen hegte er eine viel weniger starke Abneigung gegen erst kürzlich erworbene Vermögen – aus deren Besitzern er, zugegebenermaßen, gelegentlich geringfügigen Nutzen gezogen hatte –, vorausgesetzt, das Geld war von diesen Leuten in einer Weise angehäuft worden, die er und jeder andere, zumindest privat, mit gutem Gewissen verachten konnte, und durch Methoden, die allgemein als unentschuldbar galten. Es war jede Form von lange bestehendem Reichtum, an der er den größten Anstoß nahm, besonders dann, wenn sich zu dem Besitz von Land noch irgendwelche Beweise von Diensten an der Allgemeinheit gesellten, selbst wenn diese An­strengungen in einer ganz unauffälligen und offensichtlich harmlosen Form geleistet wurden wie etwa der Mitgliedschaft in einem Kreistag oder der Hilfe bei einem Schulfest. »Aufdring­liche Wichtigtuer« pflegte er die Betreffenden zu nennen. Meines Onkels natürlich ebenso stark ausgeprägte Abneigung gegen Partys wie die von Mrs. Andriadis hätte, wenn ver­mieden werden sollte, dass er sich als ein allzu negativ aus­gerichteter Mitkämpfer in einer der rivalisierenden Gruppierungen engagierte, die Wahl einer vorsichtigeren Methode ver­langt als jener, die er sich zu eigen gemacht hätte, um seine potentielle Missbilligung der Huntercombes zur Schau zu stellen; denn dadurch, dass er zu heftig Partei ergriffen hätte, wäre er möglicherweise leicht in eine Position geraten, in der er das eine oder andere System menschlicher Lebensführung verteidigte, das man ihn normalerweise in einem anderen Abschnitt des Schlachtfeldes attackieren sah. Andererseits wäre es falsch zu sagen, er sei ernsthaft um Folgerichtigkeit in seinen Argumentationen bemüht gewesen. Im Gegenteil, Mangel an Folgerichtigkeit in seiner eigenen Gedankenführung kümmerte ihn so gut wie gar nicht. Ja, er – oder auch jeder andere, der diesen Fall untersucht hätte – hätte vielleicht, wenn er absolut gezwungen worden wäre, eine Erklärung zu dem Thema abzugeben, den wohl vertretbaren Standpunkt eingenommen, dass die unmittelbaren Eindrücke bei Mrs. Andriadis schließlich nicht sehr verschieden gewesen seien von denen, die einem zuerst bei der Ankunft am Belgrave Square vermittelt wurden. Das Haus, das den Eindruck erweckte, es sei nur für ein oder zwei Monate möbliert gemietet, war nur spärlich eingerichtet und etwas reizlos in einem anonymen Stil ausgestattet, der die zumindest bei Vorhängen und Tapeten vorhandenen Anklänge an die italienische Renaissance mit glatter Vertäfelung und Möbeln »modernistischer« Formgebung – quadratische, metallische Stücke, die insgesamt eher an Berlin als an Paris erinnerten – verband. Obwohl das Haus kleiner war als das der Huntercombes, hätte mein Onkel dort eine deutliche Spur von Reichtum und – etwas, gegen das sein Widerwille, wenn möglich, noch tiefer verwurzelt war – eine Atmosphäre der Frivolität entdeckt. Wie die meisten Menschen, die ihr Leben zum großen Teil im Zustand der Entkräftung oder gar der Krisis verbringen, rühmte sich mein Onkel einer ernsthaften Lebenshaltung und tadelte nichts so sehr wie das, was er »etwas mit einem Lachen abzutun versuchen« nannte; und es war wohl richtig, dass ein lebenslanges Gelächter kaum ausgereicht hätte, ihn von einigen seiner eigenen Fiaskos zu befreien. Insgesamt gesehen, gehörten Mrs. Andriadis’ Gäste zu einer Generation, die älter war als jene der Ballbesucher, und ihre Stimmen schallten lauter durch die Räume. Die Herren trugen Fracks und die Damen, von denen einige ausgesprochene Schönheiten genannt werden mussten, allgemein prunkvollere Kleider als bei den Huntercombes. Einige wenige Personen beiderlei Geschlechts waren noch in ihrer Straßenkleidung und ließen Mr. Deacon und Gypsy Jones nicht ganz so fehl am Platze erscheinen, wie das sonst vielleicht der Fall gewesen wäre; und im Verlaufe des Abends bemerkte ich mit Erstaunen, wie leicht und unaufdringlich sich diese beiden (die ihre unverkauften Exemplare von »Krieg zahlt sich niemals aus!« in der Eingangshalle abgelegt hatten, unter einem hochlehnigen Stuhl in Rot und Gold, ausgeführt in einem etwas unglücklichen Kompromiss zwischen Motiven der Avantgarde und des spanischen siebzehnten Jahrhunderts) in die allgemeine Atmosphäre einfügten. Es gab dort in der Tat eine Reihe von Frauen, die, was Gesicht und Figur anging, Gypsy Jones keineswegs unähnlich waren; und auch Mr. Deacon hätte, hier und dort über die ganze Gesellschaft verstreut, mehrere Ebenbilder seiner selbst unter dem Kontingent sardonischer, gemäßigt distinguierter grauhaariger Männer gefunden, von denen einige nach Badesalzen rochen. Die relative Förmlichkeit der bei unserer Ankunft zu beobachtenden Szene warf einen dämpfenden Schatten auf meine – wie es nun schien zu bereitwillige – Hinnahme von Stringhams Versicherung, dass eine Einladung völlig überflüssig sei; denn das Element der Fri­volität, das mein Onkel so unweigerlich verurteilt hätte, war, wie ich nicht umhin konnte zu fühlen, erfüllt von einer unterschwelligen Strömung äußerster Kühle, von einem eisigen Hauch miteinander kollidierender Egoismen, weit einschüchternder als alles, was einem normalerweise bei den Walpole-Wilsons, den Huntercombes oder anderen Leuten ›dieser Art‹ begegnen konnte. Als dann jedoch das Auge einzelne Personen von der großen Menge absonderte, offenbarten sich Zeichen einer gewissen Exotik, die so eindeutig in der Szene am Belgrave Square gefehlt hatte; und diese Abweichungen von einer konventionelleren Verhaltensweise milderten irgendwie die vorherigen Eindrücke der Steifheit; doch waren diese hin und wieder ins Auge fallenden Formen der Ungewöhnlichkeit – wenn sie denn ungewöhnlich genannt werden konnten – wohl nicht unbedingt dazu geeignet, einem uneingeladenen Neuankömmling die Befangenheit zu nehmen; außer vielleicht in dem Sinne, dass, ganz allgemein gesagt, in dieser Umgebung ein informeller Akt als stillschweigende Entschuldigung für einen anderen gelten mochte. Ein älterer Herr mit einem gepflegten weißen Schnurrbart und einem Monokel zum Beispiel, der augenscheinlich von einer offiziellen Gesellschaft kam – vielleicht von dem Empfang in der spanischen Botschaft –, denn er trug kleine Ordensschnallen und, unter den Spitzen seines Kragens, das Kreuz eines Ordens in weißem Email und Gold, sprach gerade mit einem Neger fast hellgelber Hautfarbe, ausstaffiert mit ei­nem betont taillierten, breitschultrigen Frack mit übertrieben spitzen Revers. Es war eigentlich dieses Paar, das mich an Onkel Giles erinnerte, der, trotz seiner Befürwortung einer drin­genden Auflösung des Britischen Empires wegen dessen despotischer Behandlung rückständiger Rassen, persönlich nicht viel von Farbigen hielt,...



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