E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Prantl Himmel, Hölle, Fegefeuer
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7844-8416-7
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine politische Pfadfinderei in unsicheren Zeiten
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-7844-8416-7
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wenn Corona bewältigt ist, werden die alten Krisen noch lang nicht bewältigt sein, sie wurden sogar verschärft. Vielen Menschen wird klar, wie wacklig die Fundamente ihres Lebens sind – und wie wichtig es ist, sie zu stabilisieren. Nach seiner Streitschrift vom Frühjahr 2021 zur Verteidigung der Grundrechte gegen Corona geht es Heribert Prantl nun darum seine Denkanstöße zu bündeln und für eine gute Politik in Krisenzeiten zu werben: Wenn sowohl der Himmel offen ist als auch die Hölle, dann braucht es das Fegefeuer der Aufklärung, die Rückbesinnung auf die humanitären Werte. Ein Buch zu den anstehenden Wahlen, aber auch zu anstehenden Grundentscheidungen. Grundentscheidungen, die sich auf das Leben und Sterben des einzelnen Menschen auswirken.
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Vorwort: Geist und Gegenwart Eine neue Ethik für die technologische und digitale Zivilisation Die Probleme sind global, sie sind universal, und sie sind kolossal schwierig. Es geht nicht nur um das kleine Karo des Wer-mit-wem-Regierens in Deutschland, sondern um das Überleben angesichts weltweiter Großrisiken. Es geht darum, wie der Mensch in einer Welt der Unordnung, in einer chaotischen Welt, in einer sich aufheizenden Welt Leben und Ordnung finden kann. Es geht um die Schöpfung. Schöpfung ist nicht einfach ein anderes Wort für Natur. Schöpfung ist Chaosbewältigung, immer und immer wieder. Dazu braucht es kreative Kraft. Im Christentum heißt diese Kraft »Heiliger Geist«. Wenn man diese Kraft säkularisiert, ist sie der schöpferische Geist. Dieser Geist ist kein Zeitgeist, er ist die Geistes-gegenwart, die das Tohuwabohu beendet. Vom Leben in einer chaotischen Welt Mit dem Tohuwabohu beginnt schon die Bibel. Sie fängt ja nicht bei Adam und Eva an; sie beginnt vielmehr so: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war »tohû wa vohû«; »wüst und leer« hat Luther das aus dem Hebräischen übersetzt. War sie also ein Nichts, ein völlig leerer Raum, den Gott dann mit seinem Schöpfungswerk möbliert hat? Das meinen die Kreationisten, die dies irrtümlich für ein Protokoll über die Erdentstehung halten. Es ist dies aber ein Mythos darüber, wie der Mensch in einer Welt der Unordnung, in einer chaotischen Welt Leben und Ordnung finden kann. Wüst und leer heißt präziser: verwüstet und entleert, chaotisch und lebensfeindlich. Das kann auch ein überfüllter Raum sein, angefüllt von Durcheinander. Mit »Irrsal und Wirrsal« hat Martin Buber das übersetzt und dabei schön die Lautspielerei der hebräischen Worte aufgenommen. Tohuwabohu ist Chaos, Verwüstung und nihilistische Ödnis; Tohuwabohu ist nicht eine ganz leere, sondern eine ganz verkehrte Welt. Tohuwabohu meint Verhältnisse, in denen man nicht leben kann. Die Entwirrung der Wirrnis In diese wirre Welt kommt dann, so sagt es die Schöpfungsgeschichte, Gottes Geist und sein Befehl: Es werde Licht! Man mag dies den Wahlspruch der Aufklärung in biblischer Lesart nennen. Es kommt Erleuchtung; Ordnung kommt in die Unordnung. Und zwar nicht am Nullpunkt der Zeit, sondern immer wieder und wieder. Das ist Schöpfung; sie ist nichts ewig Vergangenes, sondern etwas ewig Wiederkehrendes. Die Schöpfung beginnt nicht aus dem Nichts, sondern inmitten der Störung, der Unordnung, der Zerstörung und der Vernichtung. In dieser Geschichte am Anfang der Bibel taucht der Geist Gottes, der »Heilige Geist«, zum ersten Mal auf. Er ist die kreative Kraft, die im Chaos einen neuen Anfang setzt, er ist die Geistesgegenwart, die das Tohuwabohu beendet. Wir brauchen diese kreative Kraft, um die Klimakrise zu überleben. Wir brauchen sie, um den Menschen in Afghanistan zu helfen. Wir brauchen diese Kraft, um Frieden zu finden in einer Welt des Unfriedens. Schöpfung ist also Chaosbewältigung. Die Schöpfungsgeschichte, die Ostergeschichte, die Pfingstgeschichte: Es geht immer darum, wieder aus der Destruktivität, aus der Todeszone zu kommen. In der Coronapandemie haben wir weltweite Unordnung erlebt, eine unzeitig-vorzeitige Begegnung mit dem Tod. Das Leben in der Coronazeit mit all ihren Beschränkungen war beschwerlich – es war Chaos für die einen, Ödnis für die anderen, bloße Störung der Normalität für die Dritten. Die Impfung brachte Hoffnung zurück, sie brachte und bringt die Menschen wieder aus der Gefahren- und Todeszone. Aber es ist noch viel kreativer Geist vonnöten, um das gestörte Zusammenleben neu zu ordnen. Schöpfung ist Chaosbewältigung Man würde sich wünschen, dass es auch eine Impfung gegen die Aggression in Afghanistan gäbe, auch eine Impfung gegen die Gewalt im Nahen Osten. Im Teufelskreis von Hass, Gewalt und Bedrohung gedeihen die Taliban und der IS, der Islamische Staat; in diesem Teufelskreis floriert die Hamas, in diesem Teufelskreis schärfen die jüdischen Israelis ihre nationale Identität, wächst der Funda-mentalismus. Eine Waffenruhe im Nahen Osten ist da ein winziger Hoffnungsschimmer. Der Schriftsteller David Grossman hat den Teufelskreis dort in einem SZ-Interview so beschrieben: »Beide Seiten, die palästinensische wie die israelische, wenden einander ihre dunkelste Seite zu. In dieser Situation absoluter Finsternis ist es nahezu aussichtslos, für Frieden zu werben, für die Option eines normalen Lebens, das wir kaum mehr kennen. Und es ist ebenso schwierig, Akteure zu finden, die den Friedensprozess wiederbeleben könnten.« Was Grossman formuliert, ist die exakte Beschreibung von Tohuwabohu. Und was er dann weiterschreibt, was er selbst versucht – das ist Heiliger Geist, das ist schöpferischer Geist: nämlich, für Frieden zu werben und Akteure zu finden, die den Friedensprozess wiederbeleben könnten; und sei es nur dadurch, als Künstler »zarte, feine, empfindliche Dinge zu tun in einer Welt, die krank, indifferent, gewalttätig wird«. Es geht um den Versuch, Irrsal und Wirrsal zu ordnen. Schöpfung ist Chaosbewältigung – im Nahen und Mittleren Osten, in Afghanistan, in einem Europa, in dem Flüchtlinge Aufnahme finden wollen und sollen. Chaosbewältigung: Wer sich traut, dazu das Seine beizutragen, der spürt die Kraft des Geistes. Die Finsternisse In der Bildsprache von Pfingsten zeigt sich der Geist in Feuerflammen, die die Finsternis zerreißen. Die Finsternisse sind zahlreich. Es gab die Finsternis in der Coronapandemie; es gibt die Dauerfinsternis im Nahen, Mittleren und Fernen Osten, es gibt sie im Mittelmeer, wo die Geflüchteten ertrinken, es gibt sie in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln. Der Versuch, diese Finsternisse zu erhellen und Geisteskraft zu entzünden, hat nichts, aber auch gar nichts von Lagerfeuergemütlichkeit. Es ist ein wahres Fegefeuer. Es verursacht Schmerzen, Verluste und Opfer; es braucht unendliche Geduld, und es ist alles andere als gemütlich und gemächlich. Vor diesem Hintergrund habe ich das Buch »Himmel, Hölle, Fegefeuer« genannt, weil diese Begriffe die existenziellen Dinge, die brennenden und kollektiven Überlebensfragen bezeichnen, die Themen, in denen es um Leben und Tod geht, weil sie für das große Gelingen, das große Scheitern und das große Mühen dazwischenstehen. Wem der Zeitgeist Freund ist Das Mühen in Deutschland beginnt mit einer neuen Bundesregierung, nach den 16 Regierungsjahren von Angela Merkel. Nicht unbedingt der Heilige Geist, wohl aber der Zeitgeist ist ein Gast, den jede Partei bei ihrem Parteitag am allerliebsten hat. Er hat keine Titel, er hat keinerlei offizielle Funktion. Er wird nicht eigens begrüßt, er hat nicht einmal einen Platz in der ersten Reihe. Er hat genau genommen gar keinen Sitzplatz – und trotzdem spürt man es sofort, wenn er da ist. Dann strotzt die Partei vor Selbstbewusstsein, dann weiß sie, wofür sie steht und wofür sie streitet. Bei der SPD ist es lange her, fünfzig Jahre, dass der Zeitgeist gern und lange bei ihr war. Es waren die großen Zeiten von Willy Brandt. Und dann kam 1998 der Zeitgeist noch einmal zu den Sozialdemokraten – als Helmut Kohl abgewählt und Gerhard Schröder Kanzler wurde. Der Zeitgeist war eine Zeit lang Genosse, bei der Bundestagswahl 2021 erinnerte er sich daran. Aber er ist parteipolitisch nicht treu und nicht monogam. Das hat die FDP erfahren, als sie in noch neoliberalen Zeiten bei der Bundestagswahl von 2013 an der Fünfprozenthürde scheiterte. Auch die Grünen kennen das: Viele Jahre lang waren sie sich ganz sicher, dass der kritisch-aufgeklärte, der ökologische Zeitgeist ihr Freund ist; aber ein braves Pferd, das einen problemlos ans Ziel trägt, ist er nicht. Im Bundestagswahlkampf von 2017 machte er sich auf einmal rar, kehrte aber dann Anfang 2021 kurzzeitig so triumphal zurück, dass die Partei eine Kanzlerkandidatin aufstellte; als die Partei diesen Fehler machte, schreckte sich der Zeitgeist und zog sich wieder zurück. Der erwartete grüne, vom Zeitgeist getragene Triumph bei der Bundestagswahl 2021 blieb daher aus. »Wir müssen anders miteinander reden« – Von der Mediation in der Politik Das Zukunftsweisende am Abend der Bundestagswahl war nicht der »Auftrag zur Regierungsbildung«, den die Kanzlerkandidaten sowohl von SPD als auch von CDU/CSU für sich reklamierten. Das Zukunftsweisende war eine Feststellung, die der Diplomat und FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff in einer Fernsehdiskussion machte: »Wir müssen«, sagte er, »anders miteinander reden«. Das klang lapidar, ist es aber nicht. Das bezog sich auf die Kommunikation der Parteien untereinander, aber auch auf die Kommunikation dieser Parteien mit der Gesellschaft. Wenn es in Zukunft so ist (und es wird so sein), dass nicht mehr ein Duo, sondern ein Trio von Parteien die Regierung stellt, kann sich eine neue Dynamik (nicht nur) des koalitionären Suchens und Findens entwickeln. Aus Vorkoalitionsgesprächen der zwei kleineren Parteien miteinander kann sich eine Dynamik ergeben, die das von den jeweiligen Prozentzahlen beschriebene Kräfteverhältnis zur Kanzler-partei verändert und vergrößert. Die neuen Viel-Parteien-Konstellationen verlangen nach Fähigkeiten, wie man sie aus der Mediation kennt, also aus den Verfahren zur friedlichen Konfliktlösung. Bei einer Mediation wird – so sieht es das Mediationsgesetz aus dem Jahr 2012 vor – der klassische Kampf ums Recht abgelöst durch das gemeinsame Suchen der Parteien nach dem für alle Beteiligten einigermaßen Verträglichen. Am Ende eines solchen Prozesses steht dann nicht ein streitiges Urteil, dem...