E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Pröll / Stöckl Außer Dienst
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-903217-50-8
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein neuer Anfang. Nachgefragt von Barbara Stöckl
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-903217-50-8
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rücktritt von der Macht
17. Jänner 2017: Erwin Pröll gibt seinen Rücktritt von allen politischen Funktionen bekannt. Es ist ein Paukenschlag, mit dem niemand gerechnet hat. Doch der Schritt ist lange geplant. Wie kann nach 37 Jahren in der Politik eine Amtsübergabe so reibungslos ablaufen wie im Fall Prölls? Wie gelingt das Loslassen der Macht? Was bedeutet die einschneidende Veränderung für einen selbst, für die Familie? Was kommt danach? Was bleibt?
Diesen und weiteren Fragen stellt sich Erwin Pröll im persönlichen Gespräch mit Spitzenjournalistin Barbara Stöckl. Er erzählt, wie wichtig es ist, den richtigen Zeitpunkt für den Abgang zu wählen sowie seinen Nachfolgern Raum zu geben, und warum er sich mit Kommentaren zur Tagespolitik konsequent zurückhält.
Das bemerkenswerte Porträt eines Mannes, für den sein Abschied vom Berufsleben kein Ende, sondern einen Neuanfang bedeutet.
Erstmals veröffentlicht: Prölls Tagebuch der letzten 100 Tage im Amt
Leitfaden für den Rücktritt aus Spitzenpositionen
Erwin Pröll, Dr., geboren in Radlbrunn, studierte Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien. Er war Referent des Österreichischen Bauernbundes, ab 1980 Landesrat sowie ab 1992 Landeshauptmann von Niederösterreich bis zu seinem Rücktritt 2017, nach 37 Jahren in der Landespolitik.
Barbara Stöckl, geboren in Wien, studierte technische Mathematik. Seit 1981 ist sie als Fernsehjournalistin, -produzentin (KIWI-TV Filmproduktion) und -moderatorin tätig. Zahlreiche TV-Sendungen für ZDF und ORF, u. a. 'STÖCKL.', 'Science Talk', 'Doppelpunkt' und 'help tv', sowie Auszeichnungen (u. a. 'Romy', Österreichischer Staatspreis für Journalismus). Freie Journalistin, Autorin und Ombudsfrau der 'Kronen Zeitung'. Zuletzt bei Amalthea erschienen: 'Was wirklich zählt. Ermutigungen für jeden Tag' (2017)
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Wie erkennt man den richtigen Zeitpunkt zu gehen?
Gedanken von Politikern zum Abschied »Politisch handeln heißt Verantwortung zu übernehmen. Und Verantwortung zu übernehmen heißt, zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Schritt in die richtige Richtung zu setzen.« Erwin Pröll »Bei Traven – in dessen erstem Dschungelroman – ist nachzulesen, wie ein mexikanischer Indianerstamm es beim Häuptlingswechsel hielt. Die zogen dem Neugewählten die Hose runter und hielten ihn mit dem nackten Hintern einen Augenblick übers Feuer. Du sollst nicht zu lange auf deinem Häuptlingsstuhl sitzen bleiben, so könnte man das Bild deuten. Ich bin ja nun ziemlich lange hocken geblieben.« Willy Brandt (1913–1992), deutscher Bundeskanzler »Es war die größte Ehre meines Lebens, Euch zu dienen. Yes, we can – yes, we did.« Barack Obama, ehemaliger US-Präsident »Ich bin überzeugt: Wir müssen innehalten. Ich jedenfalls tue das. Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren und auch nicht als Vorsitzende. Ich habe mir immer gewünscht, meine Ämter in Würde zu tragen und auch zu verlassen. Jetzt ist Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen.« Angela Merkel, deutsche Bundeskanzlerin »Es ist richtig so, es ist ein Ende, und es ist gut so, für die Personen, für die Sache und für alle Beteiligten.« Christian Kern, ehemaliger österreichischer Bundeskanzler »Nie ist die Liebe so groß wie im Abschied.« Matthias Strolz, ehemaliger Parteichef der NEOS »Den Job eines Parteichefs, einer Parteichefin kann man nicht ewig machen. In Zeiten dieser medialen Zuspitzung reibt das jeden Menschen einfach auf …« Eva Glawischnig, ehemalige Parteivorsitzende der Grünen »Die Politik war ein ›faszinierender Teil‹ meines Lebens, aber eben nicht das Leben!« Roland Koch, ehemaliger CDU-Politiker »Die biblische Erkenntnis ›Alles hat seine Zeit‹ gilt auch für Politiker.« Ole von Beust, ehemaliger Bürgermeister von Hamburg Nicht vielen Politikern gelingt der Absprung im richtigen Augenblick. Oft findet ein verzweifelter Kampf gegen den Verlust von Macht, Prestige und Privilegien statt, der mit dem Eintritt in den politischen Ruhestand verbunden ist. In der englischen Sprache gibt es eine treffende Formulierung für Menschen, die nicht wissen, wann es Zeit ist, zu gehen: »to overstay your welcome«, auf gut Deutsch »länger bleiben, als man willkommen ist«. Es ist eine Art Sucht nach öffentlicher Wirkung, die Politiker dazu treibt, alles daranzusetzen, um an der Macht zu bleiben. Politik als süße Droge, von der man nicht lassen kann, Macht als Suchtmittel. Manche sind ehrlich genug, ihre Abhängigkeit einzuräumen, wie ein Blick ins Nachbarland Deutschland zeigt. Horst Seehofer sagte: »Ja, ich bin süchtig, ich bin politiksüchtig«, Wolfgang Schäuble meinte: »Natürlich gehört Politik unter die Suchtkrankheiten.« Heide Simonis, einst die erste Frau an der Spitze eines deutschen Bundeslandes, bekannte: »Wenn mich auf fünf Schritte keiner erkennt, werde ich depressiv.« Die Quittung kam 2005 bei ihrer Abwahl durch die fehlende Stimme eines »Parteifreundes«. Ihr entsetzter Ausruf »Und was wird aus mir?« steht seither für alles, was Wähler an Politikern verachten: Machtversessenheit, Selbstbezogenheit, Realitätsverlust. Die Liste derer, die nicht loslassen konnten, ist lang. Die Zeitungsartikel über verpasste und verpatzte Abschiede füllen Archive. Da schleppt sich manch einer in die Endphase seiner Karriere, begleitet von Häme und Attacken, als Sesselkleber diffamiert – höchst erfolgreiche Spitzenpolitiker, die große Wahlsiege einfuhren, die ihre Parteien über viele Jahre dominierten! Der selbstbestimmte Abschied aus dem Amt misslang meist, weil sie den richtigen Zeitpunkt nicht erkannten. Sie wollten es noch einmal wissen, wehrten sich gegen den Rücktritt mit Händen und Füßen. Am Ende mussten sie dennoch abtreten. Zurück blieb zumindest ein bitterer Beigeschmack, manchmal ein Kratzer. Ein Imageschaden, der ihren Ruhm relativierte, der neben all ihren Leistungen mit ins Geschichtsbuch eingeht. Nur den wenigsten gelingt ein wirklich würdiger Abtritt. Der ehemalige SPD-Parteichef Hans-Jochen Vogel formulierte es einmal so: »Meine Maxime war, man muss gehen, solange man seinen Mitmenschen die Bekundungen des Bedauerns noch glauben kann.« Erwin Pröll zeigte, wie ein Abschied aus der ersten Reihe der Macht freiwillig und würdevoll erfolgen kann. War es Glück, Gnade oder doch politisches Geschick? Oder einfach demokratische Normalität? Bei vielen Menschen ist der Zeitpunkt des Abschieds ein fremdbestimmter, es gibt keine andere Wahl. Aber wenn man selbst entscheiden kann, fragt man sich: Wann ist der richtige Zeitpunkt, worauf soll man hören? Eine derartige Zäsur, wie sie der Übergang vom aktiven Berufsleben ins Pensionsalter darstellt, birgt zwei große Gefahren. Wenn du in eine Situation kommst, in der du selbst die Entscheidung nicht mehr gestalten kannst, wann und wie du übergibst, können große Schmerzen die Folge sein, davon bin ich überzeugt. Noch dazu, wenn man ein langes, erfülltes Berufsleben hinter sich hat und mit sehr viel Freude gearbeitet hat. Der andere Weg, die eigene Entscheidung und Planung, ist auch anspruchsvoll, es geht nicht »automatisch«. Dabei kommt es in erster Linie auf Selbstdisziplin an. Und Selbstdisziplin ist für mich jedenfalls besser, als fremdbestimmt zu sein. Künstler sagen manchmal: Ich möchte spielen, bis ich auf der Bühne umfalle! Das mitzuverfolgen ist beeindruckend, oft aber auch sehr bitter. Haben Sie warnende Beispiele gesehen und gesagt: »Der hat den richtigen Zeitpunkt verpasst!«? Es gibt auch in der Politik solch traurige Beispiele. Anders als Schauspieler verantwortet ein Politiker allerdings nicht nur das eigene Schicksal und den eigenen Weg, sondern auch das Leben anderer. Und diese Verantwortung über sich hinaus muss man entsprechend wahrnehmen, auch in dieser Phase des Lebens. Einmal mehr war mir Andreas Maurer ein Vorbild, der im Zuge seiner Übergabe gesagt hat: »Man soll gehen, solange man noch gehen kann.« Das hatte ich im Kopf, dieser Satz hat mich begleitet. In Fällen, in denen der richtige Zeitpunkt des Abgangs versäumt wurde, hat es meistens in einem persönlichen, manchmal sogar in einem öffentlichen Desaster geendet. Mich hat Disziplin durch mein ganzes Leben getragen, es wäre höchst ungeschickt gewesen, gerade in dieser Phase nicht darauf zu setzen. Diese Disziplin war es, die mich alles gut durchstehen hat lassen, weniger emotional, als ich befürchtet hatte. Rückblende: die letzten Tage vor der Bekanntgabe. 14. Jänner 2017, Tag des Bauernbundballs. Die Entscheidung in mir ist gereift. Die Tage der öffentlichen Klarstellung über meine Zukunft nähern sich. Als Termin überlegen wir den 18. Jänner. Anruf von Peter Kirchweger am Vormittag: Der Chefredakteur einer Tageszeitung hat ihm mitgeteilt, dass er von hochrangigen Bundespolitikern informiert wurde, dass der Rücktritt von Landeshauptmann Pröll nahe ist. Wie gehen wir mit dieser Information um? Und wann werden wir nun tatsächlich meine persönliche Entscheidung öffentlich bekannt geben? Daraufhin intensive Überlegungen über den besten Zeitpunkt, noch vor dem 18. Jänner, die Entscheidung bekannt zu geben. Am Abend, 20.00 Uhr, Bauernbundball im Austria Center in Wien, Fototermine für Seitenblicke-Gesellschaft, Dirigat mit der Bauernbundkapelle, die im Foyer wartet. Frenetischer Applaus bei der Begrüßung. Kurze emotionelle Eröffnungsrede mit großem Beifall. Während des Abends Hunderte Selfie-Wünsche in der Diskothek mit jungen Ballbesuchern. Innerlich bin ich sehr glücklich über den Zuspruch, der mir an diesem Ballabend entgegengebracht wird. Heimfahrt etwa um ein Uhr morgens. Während der Fahrt ständig die Frage im Kopf: Wie werden wir’s anlegen? Die Zeit der Bekanntgabe meiner Entscheidung rückt unaufhaltsam näher. 15. Jänner 2017 Ständige Telefonate mit Peter Kirchweger mit den unterschiedlichsten Überlegungen zum zeitlichen Ablauf der kommenden Tage. Am Nachmittag ein kurzer Spaziergang mit Sissi in Radlbrunn durch die Weingärten. Wir sprechen über meine innerliche Unsicherheit in dieser Situation. 16. Jänner 2017 09.00 Uhr, Abfahrt von...