Prtenjaca / Prtenjaca | Der Berg | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 157, 168 Seiten

Reihe: Transfer Bibliothek

Prtenjaca / Prtenjaca Der Berg


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-99037-121-3
Verlag: Folio
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, Band 157, 168 Seiten

Reihe: Transfer Bibliothek

ISBN: 978-3-99037-121-3
Verlag: Folio
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Ein Roman über die Rückeroberung der Freiheit, die Möglichkeit der Veränderung und die Faszination des Mediterranen. Ein Mann aus der Kunst- und Verlagsszene lässt seinen bürgerlichen Alltag, Werbekampagnen und Vernissagen hinter sich und zieht sich einen Sommer lang auf eine kleine Adriainsel zurück. Er verdingt sich als Brandwächter auf einem Wachtturm, in Gesellschaft einzig von einem altersschwachen Esel und einem zugelaufenen Hund. Er begegnet modernen Pilgern, verirrten Bikern, trommelnden Sinnsuchern, verlorenen Seelen des turbokapitalistischen Zeitalters und traumatisierten Kämpfern aus dem Jugoslawienkrieg - Tätern wie Opfern. Die Monate der Einsamkeit auf dem Berg krempeln sein Leben völlig um, und er erlebt einen tiefen inneren Wandel.

Ivica Prtenja?a wurde 1969 in Rijeka, Kroatien, geboren, wo er an der Fakultät für Bildungswissenschaften Kroatisch studierte. Er arbeitete als Wasser- und Gasableser, Eisverkäufer, Bauarbeiter, Lagerist und Galerist, Feuerwehr- und Kaufmann, Buchhändler, Werbefachmann. Seine Texte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, u. a. ins Französische, Englische und Italienische und mehrfach ausgezeichnet.

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Nachdem ich die Tür verschlossen und die Bretter vor die Fenster gezogen habe, gehe ich langsam und missmutig hinunter. Dieses Ereignis in der Bäckerei ist mir wieder eingefallen, als ich die Brote in den Rucksack packe, als ich an ihnen schnuppere, um zu prüfen, ob die Hefe sauer geworden ist, oder ob sie sich, trotz der Hitze, noch hält. Ich pflege eine unerklärliche Liebe zum Brot und zugleich eine Strenge gegen mich selbst, wenn ich es backe oder austrage. Sie ist, neben der Poesie, eine meiner wenigen ernsthaften Obsessionen. Visconti bekommt seinen Tragsattel, aber ich werde ihn nicht allzu schwer beladen, vielleicht werde ich ihn sogar unterwegs abnehmen, wir werden sehen. Es ist früh am Morgen, und noch ist etwas Feuchtigkeit in der Luft, bald wird alles aufgetrocknet sein, und wie schon so viele wird auch dieser Julitag, wie man bei uns sagt, „auf dem Schwanz der Grille“ verbrennen. Bis neun werden wir im Ort sein, dann die Besorgungen, ein Treffen mit Stanko, mit Dino, eine Pause, und am frühen Nachmittag zurück auf den Berg und zur Karaule. Das ist der Plan. Bald haben wir meine Runde verlassen, wir passieren die Schafstränke, kommen durch den ersten Olivenhain, dann an der Trockenmauer vorüber zur Lichtung, von der wir Tomos Haus sehen, etwas weiter unten, auf der Straße, verführt sein Terrier eine weiße Hündin. Visconti und ich gehen dezent vorüber, die Tourismussaison ist auf ihrem Höhepunkt, und die Hunde müssen diesen Abgrund irgendwie überbrücken, erkläre ich dem Esel. Noch ein paar Olivenhaine, die Kiefernpflanzung, dann der Beginn der schmalen Asphaltstraße, auf der sich mehrere Panzerschleichen sonnen. Ich nehme einen Stein, um sie aufzuschrecken, aber sie machen keine Anstalten, sich zu entfernen. Ich schreie, aber mein Gott, wer hat mit Anschreien von Schlangen schon Erfolg gehabt. Ich werfe einen zweiten Stein, wieder nichts. Visconti schnaubt ängstlich, er bläst an meine Schulter, als hätte er gerade einen italienischen Viehhändler gesehen, und nicht drei schwarze Panzerschleichen. Freilich habe auch ich Angst, aber mehr als Angst verspüre ich Ekel, ich laufe hin und zerschmettere einer mit meinem Wanderstock den Kopf, sie wickelt sich um den Stock, fast bis zu meiner Hand hinauf, die anderen fliehen ins Dickicht. Angewidert und erschrocken werfe ich den Stock weg und warte, dass die Schlange verendet. Wozu habe ich das nötig gehabt, welcher Mensch in mir hat das getan, was ist da in mir erwacht? Es ist schnell vorüber, ich schüttle sie ab und gehe weiter, nach ein paar Sekunden wird sie von einer Möwe im Gleitflug über den Campingplatz davongetragen. Ich binde Visconti im Schatten von Stankos Hof an, gebe ihm Wasser und ein paar Maiskolben, wie erwartet versteht er alles, ich weiß, er wird sich nicht losreißen, sondern mich ausgeruht und frisch für die Rückkehr in unsere wohnliche Wildnis erwarten. Wir parken die freza hinter dem Gemeindehaus und marschieren schnurstracks auf die Riva. – Erst einmal trinken wir ein Bier – sage ich – das, mein lieber Stanko, fehlt mir oben doch ein wenig. Wir setzen uns auf eine besondere Terrasse, die einzige, auf der die einheimischen Männer sitzen, die Frauen setzen sich egal wohin, das habe ich mit meinem „Auge“ natürlich längst herausgefunden. Hier auf der Terrasse sitzt jetzt ein knappes Dutzend Männer an drei Tischen, Stanko und ich setzen uns an den vierten, bald kommt auch Dino, wir zelebrieren, wie Delerm so schön sagt: den ersten Schluck Bier und andere kleine Freuden. Die Kellnerinnen sind zwei Studentinnen aus Novska, genauer, sie waren es, bis sie vor zwanzig Jahren geheiratet, insgesamt sechs Kinder geboren und in gewisser Weise den Ort gerettet haben, erzählt mir Stanko. – Sie haben sich zwei Brüder genommen, Seeleute. Was gibt es Besseres – sagt Dino. Wir verstauen die Lebensmittel in zwei große Jutesäcke und laden sie in die freza. Es ist Zeit fürs Mittagessen, ich gehe mit zu Stanko, seine Frau hat mich heute Morgen eingeladen, sie wird Oktopus und Kartoffeln braten, und dann nimmst du auch Wein mit hinauf, du kannst nicht nur dieses Regenwasser trinken, sagt sie. Von den Menschen, die ich durch mein „Auge“ kennengelernt habe, begegnen mir der Postbote, ein recht loser Vogel, denke ich, und der Eismann mit seinem traurigen Geheimnis aus Zucker und Wasser. Ich sehe auch Zoe mit einem großen Veilchen unter dem Auge und einem Arm in Gips. – Was ist passiert? – Nichts – antwortet er grimmig. – Erfährst es schon noch. Zu Mittag verspeisen wir fünf, Stanko, seine Frau, die Tochter, der kleine Hrvoje und ich, den riesigen Oktopus, der kaum unter der gusseisernen Peka Platz hat, die Stanko seinerzeit aus dem Kampfgebiet mitgebracht hat. Er hat sie einem alten Mann abgekauft, einem Schmied, der in einem serbischen Dorf allein zurückgeblieben war. Er war ganz allein, erklärt Stanko, nicht verheiratet, aber er war auf der Welt. Wir erzählen, trinken Bevanda, machen Scherze. Machen Scherze, füttern den Kleinen, überessen uns. Machen uns gegenseitig Komplimente. Frotzeln einander. Trinken, machen Scherze. Und dann beladen wir den Esel und verabschieden uns. Es ist fünf Uhr am Nachmittag, und die Sommerhitze lässt jeden Schritt, den Visconti und ich machen, dahinschmelzen. Aber vor Einbruch der Nacht müssen wir bei der Karaule sein. Wir gehen rasch an der Garage der Freiwilligen Feuerwehr, an den Land Rovern, am Sandhaufen vorüber, weiter durch die Olivenhaine und die Straße entlang Richtung Tomos Haus. Wir finden ihn beim Zurückschneiden des Gestrüpps an der Straße, er ist ganz blutig auf der Brust, er schlägt mit der Hippe wütend auf die Dornen ein, er achtet nicht darauf, nach welcher Seite ein Zweig abknickt, wie er fällt. Jetzt steht er vor uns im zerrissenen blutigen Unterhemd, lacht, lädt uns auf Wein und Würste ein. Im Hof, unter dem Maulbeerbaum, warte ich, dass Tomo Wein aus dem Keller bringt, ich sehe mich um, sehe zum Grill, wo das Feuer schwelt, auf dem wir die Würste braten werden. Er ruft mich, und ich stehe auf, ich spüre eine starke Müdigkeit in den Beinen. Der Raum, den ich jetzt betrete, ist einer der unglaublichsten Orte, an denen ich mich je befunden habe. Er ist groß, hoch, dunkel, fast zur Gänze in die Erde eingelassen, von seiner Decke hängen meterweise Würste und Dörrfleisch, die Wände sind übersät mit Fotos vom Krieg und mit Jagdtrophäen. Keilerköpfe, Marder, Fasane, auch eine Wildkatze ist darunter, das Fell ist abgescheuert, eines ihrer Plastikaugen ist herausgefallen, mit dem anderen beäugt sie mich und Tomo, der gerade einen der beiden Schränke öffnet, in denen er die Waffen aufbewahrt. Er braucht ein Messer, um die Würste herunterzuschneiden. Ich sehe mehrere Schrotflinten, zwei Karabiner, eine „Argentinka“, sogar eine alte Zastava M48, eine Pumpgun mit abgesägtem Lauf, auf dem Regal darüber Tarnjacken, Hemden, Hosen und Schachteln mit Munition. Auf dem Regal darunter mehrere Revolver und mindestens zehn Messer im Futteral. In der Mitte des Raums stehen mehrere Holzfässer, und neben dem Schrank eine große Truhe für Fleisch. Davon gibt es drei, drinnen eine ganze Wildschweinrotte. – Mein Vater war ein richtiger Jäger, das sind alles seine Trophäen. Tomo hat einen Armvoll Würste heruntergeschnitten, den Schrank abgeschlossen und ist hinausgegangen, während ich noch drinnen bleibe, um mir die Bilder vom Krieg anzusehen. Hier gibt es alles Mögliche, Tomo wiegt auf den Fotos zwanzig Kilo weniger, ist immer am Lächeln, wirkt fröhlich, sogar unter der Tarnfarbe lacht er, wie ein Mann, den der Krieg gerettet hat. Der Geruch von gebratenem Fleisch lockt mich an die Oberfläche, ich verlasse den Keller, habe den Ort, an dem es weder Leben noch Tod gibt oder sie zumindest nicht klar geschieden sind, hoffentlich für immer verlassen. Tomos Keller, das ist sein wahres unterirdisches Abbild. Seine überdeutliche, finstere, einsame Diagnose. Er hat inzwischen ein großes Feuer gemacht, das schnell heruntergebrannt ist, hat alle Würste auf den schweren Rost gelegt und ist jetzt dabei, sie langsam von rechts nach links zu wenden. Ich sitze im Schatten und versuche ein paarmal ein Gespräch anzufangen, hauptsächlich wegen dem unguten Gefühl, dass mich jemand hätscheln und füttern will, aber es gelingt mir nicht. Tomo starrt abwesend und zugleich konzentriert auf die Würste und das Feuer und die Details dieses Brutzelns und Wendens. Ich esse meine Portion, den Rest, mehrere Kilo Würste, fünf Liter Wein und einen Liter Kräuterschnaps, packt Tomo dem Esel auf. Wir brechen auf, vielleicht zu spät, zur Karaule, heim. Schon nach gut fünfzehn Minuten Steigung bleibt der Esel stehen, tritt noch unter eine Eiche und knickt fast ein. Das wird ein langer und ungewisser...


Ivica Prtenjaca wurde 1969 in Rijeka, Kroatien, geboren, wo er an der Fakultät für Bildungswissenschaften Kroatisch studierte. Er arbeitete als Wasser- und Gasableser, Eisverkäufer, Bauarbeiter, Lagerist und Galerist, Feuerwehr- und Kaufmann, Buchhändler, Werbefachmann. Seine Texte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, u. a. ins Französische, Englische und Italienische und mehrfach ausgezeichnet.



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