Quindlen | Unsere Jahre in Miller's Valley | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Quindlen Unsere Jahre in Miller's Valley

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-21158-5
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-641-21158-5
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Warum man manchmal den Ort, den man liebt, verlassen muss, um sich selbst zu finden
Seit Generationen leben die Millers in Miller's Valley. Doch jetzt soll der Fluss, an dem das Örtchen liegt, zu einem Wasserreservoir gestaut, das ganze Tal geflutet werden. Während der Tag näher kommt, an dem ihre Heimat für immer verschwinden wird, erinnert Mimi sich an ihre Kindheit und Jugend in Miller's Valley und wie sie den Mut fand, ihren eigenen Weg zu gehen.
Eine kraftvolle, emotionale Geschichte über eine Familie und eine Dorfgemeinschaft, die sich unabwendbaren Veränderungen stellen muss; über sonnendurchflutete Kindheitstage, Wachstumsschmerzen und die Kunst, sich selbst und eine neue Heimat zu finden. Unsere Jahre in Miller's Valley erinnert uns daran, dass der Ort, an dem wir aufgewachsen sind, und die Menschen darin zwar verschwinden mögen, aber in unserem Herzen auf immer weiterleben.


Anna Quindlen, Jahrgang 1952, gehört in den USA zu den wenigen ganz großen Autorinnen, die sowohl die Literaturkritik als auch das breite Publikum begeistern. Ihre Romane und Sachbücher erobern regelmäßig die amerikanischen Bestsellerlisten. Für ihre Kolumnen in der New York Times erhielt sie 1992 den Pulitzer-Preis. »Die Seele des Ganzen« (1995) wurde unter dem Titel »Familiensache« mit Meryl Streep verfilmt. Ihr Roman »Ein Jahr auf dem Land« (2015) verkaufte sich eine viertel Million Mal in den USA und war auch in den deutschsprachigen Ländern ein Verkaufserfolg. 2016 folgte »Unsere Jahre in Miller's Valley«. »Ein Platz im Leben« (2018, erscheint 2019 auf Deutsch) ist ihr neuester Roman und stand wochenlang auf der New-York-Times-Bestsellerliste.

Quindlen Unsere Jahre in Miller's Valley jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


PROLOG Es war ein abgekartetes Spiel, das wussten wir damals alle längst. Das ganze Frühjahr über hielten die Leute von der Regierung Anhörungen ab, um die Meinungen der Anwohner zu ihren Plänen einzuholen. Meinungen einholen, so nannten sie das, doch in Miller’s Valley wusste selbst der Letzte, was das hieß: Man durfte an eins der Mikrofone treten, die in der Aula der Middle School aufgestellt waren, und fand dann hinterher heraus, dass die Leute von der Regierung genau das taten, was sie ohnehin vorgehabt hatten. Alle versuchten nur, die Form zu wahren. So läuft das eben. Die Leute entscheiden, was sie wollen, und hinterher versuchen sie, einem einzureden, dass man es ebenfalls will. Donalds Großvater kam zu jeder Versammlung, mit zitternden Händen und einem Stapel loser Blätter, von denen er schon so lange ablas, dass sie an den Rändern ganz abgegriffen waren. Dauernd trug er eine dicke Mappe mit sich herum, selbst wenn er einfach nur im Diner frühstücken ging. Den ursprünglichen Ordner hatte er schnell durch eine Fächermappe ersetzt, weil er einfach zu voll geworden war. Es steckte allerdings genau der Kram darin, den alte Männer so zusammentragen: Zeitungsausschnitte mit schiefen Rändern, Durchschläge zehn Jahre alter Briefe und sogar die ein oder andere Quittung über eine neue Schmutzwasserpumpe oder ein neues Brunnenbecken, als könnte sich noch irgendwer bereitfinden, ihm all die Jahre zu bezahlen, die er im Kampf gegen das Wasser verbracht hatte. Ich habe mich immer gefragt, ob man ihn vielleicht deswegen nicht für voll nahm, weil er Elmer hieß. Die Leute von der Regierung redeten viel über die Zukunft. Und Elmer war ein echter Altmänner-Name, ein Stückchen Vergangenheit. »Wir müssen zumindest dafür sorgen, dass wir den Schweinehunden möglichst viel abknöpfen«, sagte Donalds Großvater bei der Versammlung, die sich als die vorletzte herausstellen sollte. »Das muss doch nicht sein, Elmer«, sagte meine Mutter. Damit meinte sie den Kraftausdruck – wenn es darum ging, die Regierung auszunehmen, war sie sofort dabei. Ein langes Berufsleben im Krankenhaus hatte sie gelehrt, dass das ebenso weise wie einfach zu bewerkstelligen war. Sie hatte ihre Prinzipien, aber dumm war sie nicht. Mutter galt etwas in Miller’s Valley. Sie hatte ihr ganzes Leben dort verbracht. Ihre Mutter hatte sie und ihre jüngere Schwester Ruth alleine in einem einstöckigen Haus mit drei Zimmern, Asphaltschindeln auf dem Dach und einer baufälligen Veranda großgezogen, das am Rand des Tals stand, und als Mutter meinen Vater heiratete und eine Miller wurde, war sie mit ihm in das Farmhaus seiner Familie gezogen, das mitten im Tal lag, dort, wo es am tiefsten war und der Nebel an feuchten Morgen so dick wie Zuckerwatte hing. Sie war eine Miller aus Miller’s Valley, genau wie ich. Die Leute glaubten, Mutter würde mit praktisch allem fertig. Ich glaubte das damals auch. Die Leute von der Regierung trugen Berufsbezeichnungen statt Eigennamen. Sie verteilten stabile Visitenkarten mit eingeprägtem Siegel, die wir noch in unseren Hosen- und Handtaschen fanden, als es schon längst nichts mehr brachte. Es waren Geologen und Ingenieure dabei und eine stämmige Frau mit reizendem Lächeln, die den Leuten bei der Umsiedelung helfen sollte, wenn die Regierung ihnen die Häuser wegnahm. Umzugsberatung nannten sie das. Diese Frau hatte die weichsten Hände, die man sich denken kann, rosig und feucht, und wenn sie auf Mutter zukam, die Hände wie kleine Seesterne in die Luft gereckt, dann machte Mutter auf dem Absatz kehrt. Heutzutage, wo sich alle ständig anfassen, Leute küssen, die sie kaum kennen, und selbst den Hausarzt nach der Untersuchung umarmen, ist das der Jugend schwer zu vermitteln, doch Mutter ließ sich nicht gern anfassen, und den meisten ihrer Freunde und Nachbarn ging es genauso. »Das mit dem Tätscheln kann sie bei mir vergessen«, sagte sie immer, wenn es um die Umzugsberaterin ging. Mir tat die Frau ein bisschen leid. Sie musste von Berufs wegen so tun, als wäre ein Wohnort so gut wie der andere, so gut wie das Haus, in das man vor fünfzig Jahren mit den neugeborenen Kindern aus dem Krankenhaus zurückgekommen war, das Haus, in dem die Eltern gestorben und in manchen Fällen, bei denen selbst den Leuten von der Regierung sichtlich unwohl wurde, sogar begraben waren. Ein neues Haus mit schönem trockenem Keller verlockend klingen lassen, das konnten sie, aber einen Sarg zu exhumieren, der noch vor dem Ersten Weltkrieg beigesetzt worden war, das ließ sich beim besten Willen nicht schönreden. Wenn die Leute im Krankenhaus oder auf dem Markt über die Pläne der Regierung diskutierten, sagte irgendwann immer jemand: »Können sie das denn wirklich machen?« Die Antwort lautete: Ja. »Die können machen, was sie wollen«, sagte Mutter, worauf Donalds Großvater jedes Mal seine Mappe wie einen Schild vor sich hielt und rief: »Miriam, ich glaube, du überblickst die Lage nicht ganz.« Aber das stimmte nicht. Meine Mutter überblickte immer die Lage. Jede Lage. »Wenn ich mir meinen Atem so anhöre, schätze ich, dass ich Sonntag tot bin«, sagte sie viele Jahre später, als sie im Sterben lag, und sie hielt sich genau an den Zeitplan. Bei allen Versammlungen wurden kleine Broschüren verteilt, mit einer Zeichnung vorne drauf, die Menschen beim Spaziergang am Ufer eines großen Sees zeigte. Über das Wasser glitten Segelboote, und eine Frau ließ sich, einen Arm in die Luft gereckt, auf Wasserskiern von einem Motorboot ziehen. In der Broschüre konnte man lesen: »Hochwasserschutz, Wasserversorgung, Hydroenergie und ein neues Naherholungsgebiet – so viele Vorteile bringt die Wasserwirtschaft in Ihrer Gegend!« Und auf der Rückseite stand: »Eine strahlende Zukunft durch Fortschritt!« Fortschritt ist immer ein krummes Konzept: die zweispurige Schotterpiste, die zur vierspurigen Asphaltstraße wird und den Anwohnern das Leben zur Lärmhölle macht, das Maisfeld, das einem Einkaufszentrum mit Friseursalon, Supermarkt und Autowaschanlage weichen muss. Wir wuschen unsere Autos noch selbst mit dem Gartenschlauch, bis die Kinder groß genug waren, um das zu übernehmen. Mein ältester Neffe, der Schlaukopf, hat einmal eine Projektarbeit über Miller’s Valley geschrieben und mich einen Nachmittag lang dazu befragt. »Warum habt ihr nicht gekämpft?«, wollte er wissen. Ich verstehe das. Er ist jung. Wenn man jung ist, scheint einem alles einfach. Das weiß ich noch sehr gut. Ich bin keine von den Alten, die vergessen. Und es gab ja Leute, die gekämpft haben, auch wenn es im Lauf der Jahre immer weniger wurden. Donalds Großvater ließ Autoaufkleber und Buttons machen und versuchte, alle aufzuwiegeln, aber es gab ja von vornherein nicht allzu viele Anwohner im Tal, und als es schließlich vorbei war, da war praktisch keiner mehr übrig. Ich war vermutlich die Einzige in Miller’s Valley, die alle geologischen Berichte gelesen und alle Karten studiert hatte, die wusste, was wirklich los war. Es gibt da eine Luftaufnahme, die lange vor meiner Geburt entstanden ist, und beim Anblick des Damms, des Flussverlaufs, des ungenutzten Landes und der Zahl der betroffenen Häuser musste eigentlich jeder vernünftige Mensch zu dem Schluss kommen, dass hier eine großräumige Niederung förmlich danach schrie, geflutet zu werden. Zum ersten Mal sah ich diese Aufnahme mit siebzehn, in einem Regierungsbüro mit grauen Wänden und Metallmöbeln, und dort sah ich auch das Zentrum dieser großräumigen Niederung, das Dach unseres Hauses. Ich wusste von allen am besten, was los war. Als Kind hatte ich am Bach gespielt, Stöckchen und Steine aufgeschichtet und zugesehen, wie sich das Wasser dahinter staute, bis es schließlich einen Bereich überschwemmte, der eben noch trocken gewesen war. Der Unterschied war nur, dass bei einem echten Damm mitunter Häuser, Kirchen und Farmen in dem überschwemmten Bereich stehen. Einmal sah ich ein Foto von einem großen europäischen Stausee, aus dem bei niedrigem Wasserstand ein Kirchturm hervorragt. Genau das meinten die Leute von der Regierung, wenn sie von Wasserwirtschaft sprachen. Bei uns im Tal gab es allerdings keinen Kirchturm, der hoch genug gewesen wäre, um aus dem Wasser zu ragen und daran zu erinnern, dass dort, wo jetzt das Wasser war, einmal eine Ortschaft gestanden hatte. Eine strahlende Zukunft durch Fortschritt. Leider war eine Handvoll von uns noch im Weg. Alle warteten darauf, dass Mutter den Kampf aufnehmen würde, auch wenn niemand es laut aussprach. Alle warteten darauf, dass sie erklärte, das könne man doch nicht machen: einfach 2.500 Hektar Land mit alt eingesessenen familiengeführten Farmen und kleinen, maroden Wohnhäusern in einen Stausee verwandeln, indem man mithilfe des Damms den Fluss umlenkte. Alle warteten darauf, dass sie erklärte, man könne doch nicht einfach unser aller Leben ungeschehen machen, eine glatte, dunkle Wasserdecke darüberbreiten, als wäre hier in Miller’s Valley nie gepflügt, gespielt, geheiratet, gestorben und gelebt worden. Das lag nicht nur daran, dass Mutter ihr Leben lang hier im Tal gewohnt und sich mit dem Wasser herumgeschlagen hatte. Dass sie zu dem Menschenschlag gehörte, der seine Probleme am liebsten selbst löst, anstatt die Dinge für sich und die Nachbarn von irgendwelchen Leuten in Anzug und Krawatte und Arbeitsschuhen regeln zu lassen, die gar keine richtigen Arbeitsschuhe waren. Es lag vielmehr daran, dass sie, Miriam Miller, etwas darstellte. Manche Menschen sind einfach so. Wenn sie etwas zu sagen haben, hört man ihnen zu, selbst wenn man sie gar nicht gut kennt oder nicht besonders mag. Mutter ging zu allen Versammlungen, die die Leute von der...


Handels, Tanja
Tanja Handels, geboren 1971 in Aachen, lebt und arbeitet in München, übersetzt zeitgenössische britische und amerikanische Romane, neben Anna Quindlen Zadie Smith, Elizabeth Gilbert, Tim Glencross und Scarlett Thomas, und ist als Dozentin für Literarisches Übersetzen tätig. Ihre Übersetzungen wurden schon vielfach ausgezeichnet, u.a. 2018 mit dem Arbeitsstipendium des Freistaates Bayern.

Quindlen, Anna
Anna Quindlen, Jahrgang 1952, gehört in den USA zu den wenigen ganz großen Autorinnen, die sowohl die Literaturkritik als auch das breite Publikum begeistern. Ihre Romane und Sachbücher erobern regelmäßig die amerikanischen Bestsellerlisten. Für ihre Kolumnen in der New York Times erhielt sie 1992 den Pulitzer-Preis. »Die Seele des Ganzen« (1995) wurde unter dem Titel »Familiensache« mit Meryl Streep verfilmt. Ihr Roman »Ein Jahr auf dem Land« (2015) verkaufte sich eine viertel Million Mal in den USA und war auch in den deutschsprachigen Ländern ein Verkaufserfolg. 2016 folgte »Unsere Jahre in Miller's Valley«. »Ein Platz im Leben« (2018, erscheint 2019 auf Deutsch) ist ihr neuester Roman und stand wochenlang auf der New-York-Times-Bestsellerliste.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.