E-Book, Deutsch, Band 1, 360 Seiten
Reihe: Duke
Rachfahl Duke - Ein weiter Weg zurück
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7394-8939-1
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, Band 1, 360 Seiten
Reihe: Duke
ISBN: 978-3-7394-8939-1
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Es war die Schuld, die mich von zu Hause fortgetrieben hat, obwohl ich in meinem ganzen Leben noch keinen Tag woanders gewesen war. Die Schuld ist es auch, die mich nach Hause zurückgeholt hat, weil ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die mit der Vergangenheit zu kämpfen hat. Womit ich nicht rechnete, war der Schmerz. Ich dachte, ich hätte ihn und alles hinter mir gelassen, fest in meinen Erinnerungen verschlossen, sodass es sich nur nachts in meine Träume schleicht. Aber jetzt weiß ich, dass ich mir in den letzten Jahren nur etwas vorgemacht habe. Niemals werde ich ihn vergessen. Niemals wird die Wunde heilen, die er in mein Herz geschlagen hat. 'Ja, Vera, du hast recht, ich habe nicht die geringste Ahnung von dem, was in deinem Kopf vorgeht. Verschwinde nur, geh. Duke ist nicht dein Pferd, also was kümmert es dich, was mit ihm passiert? Soll er doch verrecken, nicht wahr? Hauptsache, du kannst dich raushalten. Geh nur, verkriech dich unter deiner Bettdecke. Bemitleide dich selbst. Stefan hatte recht, du hast dich verändert.' Liebe hinterlässt tiefe Spuren, und im Grunde meines Herzens weiß ich, dass ich ihm nicht gerecht werde. Er hätte nicht gewollt, dass ich mit dem Reiten aufhöre. Er hätte nicht gewollt, dass ich aus meinem Leben flüchte. Er hat mir all sein Vertrauen geschenkt, und ich habe es gleich mehrmals gebrochen. Werde ich mir das je verzeihen können?
Kerstin Rachfahl, geboren in Stuttgart schreibt seit 2011. Sie studierte internationale Betriebswirtschaft, arbeitet u.a. als Controllerin in einem Verlag und gründete 1991 mit ihrem Mann ihr IT-Unternehmen. Von 2012 bis 2016 zählte sie zu den wenigen deutschen Frauen, die mit dem MVP-Award (Microsoft most valueable Award) ausgezeichnet worden sind. Seit 1996 lebte Kerstin Rachfahl mit ihrer Familie in Hallenberg. Mehr über die Autorin auf ihrer Webseite: Kerstin-Rachfahl.
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1
Abrupt unterbrach Flying High seine Schritte, kurz vor den Paddocks, die die Boxen der Pferde um einen Auslauf erweiterten. Alle vier Beine in den Boden stemmend, verharrte er auf der Stelle, sodass ich von dem unerwarteten Stillstand nach vorne rutschte. Nur der aufgerichtete Hals des Pferdes verhinderte, dass ich auf dem Boden landete. Die Ohren wachsam nach vorne gerichtet, die Muskeln unter mir gespannt, starrte er vor sich auf die kleine Baumgruppe, die sich an das erste Paddock anlehnte. Ich wusste, dass Duke, der kleine Bruder von Fly, wie jede Nacht statt in seiner Box im Paddock stand. Ich ahnte seine Gestalt in der Dunkelheit mehr, als dass ich sie sah. Aber das konnte nicht der Grund sein, weshalb Fly so beunruhigt war. Die Anspannung von Fly übertrug sich auf mich. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten. Flying High machte einen Satz zur Seite und brachte mich erneut aus dem Gleichwicht. Ich geriet in eine gefährliche seitliche Rutschlage, krallte mich schnell in seiner Mähne fest und zog mich langsam wieder in den Sattel. „Sachte, mein Süßer, ganz sachte, wir brauchen beide heile Knochen“, sprach ich beruhigend auf ihn ein. Angespannt und jede Sekunde bereit, vor der Gefahr wegzugaloppieren, verharrte er. Ich kraulte seinen Mähnenkamm, murmelte weiter beruhigende Worte in sein Ohr. Die Gestalt blieb regungslos stehen und wartete ab. Fly beruhigte sich, ich konnte spüren, wie sich sein Körper entspannte. Unser beider Herzschlag verlangsamte sich. Jetzt konnte ich es wagen, mich aus dem Sattel gleiten zu lassen. Die Zügel behielt ich fest in der Hand aus Sorge, er könnte doch noch eine Kehrtwendung vollziehen und vor der vermeintlichen Gefahr flüchten. Wütend wendete ich mich der Gestalt zu. Mein Vater konnte es nicht sein, er wäre niemals aus den Bäumen getreten und hätte riskiert, dass Fly durchging. Wer immer es war, von Pferden hatte er keine Ahnung. „Tut mir leid, ich wollte euch nicht erschrecken“, flüsterte es mir leise entgegen. „Bist du völlig übergeschnappt, hier draußen unter den Bäumen zu stehen? So viel Pferdeverstand müsstest selbst du haben.“ Ärgerlich schlug ich Henning vor die Brust. „Mann, du hast uns fast zu Tode erschreckt. Was suchst du hier überhaupt?“ „Ich habe auf dich gewartet, tut mir leid, ehrlich. Ich habe einfach nicht darüber nachgedacht“, beteuerte Henning. Er streckte Fly seine Hand hin, der keinen Schritt näher kam, dafür den Hals streckte und vorsichtig an seiner Hand roch. Ich kraulte die Stirn des Pferdes, mein Ärger wich langsam der Neugier, warum Henning hier in der Dunkelheit auf mich wartete. Bei meinen Eltern im Haus wäre er garantiert mit Essen und Trinken versorgt worden. Überhaupt hatte er gar nicht wissen können, wann ich nach Hause kam, schließlich war es kein geplanter Ausritt gewesen. Henning zog die Hand von Fly zurück und beobachtete mich. Ich drehte mich zu ihm um. Er hatte die Hände in der Hose vergraben, die Schultern eingezogen, ich musste zu ihm aufblicken, da er ein Stück größer war als ich. Er sah so schuldbewusst aus, dass ich mir ein Grinsen nun doch nicht verkneifen konnte. Typisch dieser Hundeblick, mit dem er immer alles erreicht hatte, während ich trotzig reagierte, wenn man mich bei einer Missetat erwischte. Erleichterung machte sich in seinem Gesicht breit. „Wieso wartest du hier draußen auf mich?“ „Tja, vielleicht könntest du selber darauf kommen. Bei euch ist gerade keine gute Stimmung. Der wollte ich mich freiwillig nicht aussetzen. Ich war erst im Stall, bis mich dieser kleine Kerl“, er zeigte auf Duke im Paddock, „rausgelockt hat. Ich glaube, er hat gespürt, dass ihr kommt.“ Puh, mein Vater, den hatte ich völlig vergessen. „War er verärgert oder sauer?“ Henning zuckte mit den Schultern. „Das lässt sich bei deinem Vater schwer einschätzen. Aber wenn ich es mir recht überlege, doch, ja, er war richtig sauer.“ Er grinste breit, vermutlich weil er sich vorstellte, was mich zu Hause erwartete. Papas Vorwürfen würde ich nichts entgegensetzen können, denn er hatte recht: Ich war in meiner Wut leichtsinnig gewesen. Im Grunde genommen hatte ich genauso wenig Pferdeverstand gezeigt wie Henning gerade. Ich zog sachte an den Zügeln und ging mit Fly zum Stall, meine Neugier war verflogen. Stattdessen überlegte ich, was ich Papa sagen sollte. Tut mir leid, ich bin total durcheinander, weil ich mit Thomas geschlafen habe und er, seitdem kein Wort mehr mit mir redet? Einen Herzinfarkt würde er kriegen, und Mama gleich mit. So ein verfluchter Mist! Besser, er regte sich über meinen mangelnden Pferdeverstand auf. Ich öffnete die Tür der Box, streifte die Trense von Flys Kopf und ließ ihn das Gebiss ausspucken. Kaum war es raus, macht er sich über das Kraftfutter her. Henning war mir in den Stall gefolgt. Er blieb vor der Box stehen und sah Fly beim Fressen zu. Ich holte ein Handtuch sowie einen Hufkratzer aus der Sattelkammer. Fly ließ es sich gefallen, dass ich ihn mit dem Handtuch abrieb. Gelegentlich zuckte er unruhig mit den Ohren oder schlug mit dem Schweif. Mit gebührender Vorsicht kratzte ich ihm die Hufe aus und achtete auf jedes noch so kleine Steinchen. Er mochte das nicht beim Fressen, doch ich war müde und wollte ins Bett. Das rechte Vordereisen gab leicht nach, als ich den Huf auskratzte. Ich rüttelte dran, es blieb fest am Huf. Vermutlich nur Einbildung. Aber ich würde es in den nächsten Tagen im Auge behalten. „Morgen geht’s los, euer großer Tag.“ Ich zuckte zusammen. Völlig in Gedanken versunken hatte ich tatsächlich vergessen, dass Henning an der Boxentür stand. „Wie meinst du das?“ Selbst in meinen Ohren klang meine Stimme barsch und abweisend. Es war unfair, Henning konnte nichts für meinen Ärger. Mit einem schiefen Grinsen versuchte ich ihn entschuldigend anzusehen. Seine braunen Augen fingen meinen Blick auf und hielten ihn fest. Schnell wandte ich mich ab, seine Augen waren so lebendig. Manchmal schien es mir, als ob er allein mit ihnen alles erzählen konnte, was er dachte oder fühlte. Wenn er mich so intensiv ansah, dann ging es mir mit ihm wie mit den Pferden. Ich sah in die Augen hinein, verschwand in den Tiefen des Brauns, und unten angekommen sah ich mich wie in einem Spiegel selbst. „Na ja, wenn du auf dem Turnier den ersten Platz machst, gehört Flying High dir.“ Ich lehnte meine Stirn an den warmen Pferdehals, schloss die Augen. Tiefe Ruhe kehrte in mir ein, ich spürte ein Lächeln auf meinen Lippen. „Das weißt du noch?“ „Ich war damals dabei, falls du dich nicht mehr erinnerst“, antwortete er ernst. Ich schüttelte den Kopf. Als ob ich diesen Abend jemals vergessen konnte. Den Abend, an dem ich, die kleine sechzehnjährige Vera Kamphoven, dem großen Erich Sander die Stirn bot. Dieser Abend war eingebrannt in meinem Gedächtnis. Der Tag von Flying Highs Geburt. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Nein, wenn ich ehrlich war, liebte ich ihn bereits, seit ich wusste, dass Nobless sich heimlich in der Nacht auf und davon gemacht hatte, um sich selbst einen Hengst für ihr nächstes Fohlen auszusuchen. Es gab sonst auf dem Hof der Sanders, den mein Vater führte, nur sorgsam geplante Fortpflanzungen. Und nun so etwas. Wie ein Wunder war es mir erschienen. Gemeinsam mit Papa hatte ich die ersten Aufstehversuche von dem kleinen Wesen beobachtet. Ich erinnerte mich genau an das Fohlen beim ersten Trinken – und wie Papa es mit traurigem Blick angesehen hatte. „Schade, dass es weg muss. Schau mal, wie frech er auf seinen wackligen Beinen Nobless anstupst. Ein wackerer kleiner Bursche, der weiß, was er will.“ „Wieso weg?“, hatte ich ihn erstaunt gefragt. Schließlich bildeten wir, mit wenigen Ausnahmen, den Nachwuchs auf dem Hof selber aus, und erst dann verkauften wir ihn. Meist zu einem sehr guten Preis, denn Papas Züchtungen waren begehrt unter den Turnierreitern. Papa hatte nur mit den Schultern gezuckt. „Das ist eine Entscheidung von Erich. Er möchte kein Pferd großziehen von einem Hengst, der keine Turniererfolge in seinem Lebenslauf aufweist. Das lohnt sich finanziell nicht.“ „Aber der Hengst hat doch Papiere und wir haben ihn uns angesehen. Ein wenig kurz im Rücken, aber dafür macht er einen charakterstarken Eindruck.“ Er hatte mir lachend meine Haarsträhne, die sich ständig aus meinem Pferdschwanz löste, hinter mein Ohr gesteckt. „Vera, du solltest langsam wissen, dass ein guter Körperbau, starke Beine und gute Gelenke am wichtigsten für ein Springpferd sind. Erst dann kommt der Charakter. Und der Körperbau von Regent entspricht nun mal nicht diesem Ideal. Hänge dein Herz lieber nicht an diesen kleinen Burschen.“ Oh, wie gut mich Papa kannte, doch mein Entschluss war bereits gereift. Ich würde das Fohlen kaufen und ausbilden. War ich nicht letztlich dafür verantwortlich, dass es ihn gab? Ich war mit Nobless an der Koppel von Regent vorbeigeritten. Woraufhin die Stute in der Nacht ausgebrochen und in die Koppel von dem Hengst gesprungen war. Ja genau, es war Schicksal. Ich und dieses Fohlen gehörten zusammen. Als Mama und Papa in der Küche saßen, machte ich mich durch den Regen auf den Weg zum Anwesen der Sanders. Leise schlüpfte ich über die Hintertür durch die Küche in das Haus. Mathilda, die...