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E-Book, Deutsch, Band 3, 352 Seiten, Format (B × H): 1450 mm x 2330 mm

Reihe: Stoffgeschichten

Radkau Holz

Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt

E-Book, Deutsch, Band 3, 352 Seiten, Format (B × H): 1450 mm x 2330 mm

Reihe: Stoffgeschichten

ISBN: 978-3-96238-519-4
Verlag: oekom verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Seit einigen Jahren erlebt Holz eine beispiellose Renaissance. Kein Wunder, denn als Werkstoff vermittelt es Wärme und Beständigkeit; als Naturstoff weckt es Sehnsu¨chte nach ungezähmter Wildnis; als Brennstoff könnte es erneut zur wichtigsten Energieressource der Welt aufsteigen. Kurzum: Holz ist so sinnlich wie zukunftsfähig – aber es war auch immer Teil unserer Geschichte.

Dieses Buch erzählt die wechselvolle und spannungsreiche Kulturgeschichte des Holzes und gewährt u¨berraschende Einblicke in die Beziehung zwischen dem Stoff und seinem Nutznießer Mensch: angefangen bei den Jägern der Steinzeit bis zur globalisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.
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Das »hölzerne Zeitalter«
Machen Stoffe Geschichte?
Holz ist ein Stoff besonderer Art. Seit Urzeiten hat sich die Geschicklichkeit der menschlichen Hand an der Arbeit mit Holz entwickelt, so sehr, dass man sagen kann: Die Beziehung zum Holz gehört zur menschlichen Natur; die Auseinandersetzung mit dem Werkstoff Holz ist ein Grundelement der menschlichen Körpergeschichte ebenso wie der Geschichte menschlicher Kunstfertigkeit. Im niedersächsischen Schöningen wurden erst 1997 sieben hölzerne Wurfspeere entdeckt, die an die 400 000 Jahre alt sind: die bei weitem ältesten bislang bekannten Holzgeräte der Welt (Abb. 1). Diese Funde, äußerlich unscheinbar, sind in ihrer Aussagekraft sensationeller als alle Entdeckungen in Troja. Sie zeugen von einem erstaunlichen handwerklichen Geschick in der Holzbearbeitung und machen deutlich, wie unvorstellbar früh der Mensch eine Perfektion im Umgang mit dem Werkstoff Holz zu entwickeln vermochte. 1 In einem Braunkohletagebau in Schöningen, im Vorland des Harzes gelegen, wurden 1997 hölzerne Wurfspeere gefunden. Mit einem Alter von 400 000 Jahren sind es die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit. Die Wurfspeere fanden sich auf einem Jagdlagerplatz inmitten zahlreicher Knochen von mindestens 15 Pferden, die vermutlich mit diesen Waffen an einem Seeufer gejagt worden sind. Sie belegen eindeutig, dass der Urmensch (und erst recht der später lebende Neandertaler) bereits ein geschickter Jäger war und nicht allein auf Aas angewiesen war. Sie belegen aber auch die weit entwickelten technischen Fertigkeiten in der Holzbearbeitung. Das mit dem Holz verbundene Know-how gehört gleichsam zur »Natur des Menschen«, zu einem anthropologischen Urbestand der Menschheit. Hartmut Thieme schreibt im Hinblick auf die gefundenen Wurfspeere: »Die technische Vollkommenheit dieser ballistisch ausbalancierten Fernwaffen lässt auf eine lange Tradition in der Verwendung derartiger Geräte schließen«; daraus lässt sich die aufregende Schlussfolgerung ziehen, dass der Mensch Jahrhunderttausende früher als bislang angenommen zur Großwildjagd fähig war (Thieme 2007, S. 85). Auch in der Ausrüstung des »Ötzi«, der 1991 in den Ötztaler Alpen gefundenen 5 300 Jahre alten Gletschermumie, fanden sich nicht weniger als 17 verschiedene Holzarten, jede je nach ihren spezifischen Eigenschaften zweckmäßig verwendet (Spindler 1993, S. 247–256). Da hölzerne Geräte aus früher Zeit viel seltener erhalten sind als steinerne und metallene Gegenstände, hatten wir die hölzerne Grundlage der Menschheitsgeschichte lange Zeit unterschätzt. Am Holz hängt eine ganze Kultur der Arbeit, von der Altsteinzeit bis in die Moderne. Zwischen dem Menschen und dem Werkstoff Holz bestand stets eine Wechselbeziehung: Hand, Muskulatur, Gestaltungskraft des Menschen wurden von der Auseinandersetzung mit dem Holz geprägt, und zugleich trug das hölzerne Werkzeug die Spuren der Hand, die mit ihm arbeitete. Noch die hölzernen Maschinen der frühen Industrialisierung, mochten sie bei ihrer Herstellung auch genormt sein, bekamen über kurz oder lang durch die Menschen, die an ihnen arbeiteten, einen individuellen Charakter – weshalb die Arbeiter an hölzernen Mechanismen schlechter austauschbar waren als die an stählernen Maschinen. An hölzernen Maschinen musste häufig etwas ausgebessert werden; die Arbeiter mussten sich selbst auf die Reparatur verstehen. Das Holz setzte auch der Temposteigerung Grenzen. Die natürliche Faserstruktur der verschiedenen Holzarten prägte die Technikgeschichte des Holzes; aber mehr noch: Bis in die Sozialgeschichte und das Selbstbewusstsein der Arbeit hinein erstrecken sich die Wirkungen des Werkstoffs Holz. Holz, Holz, Holz überall!
Werner Sombart (1863–1941) gehörte zu jenen Gründervätern der modernen Sozialwissenschaften, die – sehr im Unterschied zu vielen Nachfolgern – nie vergaßen, dass die Natur die Grundlage des Lebens ist und dass die menschliche Kultur durch ihren Umgang mit den natürlichen Ressourcen geprägt wird. Für ihn besitzt die gesamte Kultur der vorindustriellen Zeit untergründig eine innere Einheit, die erst aus der Rückschau erkennbar wird und doch von den Historikern nie beachtet wurde: eine Einheit in ihrem »ausgesprochen hölzernen Gepräge« (Sombart 1928 II/2, S. 1138). In der Nachfolge Sombarts wurde das »hölzerne Zeitalter« mit seiner »hölzernen Kultur« – eine Ära, die über Jahrtausende, von der Steinzeit bis zum 18. Jahrhundert reicht – zum stehenden Begriff und zum Stichwort für ein kunterbuntes Panorama der vormodernen Welt. Holz, Holz, Holz überall! Holz war über Jahrtausende der allerwichtigste, ja oft der einzige Brenn-, Bau- und Werkstoff, dazu der Grundstoff für Vorläufer der chemischen Industrie. Im Zeichen des Holzes kann man eine ganze Welt Revue passieren lassen: angefangen mit den Holzhauern, den Flößern, den Köhlern, den Pottaschesiedern und den Glasmachern im Walde, weiter zu den Salzsiedern, den Hüttenleuten und Schmieden, den Zimmerern, Wagenbauern, Küfern, Furniersägern bis hin zu der hohen Kunst der Bildschnitzer und Schiffbauer. In der frühen Neuzeit wurde die Lobrede auf den vielfältigen Nutzen des Holzes förmlich zu einer rhetorischen Figur, die umso eindringlicher klang, je mehr man sich um die Holzversorgung sorgte. Wolf Helmhard von Hohberg, Verfasser eines der bedeutendsten Werke über die Landwirtschaft seiner Zeit, schreibt 1682: »Hätten wir das Holz nicht, dann hätten wir auch kein Feuer; dann müßten wir alle Speisen roh essen und im Winter erfrieren; wir hätten keine Häuser, hätten auch weder Kalk noch Ziegel, kein Glas, keine Metalle. Wir hätten weder Tische noch Türen, weder Sessel noch andere Hausgeräte« (Hauser 1966, S. 38). Holz als Brennstoff rangierte noch vor Holz als Werkstoff; schätzungsweise neun Zehntel des Holzes wurden bis zum 19. Jahrhundert als Brennholz verbraucht; »Kohle« bedeutete bis zu jener Zeit fast immer Holzkohle. Der Venezianer Griselini nannte das Holz 1768 das »kostbarste und für die Bedürfnisse der Menschheit am meisten notwendige Gut« (Vecchio 1974, S. 58). Das gleiche gilt für den Wald: Nicht nur durch sein Holz war er den Menschen lebenswichtig, sondern – noch wichtiger in vielen Fällen – auch als Weide. Der Wald war das einzige Weidegebiet, bevor die Anlage bewässerter Wiesen zu einer Technik eigener Art wurde. Wer in der Geschichte nach Wald und Holz sucht, wird leicht zum Monomanen: Überall wird er fündig, in Europa und in vielen anderen Weltregionen. Die hölzerne Basis von Leben, Wirtschaft und Kultur ist allgegenwärtig; immer wieder stößt man auf sie, sofern man nur ein wenig bohrt und zwischen den Zeilen der Quellen zu lesen versteht. Ein Teil der Wechselbeziehung Mensch – Holz ist wohl eine überhistorische Konstante in der Geschichte der Menschheit; ein anderer Teil jedoch gehört der wechselnden Geschichte an. Denn natürlich hat es in der Holzbearbeitung und Holzverwertung historische Entwicklungen gegeben, gewaltige sogar. Überall machen sich natürliche Eigenschaften der verschiedenen Holzarten bemerkbar; aber diese stellen doch als solche lediglich Potentiale dar, die in verschiedenen Kulturen und Epochen unterschiedlich genutzt und unterschiedlich wahrgenommen werden. Gäbe es nur ein einziges »hölzernes Zeitalter«, eine einzige »hölzerne Kultur«, die von der Altsteinzeit bis um 1800 reichte, könnte der Historiker damit nicht viel anfangen: Da müsste er den Neandertaler mit dem Menschen der Goethezeit unter einen Begriff bringen, und so würde das Hölzerne zu jener Nacht, in der alle Katzen grau sind. Aber so ist es nicht. Genauer besehen, gibt es in der Geschichte eine Vielzahl hölzerner Kulturen und hölzerner Epochen. Diese beginnt bereits in der Ur- und Frühgeschichte, wie der folgende Exkurs an einigen markanten Beispielen aufzeigt. Prähistorie: Am Anfang war das Feuer
»Wer behauptet, die Menschen in urgeschichtlicher Zeit hätten im Einklang mit der Natur gelebt, hat keine Ahnung, was wirklich geschah«, spottet Eberhard Zangger, ein Querdenker der Archäologie. »Welches Gebiet man auch betrachtet, die erste Phase der vom Menschen verursachten Instabilität war immer auch die verheerendste, weil gleich zu Beginn der meiste Boden verlorenging.« (Zangger 1998, S. 173) Zangger stützt sich auf Befunde der Bodenarchäologie in Griechenland. Aber nicht nur dort deuten archäologische Indizien darauf hin, dass es Umweltkrisen gegeben hat, von denen keine schriftliche Quelle zeugt. Auf den sandigen Böden der Lausitz führte – einige Jahrhunderte später – die großflächige Waldrodung schon im vierten nachchristlichen Jahrhundert zu einer Winderosion von Ausmaßen, die für den Ackerbau verheerend wurden. Um 400 n. Chr. gaben die Bewohner eines Dorfes am Teufelsberg bei Briesnig »den Kampf auf und verließen die Siedlung, über der sich im Verlauf von etwa 100 Jahren noch Sandschichten von bis zu 4 m Mächtigkeit ablagerten« (Spuren 2002, S. 278). Nicht durch Naturinstinkt, sondern erst durch Erfahrungen der Not und im Zuge der Sesshaftwerdung gelangte der Mensch, wenn überhaupt, zu einem einigermaßen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Am Anfang steht die pure Beutewirtschaft, und immer wieder droht der Mensch in diese zurückzufallen. Beim Ackerbau und beim Vieh – den beiden wichtigsten Gütern des Bauern – macht sich eine schlechte Wirtschaft relativ rasch empfindlich bemerkbar. Beim Wald dauert es länger; daher ist dort die Verführung zur »Raubwirtschaft« besonders groß. Und zur anschließenden Regeneration braucht es Generationen. Aber...


Joachim Radkau ist als Autor zahlreicher Sachbücher einem breiten Publikum bekannt. Viele seiner Publikationen avancierten zu Standardwerken, etwa 'Die Ära der Ökologie' oder jüngst seine Biografie über Theodor Heuss. Der emeritierte Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bielefeld gilt als Begründer der Umweltgeschichte in Deutschland.


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