Radloff DSA 97: Satinavs Auge
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86889-905-4
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Schwarze Auge Roman Nr. 97
E-Book, Deutsch, Band 97, 380 Seiten
Reihe: Das Schwarze Auge
ISBN: 978-3-86889-905-4
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tobias Radloff (*1977 in Langen, Hessen) studierte Philosophie und Informatik und ist seit 2005 freiberuflicher Autor. Der begeisterte Folk-Musiker schreibt sowohl historische Romane, aber auch Science-Fiction und Fantasy und experimentiert gern mit kreativen Veröffentlichungskonzepten. Seine Arbeiten finden sich auch in Rollenspielpublikationen zu 'Das Schwarze Auge' und 'Call of Cthulhu'.
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Der Empfang
Sie würde Vasper umbringen, mit ihren eigenen Händen. Dieser verräterische Hund!
Noch nie war Silvanessa so wütend gewesen wie heute, und sie war häufig wütend. Doch als sie durch das große Tor des Palastgeländes preschte und ihr Pferd hügelabwärts nach Vinsalt trieb, dessen Türme und Dächer sich träge vor ihr im Abendlicht erstreckten, bebte sie vor Zorn. Wie konnte er es wagen, ihre Karriere zu sabotieren? Er war ihr eigener Bruder!
Sie erreichte den Fuß des Hügels und knallte ungeduldig mit den Zügeln, um ihre Stute zu größerer Schnelligkeit anzuspornen. Im Galopp sprengte sie die König-Khadan-Parade hinab, geradewegs auf die sinkende Praiosscheibe zu, die bereits den westlichen Horizont berührte. Sie passierte die Magierakademie und hielt sich weiter auf der Prachtstraße, anstatt in die engen Gassen von Albornsschenck abzubiegen. Sie war nicht auf dem Weg zu Vaspers privater Stube. Von dem Moment an, als sie die Nachricht erhielt, war Silvanessa davon überzeugt gewesen, dass Vasper seine Hand im Spiel hatte. Wutschnaubend war sie in die Garnison der Palastgarde gestürmt, um ihn zur Rede zu stellen. Ein Unteroffizier hatte ihr schließlich eingeschüchtert verraten, dass der Herr Leutnant heute drunten in Yaquirpark Dienst tat, bei irgendeiner Ordensfeier. Der Mann hatte Vaspers Offiziersgrad in einer Art betont, als glaube er, die Leutnantsstreifen könnten ihn vor der Wut einer einfachen Corporalya bewahren. Dabei war Vaspers Rang an allem schuld!
Ihr Zähneknirschen ging im Klappern der wirbelnden Hufe auf dem Kopfsteinpflaster unter, ebenso die Flüche der Passanten, die sich mit hastigen Sätzen in Sicherheit brachten, um nicht niedergeritten zu werden. Die Stimme der Vernunft riet Silvanessa, langsamer zu reiten. Sie schenkte ihr so wenig Beachtung wie einem Juckreiz mitten im Fechtkampf. Als vor ihr ein Händler mit seinem Marktkarren die breite Parade überquerte, wich sie nicht aus, sondern setzte in einem weiten Sprung darüber hinweg. Hinter ihr krachte es. Erschrocken warf sie einen Blick über die Schulter und erkannte zu ihrer Erleichterung, dass sie lediglich einen Korb mit Äpfeln vom Wagen gerissen hatte. Der Händler sprang vom Wagen herunter, um die kullernden Früchte einzusammeln, auf die sich bereits die ersten Straßenjungen stürzten, soviel sah sie noch, dann erzwang der pfeilschnelle Ritt wieder ihre gesamte Aufmerksamkeit.
Auf Höhe der Freilichtbühne zwang sie das Pferd in eine harte Wendung und preschte quer über den Theaterplatz, dass die Menschen vor ihr zur Seite stoben. In der Mitte des Platzes glühte der Uhrturm im Abendrot.
Sie fröstelte, teils wegen der Enttäuschung über ihren ehrlosen Bruder und teils, weil sie soeben den langen Schatten des Uhrturms durchquerte. Der scharfe Galopp ließ ihr nicht die Zeit, zu den von Wasserspeiern eingerahmten Uhrzeigern emporzublicken. Doch Silvanessa wusste von allein, wem bald die Stunde schlagen würde.
Wenig später erreichte sie Yaquirpark, eines der besten Viertel der Stadt. Als der ehemalige Palazzo Galahan in Sicht kam, zügelte sie ihr Pferd und näherte sich im Trab. Der Palazzo übertraf die umliegenden Häuser an Prunk, als sei die Familie Galahan nie in Ungnade gefallen. Wie ein vergessener Flügel des Kaiserpalasts lag er vor der südlichen Flanke des Tempelbergs. Mannshohe Fenster aus buntem Glas, Türmchen, Erker und Balkone machten einander den Raum entlang der Fassade streitig. Dazwischen erhoben sich die steinernen Abbilder ehemaliger Herrscher von Kuslik, die streng in die Ferne blickten und an die Zeiten gemahnten, als sich ihr Fürstengeschlecht noch nicht des Hochverrats schuldig gemacht hatte. Der Garten vor dem Haus war groß genug, um die seit Jahren ungepflegten Hecken und Baumgruppen zu unbedeutenden Details schrumpfen zu lassen.
Der Erlass von Kaiserin Amene-Horas, ihrem Hausorden den Palazzo Galahan als neues Haupthaus zu überlassen, war nur wenige Wochen alt. Doch in dieser kurzen Zeit hatten die Ritter des Ordens vom Heiligen Blute das Kunststück vollbracht, dem Anwesen ihren pompösen Stil aufzuzwingen. An den Fahnenmasten im Garten wehte das Ordensbanner, ein Zwölfkreis von Blutstropfen auf weißem Grund, auf gleicher Höhe mit der Reichsflagge. Auf jedem Türmchen und Erker war ebenfalls eine weißrote Fahne gehisst. Anstelle der üblichen Öllampen oder magischen Lichtkugeln erhellten lodernde Scheiterhaufen die einbrechende Dämmerung, und ein Spalier von Fackelträgern säumte die Treppe zum Eingangsportal. Ihre scharlachroten und purpurnen Wappenröcke wiesen sie ebenso sicher als Ordensritter aus wie der zur Schau getragene Pathos, mit dem sie Blicke und Fackeln gen Alveran reckten. Trotz ihres Zorns glitt ein abfälliges Lächeln über Silvanessas Lippen.
Ein schmiedeisernes Tor durchbrach den Zaun, der das Anwesen umgab. Davor standen mehrere Ordensleute und begrüßten die eintreffenden Gäste. Sie trugen Fackeln in den Händen, und aus ihren Gürteln ragten die Griffkörbe von Fechtwaffen. Silvanessa unterdrückte einen Fluch. Sie besaß keine Einladung, und so viele Wachen konnte sie kaum im Stillen niederschlagen, um sich dennoch Einlass zu verschaffen. Sie musste einen anderen Weg ins Innere des Palazzos finden.
Sie fand ihn in einer schmalen Gasse, die von einem Seitenflügel des Gebäudes und einem Wirtschaftsgebäude auf dem Nachbargrundstück gebildet wurde. Hier sollte es einen Eingang geben. Silvanessa band ihr Pferd ein paar Schritte weiter am Zaun an und tat einen Schritt in den Häuserspalt. Die Mauern ragten über ihrem Kopf in die Höhe wie die Kiefer eines Gigantenmauls und standen so dicht beieinander, dass die junge Soldatin sich seitlich hindurchzwängen musste, um nicht mit den Schultern anzustoßen. Der Gestank nach Unrat und Pisse raubte ihr den Atem.
Die Dämmerung war mittlerweile hereingebrochen, und das spärliche Licht reichte kaum noch bis zum Boden der Gasse. Doch die nahende Dunkelheit konnte nicht die armlangen Risse im Marmor des zukünftigen Ordenshauses verbergen, und auch nicht die Fenster mit den gesprungenen Scheiben, die teils mit Brettern vernagelt waren. Die Instandsetzungen der Ordensritter an dem seit Jahren unbewohnten Haus beschränkten sich offenbar auf die Vorderseite.
Schritt für Schritt arbeitete Silvanessa sich weiter vor. Sie trat auf etwas Weiches, das quiekend davonhuschte, und war plötzlich froh darüber, so wenig zu sehen. Als sie um eine Ecke bog, konnte sie vor sich Lichtschein ausmachen.
Beim Näherkommen vernahm sie Stimmen.
»Du hast den letzten Schluck genommen, also besorgst du auch eine neue Flasche«, sagte ein Mann. Die Antwort des Angesprochenen bestand aus einem Knurren, das irgendwo zwischen Langeweile und Unzufriedenheit rangierte. Nur zwei, dachte Silvanessa. Ohne zu zögern trat sie ins Licht.
Zwei Männer in Ordenstracht standen auf einem schäbigen Hinterhof, der die Bezeichnung ‚Hof‘ kaum verdiente. Er war nicht größer als die Stallfläche eines Pferdes, auf dem Boden schimmerten unzählige Pfützen. An den Wänden standen Kisten und Bretterstapel. Außer dem Eingang zu der Gasse, in dem Silvanessa stand, gab es noch eine hölzerne Tür, über der eine Ölfunzel hing. Erfreut registrierte Silvanessa, dass die Tür in den Palazzo führte.
Die beiden Ordensmänner passten zueinander wie Graf und Esel. Einer war so dünn wie eine Vogelscheuche, sodass ihm der Scharlachrock um den Leib schlotterte. Mit langen, schmutzigen Fingern versuchte er, einer leeren Schnapsflasche den letzten Tropfen zu entlocken. Der Leibesumfang seines Kameraden dagegen war deutlich imposanter; Rock und Umhang spannten sich über seinem Bauch, dass die Knöpfe abstanden. In dem schlechten Licht verliehen die Tränensäcke dem Mann für einen Moment etwas Nachdenkliches. Der Eindruck verschwand, sobald er Silvanessa bemerkte und sein Gesicht in dümmliche Falten legte.
»Halt, wer da?« Auch der Dünne hatte sie entdeckt. Im nächsten Moment verfinsterte sich sein Gesicht schlagartig, als er sah, dass sie die blaue Uniform der Horasgarde trug. Angewidert spuckte er aus.
»Verschwinde, Blaurock! Deinesgleichen ist hier nicht erwünscht.«
»Ja, troll dich«, ergänzte der Dicke, »sonst wird es dir schlecht bekommen.«
Silvanessa mahlte mit den Zähnen. Diese beiden Scharlachfiguren kamen ihr zum falschen Zeitpunkt in die Quere. Mit zügigen Schritten ging sie auf den Dürren zu, wobei sie bis zu den Knöcheln in der Pfütze eintauchte.
»Horas zum Gruße! Ich wollte mir lediglich -«
Unvermittelt schlug sie dem Ordensmann mit aller Kraft die Faust gegen das Kinn. Er krachte gegen einen Kistenstapel und ging zu Boden.
»- gewaltsam Eintritt verschaffen«, beendete Silvanessa ihren Satz.
»He!« Der andere riss die Augen auf. Silvanessa versetzte auch ihm einen Fausthieb, doch ihre Finger schmerzten noch vom ersten Schlag, sodass sie nicht viel Kraft hineinlegen konnte. Sie erreichte nur, dass der andere aus seiner Starre erwachte und seinerseits die Fäuste hob.
Hinter ihm spuckte der erste Blut und Zähne. »Renzo, schnapp dir die Dirne!«, heulte er.
»Du hättest Sander nicht schlagen dürfen«, knurrte der und ließ seine Fäuste sprechen.
Er war langsam, aber stark wie ein Ochse,...




