E-Book, Deutsch, Band 11, 544 Seiten
Reihe: Ein Inspector-Rebus-Roman
Rankin Der kalte Hauch der Nacht - Inspector Rebus 11
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-89480-693-4
Verlag: Manhattan
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 11, 544 Seiten
Reihe: Ein Inspector-Rebus-Roman
ISBN: 978-3-89480-693-4
Verlag: Manhattan
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In Queensberry House, das demnächst das schottische Parlament beherbergen soll, werden kurz hintereinander zwei Leichen gefunden. Der erste Tote ist bereits mumifiziert, das zweite Opfer wird wenig später erschlagen aufgefunden. Ein dritter Todesfall weist auf einen Zusammenhang zwischen den Leichenfunden hin. Trotz Anfeindungen aus den eigenen Reihen macht sich Inspector John Rebus an die Lösung des Falls - obwohl ihn das nicht nur die Karriere, sondern auch das Leben kosten könnte...
Ian Rankin, geboren 1960, ist Großbritanniens führender Krimiautor. Seine Romane sind seit Jahren fester Bestandteil der internationalen Bestsellerlisten. Er wurde mit dem Order of the British Empire geehrt, außerdem erhielt er den British Book Award und zahlreiche andere renommierte Preise. Er lebt in Edinburgh.
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1
Es wurde schon dunkel, als Rebus von dem Führer der Gruppe den gelben Helm entgegennahm. »Das hier dürfte früher der Verwaltungstrakt gewesen sein«, sagte der Mann. Er hieß David Gilfillan und arbeitete für die Schottische Nationalstiftung. Er leitete die baugeschichtliche Erforschung von Queensberry House. »Das ursprüngliche Gebäude stammt aus dem späten 17. Jahrhundert. Der erste Besitzer war ein gewisser Lord Hatton. Wenig später ist es dann in den Besitz des ersten Herzogs von Queensberry gelangt und wurde bedeutend erweitert. Das Gebäude muss damals eines der größten Häuser in Canongate gewesen sein – nur einen Steinwurf von Holyrood entfernt.« Um sie her waren die Abbrucharbeiten in vollem Gang. Zwar sollte das klassische Queensberry House erhalten bleiben, doch die späteren Erweiterungen des Gebäudes mussten weichen. Auf den Dächern hockten Arbeiter, deckten die Dachziegel ab und banden sie zu kleinen Päckchen zusammen. Dann ließen sie die Stapel an Seilen zu den unten bereitstehenden Transportwägelchen hinab. Überall lagen geborstene Ziegel herum und bezeugten, dass die Arbeiten nicht ganz ungefährlich waren. Rebus setzte den Helm auf und gab sich redlich Mühe, Gilfillan wenigstens halbwegs interessiert anzusehen. Alle hatten zu ihm gesagt, dass dieser Auftrag etwas zu bedeuten hatte. Angeblich war er hier, weil die Chefs in der Zentrale etwas mit ihm vorhatten. Doch Rebus wusste es besser. Er wusste, dass sein Boss, Hauptkommissar »Farmer« Watson, ihn nur vorgeschlagen hatte, weil er Rebus weitere Schwierigkeiten ersparen und ihn sich selbst vom Leib halten wollte. Ja, so einfach war das. Und falls, ja falls Rebus den Auftrag klaglos übernehmen und ausführen sollte, bestand vielleicht die vage Möglichkeit, dass Watson seinen geläuterten Mitarbeiter eventuell wieder mit seiner Huld beglücken würde. Sechzehn Uhr an einem Dezembernachmittag in Edinburgh. John Rebus hatte die Hände in die Taschen seines Regenmantels geschoben. Die Ledersohlen seiner Schuhe hatten sich bis obenhin mit Wasser voll gesogen. Gilfillan trug grüne Gummistiefel. Rebus fiel auf, dass die Füße von Inspektor Derek Linford in einem fast identischen Paar steckten. Wahrscheinlich hatte er sich mit dem Bauhistoriker vorher noch rasch telefonisch über die modischen Erfordernisse der Jahreszeit verständigt. Linford war der klassische Karrieretyp und hatte gute Aussichten, es im Präsidium noch weit zu bringen. Er war Ende zwanzig, konnte sich von seinem Schreibtisch kaum losreißen und liebte seinen Job über alles. Etliche seiner Kollegen – die meist älter waren als er – ließen schon mal vorsorglich verlauten, dass man sich mit Derek Linford besser nicht anlegen sollte. Vielleicht hatte der Mann ja ein gutes Gedächtnis. Und vielleicht würde er sich eines Tages in der Zentrale im Zimmer 279 häuslich einrichten und sie alle aus der Vogelperspektive betrachten. Die Zentrale: das Polizeipräsidium in der Fettes Avenue; 279: das Büro des Polizeipräsidenten. Linford hatte sein Notizbuch aufgeschlagen. Zwischen den Zähnen hielt er einen Stift. Er lauschte den Ausführungen. Ja, der Mann hörte wirklich zu. »Vierzig Adelige, sieben Richter, Generäle, Ärzte, Bankiers …« Gilfillan berichtete seinen Zuhörern gerade, wie wichtig Canongate in der Geschichte der Stadt einmal gewesen war. Und kam dabei auch auf die nahe Zukunft zu sprechen. Die Brauerei auf dem Grundstück neben Queensberry House sollte im folgenden Frühjahr abgerissen und an dieser Stelle später das neue Parlamentsgebäude errichtet werden, und zwar direkt gegenüber Holyrood House, der Residenz der Königin in Edinburgh. Auf der anderen Straßenseite entstand gerade der naturhistorische Themenpark Dynamic Earth. Der Rohbau des Redaktionsgebäudes der größten Tageszeitung der Stadt gleich daneben war derzeit noch ein undurchschaubares Gewirr von Stahlstützen und -trägern. Und wieder gegenüber dieser Baustelle wurde bereits das Gelände für den Bau eines Hotels und eines Luxus-Appartementhauses erschlossen. Rebus befand sich also im Zentrum der wohl größten Baustelle in der Geschichte der Stadt Edinburgh. »Sie werden Queensberry House vermutlich alle als Krankenhaus kennen«, sagte Gilfillan. Derek Linford nickte, wie er fast jede Mitteilung des Mannes mit einem verständnisvollen Nicken beschied. »Wo wir jetzt stehen, war früher einmal ein Parkplatz.« Rebus beäugte die schmutzstarrenden LKWs des Abrissunternehmens. »Doch bevor das Gebäude als Krankenhaus gedient hat, war es eine Kaserne. Das unbebaute Gelände hier war damals ein Exerzierplatz. Unsere Grabungen haben ergeben, dass sich noch früher an dieser Stelle ein französischer Garten befunden hat. Vermutlich hat man das Gelände später aufgeschüttet und in einen Exerzierplatz umgewandelt.« Rebus betrachtete im Dämmerlicht Queensberry House. Die grauen, fast verwahrlosten Mauern des Gebäudes wirkten irgendwie ungeliebt. In den Dachrinnen wuchs Gras. Ein riesiges Gebäude. Trotzdem konnte er sich nicht erinnern, es je gesehen zu haben, und das, obwohl er in seinem Leben ganz sicher ein paar hundert Mal daran vorbeigefahren war. »Meine Frau hat früher mal hier gearbeitet«, berichtete einer der Anwesenden, »als hier noch ein Krankenhaus war.« Dies sagte Detective Sergeant Joseph Dickie, der im Polizeirevier am Gayfield Square arbeitete. Die ersten beiden von den bislang vier Zusammenkünften des Polizei-Parlaments-Verbindungskomitees – PPVK – hatte er geschwänzt. Seinen Namen verdankte das Komitee den Mysterien bürokratischer Sprachschöpfung. Allerdings handelte es sich bei der Gruppe in Wahrheit nur um ein Unterkomitee, und zwar um eines von mehreren, deren Aufgabe es war, für sämtliche das schottische Parlament betreffende Sicherheitsfragen Lösungen zu finden. Dem PPVK gehörten acht Mitglieder an, darunter auch ein Vertreter des Schottland-Ministeriums und eine finstere Gestalt, die sich als Mitglied von Scotland Yard ausgab. Als Rebus jedoch bei der Londoner Stadtpolizei Erkundigungen eingezogen hatte, war der Mensch dort niemandem bekannt. Rebus war sicher, dass der Mann – Alec Carmoodie – dem Geheimdienst MI5 angehörte. An diesem Nachmittag war Carmoodie allerdings nicht anwesend und ebenso wenig Peter Brent vom Schottland-Ministerium, ein Herr, der ebenso durch sein markant geschnittenes Gesicht wie durch seine erstklassig geschneiderten Anzüge auffiel. Brent gehörte nämlich mehreren Unterkomitees an und hatte sich an diesem Tag von seiner Pflicht mit der unabweisbaren Entschuldigung entbinden lassen, dass er das Haus bereits zweimal als Begleiter durchreisender Würdenträger besichtigt habe. An diesem Tag bestand die Gruppe deshalb nur aus sechs Leuten. Die drei anderen waren Inspektor Ellen Wylie, die im Präsidium am Torphichen Place in der Abteilung C arbeitete. Es schien sie nicht weiter zu stören, dass sie die einzige Frau in dem Komitee war. Anscheinend sah sie in der Arbeit einen ganz normalen Job und stellte bei den Zusammenkünften kluge Fragen, auf die niemand eine Antwort wusste. Inspektor Grant Hood versah genau wie Rebus seinen Dienst in der St. Leonard’s Street. Zu zweit waren sie deshalb vertreten, weil die Holyrood-Baustelle und auch das künftige Parlament zu ihrem Bezirk gehörten. Obwohl Rebus in demselben Revier arbeitete wie Hood, kannte er ihn kaum. Sie hatten bis dahin nur selten dieselbe Schicht gehabt. Das fünfte Mitglied des PPVK – nämlich Inspektor Bobby Hogan von der Abteilung D in Leith – hingegen kannte Rebus sehr wohl. Schon bei der ersten Zusammenkunft hatte Hogan Rebus beiseite genommen. »Was, zum Teufel, machen wir hier eigentlich?« »Mich haben sie strafversetzt«, hatte Rebus entgegnet. »Und wieso bist du hier?« Hogan hatte in dem Raum umhergeblickt. »Mein Gott, schau dir bloß mal diese Grünschnäbel an. Verglichen mit denen sind wir doch Altes Testament.« Rebus musste unwillkürlich lächeln, als er jetzt daran zurückdachte, und zwinkerte Hogan zu. Hogan schüttelte kaum merklich den Kopf. Rebus wusste haargenau, was der Mann dachte: Reine Zeitverschwendung. Für Bobby Hogan war fast alles Zeitverschwendung. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen«, sagte Gilfillan, »dann können wir uns innen etwas umschauen.«
Auch aus Rebus’ Sicht war diese Führung reine Zeitverschwendung. Aber da es das Komitee nun mal gab, musste es ja irgendwie beschäftigt werden. Und so schlenderten sie also durch die dunklen Innenräume von Queensberry House. Die einzige Beleuchtung waren ein paar schwache Baulampen und die Taschenlampe, die Gilfillan mitgebracht hatte. Als sie jetzt die Treppe hinaufgingen – da niemand den Aufzug benutzen wollte –, fand Rebus sich plötzlich neben Joe Dickie wieder, der schon zum zweiten Mal fragte: »Schon die Spesenabrechnung eingereicht?« »Nein«, erwiderte Rebus. »Je früher Sie die Belege einreichen, um so früher kriegen Sie Ihre Kohle.« Während der Zusammenkünfte des Komitees war Dickie meist damit beschäftigt gewesen, irgendwelche Figuren auf seinen Notizblock zu malen. Rebus hatte noch nie gesehen, dass der Mann auch nur ein Wort, geschweige denn einen Satz zu Papier gebracht hatte. Dickie war Ende Dreißig, ein kräftig gebauter Mann, dessen Kopf irgendwie an eine Kanonenkugel erinnerte. Er hatte kurz geschorenes schwarzes Haar und auffällig kleine, runde Augen – wie bei einer Porzellanpuppe. Als Rebus Bobby Hogan von diesem Vergleich erzählte, hatte der nur bemerkt, dass eine Puppe mit Joe Dickies Zügen ganz sicher »jedes Kind in Angst und Schrecken versetzen« würde. »Er macht ja mir sogar Angst«, hatte Hogan noch hinzugefügt, »obwohl ich schon...