E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Rasche Philosophie in der Unternehmensberatung
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7481-0411-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Band 1: Methodisches Denken für die Praxis
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-7481-0411-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael Rasche, PD Dr. phil. habil., Dr. theol., Unternehmensberater und Philosoph, 2015/16 Professor (i. V.) für Philosophie an der KU Eichstätt-Ingolstadt, 2001-2016 Katholischer Priester.
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Philosophie als Methode
Die Philosophie verfügt bereits in der Antike über eine lebenspraktische Dimension. Mit Sokrates drängt die Frage in den Vordergrund, was denn eigentlich das theoretische Wissen über die Welt mit dem Menschen zu tun hat und wie ein Mensch überhaupt leben soll. Die lebenspraktischen Philosophen sind es, die bis heute das Bild der Philosophen bestimmen: Sokrates, wie er seine Mitmenschen auf dem Marktplatz mit Fragen nervt, Diogenes in seiner Tonne, wie er Alexander den Großen bittet, ihm aus der Sonne zu gehen. Philosophie, so machen diese Männer deutlich, hat mit Lebensweisheit zu tun. An diese lebenspraktische Tradition knüpfen viele heutige Philosophen an, die eine „philosophische Beratung“ anbieten. Oftmals passiert dies mit ausdrücklicher Distanzierung von einer akademischen oder theoretischen Philosophie, versehen mit dem Hinweis, das Leben nun endlich „ganzheitlich“ betrachten zu können. Verbunden wird diese Art philosophischer Beratung oftmals mit therapeutischen oder seelsorgerischen Elementen, ganz zu schweigen von verschiedenen Selbsterfahrungskursen, die unter dem spöttischen Titel „angstfreies Töpfern in der Toskana“ zum allgemeinen Kulturgut geworden sind.
All diese Elemente können viel Gutes bewirken. Sie können Menschen helfen, schwierige Lebenssituationen zu meistern und neue Dinge in ihrem Leben zu entdecken, die ihnen für ihre Zukunft Halt und Sicherheit geben. Aber: nicht überall, wo Philosophie draufsteht, ist auch Philosophie drin. Nicht jeder, der wie Diogenes in einer Tonne liegt, ist deshalb ein Philosoph. Was Diogenes zum Philosophen macht, ist sein Denken, das ihn schließlich zu dieser eigenwilligen Lebensform führte, nicht umgekehrt. Philosophie ist in erster Linie und ganz fundamental rationales Denken, das Suchen nach Begründungen. Diogenes ist Philosoph, weil er mit rationalen Kriterien über das Leben nachgedacht hat und die Tonne wurde dann zur Konsequenz dieser Überlegungen. Diese Reihenfolge ist existentiell für die Philosophie und so ist auch ihr historischer Weg verlaufen.
Die Philosophie begann um das Jahr 600 v. Chr. mit der großen Frage nach dem, was die Welt eigentlich zusammenhält: wie die Welt funktioniert und wo sie eigentlich herkommt. Diese Frage war nicht lebenspraktisch, sie hatte mit dem Menschen noch nichts zu tun. In der ersten Zeit der Philosophie war vom Menschen maximal indirekt die Rede als jemandem, der entweder rational denken kann (dann ist er gut) oder nicht (dann ist er dumm). Es hat fast zwei Jahrhunderte gebraucht, bis zuerst Sokrates und dann Platon und schließlich Aristoteles die Philosophie in Richtung der Ethik weiterentwickelt und danach gefragt haben, was denn all diese theoretischen Kenntnisse eigentlich mit dem Menschen und seinem konkreten Leben zu tun haben.
Dieser Schritt zum Menschen hin war absolut notwendig und er ist unwiderruflich. Aber es war eben erst der historisch und systematisch Schritt der Philosophie. Philosophie ist nicht Philosophie ohne diesen ersten Schritt der Suche nach Begründungsstrukturen. Da, wo eine bestimmte Lebenshaltung oder Welteinstellung propagiert wird, aber auf eine rationale Begründung verzichtet wird, handelt es sich nicht um Philosophie, sondern um Esoterik oder gar um Ideologie. Nicht jeder, der eine Meinung oder These hat, ist deshalb ein Philosoph. Philosophie ist nicht das „Bewusster-Leben“ oder das „Andersleben“, sondern das rationale Nachdenken, das allerdings in einem zweiten Schritt zu einem anderen Leben führen . Natürlich kann und soll Philosophie lebenspraktische Konsequenzen haben, aber diese sind eben erst eine der Philosophie selbst. Damit ist die Philosophie in ihrem Wesenskern keine Therapie und erst recht keine Heils- oder Erlösungslehre. Natürlich kann ein Psychotherapeut mit einem philosophischen Anspruch auftreten. Was ihn dann aber zum Philosophen macht, ist nicht die Therapie, sondern das rationale Durchdringen, das die Therapie hervorbringt.
Was ist nun die Philosophie? Sie ist letztlich kein bestimmter Inhalt, sondern eine bestimmte Methode, einen Inhalt zu erzeugen. Das Wort „Methode“ ist hier nicht zufällig gewählt. Wie vieles Großartige stammt es aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich soviel wie „Nachgehen“ oder „Verfolgen“. Diese Bedeutung mag vielleicht erstaunen, macht aber Sinn, denn es geht bei einer Methode strenggenommen nicht – wie man vermuten könnte – um ein „gehen“, sondern um ein „gehen“: die Methode beschreibt die Schritte, wie ich mit einem bestimmten Inhalt umgehe, der bereits da ist, und dann gehe ich diesem Inhalt „nach“. Wo das nicht passiert, wird die Methode zu einem Selbstzweck, der toll daherkommt, aber nicht weiterhilft, einen bestimmten Inhalt zu bewältigen. Die Philosophie entstand als eine Methode, die einem bestimmten Inhalt „nachging“: dem Verständnis des Kosmos. Sie entstand als der Versuch, nach Kriterien zu suchen, wie man die Welt erklären kann: Welche Gründe gibt es, dass die Welt so und nicht anders funktioniert? Worauf können sich wirkliches Wissen und wirkliche Erkenntnis eigentlich stützen? Was ist Erkenntnis überhaupt? In den Jahren nach 600 v. Chr. entwickelte sich die Philosophie in Griechenland als ein methodisches Denken: Das Denken wurde in methodischen Schritten vollzogen und durch diese Methodik wurde neues Wissen erlangt. Diese ersten beiden Jahrhunderte der Philosophie sind eine Evolution des rationalen Denkens, weil in ihnen Schritt für Schritt das Denken in methodische Bahnen gelenkt wurde und auf diese Weise das geschaffen wurde, was wir als „rational“ und „vernunftgemäß“ verstehen. Wie die Evolution der Natur durch „trial and error“ immer neue Formen des Lebens hervorbrachte, entstanden auch in der Philosophie immer neue Denkansätze. Einige von ihnen setzten sich durch, andere nicht. Aber alle bauten mit an der philosophischen Methodik, wie sie sich uns heute präsentiert. Eine Beratung, die in vollem Sinne philosophisch genannt werden will, muss sich diesem hohen methodischen und rationalen Anspruch stellen.
Zur näheren Erläuterung, was denn die Philosophie eigentlich ist, schauen wir auf einen der ganz Großen der Philosophie, Aristoteles. Er hat eine kleinere Schrift „Über die Philosophie“ verfasst, die leider im Laufe der Geschichte verloren gegangen ist, aber einige Auszüge sind in anderen Werken erwähnt und damit gerettet.4 Aus diesen Zeilen lassen sich insgesamt sechs Kennzeichen der Philosophie herauslesen. 5 Man muss nicht jedes Kennzeichen gleich wichtig oder gleich gut finden, aber erwähnenswert sind sie in jedem Fall:
Natürlich sind Philosophen nicht allwissend. Im Gegenteil, oft sind sie erstaunlich uninteressiert an zu viel Detailwissen. Weil sie nicht wissen wollen, wie eine einzelne Sache funktioniert, sondern das große Ganze. Daher geht es ihnen darum, die Prinzipien zu erkennen und zu beschreiben, nach denen die Wirklichkeit als Ganze funktioniert und erklärt wird. Philosophen suchen nicht nach dem Speziellen, sondern nach dem Allgemeinen. Deshalb spricht Aristoteles bei der Philosophie von der „Wissenschaft vom Allgemeinen“.
Jeder, der bereits philosophische Texte gelesen hat, kann es bestätigen: Philosophie ist oft abstrakt und unverständlich. Aristoteles sagt, das muss so sein, weil die Sache, mit der sich die Philosophen beschäftigen, eben sehr unkonkret und wenig greifbar ist. Dieses Allgemeine, um das es der Philosophie geht, so Aristoteles, kann nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden, sondern durch das Denken. Das macht die Materie der Philosophie oft schwierig und wenig greifbar. Wie sonst kann man sich seit 2.500 Jahren um so ein Wörtchen wie „Sein“ prügeln?
Philosophie ist dadurch Philosophie, dass sie methodisch ist, ein Wissen auf methodische Weise hervorbringt und vorhandenes Wissen methodisch hinterfragt. Philosophie ist damit nicht meditatives Nachdenken über das Leben und die Welt, sondern rationale Interpretation der Welt. Dabei ist die Philosophie nicht nur auf methodisches Denken angewiesen, sie selbst ist es, die überhaupt erst eine Methodik im wissenschaftlichen Sinne geschaffen hat.
Diese These mag verwundern. Der Gedankengang des Aristoteles ist folgender: Die Philosophie schaut nicht auf die vielen kleinen konkreten Dinge, sondern auf das große Allgemeine. Dieses Allgemeine, so Aristoteles, ist präziser als das viele kleine Zeug darunter, weil es nicht mit unseren schwankenden Sinnen wie Hören oder Sehen wahrgenommen wird, sondern durch das unbestechliche Denken selbst. Hieraus ergibt sich für Aristoteles die Aussage, dass diese „Wissenschaft vom Allgemeinen“ auch die Wissenschaft ist, welche über die präzisesten und damit auch am besten lehrbaren Inhalte verfügt. Ob man dieser These des Aristoteles in dieser Form folgen muss, sei dahingestellt. Eine...




