E-Book, Deutsch, 380 Seiten
Reihe: Färöer-Krimis
Rasmussen Poesie des Mordens
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-948972-38-7
Verlag: edition krimi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Färöer-Krimi
E-Book, Deutsch, 380 Seiten
Reihe: Färöer-Krimis
ISBN: 978-3-948972-38-7
Verlag: edition krimi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tóki Narvason ist tot. Der bekannte färöische Schriftsteller wird erst Tage später in seiner Kopenhagener Wohnung aufgefunden. War es ein unglücklicher Unfall? Oder beging der einsame Autor Selbstmord?
Als am nächsten Tag in Tórshavn auch die Leiche der tonangebenden Kulturschaffenden Inga Einarsdóttir gefunden wird, besteht für die färöische Bevölkerung kein Zweifel mehr: Die beiden Todesfälle können kein Zufall sein.
Jákup á Trom, der leitende Kriminalbeamte, hat selbst ein Geheimnis, das er mit aller Macht zu schützen versucht. Und auch die Damen des Strickclubs aus Norðvík scheinen etwas zu wissen, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist ...
Steintór Rasmussen ist ein preisgekrönter Sänger und Songwriter von den Färöer-Inseln. Seine umfangreiche Liedersammlung ist zu einem zentralen Bestandteil des kulturellen Erbes der Färöer geworden. Von Kritikern hochgelobt werden nicht nur seine musikalischen Texte, sondern auch seine Talente als Schriftsteller. Die 'Strickclubmorde' umfassen mittlerweile vier Bände. Rasmussen lebt in seiner Heimatstadt Klaksvík, wo er als Lehrer, Autor und Unternehmer arbeitet.
Weitere Infos & Material
IN EINER DER kleinsten Hauptstädte der Welt. Die zu den Ältesten Nordeuropas zählt. In einer Stadt, die nach dem norrönen Götternamen Thor und seinem naturschönen Hafen benannt worden ist. Dort, wo die Wikinger ihr Thing abhielten und später Handelsschiffe an den Bojen lagen. In den Straßen und Gassen, in denen die färöische Bevölkerung schon seit Jahrhunderten Volksfeste veranstalten. Im Zentrum des Atlantiks, in dem seit dem Mittelalter Traditionen wie färöischer Tanz und Walfang aufrechterhalten werden. Unter blauem Himmel, mit dem Blick auf das graubleiche Meer. Auf diesen unbekannten sogenannten Schafsinseln. Mitten in einer lebendigen Speisekammer. In einem faszinierenden und grünen Gebirgsland. Unspoiled. Unexplored. Unbelievable. Wie es im Werbeslogan heißt. Nur fünf Minuten vom Rathaus entfernt. Und vom Parlament, von wo aus die Wurzeln der Demokratie sich verzweigen und gedeihen. Und Entscheidungen für das Land und ihre Bewohner getroffen werden. Sowohl für den Einfachgestrickten als auch den Intellektuellen. Für ein kleines Volk. Söhne und Töchter. Ein- und Auswanderer. Und für die, die wir als ›unsterblich‹ bezeichnen. In der Nähe des Friedhofs. Jenseits des schmucken Messingportals, das nur einen einzigen Namen am Briefkasten trägt. Inga Einarsdóttir. In einem gemütlichen Lesezimmer. Mit tiefen Arne-Jacobsen-Sesseln und einem gehobelten Sprossenfenster, das einen Ausblick auf einige gutgewachsene Buchenbäume gewährt. Zwischen Schönem und Erdichtetem. Unheilverkündendem und Tatsachen … Dort klingelte ein schwarzes, antikes Telefon. Der aufbrausende, aggressive Ton dröhnte durch das ganze Haus. Inga schrak zusammen. Da sie gerade keinen gesteigerten Wert darauf legte, gestört zu werden, hatte sie ihr Handy ausgeschaltet. Aber dann legte sie die Gedichtsammlung doch zur Seite. ›Die Blumen der Sünden‹ mussten warten. War er es? Das Herz in ihrer Brust begann, zu pochen. Inga hielt sich den Hörer ans Ohr. Am anderen Ende begrüßte sie eine Frau. Sie hatte vor, mit ihr über die diesjährige Strickclubparty zu sprechen. Sie brauchten einen Gastredner. Am liebsten eine bekannte Person, die es verstand, zu sticheln, gleichzeitig aber auch imstande war, interessant und humoristisch herüberzukommen. Die Leitung stand unter Hochspannung. Inga zögerte ihre Antwort mit Absicht hinaus. Sie konnte es sich erlauben, die fremde Frau eine Weile zappeln zu lassen. Ob sie sich wirklich darauf einlassen sollte? … Laut Kalender war sie über das Wochenende zu Hause und hatte am Samstagabend auch keine anderweitigen Termine. Benötigte die Frauenwelt der Färöer so kurz vor Weihnachten nicht dringend einen kulturellen Weckruf? … Inga gab ein wohlwollendes Lachen von sich. Die Frau am Telefon fragte sie erleichtert nach ihren Honorarvorstellungen. Kultur und Unterhaltung seien heutzutage nicht mehr kostenlos, entgegnete Inga. Aber diesbezüglich würden sie sich schon einig werden. Eine solche Veranstaltung würde natürlich eine gewisse Vorbereitung erfordern. Ob sie mit 5.000 Kronen auf einer Wellenlänge lägen? Nein, das sei nicht zu viel verlangt. Wunderbar. Es sei großartig, dass Inga bereit sei, zu kommen. Und die Frau bedankte sich ein weiteres Mal. * Inga legte schmunzelnd den Hörer auf die Gabel. Vielleicht hätte sie es ablehnen sollen, sich auf dieses Niveau herabzulassen. Als ihr die Frau am Telefon anfangs erklärte, worum es ginge, hatte Inga sogar geglaubt, es handele sich um einen Joke. Dass sich irgendein Radioteam einen Spaß mit ihr erlaubt hätte. Aber als ihr dann die Wahrheit aufgegangen war, hatte sie sich auf einmal geschmeichelt gefühlt und dazu verleiten lassen, das Angebot anzunehmen. Dieses Engagement verschaffte ihr immerhin die Möglichkeit, sich für einen Abend auf das Level einer Herde färöischer Strickclubdamen zu begeben, die es wohl wert waren, in ihrem zunehmenden Rausch näher in Augenschein genommen zu werden. Jeder wusste, dass billige Popmusik und einfache Unterhaltung sie nur langweilten. Sie war vielmehr auf der Suche nach ausgefallener, wagemutiger Kunst. Wahres Können begann für sie an der Schwelle zum Unmöglichen. Nur durch grenzenloses Leiden könne der Wahrheit auf den Grund gegangen werden. Die Fähigkeit, die Dinge korrekt einzuschätzen, sei die Mutter einer jeden Kultur. Der Aphorismus. Der Gedanke und das Ereignis. Alles komme von innen. Die schöpferische Geisteswissenschaft, die selbst der Färinger eines Tages annehmen werde. Die alles Sterbliche überleben und Ausnahmekünstler produzieren würde, die von kommenden Generationen noch im Rückspiegel bewundert werden würden. Davon war sie fest überzeugt. Auf ihrem Nachttisch lag das Nachschlagewerk ›Art History and Cultural Life‹. Sie las über die Kulturvorstellungen, die der Färinger besaß, bevor er die Bedeutung des Wortes erfasste. Auf ihren zahlreichen Auslandsreisen hatte sie unglaublich schöne und beeindruckende Dinge erlebt. Es war ihr wichtig, diesen Eindrücken auch öffentlich Ausdruck zu verleihen. Aber auch auf den Färöer-Inseln waren ihr tüchtige und wahre Ästheten ins Auge gefallen. Die Bildern Perspektive und Worten Ruhm verschafften. Bei einzelnen Schriftstellern, Musikern und Künstlern war der Horizont eben größer, der Himmel höher und die Gedanken tiefer als bei anderen. Selbst ein kleines Land brauchte echte Fachleute. Niemand konnte so gut beurteilen wie sie, was niveauvolle Kunst tatsächlich bedeutete. Ja, darüber würde sie vor den Leuten sprechen können. Falls sich überhaupt jemand für ihre Meinung interessierte. Ihre eigene Person wollte sie dabei keineswegs unerwähnt lassen. Sie war schließlich eine tüchtige und anerkannte Trendsetterin, sowohl im In- als auch im Ausland. Immer wieder wurden ihr interessante Einladungen zuteil. Sie empfand ihr Leben als eine kulturell reiche Reise. Inga ging in die Küche und zündete den Teekessel an. Es war herrlich, es sich vor dem alten, glutheißen Radiator gemütlich zu machen, denn er verbreitete eine wunderbare Wärme. Draußen war es kalt und unangenehm. Ein langer, dunkler Winter stand vor der Tür und peitschte bereits gegen das gemütliche Holzhaus im Zentrum der Stadt. Sie klappte ihren Laptop auf und begann, zu schreiben. Es war ihr nie schwergefallen, Tatsachen in Worte zu fassen. Oder war es eher umgekehrt? Wurde das, über das sie sich Gedanken machte, allein durch ihre Niederschrift schon zu einer Art Realität? IM AUGENBLICK WAR er wieder bei Bewusstsein. Seine Hirnzellen waren noch einmal zum Leben erwacht, doch es nützte ihm nichts. Sein Körper wollte die Anweisungen seines klugen Kopfes nicht entgegennehmen. Und es gab niemanden, den er herbeirufen und um Hilfe bitten konnte. Er lag zu Hause in seinem eigenen Dreck. Vor sieben Jahren hatte er bei einer nordischen Preisverleihung in Reykjavík in einem traditionellen dunkelbraunen färöischen Strickpullover mit Knöpfen auf der Bühne gestanden und den Literaturpreis ausgehändigt bekommen, mit dem er ausgezeichnet worden war. Im Grunde mochte er es nicht, im Rampenlicht zu stehen und wie ein öffentliches Standbild auf seine Enthüllung zu warten. Als Schriftsteller blieb es ihm jedoch nicht ganz erspart, ab und an bei diesen aufgesetzten Komödien mitspielen zu müssen. Er hatte damals vorgehabt, seinen im Vorfeld ohnehin schon zweifelhaften Ruf noch weiter auszuschmücken, indem er der Veranstaltung fernblieb. Aber Inga Einarsdóttir, seine eigene kunstgelehrte Inga, der einen großen Teil der Ehre dafür gebührte, dass er für diesen würdevollen Preis nominiert worden war, hatte ihm die Leviten gelesen. Ihre verbale Tracht Prügel hätte weder von seinem Vater, seiner davongelaufenen Frau noch vom Druck der Gesellschaft getoppt werden können. Denn auch für sie hatte eine Menge auf dem Spiel gestanden. Sie selbst vertrat die Färöer in dem für die Verleihung zuständigen Auswahlkomitee und legte großen Wert darauf, ihrer Rolle gerecht zu werden. Das müsse ihm doch klar sein, hatte sie ihm klipp und klar zu verstehen gegeben. Und so war ihm keine andere Wahl geblieben, als sich ihrem Druck zu beugen und bei der Preisverleihung dann doch zu erscheinen. Worüber er jetzt nachdächte, hatte sie kurz nachgehakt. Nein, nein, es gäbe nichts, das weiter diskutiert werden müsse, hatte er klein beigegeben. Aber als er dann in Reykjavík stolz wie Oskar hinauf auf die Bühne schritt und mit Reden, Rosen und Goldmünzen überschüttet wurde, hatte ihm das dennoch ein gutes Gefühl gegeben. Er musste sich selbst eingestehen und in aller Öffentlichkeit zugeben, dass ihm diese Form der Anerkennung nur allzu gut gefallen hatte. Sie hatte ihn sozusagen in einen Rausch versetzt. Der Preis hatte in ihm aber auch eine gewisse Überheblichkeit ausgelöst. Er war ihm zu Kopf gestiegen. Im Nachhinein hatte er erwartet, dass seine Bücher ins Englische und Französische übersetzt würden. Dass er an der Schwelle zum internationalen Durchbruch stünde. Aber jenseits der Landesgrenzen schlugen seine Worte keine Wurzeln. Und so hatte sich ein Gefühl von dichterischer Abstinenz eingestellt. Die Erkenntnis, dass das Interesse unter Journalisten und in literarischen Kreisen nach und nach im Meer der Zeit versank. Aus der Wohnung unter ihm dröhnten Bässe durch die Betondecke. Es musste Wochenende sein, denn das dänische Paar ließ laute Musik durch ihre Boxen schallen. Er hatte versucht, mit seiner immer schwächer werdenden Hand auf den Boden zu klopfen. Aber nicht, um die Musik zum Schweigen zu bringen, sondern nur, um um Hilfe zu bitten. Seine armseligen Notrufe wurden jedoch von niemandem gehört. Ihm war, als hätte die Verwesung seines Körpers bereits begonnen. Er würde wohl...