E-Book, Deutsch, Band Band 001, 294 Seiten
Reihe: Zeitgeschichte im Kontext
Rathkolb / Stadler Das Jahr 1968 – Ereignis, Symbol, Chiffre
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-86234-666-0
Verlag: V&R unipress
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band Band 001, 294 Seiten
Reihe: Zeitgeschichte im Kontext
ISBN: 978-3-86234-666-0
Verlag: V&R unipress
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Das Jahr 1968 bleibt Gegenstand öffentlicher Debatten und der zeitgeschichtlichen Historiografie zwischen Mythos-Pflege und kritischer Rekonstruktion. Diese Historiografie hat den Anspruch, die 68er-Generation und legitimatorische Strategien pro und contra 1968er-Bewegung aus gegenwärtiger Sicht zu deuten. 1968 steht international als Symbol für eine Dekade zwischen Revolution und Rebellion, den Widerstand gegen die offene und »strukturelle Gewalt« des gesellschaftlichen und politischen Establishments - als konkrete Utopie von einer anderen Gesellschaft.Das bis heute in der Zeitgeschichte kontrovers dargestellte Jahr 1968 wird in diesem Band aus interdisziplinärer und internationaler Perspektive in Form von dichten Beschreibungen und Analysen behandelt: Die singulären Ereignisse werden kontextuell beschrieben, die aufgeladenen Symbole interpretiert und die mehrdeutigen Chiffren dekodiert. Nicht zuletzt wird dessen Historiografie zwischen Legitimation und Fundamentalkritik problematisiert. Open Access - frei verfügbare elektronische AusgabeDieses Werk ist als Open Access-Publikation im Sinne der Creative Commons-LizenzBY-NC-ND International 4.0 (»Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen«) unter der DOI 10.14220/9783737097888 erschienen. Um eine Kopie dieser Lizenz zu sehen, besuchen Sie http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/.
Prof. Dr. Oliver Rathkolb lehrt am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und ist Vorsitzender des Internationalen Wissenschaftlichen Beirats des Hauses der Geschichte Österreich (HGÖ).
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Politische Geschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Kultur- und Ideengeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtswissenschaft Allgemein Historiographie
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtswissenschaft Allgemein Geschichtspolitik, Erinnerungskultur
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Vorwort;8
3;Das Jahr 1968 als Ereignis, Symbol und Chiffre gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Konfliktzonen;10
4;1968 als transnationales Ereignis;22
5;The End of Modernity? – 1968 in the USA and the UK;32
6;Das Jahr 1968 und seine Wirkung im Ostblock;56
7;Gedanken über den »Prager Frühling« 1968;76
8;Mai 1968 an der Sorbonne;86
9;›The whole world is watching!‹ 1968 auf dem Campus und in den Straßen der USA;98
10;Physik, Vietnam und der militärisch-akademische Komplex;126
11;Druiden und Demonstrationen: 1968 aus der Sicht eines englischen Geschichtsstudenten;154
12;1968 und die sexual & gender revolution. Transformations-und Konfliktzone: Geschlechterverhältnisse;164
13;Arbeiter und Studenten in den 68er Jahren;188
14;Die Studentenrevolte 1968;210
15;Umkämpfte Internationalisierung: Österreich 1968;222
16;From Forvm to Neues Forvm: The Congress for Cultural Freedom, the 68ers and the Émigrés in Austria*;240
17;1968 – Eine Zeitreise;276
18;AutorInnenverzeichnis;294
Arbeiter und Studenten in den 68er Jahren (S. 187-188)
Gerd-Rainer Horn
1968 war in der Tat das Jahr der Studenten. Von Belgrad bis Berkeley standen sie in den allerersten Reihen von Aktivisten, die das Jahr 1968 zum »moment of madness« machten.1 Demonstrationen, besetzte Gebäude, permanent tagende Vollversammlungen, fieberhaft agierende Komitees und ähnliche Ausdrucksformen studentischer Gegenmacht kennzeichneten das wankende Machtgefüge universitärer Hierarchien jener Zeit.
Doch nicht nur Universitäten wurden quasi über Nacht zu Zentren politisch-sozialen Aufbegehrens. Auch die Gymnasien entwickelten sich zu Kristallisationspunkten bislang ungekannter Formen politisch- sozialer und kultureller Auseinandersetzungen. Die geringe Aufmerksamkeit, die dem nur bruchstückhaft überlieferten Schülerprotest bislang zuteil wurde, verwundert angesichts der möglichen Bedeutung des Schülerprotestes für die Nachhaltigkeit der universitären Revolte, aber auch angesichts des für die 68er-Forschung ansonsten so zentralen Stellenwerts von Protestaktionen und –formen im Bildungsbereich.
Natürlich war es nicht nur der Bildungsbereich, der von der elementaren Welle sozialer Bewegungen berührt wurde. Es ist meiner Meinung nach unmöglich, einen Gesamteindruck von 1968 in der südlichen Hälfte Europas, insbesondere im romanischsprachigen Bereich, zu bekommen, ohne die Dimension des – manchmal so genannten – »proletarischen Mai« in das Gesamtbild einzubeziehen. Doch will ich mich in diesem Beitrag zuerst auf studentische Bewegungen konzentrieren, die mehr als alle anderen Teilaspekte von 1968 den »roten Faden« der transnationalen Dimension der 68er-Bewegung liefern.
Ich beabsichtige hierbei die den meisten Beobachtern bekannteren Beispiele studentischen Aufbegehrens in den USA, in der BRD, oder in Frankreich beiseite zu lassen, und mich mehreren wahrscheinlich unbekannteren Varianten der 68er Studentenbewegungen zuzuwenden: in Belgien, Italien, Spanien, Mexiko und Nordirland. Noch einen Kommentar zur Chronologie von 1968 vorab.
Die allermeisten Beobachter gebrauchen »1968« als Ausdruck, der einen mehrjährigen Zeitraum beschreibt, in dem »der Geist von ’68«, also ein dezidierter Hang zu überdurchschnittlicher Protestfreudigkeit, kennzeichnend war. In der frankophonen und italienischsprachigen Literatur existieren mit »les ann¤es 68« bzw. »il sessantotto « allgemein akzeptierte Begriffe, die diesen Sinn transportieren. Auch ich meine mit »1968« meist mehr als nur ein bestimmtes Kalenderjahr, und der Ausdruck »die 68er Jahre« bezieht sich daher auf Ereignisse, die um dieses Jahr herum an vielen verschiedenen Orten in vielen Ländern stattgefunden haben.