E-Book, Deutsch, Band 2, 480 Seiten
Reihe: Der Inquisitor
Rehfeld Der Verrat des Inquisitors
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-16567-3
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 480 Seiten
Reihe: Der Inquisitor
ISBN: 978-3-641-16567-3
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der junge Inquisitor Torin muss sich entscheiden, denn ein Glaubenskrieg steht der Kirche der Heiligen Familie bevor. Tradition gegen Offenheit, strenge Regeln gegen sanfte Führung, politische Macht gegen reinen Glauben. Doch beide Parteien sind sich einig, dass die alten Schrecken aus der Wüste bekämpft werden müssen. Und so erhält Torin den Auftrag, eine Expedition ins Zentrum ihrer Macht zu führen, um sie zurückzudrängen und vielleicht sogar für immer aufzuhalten.
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Prolog
Obwohl sie nicht miteinander verwandt waren, hätte man die beiden Männer auf den ersten Blick für Brüder halten können. Beide hatten eng beieinanderstehende Augen, die ihren Blick stechend erscheinen ließen, schmale, fast strichdünne Lippen und wie der Schnabel eines Raubvogels gekrümmte Hakennasen. Auch waren beide alt, wobei der eine der beiden ein gebrechlicher Greis mit völlig kahlem Kopf und zitternden Händen war, dessen einst kantiges Kinn mittlerweile durch die faltige, erschlafft herabhängende Haut sein energisches Aussehen verloren hatte.
»Gibt es inzwischen irgendwelche Hinweise, wie es zu der Katastrophe in der toten Stadt kommen konnte?«, erkundigte sich Prios Marichan, das Oberhaupt der Kirche der Göttlichen Familie und neben dem König der mächtigste Mann von Antasia, mit krächzender Stimme. Sein Körper mochte alt und gebrechlich geworden sein, doch seine Augen verrieten, dass sein Geist noch immer unvermindert scharf arbeitete.
Stirb doch endlich!, dachte sein Gegenüber, der kaum mehr als ein Dutzend Jahre jünger war, aber noch sehr viel rüstiger wirkte. Von seinem Haar war noch ein dünner schlohweißer Halbkranz geblieben.
Clavon, oberster Großmeister des mächtigen Ordens der Inquisition, hatte nichts gegen Marichan persönlich. Ganz im Gegenteil, seiner Meinung nach war der alte Mann der beste Prios, der der Kirche seit langer Zeit vorgestanden hatte; ein Mann mit Weitblick und einem stets offenen Ohr für die Bedürfnisse des Ordens. Clavon war froh, gerade unter ihm zu dienen, hatte er ihm doch seinen eigenen Aufstieg zu einem nicht unerheblichen Teil zu verdanken.
Genau da jedoch lag das Problem. Mittlerweile konnte Marichan ihm nicht mehr nützlich sein, sondern stand seinem Ehrgeiz im Wege. Schon seit langer Zeit stand fest, dass im Falle seines Todes Clavon sein Nachfolger werden würde. Über viele Jahre hinweg hatte der Großmeister mit allen Methoden dafür gesorgt, ihm missliebige Kardinäle aus der Kurie zu entfernen und sie durch Männer zu ersetzen, die ihm treu ergeben waren, sodass ihm eine Mehrheit der Stimmen sicher war.
Nur weigerte sich der alte Mann einfach beharrlich zu sterben, obwohl seine Zeit längst überschritten war. Ein paarmal hatte Clavon bereits mit dem Gedanken gespielt, dieser Entwicklung nachzuhelfen, war bislang jedoch stets davor zurückgeschreckt. Ewig würde seine Geduld allerdings auch nicht mehr währen, er wurde selbst nicht jünger …
Doch ließ er sich von diesen Gedanken nichts anmerken. Scheinbar entspannt saß er dem Prios in einem der prunkvoll eingerichteten Salons in dessen Residenz gegenüber. Alle Möbelstücke waren kunstvoll gedrechselt und mit goldenen Intarsien versehen, die Sessel mit dem Leder seltener Tiere bezogen und die Wände mit riesigen Behängen und Bildern versehen, die besondere Momente der Kirchengeschichte darstellten. Allein schon der gewaltige Kristalllüster, der von der Decke hing, war ein Vermögen wert, doch waren die Kerzen nicht entzündet, da durch die Fenster der Schein der sommerlichen Nachmittagssonne in den Raum fiel und genügend Licht verbreitete.
Clavon zuckte mit den Schultern und machte ein zerknirschtes Gesicht. Er griff nach seinem Weinkelch und trank einen Schluck.
»Nein, Euer Heiligkeit«, antwortete er dann, »es ist uns nach wie vor ein Rätsel, wie die Artefakte so plötzlich wieder ihren verderblichen Einfluss entfalten konnten. Über Jahrhunderte hinweg haben Inquisitoren und Priester sie untersucht und waren sicher, jede finstere Macht gebannt zu haben, die ihnen einst innewohnte.«
»Und wie kam es dann zu den elf Toten? Beim Göttlichen Vater, Clavon, mehr als die Hälfte der Adepten dieses Jahrgangs sind tot! Diese Kinder wurden von einer bösen Kraft in wahnsinnige Amokläufer verwandelt, die sich gegenseitig abgeschlachtet haben! Und das hier in Aurelia, der Heiligen Stadt, dem Zentrum unseres Glaubens. Direkt auf dem Gelände der Inquisition, dem Orden, der den Schwertarm der Kirche im Kampf gegen das Böse bildet. Wenn es selbst hier zuschlägt, wie sollen wir den Menschen da noch glaubhaft machen, dass wir sie vor den Mächten der Finsternis beschützen?«
Ruhig ließ Clavon die Vorwürfe über sich ergehen. Er wusste, dass man ihm nicht die Schuld für etwas geben konnte, was schon lange vor seiner Zeit zu einem festen Bestandteil der Ausbildung künftiger Inquisitoren geworden war.
»Generationen von Adepten haben bereits Turniere in der toten Stadt ausgetragen, ohne dass es einen derartigen Zwischenfall gegeben hat«, erwiderte er. »Erst wenige Tage vor dem Unglück hat ein jüngerer Jahrgang dort einen reibungslosen Wettkampf abgehalten.«
»Bei den Toten handelt es sich zudem nicht um irgendwelche Jungen, sondern sie stammen ausnahmslos aus reichen und mächtigen Fürstenfamilien«, sagte Marichan. »Soll es sie trösten, dass viele Jahre lang bei den Turnieren nichts geschehen ist? Sie sind aufgebracht und verbittert, verlangen eine Erklärung. Das ist eine äußerst schwere Prüfung für uns alle.«
Clavon ließ sich nicht anmerken, was er dachte. Er hätte sagen können, dass ihm die Familien der Opfer leidtaten, dass dies aber keineswegs eine schwere Prüfung für die Kirche sei, da sie es nicht wagen würden, der Kirche öffentlich Versäumnisse vorzuwerfen oder sonst etwas gegen sie zu sagen oder gar zu unternehmen. Anderenfalls würde die Inquisition sofort eingreifen. Aber das wusste Marichan auch so. Der Prios übertrieb bewusst und genoss es, ein wenig Druck auf ihn auszuüben.
Nach ein paar Sekunden verzog der Großmeister die Lippen zu der Andeutung eines Lächelns. »Tun wir einfach das, was wir immer tun, wenn etwas Unangenehmes passiert. Schieben wir die Schuld auf die Visha und wenden die Situation zu unserem Vorteil.«
Marichan nickte bedächtig. »Diesen Vorschlag habe ich erwartet. Wie stellt Ihr Euch das genau vor?«
»Nun, die Visha beten die Herrin der Finsternis an, die Gefallene Tochter«, sagte Clavon, und sein Lächeln vertiefte sich, doch seine Augen blieben davon unberührt. »Als diese sich einst gegen ihren Göttlichen Vater erhob, schuf sie die Shai-Thilith, die für sie kämpften. Somit besteht auch eine Verbindung zwischen den Visha und der alten Rasse. Sie haben in ihrem Kampf gegen die Inquisition das Böse in der toten Stadt mit ihren Hexenkräften zu neuem Leben erweckt, ein direkter Angriff auf die Kirche. Damit lenken wir den Zorn aller, vor allem der Familien der Opfer, auf die Visha und können künftig noch gnadenloser gegen dieses Geschwür der Hexerei vorgehen.«
»Und wie ich Euch kenne, konnte die Inquisition diesen Angriff nur deshalb nicht abwehren, weil ihr angeblich die Mittel fehlen«, entgegnete Marichan, lächelte aber ebenfalls. »Kardinal Anthym wird als Schatzmeister jammern und wehklagen, und Kardinal Lestario wird wie immer, wenn dieses Thema aufkommt, vor Wut schäumen. Aber überlasst die beiden nur mir. Eure Idee gefällt mir, doch sie ist natürlich nur für die Öffentlichkeit bestimmt. Ich erwarte, dass Ihr mit aller Kraft weiterforscht, wie es wirklich zu diesem Unglück kommen konnte.«
»Selbstverständlich, Euer Heiligkeit. Wir vermuten inzwischen, dass es unmöglich ist, die böse Macht vollends aus den Hinterlassenschaften der Alten Rasse zu bannen. Alle anderen Artefakte, auf die wir im Laufe der Jahrhunderte gestoßen sind, wurden zerstört und tief in der Erde vergraben oder ins Meer geworfen. Nur die tote Stadt wurde erhalten, da wir sie für sicher hielten. Aber offenbar hat das Böse dort die ganze Zeit über nur geschlummert und ist aus irgendeinem Grund nun neu erwacht. Vielleicht hat es dazu einen Anstoß von außen gegeben, möglicherweise waren es sogar tatsächlich die Visha.«
»Hexen in der Heiligen Stadt? Die Vorstellung ist überaus beängstigend. Forscht auf alle Fälle weiter in dieser Richtung.« Der Prios machte eine kurze Pause. »Zu etwas anderem. Was ist mit den Überlebenden? Werden sie ihre Ausbildung vollenden oder den Orden verlassen? Vor allem, was ist mit der kleinen Falkenstein?«
»Ihr Vater wollte wohl, dass sie nach Hause zurückkehrt, aber Shirina hat sich zum Bleiben entschlossen. Sie hat ihre Entscheidung Inquisitor Velat gestern mitgeteilt.«
»Sehr gut. Die Kleine ist ausgesprochen talentiert, und wir benötigen dringend weibliche Inquisitoren, wenn wir mit der Plage der Visha aufräumen wollen. Nach den Fehlschlägen, die wir mit den bisherigen weiblichen Adepten erlitten haben, ist es umso wichtiger, endlich Erfolge zu erzielen. Eine Menge Leute bis hinein in die Kardinalskurie sind noch immer dagegen, Frauen in den Orden aufzunehmen, und jeden Fehlschlag werten sie als Bestätigung.«
»Wie Ihr wisst, habe auch ich in dieser Hinsicht recht zwiespältige Gefühle«, wandte der Großmeister ein.
»Ja, aber ich weiß auch, dass Ihr Euch nicht von Gefühlen leiten lasst, sondern kühl und pragmatisch überlegt und deshalb einseht, dass uns keine andere Wahl bleibt, wenn wir das Hexenunwesen ausrotten wollen. Zu bedauerlich, dass sich die kleine Erea als Versagerin entpuppt hat. Offenbar tragen nur die wenigsten Frauen die nötigen Anlagen in sich, aber ich bin überzeugt, dass es einige gibt. Shirina Falkenstein ist unsere beste und vielleicht letzte Chance, alle Skeptiker zu widerlegen.«
»Wir werden die Zeit der Ausbildung verkürzen. Da nur noch so wenige von dem Jahrgang übrig sind, kann man sich viel intensiver um jeden einzelnen Adepten kümmern. Ihr theoretisches Wissen ist schon jetzt enorm, und für das Kampftraining erhält jeder einen eigenen Ausbilder, der ihnen in wesentlich kürzerer Zeit den letzten Schliff verleihen wird. In...