E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reich Japan mit dem Zug entdecken
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7343-3304-0
Verlag: Bruckmann Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die beste Art das Land und seine Highlights kennenzulernen
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-7343-3304-0
Verlag: Bruckmann Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Matthias Reich arbeitet seit mehr als 10 Jahren als Geschäftsführer einer IT-Firma in Japan. Seit über 15 Jahren schreibt er an einer ausführlichen Webseite über seine Wahlheimat sowie für japanbezogene Magazine. Sein erstes Buch (Japan - ein modernes Lesebuch) erschien im Jahr 2012. Er schreibt und spricht fließend Japanisch und lebt mit seiner japanischen Frau und seinen Kindern in Kawasaki.
Autoren/Hrsg.
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2 Hanasaki – Der einsame Nordosten von Hokkaido
Kaum eine Gegend in Japan ist abgelegener
Von der traumhaft schönen Steilküste bei Kushiro bis zu der schon fast tundrahaften Spitze der Nemuro-Halbinsel ist es ein weiter Weg. Am Ende des Wegs kann man einen guten Blick auf Russland erhaschen.
Die Küste bei Nemuro entspricht nicht den gängigen Japan-Vorstellungen.
Fast erscheint es wie eine andere Welt: Selbst im Sommer, wenn der Großteil Japans bei Tagestemperaturen von über 35 °C und Nachttemperaturen von um die 30 °C im eigenen Saft schmort, und das auch noch bei einer mörderischen Luftfeuchtigkeit, können die Bewohner von Nemuro froh sein, wenn die Temperatur die 20 °C-Marke übersteigt. Dafür schneit es an 100 Tagen im Jahr, wenn auch bei Weitem nicht so viel wie an der Westküste von Hokkaido und Honshu. Der Stadtname entstammt möglicherweise der Sprache der Ainu, der Ureinwohner, und bedeutet »wo Bäume wachsen«. Das trifft es gut, denn während die Halbinsel aufgrund des rauen Klimas weitgehend baumfrei ist, verteilen sich übers Stadtgebiet immerhin einige Bäume.
Ein Triebwagen der lokalen Hanasaki-Linie auf seinem Weg nach Nemuro
Die JR Nemuro-Hauptlinie, so der offizielle Name der Eisenbahnstrecke, an die die Stadt seit 1921 angeschlossen ist, beginnt in Takikawa, einer Stadt im Zentrum von Hokkaido, und ist 444 Kilometer lang. Den letzten, rund 135 Kilometer langen Abschnitt nennt man jedoch inoffiziell Hanasaki-Linie, was so viel wie »blühende Blumen« bedeutet. Der poetische Name ist eine Kunstschöpfung und bezeichnet nicht nur diese Eisenbahnlinie, sondern zugleich auch eine Spezialität aus Nemuro – die Hanasaki-Krabben, die sehr martialisch aussehen und aufgrund ihres stacheligen Panzers auch beim Verzehr eine große Herausforderung darstellen.
Wo die gute Milch herkommt
Die Hanasaki-Linie beginnt in Kushiro, dem Zentrum des östlichen Hokkaido. Auf der meist eingleisigen Strecke zuckelt der Zug erstmal durch die einsamen Mischwälder von Kamibeppo-Genya, bevor man sich wieder dem Meer nähert. Weite Flure und Felder folgen – auf Hokkaido befinden sich die einzigen nennenswerten Ebenen, auf denen man im größeren Stil Landwirtschaft betreiben kann. Fast genau die Hälfte der japanischen Nutzflächen nimmt der Reisanbau ein. Dieser wird stark vom Staat subventioniert, weshalb Reis eines der wenigen Nahrungsmittel ist, mit dem sich Japan komplett selbst versorgen kann. Eine sinnvolle Investition, denn ohne Reis können die meisten Japaner tatsächlich nicht leben: Egal, was auf den Tisch kommt, ohne eine Schale Reis ist die Mahlzeit einfach nicht komplett. Das Klima auf Hokkaido ist jedoch in den meisten Gegenden zu rau oder zu trocken, weshalb hier nur wenig Reis angebaut wird. Stattdessen dominieren Viehzucht – der Großteil der Milch- und Molkereiprodukte kommt von der Insel – und der Anbau von Kartoffeln, Weizen und Gemüse. Das spiegelt sich auch in der lokalen Küche wider.
Tipp
Seit 2018 verkauft eine neugegründete Brennerei in Akkeshi ihren vor Ort gebrannten Whisky unter dem gleichen Namen. Japan ist seit Jahrzehnten ein Land mit vielen Whiskyliebhabern und zahlreichen, zum Teil ausgezeichneten Destillen. Die neuen Whiskys von Akkeshi gelten als sehr viel versprechend, denn der Südosten von Hokkaido bietet alles, was ein guter Whisky braucht – vor allem hervorragendes Wasser.
Bärenkult der Ainu
Nach knapp 50 Kilometern erreicht die Bahn die einzige nennenswerte Siedlung zwischen Kushiro und Nemuro, die Kleinstadt Akkeshi. Obwohl die Stadt jüngeren Datums ist, landete hier bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein Schiff der holländischen Ostindien-Kompanie. Der Kapitän hinterließ wertvolle Informationen über die einst in der Gegend lebenden Ainu und deren bemerkenswerten Bärenkult. Bei diesem als bekannten Brauch, der Name bedeutet wörtlich übersetzt »jemanden zurückschicken« und ist auch bei Stämmen im fernen Osten Russlands bekannt, hielt man einen Braunbär erst für ein gutes Jahr in der Siedlung gefangen und schickte ihn dann durch seine rituelle Tötung zum Schöpfer zurück. Das Blut wurde nach vollbrachter Schlachtung getrunken, das Fleisch verteilt und der Schädel mit dem Pelz drappiert – der so »zurückgeschickte« Bär galt als heiliges Objekt in der animistischen Religion der Ainu. war im 20. Jahrhundert durchaus noch üblich, heute wird es jedoch nur vereinzelt als Zeremonie für durch Unfälle zu Tode gekommene Tiere vollzogen.
Mahnmal am Kap Nosappu für die von Russland besetzten Inseln
Die Stadt Akkeshi liegt an einer großen Lagune, mit dem Kap Aikappu auf deren südlicher Seite – ein fantastisches Steilufer, von dem der Blick auf die winzige, einst ziemlich dicht besiedelte Insel Kojima reicht. 1955 lebten noch knapp 100 Menschen auf dem nur 0,05 Quadratkilometer großen Eiland. Es gab eine Schule, und die Bewohner verdienten sich ihren Lebensunterhalt hauptsächlich mit der Heringsfischerei. Doch mit den Heringen verschwanden auch die Menschen nach und nach. Heute leben dort nur noch sechs Personen in vier Haushalten. Und sie leben gefährlich, denn Akkeshi und seine Umgebung gehören zu den besonders gefährdeten Orten in Japan – in der Region gibt es immer wieder schwere Erdbeben. Da der Großteil der Stadt auf Höhe des Meeresspiegels liegt, stellen selbst kleinere Tsunamis eine große Gefahr dar. Die Inselbewohner leben sogar noch gefährlicher: Die höchste Erhebung misst gerade einmal 27 Meter und kann so leicht von einem schweren Tsunami verschlungen werden.
Leuchtturm mit der nur von Wildpferden bewohnten Insel Yururi
Die Zugfahrt geht immer weiter gen Osten. Der aufmerksame Passagier wird hier und da stillgelegte Bahnhöfe bemerken, zum Beispiel den namensgebenden Bahnhof Hanasaki, der aus nichts weiter als einem alten Bahnwaggon besteht. Vor allem auf Hokkaido werden immer mehr Bahnhöfe mangels Fahrgästen geschlossen – ein Zeichen der geringen Geburtenrate, der Landflucht und der Überalterung der Gesellschaft. Das erzeugt einen Teufelskreis, denn mit der Schließung von Bahnhöfen verlieren manche Gemeinden auch die letzten Einwohner. Sie ziehen entweder in die nächste Stadt oder gleich in eine der japanischen Metropolen.
Info
Die Hanasaki-Linie fährt im Abstand von zwei bis drei Stunden fünf mal täglich von Kushiro bis Nemuro und zurück. Dabei kommen zwei verschiedene Züge zum Einsatz – der sogenannte Chikyu tansaku (vier Mal täglich) und der Nosappu-Express (ein Mal täglich). Für beide, obwohl eigentlich eher gewöhnliche Triebwagen, kann man Plätze reservieren. Die einfache Fahrt kostet 2.860 Yen (der Japan Rail Pass gilt), eine Platzkarte 840 Yen extra. Für die Strecke benötigen die Züge gut zwei Stunden.
Was die passende Jahreszeit anbelangt, ist eine Fahrt zwischen Mai und September zu empfehlen; im Winter kann es grau und ungemütlich werden.
Aug’ in Aug’ mit dem russischen Bären
Nähert man sich von Akkeshi aus der Stadt Nemuro, so werden die Bäume zunehmend weniger und die Häuser immer kleiner. Vor allem in den wärmeren Monaten kann man regelrecht spüren, wie die Temperatur stetig abnimmt, denn in Nemuro ist es oft einige Grad kühler als an anderen Orten in Hokkaido. Wenige Minuten vor der Endhaltestelle hält der Zug in Ost-Nemuro, der östlichsten Bahnstation Japans.
Könnte so auch in Sibirien stehen: der unscheinbare Bahnhof Nemuro
»Nichts, was vom Himmel zur Erde kam, ist ohne Bedeutung.«
Die Stadt hat eine ganz eigene Atmosphäre – es gibt kaum größere Gebäude und historische Bauwerke, aber viele Freiflächen mit üppigem Grün. Die meisten Besucher von außerhalb sind nicht unbedingt wegen der Stadt hier, sondern um das gut 20 Kilometer weiter östlich gelegene Kap Nosappu zu sehen, die Ostspitze von Hokkaido. Wer sich hier im äußersten Osten Japans wähnt, liegt jedoch falsch, denn der befindet sich auf der winzigen Insel Minamitori-shima, fast 2.000 Kilometer südöstlich von Tokyo, doch um die zu besuchen, muss man Mitglied der japanischen Selbstverteidigungskräfte sein. Nach einhelliger Meinung ist beim Kap Nosappu ohnehin nicht Schluss mit Japan – denn die nur wenige Kilometer entfernt liegenden südlichsten Inseln der Kurilen gehören nach hiesiger Lesart immer noch zu Japan, aber Russland,...