Reichart | Das Feuer des Drachen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reichart Das Feuer des Drachen

Was Chinesen antreibt, wo sie dominieren und warum sie über uns lachen

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-423-43791-2
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Chinesen halten uns für faul. Und im Vergleich zu ihnen sind wir das.
Pro Jahr mehr als 1.500 Kilometer neue Gleise für Hochgeschwindigkeitszüge, über ein Dutzend neue Wolkenkratzer allein in Shenzhen und mindestens 1,38 Millionen neue Patente: Chinas Diktatur treibt eine hocheffiziente Wirtschaft an. Sie baut einen digitalen Überwachungsapparat auf, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat, und dehnt im Stil einer neuen Kolonialmacht ihren Einfluss aus – ob in Afrika, bei der neuen Seidenstraße oder durch Investitionen in Griechenland oder Portugal, für die im Gegenzug Linientreue bei EU-Resolutionen gezeigt werden muss. Andere Länder fangen an, das chinesische Modell als Vorbild zu betrachten: für Erfolg braucht es offenbar keine Demokratie. In Hongkong prallen das autoritäre System Chinas und das demokratische System des Westens aufeinander. Thomas Reicharts Buch ist die Bilanz seines fünfjährigen Aufenthalts in Peking und zugleich ein Weckruf an seine zu selbstgefälligen Landsleute. Denn er ist sicher: 'Das Feuer des Drachen wird uns einheizen!'
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1Was macht China so stark (und uns schwach)?
Im Sommer 2019 kehrte ich aus China nach Deutschland zurück. Mein Flugzeug startete in Peking an einem der größten und betriebsamsten Flughäfen der Welt und landete in Berlin an einer Art Containerterminal. Aus den Gesichtern meiner chinesischen Mitreisenden las ich eine Mischung aus ungläubigem Staunen und Spott. Hatte die Maschine sich verirrt oder waren wir tatsächlich in Deutschland gelandet? Das chinesische Ehepaar, das vor mir im engen Flugzeuggang wartete, lehnte sich vor, um aus den kleinen Fenstern zu lugen. Beide waren Anfang 60, er im Designer-T-Shirt, sie mit Prada-Handtasche. Was sie sahen, schien sie nicht zu beeindrucken. Jede viertklassige chinesische Provinzhauptstadt hat inzwischen große, moderne Terminals. Der alte Westberliner Flughafen dagegen wirkte wie eine jener Messehallen, die sie in China innerhalb von einer Woche auf- und wieder abbauen. Für die Chinesen musste Berlin-Tegel ein Schock sein. Ich konnte das nachvollziehen. Mir ging es bei meiner Rückkehr nicht anders. Die Ankunft in Tegel war nicht nur ein krasser Gegensatz zu meinem Leben in Peking, sie war wie ein Symbol für das, was mich nach unserer Rückkehr nach Deutschland begleiten und immer mehr verwundern würde. Natürlich, der neue Hauptstadtflughafen hätte schon vor Ewigkeiten fertig sein sollen. Dafür hatten sie in Peking kurz vor unserer Abreise einen zweiten Großflughafen fertiggestellt – in Rekordzeit und pünktlich. Als wir nach draußen auf die Flugzeugtreppe traten und die Stimmung bei dem chinesischen Paar vor mir schon im bedrohlichen Sturzflug schien, atmete die Frau tief ein. »Aber die Luft ist gut hier«, sagte sie besänftigend zu ihrem Mann. Es klang so, als begänne für sie nun eine Art Landpartie in einem etwas rückständigen Land. Ist China wirklich effektiver und besser als wir?
Warum kriegt China Dinge so viel schneller hin als wir? Ist es effektiver und besser? Was macht China stark und uns schwach? Für Chinas allmächtige Partei sind diese Fragen schnell beantwortet: China ist zielstrebiger, effizienter – und das liegt in den Augen der Partei in erster Linie an der Überlegenheit des politischen Systems, an der allumfassenden Diktatur eben dieser Partei. Während wir demokratisch sind, aber uns gegenseitig blockieren und in Planfeststellungsverfahren verheddern, wird dort gemacht. Das ist der Eindruck, den die KP Chinas vermitteln will. Und dieser Eindruck verfängt bei vielen – nicht nur in China. 2014, zu Beginn meiner Zeit in China, versuchten chinesische Offizielle aus dem Außenministerium mir entschuldigend zu erklären, warum China zum Beispiel noch kein Rechtstaat sei, warum Strafverfahren bis heute allen Standards Hohn sprechen. China sei eben noch nicht so weit, sagten sie, China brauche noch Zeit, sei letztlich noch ein Entwicklungsland. In den letzten zwei, drei Jahren nahmen solche Gespräche eine ganz andere Wendung. China habe 850 Millionen Menschen aus der Armut herausgeholt und die Armutsrate von früher mal über 80 Prozent auf 1,7 Prozent gesenkt. Was fragst du uns da nach Rechtsstaatlichkeit? Chinas Macht beruht auf seinem Wirtschaftserfolg, dem enormen Aufstieg, den das Land erfahren hat. Mehr noch: Die Herrschaft der Kommunistischen Partei in China gründet auf den Wachstumszahlen der Wirtschaft und der Aussicht der Bürger, reich zu werden. Daraus ergibt sich ein typisch chinesisches Paradox: Der Fortbestand des Kommunismus in China hängt vom Erfolg des Kapitalismus im eigenen Land ab. Wie kam es dazu? Chinas Aufstieg zur Weltmacht
Chinas Aufstieg zur Weltmacht begann in einem Fischerdorf am Perlflussdelta direkt gegenüber von Hongkong. Vor gerade mal 40 Jahren. Kaum einer im Westen kennt Shenzhen, aber jeder sollte es kennen. Denn Shenzhen ist China unterm Brennglas. Wer verstehen will, warum China so schnell so mächtig wurde, muss sich diese Stadt anschauen. Das ehemalige Fischerdorf hat heute über 20 Millionen Einwohner, es ist Chinas Silicon Valley. Die großen Tech-Konzerne wie Alibaba, Tencent, ZTE oder Huawei haben dort ihren Sitz. Ein knappes Dutzend Wolkenkratzer, mehr als irgendwo sonst in der Welt, entstanden allein 2016 in Shenzhen. Umsatz, Profit, Einwohnerzahlen – hier scheint alles in den Himmel zu wachsen. Shenzhen war ein Experiment, das eigentlich nicht klappen konnte. Ende der 1970er-Jahre erlaubte Chinas starker Mann Deng Xiaoping Sonderwirtschaftszonen im Süden Chinas. Shenzhen war eine davon. Es waren kapitalistische Inseln innerhalb des Kommunismus. Freies Wirtschaften unter der Herrschaft der Partei widersprach der reinen Lehre, aber es funktionierte. Stück für Stück wurde das Experiment, das den unscheinbaren Titel Reform und Öffnung trug, im ganzen Land eingeführt. Teil davon war auch eine Landwirtschaftsreform, die es Bauern erlaubte, alleine zu entscheiden, was sie anbauen wollten, und ihnen gestattete, Überschüsse selbst zu verkaufen. Die Versorgung mit Lebensmitteln verbesserte sich dadurch grundlegend. Katastrophale Hungersnöte wie noch Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre, als bei Maos sogenanntem »Großen Sprung« nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 15 und 45 Millionen Chinesen starben, waren vorbei. Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg von 66,6 auf heute 76,5 Jahre. Chinesen sind heute auch deutlich größer. Eine Studie des Imperial College in London zeigt, dass Chinesen dank besserer Ernährung und Gesundheitsversorgung sogar ihre Position in der weltweiten Größenrangliste deutlich verbessern konnten. Über einen Zeitraum von hundert Jahren betrachtet, wuchsen Chinas Frauen im Länderranking bis 2014 von Position 134 auf 87, die Männer von 130 auf 93. Reform und Öffnung bedeutete auch, dass China vorsichtig seine Tore öffnete. Ausländische Unternehmen konnten sich in China niederlassen. Ohne ihre Investitionen wäre das chinesische Wirtschaftswunder kaum möglich gewesen. Nach Angaben der Weltbank war Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2018 mehr als 76-mal so hoch wie zu Beginn der Reformen 1979. Es stieg von 178,3 Milliarden US-Dollar (1979) auf 13?608 Milliarden (2018). Das Pro-Kopf-Einkommen kletterte von lediglich 210 auf 9460 US-Dollar. Die Kindersterblichkeit sank bis 2018 um fast 90 Prozent. Nur damit man eine Vorstellung davon bekommt, wie gewaltig die Veränderungen waren: Deutschlands BIP wuchs im gleichen Zeitraum um etwa das 4,5-Fache, das Pro-Kopf-Einkommen von 11?050 auf 47?110 US-Dollar, also um gut das Vierfache. Chinas prägende Erfahrung der letzten 40 Jahre ist also ein enormer Wohlstandsschub. Ganz entgegen der reinen Lehre wolle die Kommunistische Partei »ein paar Leuten erlauben, zuerst reich zu werden«, so Deng Xiaoping. Sein Experiment war der Beginn von Chinas atemberaubendem Wirtschaftswunder, dem chinesischen Kapitalismus unter dem Primat der Kommunistischen Partei und damit auch der Beginn von Chinas Aufstieg zur neuen Weltmacht. Im Herbst 2018 war ich in Shenzhen, als die Stadt das 40-jährige Jubiläum dieses Experiments feierte. Auf dem langgestreckten Platz an der Fuzhong-Straße im Zentrum der Stadt, der gesäumt ist von Wolkenkratzern, staunten Hunderte über eine Lichtershow, die Chinas Aufstieg huldigte. Die Glasfassaden leuchteten im Rot der Nationalflagge, und aus den Lautsprechern dröhnte ein süßlicher Chor, der von der Liebe zu China sang. Die Zuschauer sangen mit. Ich musste in diesem Moment an jene denken, die diesen Aufstieg erarbeitet hatten und die ich in den Jahren zuvor in Shenzhen getroffen hatte. Die Arbeiter in der Schuhfabrik von Zhang Huarong, die morgens zum Appell strammstanden und danach im strengen Akkord schufteten. Die verzweifelten Arbeiter aus der Golfschlägerfabrik, die schutzlos mit gefährlichen Chemikalien hantieren mussten, an Leukämie erkrankten und dann entlassen wurden. Ich fühlte mich zurückversetzt in die engen, vergitterten Zimmer der Wanderarbeiter, in denen wir spätnachts nach ihrer Schicht bei Interviews saßen, schweißgebadet, weil die Ventilatoren nicht gegen die klebrige Schwüle der Stadt ankamen. Und ich erinnerte mich an das, was mich am meisten beeindruckt hatte: den unglaublichen Fleiß der Arbeiter und ihre hartnäckige Hoffnung, selbst den Aufstieg zu schaffen. Shenzhen war in diesen 40 Jahren Chinas Werkbank und damit die Werkbank der Welt. Shenzhens Fließbänder, seine Arbeiter und der kühle Pragmatismus der KP hatten China reich und stark gemacht. Indem die allmächtige KP bereit war, zumindest einen Teil der Wirtschaft nicht zu kontrollieren, entfesselte sie das ganze Potenzial von Chinas Bevölkerung – ihren Enthusiasmus und Arbeitseifer, ihren Einfallsreichtum und Hunger nach Aufstieg. Und die Zukunft war schon da. Die Laser der Lichtershow zeigten an jenem Abend 2018 nun Großrechner, Glasfaserkabel, weltumspannende Netze. Chinas Hoffnung, dass der Aufstieg weitergeht, dass aus der Werkbank der Welt ein Hightech-Land wird, ruht auch auf Shenzhen und auf Konzernen wie Huawei. Das Hightech-Unternehmen, das bei uns in der Diskussion steht, ob man ihm den Ausbau des ultraschnellen 5G-Mobilfunknetzes anvertrauen kann, hat bei Shenzhen einen riesigen, neuen Firmencampus für bis zu 25?000 Mitarbeiter errichtet. Die Gebäude muss man gesehen haben. Es sind detailgetreue Kopien aus Old Europe, zum Beispiel vom Heidelberger Schloss. Huaweis Mitarbeiter flanieren durch Nachbauten von Freiburg, Paris oder Verona, ihre Büros und Konferenzräume verbergen sich hinter deutschen Altstadtfassaden. Und ihr Firmengründer erläutert ausländischen Journalisten gerne in einem italienischen Palazzo...


Reichart, Thomas
THOMAS REICHART leitete von 2014 bis 2019 das ZDF-Studio Ostasien in Peking, das verantwortlich ist für die Berichterstattung über China, Nord- und Südkorea, Japan und die Philippinen. Er ist preisgekrönter Autor zahlreicher Dokumentationen, zuletzt der Zweiteiler 'Die Neue Seidenstraße – Chinas Griff nach Westen'. Seit 2020 berichtet er aus dem Berliner Hauptstadtstudio über Außen- und Sicherheitspolitik.

THOMAS REICHART leitete von 2014 bis 2019 das ZDF-Studio Ostasien in Peking, das verantwortlich ist für die Berichterstattung über China, Nord- und Südkorea, Japan und die Philippinen. Er ist preisgekrönter Autor zahlreicher Dokumentationen, zuletzt der Zweiteiler »Die Neue Seidenstraße – Chinas Griff nach Westen«. Seit 2020 berichtet er aus dem Berliner Hauptstadtstudio über Außen- und Sicherheitspolitik.


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