E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Reinhardt Blutiger Karneval
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-534-61043-3
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Sacco di Roma 1527 – eine politische Katastrophe
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-534-61043-3
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rom befindet sich auf dem Gipfel der Hochrenaissance, als am 6. Mai 1527 ein Heer des allerkatholischsten Kaisers Karl V. die Ewige Stadt stürmt und in der Folgezeit ein regelrechtes Terrorregiment am Tiber errichtet – sacco di roma. Papst Clemens VII. muss nach der Einnahme Roms monatelang in der Engelsburg als Gefangener in seiner eigenen Hauptstadt ausharren. Eine besondere Zuspitzung erfährt das Geschehen dadurch, dass ein großer Teil der kaiserlichen Söldner lutherisch gesinnte Landsknechte sind, die glauben, den Antichrist in Person zu bekämpfen.
Volker Reinhardt, Bestseller-Autor, Stilist von Rang und einer der besten Kenner der italienischen Renaissance, macht aus diesem Stoff ein Meisterstück der historischen Rekonstruktion.
Autoren/Hrsg.
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I. Präsentation.
Der Sacco di Roma oder: Von der Unwirklichkeit der Geschichte
Nach allerlei diplomatischen und militärischen Irrungen und Wirrungen wird im Mai 1527 eine Stadt von gut 50 000 Einwohnern geplündert, findet danach aber ziemlich rasch wieder zur politischen und wirtschaftlichen Normalität zurück. Tiefere Spuren bleiben im Stadtbild wie auch in den Bildern, die in dieser Stadt gemalt wurden, nicht zurück. Der Herr dieser Stadt, dem Verderben selbst nur um Haaresbreite entronnen, trifft sich knapp drei Jahre später mit dem Auftraggeber der Truppen, welche die Stadt geplündert haben, und zwar so feierlich und einträchtig, als wäre nichts gewesen. Ja, er setzt dem Herrn seiner Peiniger in Bologna sogar die Kaiserkrone aufs Haupt. An beider Politik und Herrschaftsstil ändert sich gleichfalls nicht das Geringste: keine Reue und erst recht keine Umkehr, weder in Taten noch in Worten oder in Bildern. Auch die weniger hoch gestellten Überlebenden haben an dem, was man nach 1945 „Bewältigung der Vergangenheit“ nennt, nicht das geringste Interesse. Einige der Geschundenen schreiben immerhin auf, was sie erlebt haben – oder vorsichtiger ausgedrückt: was sie gesehen zu haben glauben. Fast immer greifen sie spät zur Feder. Und nichts ist so wetterwendisch und formbar wie das menschliche Gedächtnis. Zudem legen die Opfer ihre Eindrücke nieder, um Sinn im scheinbar Sinnlosen zu finden. Diesen Sinn aber stiften Schuldzuweisungen und Feindbilder. An ihnen kann man sich orientieren, ja festhalten, ja sie sind praktische Lebenshilfe. Dasselbe gilt für die Beschwörung, die bis heute auf alle Katastrophen folgt: nie wieder, wehret den Anfängen. Mit diesen beruhigenden Versicherungen aber ist auch für die Opfer der Fall abgeschlossen. Am Ende steht für sie die tröstlichste Banalität überhaupt: Das Leben geht weiter. Die Opfer, die zu Tätern werden müssen, um zu überleben, sind nicht die Einzigen, die geschrieben haben. Zur Plünderung der Stadt und zur Gefangennahme ihres Oberhaupts äußert sich, wer Europa seine Meinung schuldig zu sein glaubt. Und das sind schon damals nicht wenige. So wird der 6. Mai 1527 zum Medienereignis schlechthin. Mit einer weiteren Analogie zur Gegenwart: Nichts welkt so schnell wie die Sensationsnachricht von gestern. Man findet in der unerhörten Begebenheit die vorgefassten Meinungen bestätigt und geht gestärkt an sein Alltagswerk zurück. Auch wenn die meisten Augenzeugen erst mit beträchtlichem Abstand zum erlebten Schrecken zur Feder greifen, gilt für die Öffentlichkeit: Der Fall ist gelöst, die Akten schließen sich von selbst. Warum soll man sie dann – ein knappes halbes Jahrtausend später, doch ohne jede Jubiläums-Rechtfertigung – wieder öffnen? Um durch Furcht und Schrecken Einkehr und Einsicht zu erzeugen? Da kann der Moralist des 21. Jahrhunderts nur bittere Tränen lachen. Durch Drogen zu Mordmaschinen mutierte Kindersoldaten in der Hauptausgabe der Tagesschau, zerquetschte Verkehrstote in den Regionalnachrichten, öffentlich-rechtlich ausgestrahlte Privatvideos von abstürzenden Flugzeugen und Attentaten aus nächster Nähe: Der Fernseh-DVD-Video-Internet-Mensch, durch die Macht der Technologien zum Voyeur des seriellen Todes verformt, konsumiert Horror in einer täglichen Überdosis, die abstumpft oder, schlimmer noch, süchtig macht. Warum dann also von der Katastrophe des Jahres 1527 erzählen? Weitere Argumente scheinen sich anzubieten. Verwüstet wird schließlich nicht eine Allerwelts-Stadt, sondern Rom, die vermeintlich Ewige Stadt, einst Herrin eines Imperiums, jetzt Sitz des Papstes, der sich als Herr der Christenheit, und zwar in geistlicher, kirchlicher und politischer Hinsicht, versteht. Ja, er glaubt sogar daran, an einem sakrosankten, d. h. unantastbaren Ort zu leben. In dieser Überzeugung bestärken ihn so viele Meisterfresken in seiner Residenz, dem Vatikan. Sie zeigen Rom als vom Himmel geschütztes Refugium inmitten einer heillosen Welt, als sicheren, da von Engeln und Aposteln verteidigten Hort unwandelbarer Wahrheit im unruhigen Meer der Geschichte. Vieles spricht dafür, dass die Päpste der Zeit daraus den Schluss zogen, sich gefahrlos in die wild bewegten Gewässer der europäischen Machtpolitik stürzen zu können. Hinterher, als sie es besser wussten, lautete ihre Anklage daher: Blasphemie, Schändung des Heiligen. Doch auch solche Profanierungen hat Europa in seiner Geschichte sehr viel erinnerungsmächtiger erlebt. Die Söldner des Jahres 1527 raubten römische Kirchen leer, die Sansculotten des Jahres 1794 rissen ganze Kathedralen ab; die Plünderer des Sacco di Roma verhöhnten Priester in Spottprozessionen, die Jakobiner ertränkten sie zu Tausenden in der Loire. Kann man, wenn sonst nichts zählt, wenigstens aus der Geschichte der großen Plünderung für das Leben und die Zukunft lernen? Schon bei den scharfsinnigsten Zeitgenossen stellt sich Kopfschütteln, wenn nicht Hohngelächter ein. Hat die Katastrophe von 1527 doch ein gutes halbes Jahr zuvor ihr Vorspiel, oder besser: ihre Generalprobe, ja ihre Voraus-Äffung. Dem großen Sacco geht nämlich im September 1526 die kleine Plünderung durch die mit Papst Clemens VII. verfeindete Adelsfamilie Colonna voraus, und zwar so, als werde hier für den Ernstfall geübt. Und dennoch wird der Papst, als es im März und April 1527 ernst wird, auf eine mehr als unverbindliche Friedensnachricht hin seine – ohnehin schon schwachen – städtischen Schutztruppen entlassen. Man kann gar nicht aus der Geschichte lernen, weil diese sich nicht wiederholt. Das ist ein unerhörter Satz, damals wie heute. Die Entdeckung der Wahrheit, die in ihm beschlossen ist, geht unmittelbar auf den Sacco von 1527 zurück. Damit ist endlich eine erste ernst zu nehmende Rechtfertigung gefunden, seine Geschichte erneut aufzurollen. Einer der Akteure auf der militärischen und diplomatischen Bühne nämlich, Francesco Guicciardini, gibt sich mit den gängigen Erklärungen für das Unheil nicht zufrieden. Das liegt daran, dass er persönlich involviert ist. Während der Ereignisse selbst kann er nicht so handeln, wie er möchte, denn sein Herr folgt seinen Ratschlägen nicht; nach der Katastrophe aber wird er für diese haftbar gemacht. Es geht ihm also darum, auf Gewissen und Ehre abzuklären, wie es dazu kommen konnte: durch die Prüfung seines Gewissens und zur Rettung seiner Ehre. Doch das ist nicht alles. Eine noch peinigendere und peinlichere Frage steht im Raum. Den Herrscher, der das Unheil in die Wege leitete, beriet ein braintrust von seltener Exzellenz. Neben Guicciardini konnte man die Meinungen von Niccolò Machiavelli, dem exzentrischen politischen Meisterdenker der Neuzeit schlechthin, einholen. Und auch, was Francesco Vettori, der sich in seinem Briefwechsel mit Machiavelli diesem mindestens ebenbürtig erweist, darüber dachte, war bekannt. Ganz zu schweigen davon, dass der Nuntius des Papstes bei Karl V., dem Dienstherrn der Plünderer, Baldassare Castiglione hieß, seines Zeichens Autor des Buchs vom Hofmann. Das war ein Bestseller, der den Höfling das feine Leben bei Hofe zu lehren versprach, in Wirklichkeit aber mindestens ebenso gründlich die Abgründe höfischer Unmoral aufdeckte und die Kunst des schönen Scheins vermittelte. So viel Ahnung des Kommenden, so viel geballte Intelligenz im unmittelbaren Umkreis der Macht, die das Heil verspricht und das Unheil anzieht. Warum vermag so viel Klugheit die Katastrophe nicht zu vermeiden, warum bleibt der Geist ohnmächtig gegenüber der Macht? Machiavelli kann darüber nicht mehr lange nachdenken, er stirbt 46 Tage nach der Erstürmung der Ewigen Stadt. Seine Antwort lässt sich dennoch beschwören; aller Wahrscheinlichkeit nach hätte sie gelautet: Man hätte den alten Römern folgen und sich nicht mit leeren Versprechen begnügen sollen. Guicciardini und Vettori aber fühlen sich gedrängt, bohrender und unerbittlicher nachzuforschen; am Ende stoßen sie auf eine neue Vorstellung von der Geschichte, deren Entwicklung aller menschlichen Planung Hohn spricht. Der Sacco di Roma macht, so betrachtet, bis heute jede Versöhnung mit der Geschichte unmöglich. Doch seine Darstellung hat noch mehr zu bieten. Launen der Fortuna, ehernen Gang des Schicksals, Blindheit, mit der Gott die Akteure schlägt, Strafe des Himmels, Zerstörungswillen des Bösen, das sich in einzelnen Mächtigen oder im Pöbel manifestiert, Bestialität des Krieges, Gefahren der Anarchie, die unvermeidlichen Folgen der Volksherrschaft, die Schwäche der italienischen Staatenlandschaft und speziell den Niedergang ihres Militärwesens, den Aufstieg neuer Nationen, die Polemik der Reformation, die Verweltlichung des Papsttums, den Verlust von traditionellen Werten, die Verwilderungen einer Übergangszeit bzw. den ruchlosen Geist einer neuen Epoche, der Renaissance – das alles (und einiges mehr) haben Zeitgenossen und Historiker bis heute als Hauptursachen des Sacco namhaft gemacht. Doch auch das alles ist nicht alles. Europa findet in der jeder Wahrscheinlichkeit spottenden Verkettung von Ursachen und Wirkungen seine Ängste in einer Verdichtung ohnegleichen wieder. Auf einen einzigen gemeinsamen Nenner gebracht, ist es die Angst vor...