Reissmann | Die Saat der Lüge - oder: Der Ruf der Schneegans | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 280 Seiten

Reihe: Ein Fall für Thea Engel

Reissmann Die Saat der Lüge - oder: Der Ruf der Schneegans

Kriminalroman: Ein Fall für Thea Engel 2 | Für Spannungsfans von Daniel Holbe
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-96148-129-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kriminalroman: Ein Fall für Thea Engel 2 | Für Spannungsfans von Daniel Holbe

E-Book, Deutsch, Band 2, 280 Seiten

Reihe: Ein Fall für Thea Engel

ISBN: 978-3-96148-129-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Die Hand der jungen Frau liegt weiß und makellos auf dem Obduktionstisch, doch ihr Körper ist zerrissen und entstellt. Hat sie sich auf die Bahngleise gelegt, um Selbstmord zu begehen - oder versucht ihr Mörder, seine Spuren zu verwischen? Die Ermittlungen führen Thea Engel von der Mordkommission Stuttgart in ein Altersheim: Was hat es mit dem verwirrten älteren Mann auf sich, den die Tote dort mehrfach besuchte? Und welche Bedeutung hat ihr geliebtes Schmuckstück, das spurlos verschwunden ist, ein silberner Kettenanhänger in Form einer Schneegans? Als ein weiterer Mord geschieht, ahnen Thea und ihr Partner Michael Messmer, dass die Lösung des Falls mit der jüngeren deutschen Historie verwoben sein könnte - und dass die Sünden der Vergangenheit immer noch Tote fordern. Der zweite Fall für die toughe Stuttgarter Kommissarin Thea Engel. Jeder Band in der Reihe kann unabhängig gelesen werden.

Britt Reißmann, geboren 1963 in Naumburg/Saale, war Intarsienschneiderin und Sängerin, bevor sie für die Mordkommission Stuttgart zu arbeiten begann. Seitdem veröffentlichte sie zahlreiche Krimis, die u. a. mit dem Delia-Literaturpreis ausgezeichnet wurden. Die Autorin im Internet: www.brittreissmann.de www.instagram.com/reissmannbritt Britt Reißmann veröffentlichte bei dotbooks ihre Krimireihen um KOMMISSARIN VERENA SANDER sowie um KOMMISSARIN THEA ENGEL, den ersten Band dieser Reihe schrieb sie gemeinsam mit Silvija Hinzmann. Auch bei dotbooks erscheinen ihre Reihe um KOMMISSARIN MEIKE MASUR, die auch als Printausgabe und im Hörbuch von Saga Egmont erhältlich ist.
Reissmann Die Saat der Lüge - oder: Der Ruf der Schneegans jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Kapitel 1


Freitag

Als Erhard Kiesler an diesem Freitagmorgen im Dezember kurz nach fünf Uhr in den Führerstand der U7 an der Endhaltestelle Killesberg Messe stieg, befürchtete er schon, dass es ein harter Arbeitstag werden würde. Das Wetter war so ungemütlich, wie es zu dieser Jahreszeit nur sein konnte, Schneeregen bei Temperaturen um null Grad. Ein Blick zum Himmel ließ ihn vermuten, dass sich das heute wohl auch nicht mehr ändern würde.

Der Wind trieb eine leere Bierdose über den Bahnsteig, die scheppernd ins Gleisbett rollte. Er fluchte leise. Als ob nicht schon genug Müll auf den Schienen vor sich hingammelte. Von der viel gerühmten Reinlichkeit der Schwaben war hier wirklich nichts zu merken.

Im ersten Waggon hinter ihm saßen nur zwei Fahrgäste, ein junges Pärchen. Sie sahen müde aus, vermutlich hatten sie die letzte Nacht durchgefeiert. Von einem blauen Stockschirm, den das Mädchen in der Hand hielt, tropfte das Wasser und floss in kleinen Rinnsalen über den Boden. Der Berufsverkehr würde erst zwei bis drei Bahnen später einsetzen.

Pünktlich um fünf Uhr sieben startete Kiesler die Bahn. Um wach zu werden, beschloss er, die Haltestellenansagen heute von einem Männerquintett singen zu lassen. Die Aktion »Singing in the train« der A-cappella-Band »Füenf« hatte schon auf so manches mürrische Großstädter-Gesicht ein Lächeln gezaubert. Vielleicht würde das Band mit den gesungenen Haltestellen auch seine Stimmung ein wenig heben.

Der Schneeregen, der in der Dunkelheit gegen die Frontscheibe klatschte, verwischte die Gleise, Signale und Bäume an der Bahnstrecke zu einem abstrakten Gemälde. An solchen Tagen müsste man den Bahnverkehr einstellen, dachte Kiesler. Die Leute sollten bei diesem Wetter daheimbleiben, da, wo er jetzt auch gern wäre. Er fuhr die Haltestelle Eckartshaldenweg am Pragfriedhof an und bremste. Kein Mensch war auf dem Bahnsteig. Während die »Füenf« in Anlehnung an Michael Jacksons »Thriller« den Eckartshaldenweg ankündigten, goss Kiesler sich Kaffee ein und wärmte seine kalten Hände an dem Plastikbecher, der gemeinsam mit ihm schon unzählige Male die Bahnstrecke zwischen dem Killesberg und Ostfildern hin- und hergefahren war. Ein zärtlicher Gedanke streifte seine Frau, die so früh mit ihm aufgestanden war, um ihm die Thermoskanne zu füllen und das Frühstück zu richten. Für einen Moment hatte er den Geruch ihres vom Schlaf schweren Körpers in der Nase, und als er in den Tunnel zur Haltestelle Türlenstraße einfuhr, wurde der Wunsch, wieder zu ihr ins Bett zu kriechen, fast übermächtig.

Auch an der Haltestelle Türlenstraße/Bürgerhospital stieg niemand zu.

Eine Minute später öffnete sich der Tunnel zum Hauptbahnhof. Kiesler startete seinen Favoriten unter den gesungenen Haltestellenansagen. Zur Melodie von »Dschingis Khan« sangen die »Füenf«: »Haupt-Haupt-Hauptbahnhof, einsteigen, aussteigen, umsteigen, Fahrschein zeigen ...« Er beobachtete im Spiegel die grinsenden Gesichter des Pärchens im ersten Waggon. Der Stockschirm lag inzwischen in einer Pfütze auf dem Boden.

Die Türen schlossen sich mit leisem Zischen, die Lichter des Bahnhofs blieben zurück, und die Bahn wurde im Tunnel von vollkommener Schwärze verschluckt. Nur die Signale leuchteten in der Finsternis wie die Augen streunender Tiere.

Mit einer Variation von »Veronika, der Lenz ist da« hielt die U7 am Charlottenplatz. Zwei Penner schwankten herein, jeder eine verbeulte Bierdose in der Hand, und ließen sich auf die grün gemusterten Sitze fallen. Jetzt ging es bergan, in Stuttgarts hügelige Außenbezirke. An der Hohenheimer Straße blickten vierstöckige Wohnhäuser, im Jugendstil erbaut, mit dunklen Fenstern in die Morgendämmerung. Einzig das Hotel Wörtz zur Weinsteige war hell erleuchtet, als versuchte es, trotz des Schmuddelwetters Touristen anzulocken.

»Hier kommt der Bopser, da wohnt meine Maus, drum steig ich beim Bopser aus ...«, tönten die »Füenf« an der nächsten Haltestelle in Anlehnung an Elvis Presleys »Blue suede shoes«. Aber natürlich stieg niemand aus zu dieser frühen Stunde.

Wieder ging es unter die Erde. Kilometer um Kilometer Bahngleise. Er hätte diese Strecke mit geschlossenen Augen fahren können, wenn er nicht fürchten müsste, dabei wegzudämmern.

Waldau-Stadion. Noch dreizehn Stationen bis zur ersten Pause. Wieder rein in den Tunnel. Wenn er am anderen Ende beim Fernsehturm rauskam, wäre der Matschregen sicherlich in dichtes Schneetreiben übergegangen. Die Ruhbank am Fernsehturm lag höher als die Innenstadt. Er goss sich noch einen Kaffee ein.

Vor sich sah er schon das Ende des Tunnels, und er konnte die weiß verschneiten Bäume des Silberwaldes ahnen. Die Lampen auf dem Bahnsteig der Haltestelle Ruhbank warfen kaltes Licht auf die Gleise.

Was war das da auf dem Gleis, direkt am Tunnelausgang? Etwas Dunkles lag auf dem glänzenden Schienenstrang. Die Lampen blendeten, er konnte es nicht erkennen. Die Hand mit dem Kaffeebecher verharrte auf halbem Weg zum Mund. Sein Hirn weigerte sich wahrzunehmen, was da lag. Verdammt! Er griff zur Notbremse. Oh Gott, lass es nicht wahr sein. Aber es blieb keine Zeit mehr für ein Gebet. Wie von fern registrierte er, wie die wenigen Fahrgäste im Waggon hinter ihm von ihren Sitzen geschleudert wurden. Die Bierdosen der Obdachlosen schepperten durch den Gang.

Halt an! Verflucht, halt an! Er hörte das Quietschen der Bremsen wie einen verzweifelten Aufschrei in seinem Kopf. Sekunden wurden zur Ewigkeit. Ein dumpfer Schlag, er flog nach vorn gegen das Schaltpult und sofort rückwärts gegen die Pendeltür, die aufsprang und ihn in den Waggon zu den erschrockenen Fahrgästen spuckte. Der Kaffeebecher landete auf seinem Hemd, doch er spürte den brennenden Schmerz des kochend heißen Getränks auf seiner Haut nicht.

Endlich stand der Zug. Er rappelte sich auf, griff zum Funk und stammelte in die Sprechanlage: »Stadtbahn U7 an der Haltestelle Ruhbank/Fernsehturm. Mein Name ist Kiesler. Ich glaube, ich habe gerade einen Menschen überfahren.«

***

Ich hätte dieses Thema niemals ansprechen sollen, dachte Thea Engel resigniert. Sie betrachtete ihre Mutter, die ihr den Rücken zugewandt an der Arbeitsplatte hantierte. Die gerade Haltung, die schmalen Hüften, die noch immer das ehemalige Model verrieten. Das Schweigen hing über ihnen wie eine graue Gewitterwolke, die mit jedem Ticken der Küchenuhr größer und schwerer wurde. Gerade als Thea meinte, die Stille nicht mehr ertragen zu können, wandte ihre Mutter sich zu ihr um.

»Du wirfst mir immer noch vor, dass ich nicht da war, als du mich gebraucht hast. Du sagst es nicht, du willst es nicht einmal wahrhaben. Aber das Gefühl ist da und schafft eine Kluft zwischen uns.«

Sie standen in der kleinen Küche und backten Panettone. Die Zeit der eingeschweißten Quarkstollen aus dem Supermarkt ist ein für alle Mal vorbei, dachte Thea. Seit Mutter das Regiment in meiner Küche übernommen hat, ist nichts mehr wie früher. Nicht dass es nicht irgendwie toll war, zur Abwechslung mal richtiges Essen zu bekommen. Als Kriminalbeamtin der Stuttgarter Mordkommission hatte sie sich vorwiegend aus Dosen und von Feinfrost ernährt. Jedenfalls so lange, bis sie ihre Mutter kennenlernte, nachdem sie fast dreißig Jahre lang geglaubt hatte, Vollwaise zu sein.

»Hörst du mir eigentlich zu?« Franziska Linder wischte sich die Hände an einem Küchentuch ab und sah ihre Tochter prüfend an.

Thea seufzte und schaute in den Schneeregen hinaus, der gegen das Küchenfenster schlug. Jeder hatte eben seine eigene Art, sich einen freien Tag zu verderben. Sie musste Überstunden abbummeln, bevor sie am Jahresende verfielen, und eigentlich hatte sie sich auf ein bisschen freie Zeit gefreut. Der Duft von in Cognac eingelegtem Zitronat, Orangeat und Korinthen benebelte ihre Sinne und machte sie schläfrig.

»Wie könnte ich dir vorwerfen, dass deine Schwester mich ohne dein Wissen ausgesetzt hat«, erwiderte sie. »Kein Mensch gibt dir die Schuld an ...« Ja, woran eigentlich?

»An deinem Unvermögen, mich zu lieben?«, führte Franziska den Satz zu Ende.

»Aber ich liebe dich!«, begehrte Thea auf.

»Du möchtest es vielleicht gern. Aber ich spüre bei jeder Berührung, an der Art, wie wir miteinander reden, dass du es nicht kannst. Der Schneemann da draußen, der langsam zu einem Eisklumpen mutiert, strahlt mehr Wärme aus als du. Vielleicht ist es auch zu viel verlangt, nach so langer Zeit.« Franziska wandte sich ab und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen.

»Es fühlt sich ungewohnt an«, sagte Thea zögernd. »Mein Leben lang habe ich mir eine Mutter gewünscht. Plötzlich habe ich eine und muss feststellen, dass ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll.«

»Es ist die Bindung, die fehlt, nicht wahr? Die dreißig Jahre, die Antonia uns genommen hat, gibt uns keiner zurück. Wir könnten aber die Zeit nutzen, die uns noch bleibt.«

Thea fettete eine Springform und sah nach dem Hefeteig, der sein Volumen bereits verdoppelt hatte. Dann drehte sie sich zu ihrer Mutter um.

»Jedes Kind kann ›Mama‹ sagen, sobald es anfängt zu sprechen. Wie kommt es, dass es mir, einer dreißigjährigen Frau, so schwer über die Lippen kommt? Ich habe .mich vor den Spiegel gestellt und dieses Wort...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.